© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 029/17 Dolmetscher gegen sprachliche Behinderung im Rahmen der VN-Behindertenrechtskonvention Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 029/17 Seite 2 Dolmetscher gegen sprachliche Behinderung im Rahmen der VN-Behindertenrechtskonvention Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 029/17 Abschluss der Arbeit: 10. Mai 2017 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 029/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Geltungsbereich der VN-Behindertenrechtskonvention 4 2. Schutzbereich der VN-Behindertenrechtskonvention 4 3. Möglichkeit der Ableitung eines Anspruchs auf Dolmetscher gegen sprachliche Behinderung in Deutschland 5 3.1. Gebärdensprachdolmetscher 5 3.2. Fremdsprachendolmetscher 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 029/17 Seite 4 1. Geltungsbereich der VN-Behindertenrechtskonvention Am 26. März 2009 ist das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN-Behindertenrechtskonvention - VN-BRK - ) und das Zusatzprotokoll in Deutschland über das Gesetz vom 13. Dezember 20061 nach Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz geltendes innerstaatliches Recht im Range eines Bundesgesetzes geworden.2 Nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a VN-BRK sind die Vertragsstaaten verpflichtet, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs - und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen. Die VN-Behindertenrechtskonvention bindet nach Art. 4 Abs. 5 VN-BRK Bund und Länder. Für Behörden und Gerichte ist sie zudem Auslegungshilfe nationaler Normen .3 Dies gilt nicht nur für das einfache Recht, sondern auch auf der Ebene des Verfassungsrechts .4 Die Verpflichtungen und Regelungen, die aus der VN-Behindertenrechtskonvention hervorgehen, richten sich primär an die Träger staatlicher Gewalt.5 Eine unmittelbare Anwendung von völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen, wie denen der VN-Behindertenrechtskonvention, im Verhältnis des Bürgers zum Staat ist nur dann denkbar, wenn sie auch von ihrem Wortlaut her so hinreichend bestimmt sind, dass sie unmittelbar vom Adressaten ohne weitere nationale Vollzugsregelungen angewendet werden können (self-executing). Dies gilt namentlich dann, wenn die Vertragsbestimmungen die Individuen berechtigen oder verpflichten sollen.6 Eine völkerrechtliche Abrede, die lediglich eine Verbindlichkeit gegenüber dem Vertragspartner begründet, könne ihrem Wesen nach daher keine unmittelbaren Rechtswirkungen für den Bürger entfalten.7 2. Schutzbereich der VN-Behindertenrechtskonvention Zweck der VN-Behindertenrechtskonvention ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, 1 Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 (BGBl. 2008 II S. 1419). 2 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004, - 2 BvR 1481/04 - , juris Rn. 30ff.; BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2016, - 1 BvL 8/15 - , juris Rn. 88. 3 Polcyk in Übersicht über das Sozialrecht, 13. Auflage 2016, Kapitel 9, Rn. 1. 4 BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, - 2 BvR 1481/04 - , juris Rn. 30; Polcyk in Übersicht über das Sozialrecht , 13. Auflage 2016, Kapitel 9, Rn. 1; Beschluss vom 23. März 2011, - 2 BvR 882/09 - , juris Rn. 5. 5 BT-Drs. 16/10808, Denkschrift zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 8. November 2008, S. 48. 6 BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006, - 2 BvR 2115/01 - , - 2 BvR 2132/01 - und - 2 BvR 348/03 - , juris Rn. 53; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 6. März 2012, - B 1 KR 10/11 R - , Rn. 24; Pieper in Epping/Hillgruber , BeckOK Grundgesetz, Art. 59 GG, 32. Edition, Stand 1. März 2017, juris Rn. 42. 7 BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1970 - 1 BvL 7/66 -, juris Rn. 42; Pieper in Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 59 GG, 32. Edition, Stand 1. März 2017, juris Rn. 42. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 029/17 Seite 5 zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern , Art. 1 Satz 1 VN-BRK. Die Konvention enthält bewusst keine starre Definition des Begriffes Behinderung. In der Präambel wird hierzu erläutert, dass sich das Verständnis von Behinderung ständig weiter entwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern. Dies verdeutlicht, dass ein Verständnis von „Behinderung“ nicht als fest definiertes Konzept verstanden wird, sondern von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig ist. 8 Art. 1 Satz 2 VN-BRK erläutert den Begriff „Menschen mit Behinderungen“. Dieser bezieht sich auf Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben , welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Die Konvention nimmt gewollt einen größeren Kontext von Lebensumständen in den Blick. Sie erfasst damit neben Menschen, die herkömmlich mit einer „Behinderung“ assoziiert werden, wie etwa Menschen mit körperlichen Einschränkungen, blinden oder gehörlosen Menschen, auch Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung, Menschen mit seelischen Schwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen, Menschen mit Autismus oder auch pflegebedürftige alte Menschen.9 3. Möglichkeit der Ableitung eines Anspruchs auf Dolmetscher gegen sprachliche Behinderung in Deutschland 3.1. Gebärdensprachdolmetscher Für die Frage, ob aus Regelungen der VN-Behindertenrechtskonvention ein unmittelbarer Anspruch auf einen Gebärdensprachdolmetscher abgeleitet werden kann, ist, wie oben bereits dargestellt , darauf abzustellen, ob es Bestimmungen gibt, die nach ihrem Wortlaut, dem mit ihr verfolgten Zweck und ihrer Regelungsdichte Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung im Einzelfall sein können, ohne dass es eines konkretisierenden beziehungsweise ergänzenden Ausführungsaktes bedarf (self-executing). Ob eine solche direkt anwendbare Regelung 8 BT-Drs. 16/10808, Denkschrift zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 8. November 2008, S. 47; BSG, Urteil vom 30. September 2015, - B 3 KR 14/14 R - , juris Rn.19. 