© 2013 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 027/13 Arbeiten im Rentenalter Studien, Statistiken, rechtliche Aspekte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 2 Arbeiten im Rentenalter Studien, Statistiken, rechtliche Aspekte Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 027/13 Abschluss der Arbeit: 15. Mai 2013 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Analysen und Studien über Erwerbstätige im Rentenalter 6 2.1. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 6 2.2. Statistisches Bundesamt und Bundesagentur für Arbeit 7 2.3. Deutsches Zentrum für Altersfragen 8 2.4. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 8 2.5. Leuphana Universität Lüneburg 9 3. Rentenrechtliche Aspekte 10 3.1. Anhebung der Regelaltersgrenze 10 3.2. Inanspruchnahme einer Regelaltersrente 11 3.3. Antragstellung als formelle Rentenanspruchsvoraussetzung 11 3.4. Rentenab- und -zuschläge bei vorzeitiger oder späterer Inanspruchnahme 11 3.5. Auswirkungen einer weiteren Erwerbstätigkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze 12 3.6. Altersrente und Kündigungsschutz 12 4. Arbeitsrechtliche Aspekte 13 4.1. Individuelles Arbeitsrecht 13 4.1.1. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf 13 4.1.2. Ausgestaltung der Weiterbeschäftigung 16 4.2. Kollektives Arbeitsrecht 17 4.2.1. Tarifvertragsrecht 17 4.2.2. Betriebsverfassung 19 5. Weiterführende Quellen 21 6. Fazit 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 4 1. Einleitung Der demografische Wandel in Deutschland beschreibt zwei zentrale Entwicklungen für die Zukunft : die Alterung und die Schrumpfung der Bevölkerung. Dies wird auch Auswirkungen auf die Struktur der Erwerbstätigen haben. Gemäß den Schätzungen und Erhebungen der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes lebten Ende 2008 ca. 82 Millionen Menschen in Deutschland. 2060 werden es, so die derzeitige Prognose, zwischen 65 und 70 Millionen Menschen sein, abhängig von der tatsächlichen jährlichen Zuwanderung. Die Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis 65 Jahren ist von der Schrumpfung und Alterung besonders stark betroffen. Heute gehören knapp 50 Millionen Menschen dieser Altersgruppe an. Die Zahl wird voraussichtlich ab dem Jahr 2020 deutlich zurückgehen und im Jahr 2030 bei etwa 42 bis 43 Millionen Menschen liegen. 2060 werden aller Voraussicht nach nur noch rund 36 Millionen Menschen im Erwerbsalter sein, also 27 Prozent weniger als heute. Ein erheblicher Teil dieser Gruppe wird älter als 50 Jahre sein.1 Wissenschaft und Politik beschäftigt angesichts dieser Prognosen daher zunehmend die Frage, wie in Zukunft der notwendige Bedarf an jungen und qualifizierten Fachkräften gesichert werden kann. Denn insbesondere wenn die geburtenstarken Jahrgänge, die so genannten „Baby-Boomer“, das Rentenalter erreichen, wird es an jungen, qualifizierten Fachkräften in vielen Betrieben fehlen . In diesem Zusammenhang sehen die Experten ein großes Beschäftigungspotenzial bei Frauen und Älteren, deren Erwerbstätigkeit noch deutlich gesteigert werden könne. Zudem sei die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte ein weiterer möglicher Weg der Fachkräftesicherung.2 Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland hat im Jahr 2011 eine Expertise über die Herausforderungen des demografischen Wandels für die Bundesregierung angefertigt. Darin wird auch die Gruppe der Älteren hinsichtlich ihrer Produktivität analysiert. Die Experten kommen nach Sichtung der neusten Literatur zu dem Schluss, dass die durchschnittliche Arbeitsproduktivität im Alter im Großen und Ganzen konstant bleibe. Einerseits sei aus entsprechenden Studien der Medizin, Psychologie und Gerontologie bekannt, dass mit steigendem Alter die physischen und kognitiven Fähigkeiten nachließen, andererseits führten die mit dem Alter zunehmende Erfahrung und Menschenkenntnis zu einem Anstieg der Produktivität. Das hohe Erfahrungswissen könne folglich die nachlassende Kognition und physische Konstitution ausgleichen. Zur Steigerung der Erwerbsquote bei Älteren stehe, so der Sachverständigenrat, vor allem die Schaffung von altersgerechten Arbeitsplätzen sowie das Prinzip des lebenslangen Lernens im 1 Statistisches Bundesamt (2009). 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden, S. 11ff. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/VorausberechnungBevoelkerung/Bevoelk erungDeutschland2060Presse5124204099004.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf am 20. April 2013). 2 Vgl. zum Beispiel die Handlungsempfehlung der Bundesagentur für Arbeit, Perspektive 2025: Fachkräfte für Deutschland, Nürnberg. Stand: Januar 2011. Abrufbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/Veroeffentlichungen/Sonstiges/Perspektive-2025.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 5 Vordergrund. Eine Verlängerung der Erwerbslebensphase könne zudem durch einen früheren Eintritt ins Erwerbsleben und einen späteren Austritt erreicht werden. Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2011). Herausforderungen des demografischen Wandels. Expertise im Auftrag der Bundesregierung , S. 90-121. Abrufbar unter: http://www.sachverstaendigenratwirtschaft .de/fileadmin/dateiablage/Expertisen/2011/expertise_2011-demografischerwandel .pdf (letzter Abruf am 29. April 2013). Die Diskussion über den demografischen Wandel und über Strategien für den deutschen Arbeitsmarkt stellt einen Paradigmenwechsel in Deutschland dar. Vor allem in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden - auch angesichts der Arbeitslosigkeit unter Jüngeren - gesetzliche Anreize zum frühen Ausscheiden älterer Beschäftigter aus dem Berufsleben gegeben, um Arbeitsplätze für nachfolgende Generationen zu schaffen. Die so genannte Frühverrentung wurde zu einem arbeitsmarktpolitischen Regulierungsinstrument, um die Arbeitsmarktchancen der Jüngeren zu erhöhen. Diesen Zweck verfolgten zum Beispiel das Vorruhestandsgesetz von 1984 und die Einführung einer verlängerten Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes (1986/87).3 Seit Beginn des neuen Jahrhunderts und mit einer zunehmenden Fokussierung auf den eingangs erwähnten demografischen Wandel ist die Verlängerung der Erwerbsphase von Älteren inzwischen von gesellschaftlicher und auch volkswirtschaftlicher Bedeutung. Mit renten- und arbeitsmarktpolitischen Reformen Anfang der 2000er Jahre sollte eine Trendumkehr erreicht und das Arbeitsleben verlängert werden. Seit einigen Jahren prägt zudem das Leitbild vom „aktiven Altern “ die altenpolitische Diskussion. Zu diesem Leitbild für Ältere gehört auch, möglichst lange erwerbstätig zu sein, sich weiterzubilden und sich ehrenamtlich zu engagieren, da die Gesellschaft nicht auf das Erfahrungswissen der Älteren verzichten könne.4 Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass über die Weiterbeschäftigung von Personen, die die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschritten haben, also 65 Jahre und älter sind, bisher relativ wenig bekannt sei.5 3 Vgl. zur Beschreibung dieser Entwicklung auch „Sechster Bericht zur Lage der älteren Generationen in der Bundesrepublik Deutschland – Altersbilder in der Gesellschaft und Stellungnahme der Bundesregierung“, BT- Drs. 17/3815 vom 17. November 2010, S. 101. 4 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2012). Altern im Wandel. Zentrale Ergebnisse des Deutschen Alterssurveys (DEAS), S. 27ff. Abrufbar unter: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Altern-im- Wandel,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (letzter Abruf am 29. April 2013). 5 Mitteilungen aus dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung vom Januar 2013, S. 6. Abrufbar unter: http://www.bibdemogra - fie.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Download/Bevoelkerungsforschung_Aktuell/bev_aktuell_0113.pdf?__blob =publicationFile&v=4 (letzter Abruf am 29. April 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 6 Die vorliegende Ausarbeitung stellt wissenschaftliche Studien und Statistiken zur Beschreibung der Gruppe der Erwerbstätigen im Rentenalter vor (Z. 2), um dann renten- und arbeitsrechtliche Aspekte zur Erwerbstätigkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu beschreiben (Z. 3 und 4). Unter Z. 5 werden weiterführende Informationsquellen aufgeführt. 2. Analysen und Studien über Erwerbstätige im Rentenalter 2.1. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat sich die Zahl der Erwerbstätigen im Rentenalter in Deutschland im Zeitraum 2001 bis 2011 auf rund 760.000 Personen verdoppelt. In keiner anderen Altersgruppe sei die Zahl der Erwerbstätigen so stark gestiegen wie bei den Über-65-Jährigen. Zudem finde sich in keiner anderen Altersgruppe ein so hoher Anteil an Selbständigen, denn immerhin knapp die Hälfte sei den Selbständigen oder mithelfenden Familienangehörigen zuzuordnen. Insgesamt, so die Studie weiter, sei die Qualifikationsstruktur der älteren Erwerbstätigen nicht schlechter als die der jüngeren. In vielen Fällen scheine also nicht die finanzielle Not der Grund für die Erwerbstätigkeit zu sein, sondern der eigene Wunsch (S. 3). Die wachsende Beschäftigung von älteren Personen liege durchaus im Trend, so die Studie. Auch in anderen europäischen Ländern wie Österreich, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und Norwegen habe sich die Erwerbstätigkeit der 65-Jährigen deutlich erhöht (S. 4). In Deutschland seien zwei Drittel aller Erwerbstätigen ab 65 Jahren teilzeitbeschäftigt und zwar in einem Minijob oder in einer anderen geringfügigen Beschäftigung. 80 Prozent des gesamten Beschäftigungswachstums bei den über 65-Jährigen gehe, so die Untersuchung, auf Teilzeitjobs zurück (S. 6). Die Gruppe der Personen, die im Rentenalter arbeitet, ist durchaus heterogen, wie die Analyse weiter zeigt. So seien zum Beispiel die Berufe der Älteren sehr „bunt“. Verglichen mit den jüngeren Arbeitnehmern fänden sich unter den Älteren sowohl relativ viele Führungskräfte und Personen mit einem akademischen Hintergrund als auch recht viele Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten . Vergleichsweise häufig seien zudem Erwerbstätige in landwirtschaftlichen Berufen, wenige dagegen in handwerklichen Berufen. Unter den älteren Selbständigen mit Arbeitnehmern seien Händler, Unternehmensberater, Landwirte, Ärzte, Publizisten, Wirtschaftsprüfer, Makler und Gastwirte die häufigsten Berufe. Bei den Solo-Selbständigen seien diese Berufe ebenfalls sehr häufig vertreten, hinzu kämen Rechtsberater und Architekten. Arbeitnehmer im Rentenalter seien oft als Reinigungskräfte, Bürokräfte, Verkäufer, Hausmeister, Taxichauffeure oder Lagerarbeiter tätig. Diese Tätigkeiten würden häufig als geringfügige Beschäftigung ausgeübt. Gleichzeitig gebe es aber auch recht viele angestellte Geschäftsführer oder abhängig beschäftigte Wissenschaftler im Rentenalter (S. 7-8). Quelle: BRENKE, Karl (2013). Immer mehr Menschen im Rentenalter sind berufstätig. In: DIW- Wochenbericht Nr. 6/2013. Abrufbar unter: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.415345.de/13-6-1.pdf (letzter Abruf am 29. April 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 7 2.2. Statistisches Bundesamt und Bundesagentur für Arbeit Hinzuweisen sei an dieser Stelle auf eine Analyse der sozio-ökonomischen Struktur der ausschließlich geringfügig Beschäftigten, die das Statistische Bundesamt und die Bundesagentur für Arbeit anhand einer Registerstatistikumfrage angefertigt haben. Hier zeigt sich, dass es offenbar eine identifizierbare Gruppe von Rentnern gibt, die aus finanziellen Gründen eine geringfügige Beschäftigung aufnimmt. Nach dieser Analyse sind Ende 2011 gut 15 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausschließlich einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen (5,18 Millionen Personen). 22 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten waren Rentner (S. 45 ff.). 