9 Aichele: Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen , APuZ 23/2010, S. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 029/17 Seite 6 vorliegt und daraus im Einzelfall ein unmittelbarer Anspruch folgt, kann nur im Wege der Auslegung , bei der auch der konkrete Lebenssachverhalt zu berücksichtigen ist, geklärt werden. 10 3.2. Fremdsprachendolmetscher Für die Möglichkeit aus der VN-Behindertenrechtskonvention einen Anspruch auf Fremdsprachendolmetscher abzuleiten, wäre zunächst erforderlich, dass die mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache als Behinderung im Sinne der Konvention eingeordnet werden kann. Zudem müssten für einen direkten Anspruch aus der VN-Behindertenrechtskonvention die Voraussetzungen - wie oben beschrieben - erfüllt sein. Zu den Menschen mit Behinderungen, für die die Gewährleistungen der VN-Behindertenrechtskonvention gelten, gehören, wie oben dargestellt, Menschen, die langfristige körperliche, seelische , geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben und aufgrund dessen in ihrer Umwelt auf verschiedene Barrieren stoßen, die sie der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe hindern können. Sprachliche Defizite aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse bringen es zwar unter Umständen mit sich, dass die Teilhabe an der Gesellschaft für die Betroffenen erschwert ist. Allerdings ist 10 Tolmein, Gleichbehandlung und die UN-Behindertenrechtskonvention in der sozialrechtlichen Praxis, Deutsches Institut für Menschenrechte, September 2014, S. 6; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 6. März 2012, - B 1 KR 10/11 R - , juris Rn. 24. So kommt etwa das BSG in einem Urteil vom 21. März 2013 im Zusammenhang mit Fragen zur Versorgung mit einer Unterschenkel-Sportprothese im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu dem Ergebnis, dass aus der VN-Behindertenrechtskonvention keine über § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch hinausgehenden Ansprüche bestehen und sich insbesondere aus Art. 20 VN-BRK ein solcher Anspruch nicht ergebe (BSG, Urteil vom 21. März 2013, - B 3 KR 3/12 R - , juris Rn. 24). In einer Entscheidung zur Frage des Leistungsausschlusses von Arzneimitteln zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion in der gesetzlichen Krankenversicherung hat das BSG einen unmittelbaren Anspruch aus Art. 25 Satz 3 Buchstabe b VN-BRK abgelehnt, es hat ferner das Diskriminierungsverbot des Art. 5 Abs. 2 VN-BRK als unmittelbar anwendbar angesehen und dazu aber festgestellt, dass dies im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz entspreche (BSG, Urteil vom 6. März 2012, - B 1 KR 10/11 R - , juris Rn. 24ff.). In einem Urteil vom 23. August 2016 kommt das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Zusammenhang mit der Frage des Bestehens eines Anspruchs eines Heimbewohners und Heimbeiratsmitglieds auf Erstattung der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher für Sitzungen des Heimbeirates zu dem Ergebnis, dass weder Art. 19 VN-BRK noch Art. 20 VN-BRK einen individuellen Aufwendungsersatzanspruch begründen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. August 2016 - L 8 SO 369/12 - , juris Rn. 35); das Bayerische Landessozialgericht kommt in einer Entscheidung zur Höhe von Leistungen zur Pflege nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch zu dem Ergebnis, dass sich weder aus Art. 25 VN-BRK noch aus Art. 28 Abs. 1 VN-BRK unmittelbare Rechtsansprüche ableiten ließen (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. September 2015, - L 2 P 22/13 - , juris Rn. 34f.). Das Landessozialgericht Hamburg kam in einem Urteil zur Erstattung der Kosten für Gebärdensprachdolmetscherinnen bei einem Workshop zu dem Ergebnis, dass sich aus der VN-Behindertenrechtskonvention kein unmittelbarer Anspruch ergebe; weder Art. 9 VN-BRK noch Art. 21 Buchstabe e VN-BRK seien so hinreichend bestimmt , dass ein unmittelbarer Anspruch hergeleitet werden könne (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 20. November 2014, - L 4 SO 15/13 - , juris Rn.33). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 029/17 Seite 7 davon auszugehen, dass ein solches Kompetenzdefizit nur dann von der VN-Behindertenrechtskonvention erfasst ist, wenn seine Ursachen in einer körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen liegen. So wurde etwa Analphabetismus, der nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht, von der Rechtsprechung bei Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht einer Krankheit oder Behinderung gleichgestellt.11 Diese Situation lässt sich mit eingeschränkten Teilhabemöglichkeiten aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse vergleichen . *** 11 Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 22. Juli 2004 – L 3 RJ 15/03 –, juris Rn. 56; Bayerisches Landessozialgericht , Urteil vom 24. Juni 2014 – L 19 R 26/13 - , juris Rn. 59.