6 75 Prozent aus der Gruppe der Rentner gaben in der Umfrage finanzielle Gründe für ihre Tätigkeit an, wobei 55 Prozent erklärten, dass es sich bei dem Verdienst um einen Hinzuverdienst handele, um sich „Extrawünsche“ zu erfüllen (S. 58). Im Vergleich zu anderen Gruppen der ausschließlich geringfügig Beschäftigten (Studierende, Hausfrauen, Arbeitslose) stehe das Geldverdienen für die Gruppe der Rentner am wenigsten im Vordergrund (S. 60). Aber immerhin ein Drittel der geringfügig beschäftigten Rentner habe angegeben, das mit dem Minijob verdiente Geld unbedingt für den Lebensunterhalt zu benötigen. Etwa die Hälfte der ausschließlich geringfügig beschäftigten Rentner habe mehr als 300 Euro im Monat verdient. Besondere Anreize, eine solche geringfügige Beschäftigung aufzunehmen, sehen die Statistiker für diese Gruppe in den bereits erworbenen Rentenanwartschaften und der weiterhin bestehenden Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zudem könnten Rentner die Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung ohne Abschläge behalten – mit Ausnahme von Personen mit Erwerbsminderungsrenten oder mit vorruhestandsähnlichen Bezügen (S. 50). Quelle: KÖRNER, Thomas; Meinken, Holger; Puch, Katharina (2013). Wer sind die ausschließlich geringfügig Beschäftigten? Eine Analyse nach sozialer Lebenslage. In: Wirtschaft und Statistik , Januar 2013, S. 42-61. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/Arbeitsmarkt/GeringfuegigB eschaeftigte_012013.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf am 30. April 2013). 6 Hierunter fallen aber nicht nur alle Personen ab 65 Jahren, sondern auch diejenigen, die ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus Rentenbezügen finanzieren oder den Rentnerstatus in der Befragung als Hauptstatus angegeben haben. Die Gruppe der Rentner besteht demzufolge zu 94 Prozent aus Personen über 55 Jahren. Nicht erkennbar ist, wie viele von ihnen die gesetzliche Regelaltersgrenze überschritten haben. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 8 2.3. Deutsches Zentrum für Altersfragen Das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) hat in einem aktuellen Report aus dem Jahr 2013 ebenfalls aufgezeigt, dass die Erwerbstätigenquote von Älteren nach dem 65. Lebensjahr seit Jahren zunimmt. Die Zahl der über 65-jährigen Männer sei zwischen 1991 und 2011 von 186.000 auf 477.000, die der Frauen von 134.000 auf 285.000 gestiegen (S. 15). Als Grund für die Weiterbeschäftigung haben dem Report zufolge 71,4 Prozent der Personen zwischen 60 und 69 Jahren „Spaß an der Arbeit“ angegeben, bei den 70 - 85-Jährigen waren es sogar 72,8 Prozent. Männer nannten diesen Grund deutlich häufiger als Frauen. Frauen nennen häufiger finanzielle Gründe für eine Weiterbeschäftigung als Männer. Die „gegenwärtige finanzielle Situation“ führten 38,3 bzw. 30,1 Prozent der älteren Erwerbstätigen an. Die finanzielle Situation nannten auch häufiger Ost- als Westdeutsche. Erwerbstätigkeiten im gesetzlichen Rentenalter, also ab 65 Jahren, seien häufig einfache Dienstleistungsberufe wie Wachschutz oder Raum- und Gebäudereiniger, so der Report. Es gebe Hinweise , dass die Erwerbstätigkeit jenseits des 65. Lebensjahrs häufig kurz seien, öfter unterbrochen würden und von Faktoren wie etwa der Arbeitszeit, dem Arbeitsumfang oder der Wohnortnähe stärker abhingen als von einer bestimmten Berufsgruppe (S. 16). Ältere blieben jedoch vor allem dann länger auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie höher qualifiziert seien. Eine Ursache dafür liege in deren Arbeitsbedingungen. Sie ermöglichten eine längere Erwerbstätigkeit , da sie physisch und psychisch weniger häufig zu Gesundheitsschäden und verminderter Erwerbsfähigkeit führten (S. 26). Quelle: NOWOSSADECK, Sonja; VOGEL, Claudia (2013). Aktives Altern: Erwerbsarbeit und freiwilliges Engagement. In: Report Altersdaten Heft 2/2013. Abrufbar unter: http://www.dza.de/fileadmin/dza/pdf/Gerostat_Report_Altersdaten_Heft_2_2013_PW.pdf (letzter Abruf am 29. April 2013). 2.4. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat im Jahr 2010 eine Befragung zur weiteren Erwerbstätigkeit im Rentenalter durchgeführt und ist dabei nach eigenen Angaben auf eine durchaus hohe Bereitschaft gestoßen, weiter erwerbstätig zu sein. 24,3 Prozent der Befragten habe auf die Frage „Wollen Sie auch nach Ihrem Renten- bzw. Ruhestandseintritt noch erwerbstätig sein?“ mit „ja“ geantwortet, und 23 Prozent mit „eher ja“. Die größte Gruppe der Befragten, nämlich 33,6 Prozent, antwortete mit „nein“, 19,2 Prozent gaben „eher nein“ an. Allerdings sei nach wie vor ein früher Renteneintritt erwünscht, die Mehrheit der Befragten, 60 Prozent, habe sich einen Renteneintritt bis zum 60. Lebensjahr gewünscht. Nur 9,5 Prozent gaben an, bis zum 65. Lebensjahr weiter arbeiten zu wollen. Die Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung gehe meist mit dem Wunsch einher, die wöchentliche Arbeitszeit zu reduzieren. Die Mehrheit (71,6 Prozent) bevorzuge eine Arbeitszeit zwischen zehn Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 9 und 24 Stunden pro Woche. Je kleiner das Unternehmen sei, desto größer sei die Bereitschaft der Befragten zur Weiterbeschäftigung. Diejenigen, die ihre Arbeitstätigkeit als gleichförmig und monoton , gesundheitsgefährdend und als körperlich schwer einstuften, seien deutlich seltener zu einer Weiterbeschäftigung bereit. Diejenigen, die weiter erwerbstätig bleiben wollten, gaben dem Institut zufolge an, Wissen und Erfahrung weitergeben und fit bleiben zu wollen. Zudem zeigten Alleinlebende eine höhere Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung im Rentenalter als andere. Mit steigendem Einkommen werde die Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung geringer. Zwar sei unter den Befragten nur eine kleine Gruppe mit sehr niedrigem Einkommen gewesen, aber es könne davon ausgegangen werden, so das Institut, dass es in der Bevölkerung insgesamt eine Gruppe gebe, die aufgrund der finanziellen Situation gezwungen sei, auch nach Erreichen des Rentenalters weiterzuarbeiten. Folgende Erwartungen hätten die Befragten an den Staat formuliert: stärkeres Engagement bei der Schaffung flexibler Regelungen für den Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit und mehr vorbeugende Gesundheitsfürsorge. Zudem sei den Befragten unter anderem der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und der Abbau von Vorurteilen gegenüber Älteren sehr wichtig gewesen. Die Befragung habe ergeben, dass es einerseits einen hohen Anteil von Personen gebe, die grundsätzlich bereit seien, im Rentenalter weiter zu arbeiten, andererseits habe die Mehrheit der Befragten eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters kritisch gesehen. Hieraus ergebe sich, so die Bevölkerungswissenschaftler, eine der zentralen politischen Botschaften der Studie, dass nicht starre gesetzliche Regelungen in Bezug auf den Zeitpunkt des Wechsels in den Ruhestand , sondern flexible Möglichkeiten zur Gestaltung des Renteneintritts und der Weiterbeschäftigung gefragt seien. Die Wissenschaftler sehen anhand der Befragungsergebnisse durchaus ein Beschäftigungspotenzial bei den Älteren, das angesichts des demografischen Wandels genutzt werden könne. Quelle: BÜSCH, Viktoria; DORBRITZ, Jürgen; HEIEN, Thorsten; MICHEEL, Frank (2010). Weiterbeschäftigung im Rentenalter. Wünsche – Bedingungen – Möglichkeiten. In: Materialien zur Bevölkerungswissenschaft , Heft 129/2010. Abrufbar unter: http://epub.sub.uni-hamburg.de/epub/volltexte/2010/5562/pdf/129.pdf (letzter Abruf am 29. April 2013). 2.5. Leuphana Universität Lüneburg Die Wissenschaftler Jürgen DELLER und Leena MAXIN erläutern in ihrer Analyse, welche Bedingungen für Produktivität im Rentenalter erfüllt sein müssen und welche Veränderungen im Hinblick auf die Bedeutung des Ruhestands in Deutschland zu beobachten sind. Anhand des Begriffs der „ Silver Workers“, der in den USA geprägt wurde und offiziell verrentete Personen bezeichnet, die weiterhin einer oder mehreren bezahlten oder unbezahlten Beschäftigungen nachgehen, werden Gründe und Rahmenbedingungen für eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter mittels einer explorativen Studie analysiert. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 10 Entscheidende Beweggründe für die Aufnahme einer Tätigkeit im Rentenalter seien, so die Wissenschaftler , helfen, Wissen weitergeben oder aktiv bleiben wollen, die eigene Weiterentwicklung und der Kontakt zu anderen sowie die Erfahrung von Anerkennung und Wertschätzung. Finanzielle Gründe spielten bei den Befragten offenbar eher eine nachrangige Rolle (S. 783ff.). Häufiger als materielle Gründe seien Aspekte wie Freude und Interesse genannt worden (S. 785). Die Befragten hätten auch klare Wünsche bezüglich der Rahmenbedingungen ihrer Weiterbeschäftigung formuliert. Hier seien vor allem flexible Arbeitszeiten, altersgerechte Arbeitsbedingungen sowie die Nutzung des eigenen Erfahrungswissens im intergenerationalen Austausch genannt worden. Beschäftigte im Rentenalter wünschten sich häufig auch eine Einbeziehung in die Aus- und Fortbildung (S. 785 ff.). Am ehesten hätten sich die Befragten freiberufliche, beratende Tätigkeiten vorstellen können. Die Wissenschaftler sehen eine „Kulturveränderung in Organisationen hin zu einem respektvollen und wertschätzenden Umgang jüngerer und älterer Mitarbeiter (…)“ (S. 794) als zentrales Handlungsfeld an. In vielen Organisationen herrschten Altersbilder und –stereotype vor, die eher zu einem Gegen- als einem Miteinander der Generationen führten. Ein differenziertes Altersbild könne jedoch erheblich zu einer Kulturveränderung in der Gesellschaft beitragen, so das Fazit der Autoren. Quelle: MAXIN, Leena; DELLER, Jürgen (2013). Beschäftigung statt Ruhestand: Individuelles Erleben von Silver Work. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Jg. 35, 4 (2010), S. 767-800. Abrufbar unter: http://www.comparativepopulationstudies.de/index.php/CPoS/article/view/57/44 (letzter Abruf am 30. April 2013). 3. Rentenrechtliche Aspekte 3.1. Anhebung der Regelaltersgrenze Die Regelaltersgrenze für eine Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird seit dem Jahr 2012 schrittweise nach Geburtsjahrgängen vom 65. auf das 67. Lebensjahr angehoben: Vor dem Jahr 1947 geborene Versicherte sind von der Anhebung der Regelaltersgrenze nicht betroffen . Für Versicherte, die im Jahr 1947 geboren sind, wird die Regelaltersgrenze um einen Monat auf 65 Jahre und einen Monat angehoben. Für jeden weiteren Jahrgang bis einschließlich 1958 erhöht sich die Regelaltersgrenze um einen weiteren Monat. Wer also im Jahr 1958 geboren ist, kann die Altersrente erst ab Vollendung des 66. Lebensjahres beanspruchen. Für die nach 1958 Geborenen steigt die Regelaltersgrenze um zwei Monate je Jahrgang, so dass erstmals für die im Jahr 1964 Geborenen die neue Regelaltersgrenze von 67 Jahren gilt. Die Anhebung der Regelaltersgrenze ergibt sich aus den §§ 35 und 235 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 11 3.2. Inanspruchnahme einer Regelaltersrente Anspruch auf Regelaltersrente besteht gemäß § 35 i.V.m. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI ab Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn mindestens fünf Jahre mit Beitrags- oder Ersatzzeiten zurückgelegt wurden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts7 ist aus den dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliegenden, auf Beitragszahlungen beruhenden Rentenanwartschaften eine beitragsäquivalente Rentenleistung zu gewähren. Bei einer Erwerbstätigkeit neben dem Bezug einer Rente sind die Regelungen des § 34 Abs. 2 und 3 SGB VI über den rentenunschädlichen Hinzuverdienst aus diesem Grunde nur für vorzeitige Altersrenten vor Erreichen der Regelaltersgrenze von Bedeutung. Nach Erreichen der Regelaltersgrenze bestehen hinsichtlich eines rentenunschädlichen Hinzuverdienstes keine Einschränkungen. 3.3. Antragstellung als formelle Rentenanspruchsvoraussetzung Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden nach § 19 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) grundsätzlich nur auf Antrag erbracht. Wird ein Rentenantrag nach Ablauf des dritten Monats nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt, beginnt die Rente gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI mit dem Antragsmonat. Die Versicherungsträger haben ihre Versicherten jedoch gemäß § 115 Abs. 6 SGB VI rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass bei entsprechender Antragstellung ein Rentenanspruch besteht. 3.4. Rentenab- und -zuschläge bei vorzeitiger oder späterer Inanspruchnahme Unter bestimmten Voraussetzungen ist vor Erreichen der Regelaltersgrenze auch bei einer mehr als geringfügigen Erwerbstätigkeit unter Beachtung der in §§ 34 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 42 SGB VI geregelten individuellen Hinzuverdienstgrenzen die Zahlung einer vorzeitigen Altersrente, gegebenenfalls als Teilrente, möglich. Dies kommt zum Beispiel gemäß §§ 36, 236 SGB VI für langjährig Versicherte, die mindestens 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt haben, in Betracht . Dabei ist grundsätzlich aufgrund der aus der vorzeitigen Inanspruchnahme folgenden längeren Rentenlaufzeit gemäß § 63 Abs. 5 i. V. m. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI ein versicherungsmathematischer Rentenabschlag in Kauf zu nehmen. Für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme vor Eintritt der Regelaltersgrenze verringert sich die Alters(teil)rente um 0,3 Prozent. Wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit keine Rente in Anspruch genommen , wird gemäß § 63 Abs. 5 i. V. m. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b SGB VI ein Ren- 7 PAPIER, Hans-Jürgen.(2012). Die Rentenversicherung im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, in: Eichenhofer -Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand. (Kapitel 30 Rn. 3 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 12 tenzuschlag gewährt. Für jeden Monat, in dem die an sich zustehende Rente nicht in Anspruch genommen wird - zum Beispiel, weil kein Rentenantrag gestellt wurde - erhöht sich die später bezogene Altersrente um 0,5 Prozent. 3.5. Auswirkungen einer weiteren Erwerbstätigkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze Personen, die eine Vollrente wegen Alters beziehen, sind in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei. Dennoch haben die Arbeitgeber bei Ausübung einer Beschäftigung die Hälfte des Beitrags zu tragen, der zu zahlen wäre, wenn die Beschäftigten versicherungspflichtig wären. Die vom Arbeitgeber zu leistenden Beitragsanteile führen nicht zu individuellen Beiträgen bei den einzelnen Versicherten und begründen dementsprechend auch keine Leistungsansprüche; sie fließen der Versichertengemeinschaft zu. Mit dieser Regelung soll Wettbewerbsvorteilen für Arbeitgeber, die vorzugsweise Altersrentenbezieher beschäftigen, begegnet werden.8 Die vor 1992 geltende entsprechende Regelung ist vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.9 Dagegen wird von den Arbeitgeberverbänden dann und wann gefordert, den von ihnen zu leistenden Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung für weiterbeschäftigte Altersrentenbezieher abzuschaffen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.10 Wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze keine Altersrente bezogen, besteht bei Ausübung einer mehr als geringfügigen Beschäftigung grundsätzlich die gewöhnliche Rentenversicherungspflicht gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI mit hälftiger Beitragszahlung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer . In diesem Fall erhöht sich die spätere Rente zum einen durch den Rentenzuschlag aufgrund der verzögerten Inanspruchnahme und zum anderen durch die weitere Beitragszahlung. Darüber hinaus tritt unabhängig von einem Rentenbezug auch die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ein, während in der Arbeitslosenversicherung Versicherungsfreiheit besteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch [SGB V], § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch [SGB XI], § 28 Abs. 1 Nr. 1 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch [SGB III]). 3.6. Altersrente und Kündigungsschutz Der Anspruch des Versicherten auf eine Rente wegen Alters ist gemäß § 41 SGB VI nicht als ein Grund anzusehen, der die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann. 8 Entwurf Rentenreformgesetz 1992, Bundesratsdrucksache 120/89, S 185. 9 Beschluss vom 16. Oktober 1962, Az. 2 BvL 27/60. 10 Zuletzt der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14. Mai 2013: „Mehr Flexibilisierung bedeutet mehr Spielraum für Tariferhöhungen“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 13 4. Arbeitsrechtliche Aspekte 4.1. Individuelles Arbeitsrecht 4.1.1. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf Grundsätzlich gibt es keine arbeitsrechtlichen Hürden oder Beschränkungen bei der Beschäftigung von Personen, die parallel zum Bezug einer Altersrente oder nach Erreichen der Regelaltersgrenze ohne Rentenbezug tätig sein wollen. Allerdings spielt die vertragliche Ausgestaltung sowohl für Personalverantwortliche wie für die Arbeitnehmer im Hinblick auf die Weiterbeschäftigung eine wesentliche Rolle.11 Einen besonderen gesetzlichen Regulierungsbedarf hat die Robert-Bosch-Stiftung in einer Studie über die Zukunft der Arbeitswelt verneint. Für die Ausgestaltung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter seien in erster Linie die Tarif- und Vertragsparteien zuständig. Allerdings wird in der Studie die Frage aufgeworfen, ob für Arbeitnehmer, die auch nach Erwerb einer Altersrente erwerbstätig sein wollen, der volle arbeitsrechtliche Bestandsschutz insbesondere des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) und des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) gelten solle, denn das Arbeitsverhältnis sei für diesen Personenkreis nicht mehr in gleicher Weise existenziell bedeutsam wie für Arbeitnehmer vor Erreichen der Altersgrenze. Daher sei die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung von Arbeitnehmern mit einer Altersrente zu erwägen , auch wenn es sich um eine Weiterbeschäftigung beim vorhergehenden Arbeitgeber handele. Bislang ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG eine Befristung nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Zudem sollte, so die Studie weiter, bei den Regelungen für die betriebsbedingte Kündigung erwogen werden, ob die Altersrente als berücksichtigungsfähiger Gesichtspunkt bei der Sozialauswahl festgeschrieben werden könnte. Denkbar wäre auch, diese Arbeitnehmer kündigungsrechtlich als Neueingestellte zu behandeln und/oder die Beachtlichkeit des Lebensalters zu reduzieren . Quelle: Quelle: WALTER, Norbert; FISCHER, Heinz; HAUSMANN, Peter u.a. (2013). Die Zukunft der Arbeitswelt . Auf dem Weg ins Jahr 2030. Bericht der Kommission „Zukunft der Arbeitswelt“ der Robert Bosch Stiftung, S. 97-98. Abrufbar unter: http://www.boschstif - tung.de/content/language1/downloads/Studie_Zukunft_der_Arbeitswelt_Einzelseiten.pdf (letzter Abruf am 3. Mai 2013). 11 BRUSSIG, Martin; KIRCH, Johannes; KÜMMERLING, Angelika (2011). Sozial- und arbeitsrechtliche Aspekte der Erwerbstätigkeit beim Übergang in Altersrente. Eine Handreichung für Betriebe, S. 19ff. Abrufbar unter: http://www.f-bb.de/fileadmin/Materialien/110905_Sozial- _und_arbeitsrechtliche_Aspekte_der_Erwerbstaetigkeit_beim_UEbergang_in_Altersrente.pdf (letzter Abruf am 3. Mai 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 14 Diesen Überlegungen widerspricht der Arbeitsrechtsexperte Markus STOFFELS zum Teil. Er verweist auf § 1 Abs. 3 KSchG, der die Grunddaten für eine ordnungsgemäße Sozialauswahl festsetzt . Nach dieser Vorschrift ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. STOFFELS erläutert: „Auch wenn man hierin keine abschließende Aufzählung erblickt, wird man die anderweitige wirtschaftliche Absicherung nicht berücksichtigen können. Richtiger Ansicht nach sind weder die Rentennähe, noch die Rentenberechtigung oder der Rentenbezug berücksichtigungsfähig.“12 STOFFELS hält eine „gesetzgeberischer Klarstellung“ im Kündigungsrecht für zielführender. Demzufolge sollte der Rentnerstatus, also der Bezug einer regulären Altersrente, als Sachgrund an sich gelten, um ein Arbeitsverhältnis zu befristen. Des Weiteren solle der Gesetzgeber klarstellen, ob und wie sich die Rentenberechtigung im Kündigungsrecht bei der Interessenabwägung und der Sozialauswahl auswirke. Quelle: STOFFELS, Markus (2012). Befristung und Kündigungsschutz jenseits der Altersgrenze. 4. ZAAR-Tagung am 14. September 2012 „Arbeiten im Alter (von 55 bis 75)“, S. 7-11. Abrufbar unter: http://www.zaar.uni-muenchen.de/download/event/tagung/t_4_ho.pdf (letzter Abruf am 13. Mai 2013). Ulrich PREIS vertritt in einem Gutachten für den 67. Deutschen Juristentag die Auffassung, dass die Kriterien Rentennähe, Rentenberechtigung oder Rentenbezug in der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht zu berücksichtigen sind. Das Kriterium Lebensalter stelle in der Sozialauswahl nur eine „leere Hülle“ dar, verfestige falsche Klischees und verstärke ohne sachlichen Grund den erhöhten Bestandsschutz älterer Arbeitnehmer. PREIS kommt daher zu dem Schluss, dass § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG reformiert und der soziale Gesichtspunkt des Lebensalters im Rahmen der Sozialauswahl gestrichen werden müsse. In seiner Begründung heißt es unter anderem: „Erstens kann das Lebensalter die Arbeitsmarkt- und Vermittlungschancen nicht typisiert wiedergeben. Maßgebliche Parameter sind vielmehr Ausbildung und Qualifikation des Arbeitnehmers , seine gesundheitliche Verfassung, seine konkrete Mobilitätsbereitschaft, seine konkrete persönliche und familiäre Situation, ein möglicher Migrationshintergrund, die Branchenzugehörigkeit, die allgemeine und besondere wirtschaftliche Konjunkturlage sowie regionale Besonderheiten. Weiterhin von Bedeutung sind zum einen das Vermittlungsverhalten der Arbeitsagenturen und zum anderen die eigenen Bemühungen des Arbeitslosen. Dieses wird aber maßgeblich durch das Sozialversicherungsrecht gesteuert. Insgesamt folgt daraus, dass das Alter in Bezug darauf nicht als Platzhalter bzw. Stellvertreter fungieren kann. Zweitens: Ebenso wie der Rentenaspekt ist unter Auslegungsgesichtspunkten die hinter dem Lebensalter stehende Erwägung der Arbeitsmarkt- und Vermittlungschancen nicht als Auswahlkriterium heranzuziehen. Denn Arbeitsmarkt- und Vermittlungschancen sind nicht 12 Stoffels (2012), S. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 15 Ausdruck arbeitsvertragsbezogener Interessen, sondern stehen außerhalb des Arbeitsverhältnisses .“13 Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt PREIS in Bezug auf die Regelungen zur Höhe einer Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung gemäß § 1a KSchG i.V.m. § 10 Abs. 2 KSchG. Demnach hat ein Arbeitnehmer, der das 50. Lebensjahr vollendet und dessen Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden hat, Anspruch auf einen Abfindungsbetrag von bis zu 15 Monatsverdiensten . Hat ein Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und bestand sein Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre, so hat er Anspruch auf einen Abfindungsbetrag von bis zu 18 Monatsverdiensten . Dies gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Regelaltersgrenze erreicht hat. PREIS hält es für nicht nachvollziehbar, warum der Sprung über die Regelaltersgrenze zulasten des Arbeitnehmers gewertet wird. Das Kriterium des Lebensalters und der Rentenberechtigung in § 10 Abs. 2 KSchG sollte daher gestrichen werden, denn auch am Maßstab des Verbots der Altersdiskriminierung seien diese beiden Gesichtspunkte „suspekt“.14 PREIS vertritt in dem Gutachten die Auffassung, dass Leistungen aus dem Sozialplan und Abfindungen nach den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes auch eine „Entschädigungsfunktion “ aufgrund des Arbeitsplatzverlustes haben und einen „wichtigen Baustein der Altersvorsorge “ bilden.15 Damit seien Lebensalter und Rentennähe bzw. Rentenberechtigung nicht als Variablen in den herkömmlichen Abfindungsformeln zu verwenden. Das vollständige Gutachten ist als Anlage beigefügt: PREIS, Ulrich (2008). Alternde Arbeitswelt - Welche arbeits- und sozialrechtlichen Maßnahmen empfehlen sich zur Anpassung der Rechtsstellung und zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer? Gutachten B für den 67. Deutschen Juristentag. München: C.H. Beck, S. B 47 ff. Bibliothek des Deutschen Bundestages: J 5010 67.2008.1,B. Anlage 13 PREIS (Anlage), S. B 96. 14 PREIS (Anlage), S. B 100. 15 PREIS (Anlage), S. B 101. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 16 4.1.2. Ausgestaltung der Weiterbeschäftigung In der Praxis wird häufig nach flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterbeschäftigung von Rentnern gesucht, wie die Rechtsanwältin Mariam Caroline SEDIQ in einem Aufsatz beschreibt: Quelle: SEDIQ, Mariam Caroline (2009). Rentnerbeschäftigung im Lichte des demografischen Wandels – Arbeitsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2009, S. 524. Abrufbar unter: http://beckonline .beck.de/Default.aspx?typ=reference&y=300&z=NZA&b=2009&s=524&n=1 (letzter Abruf am 3. Mai 2013). Es bestehe demnach insbesondere seitens der Arbeitgeber das Interesse an einer Befristung des Arbeitsvertrages, da eine Kündigung mit zunehmendem Alter des Arbeitnehmers durch § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erschwert werde. Häufig sei auch der Arbeitnehmer selbst an einer zeitlich überschaubaren Weiterbeschäftigung interessiert. Hierauf macht auch STOFFELS aufmerksam. Da mit zunehmendem Alter die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit nachließen, seien beide Vertragsparteien an einer zeitlichen Befristung der Beschäftigung interessiert.16 Daher sei, so SEDIQ, vor allem das TzBfG, das eine sachgrundlos befristete Weiterbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber nicht gestattet, von Bedeutung für die Weiterbeschäftigung von Rentnern . Zudem biete auch § 14 Abs. 3 TzBfG keine hinreichende Möglichkeit zur sachgrundlos befristeten Weiterbeschäftigung von Rentnern, da diese Vorschrift der Arbeitsmarktintegration von benachteiligten Personen diene. Zudem verlange die Norm eine viermonatige Beschäftigungslosigkeit des Einzustellenden. Dies treffe auf einen Arbeitnehmer, der nach Erreichen des Renteneintrittsalters weiter beschäftigt werden soll, nicht zu und werde in der Regel auch nicht gewünscht . Eine künstlich eingelegte Pause könnte eine unzulässige Umgehung darstellen. Möglich wäre nach Auffassung der Autorin eine Befristung mit Sachgrund gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 6 TzBfG, wenn also der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend bestehe oder in der Person liegende Gründe eine Befristung rechtfertigten. Dies könnte zum Beispiel zutreffen, wenn die Tätigkeit des Rentners nur für ein zeitlich begrenztes Projekt benötigt werde oder der Einarbeitung seines Nachfolgers diene (Sachgrund Nr. 1). SEDIQ sieht wie STOFFELS den Rentnerstatus als solchen als Sachgrund für eine Befristung an (Sachgrund Nr. 6). Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Bundesverfassungsgerichts zu Höchstbefristungsvereinbarungen in Arbeits- und Tarifverträgen kommt sie zu dem Schluss, dass der Abschluss eines erneuten befristeten Vertrages über die Regelaltersgrenze hinaus wirksam sein müsse. Dieser Auffassung stimmt STOFFELS ausdrücklich zu, indem er betont, dass der Rentnerstatus als ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Sachgrund anzuerkennen sei, um eine Befristung 16 STOFFELS (2012), S. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 17 zu rechtfertigen. Er weist aber ausdrücklich darauf hin, dass der Rentenbezug allein, also die finanzielle Absicherung, noch keinen ausreichenden Grund für eine Befristung darstelle.17 Als weitere Möglichkeit der Rentnerbeschäftigung nennt SEDIQ die Arbeitnehmerüberlassung. Hier wäre durch die Neugestaltung der vertraglichen Beziehungen zwischen Beschäftigtem und Verleiher eine sachgrundlos befristete Beschäftigung beim vormaligen Arbeitgeber, dem Entleiher , möglich. Unternehmen könnten ein konzernzugehöriges Verleihunternehmen gründen, das den Betriebsrentner seinem vormaligen Vertragsarbeitgeber zur Arbeitsleistung überlässt. Alternativ könnte das Unternehmen einen Betriebsrentner als freien Mitarbeiter beschäftigten, zum Beispiel mit einem Beratervertrag. Das TzBfG gelte nur für Arbeitsverhältnisse, nicht für befristete Verträge mit freien Mitarbeitern. Hier müssten jedoch die durch die Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Selbständigem beachtet werden. 4.2. Kollektives Arbeitsrecht Wie das individuelle Arbeitsrecht weist auch das kollektive Arbeitsrecht keine Regelungen auf, die sich unmittelbar auf Arbeitnehmer beziehen, die die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschritten haben. Dies gilt für das Tarifvertragsgesetz (TVG) ebenso wie für das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Das BetrVG nimmt allerdings im Einzelfall ausdrücklich Bezug auf ältere Arbeitnehmer und lässt mit Blick auf einen bevorstehenden Rentenbezug unterschiedliche Behandlung zu anderen Arbeitnehmern zu. 4.2.1. Tarifvertragsrecht Zahlreiche Tarifverträge beziehen sich auf die Regelaltersgrenze, indem sie vorschreiben, dass vom Tarifvertrag erfasste Arbeitsverhältnisse mit dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters automatisch enden. Insbesondere nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes war zunächst umstritten , ob diese Praxis gegen das Diskriminierungsverbot wegen Alters nach §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG verstieß. In Anbetracht der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des BAG scheint diese Frage inzwischen zugunsten der Altersgrenzenklauseln geklärt. Der EuGH hat mit Urteil vom 12. Oktober 201018 auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts Hamburg hin entschieden, dass die in vielen Tarifverträgen vorgesehen Altersgrenzen mit dem europäischen Antidiskriminierungsrecht vereinbar sind. 17 STOFFELS (2012), S. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 18 Die Richtlinie 2000/78/EG19 stehe einer Klausel über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten, wie sie in dem zugrundeliegenden Tarifvertrag vorgesehen war, nicht entgegen. Der EuGH betonte jedoch in seiner Entscheidung , dass dies nur insoweit gelte, als eine solche Bestimmung objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik gerechtfertigt sei und zum anderen die Mittel zur Erreichung des legitimen Ziels angemessen und erforderlich seien. Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen seien im Rahmen des Arbeitsrechts der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union weithin üblich. Sie gäben den Arbeitnehmern eine gewisse Stabilität der Beschäftigung und einen langfristig vorhersehbaren Eintritt in den Ruhestand, während sie gleichzeitig den Arbeitgebern Flexibilität in der Personalplanung böten. Die Klauseln seien deshalb als Niederschlag eines Ausgleichs zwischen divergierenden, aber rechtmäßigen Interessen, die sich in einen komplexen Kontext von Beziehungen des Arbeitslebens einfügten und eng mit politischen Entscheidungen im Bereich Ruhestand und Beschäftigung verknüpft seien, anzusehen. Insofern bewertete der EuGH die Ziele einer solchen Beendigungsregelung als „objektiv und angemessen“. Mit ähnlicher Begründung hat das BAG mit Urteil vom 8. Dezember 201020 entschieden, dass eine tarifvertragliche Regelung, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats ausläuft, in dem der Arbeitnehmer das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht, keine nach dem AGG unzulässige Altersdiskriminierung darstellt. Eine solche Befristung sei vor allem deshalb gerechtfertigt, weil der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, seine Personalplanung vorausschauend vornehmen zu können. So müsse er rechtzeitig Nachwuchs einstellen oder fördern können. Das sei nur möglich, wenn bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages bestimmt werde, wann bestehende Arbeitsverhältnisse auslaufen werden. Dem stünde auch das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers nicht entgegen. Durch die Koppelung der Vertragsauflösung an das Renteneintrittsalter entstünden Ansprüche des Beschäftigten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, so dass die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Arbeitnehmers gesichert sei. Abweichend hatte noch im Juli 2010 das Arbeitsgericht Hamburg21 entschieden und eine einzelfallbezogene Begründung dafür verlangt, warum die tarifliche Regelaltersgrenze geeignet und erforderlich sei, um legitime Ziele zu erreichen. Ob Altersgrenzen in Bezug auf die angeführte beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Zielsetzung überhaupt tauglich oder gar erforderlich seien, stellt PREIS in seinem bereits unter Z. 4.1 erwähnten Gutachten für den 67. Deutschen Juristentag 2008 in Frage: 18 Rechtssache C-45/09 Rosenbladt gg. Oellerking. 19 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. 20 Az.: 7 AZR 438/09. 21 Az.: 22 Ca 33/10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 19 Als Fazit hält PREIS dazu fest: „Starre allgemeine Altersgrenzen stehen heutzutage in juristischer wie tatsächlicher Hinsicht auf argumentativ schwachem Boden. Ihre „Geschäftsgrundlage“ - vor allem die Annahme , die Altersrente gewähre Lebensstandardsicherung - hat zugegebenermaßen einmal gestimmt. Was das Hier und Jetzt jedoch betrifft, ist sie entfallen. Für die (…) künftigen Herausforderungen, die die Arbeitswelt zu bewältigen hat, stellen sie ebenfalls keine nachhaltige Lösung dar. (…)“ (S. B 54) Das Gutachten schlägt daher im Ergebnis einen moderaten Paradigmenwechsel hin zu einer generellen Flexibilisierung der Altersgrenze im Arbeitsrecht vor (S. B 89 f.) Für eine allgemeine Überprüfung normierter Altersbeschränkungen setzt sich aus gerontologischer und altenpolitischer Sicht eine vom Deutschen Zentrum für Altersfragen im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung) erstellte Expertise ein: Quelle: ZEMAN, Peter (2010). Altergrenzen. Gerontologische Argumente zur Überprüfung normierter Altersbeschränkungen. Berlin: Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Abrufbar im Internet unter: http://www.berlin.de/imperia/md/content/lb_ads/materialien/altersgrenzen_pruefstand_bf. pdf?start&ts=1292596260&file=altersgrenzen_pruefstand_bf.pdf (letzter Abruf am 8. Mai 2013). 4.2.2. Betriebsverfassung Zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf betrieblicher Ebene können nach § 77 BetrVG zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Betriebsvereinbarungen abgeschlossenen werden, die auch die Besonderheiten von Arbeitnehmern im Rentenalter berücksichtigen. Nach den Grundsätzen der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ist es deren gemeinsame Pflicht, darüber zu wachen, dass nach dem AGG unzulässige Benachteiligungen aufgrund des Alters unterbleiben (§ 74 Abs. 2 BetrVG). Im Falle einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG kann nach § 112 BetrVG über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen, ein Sozialplan vereinbart werden, dem die Wirkung einer Betriebsvereinbarung zukommt. In solchen Sozialplänen finden sich nicht selten Regelungen, die Beschäftigte, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie - gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld - rentenberechtigt sind, von Leistungen des Sozialplans (§§ 112, 112a BetrVG) ausschließen. Die Ausnahmeregelung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG lässt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters im Sozialplan ausdrücklich zu, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 20 „…wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: … 6. Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes , wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.“ Ob diese Regelung mit der Richtlinie 200/78/EG22 vereinbar ist, hielt das Arbeitsgericht München für zweifelhaft und machte die Frage mit Beschluss vom 17. Februar 201123 zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens gegenüber dem EuGH. In seiner Entscheidung vom 6. Dezember 201224 hat der EuGH die Frage verneint und damit im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG25 die Möglichkeit einer Minderung der Abfindung für rentennahe Jahrgänge in einem Sozialplan bestätigt: „Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird und im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine geringere als die sich nach der Standardmethode ergebende Abfindungssumme, mindestens jedoch die Hälfte dieser Summe, zu zahlen ist.“ 22 Die mit dem AGG umgesetzte Richtlinie sieht in Art. 6 Abs. 1 lit. a vor: „Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik , Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung , um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen. …“ 23 Az.: 22 Ca 8260/10. 24 Az.: C-152/11 25 Vgl. (BAG 20.01.2009 - Az.: 1 AZR 740/07. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 21 Die Vorschrift lasse, so der EuGH in seiner Begründung, Differenzierungen aus Gründen des Alters wegen sozialpolitischer Ziele wie solcher aus den Bereichen Beschäftigungspolitik oder Arbeitsmarkt zu. Der EuGH erkennt die Überbrückungsfunktion des Sozialplans an, die das Ziel verfolge, zukünftige wirtschaftliche Nachteile von Arbeitnehmern, die durch eine Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren, zu mildern oder auszugleichen. Dabei führe die Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel eines Sozialplans zu der Notwendigkeit, darauf zu achten, dass eine Entlassungsabfindung nicht Personen zugutekomme, die keine neue Stelle mehr suchen, sondern in den Ruhestand treten. Der EuGH hält für diesen Personenkreis eine Minderung des Abfindungsbetrags für angemessen und erforderlich, und zwar auch dann, wenn der frühestmögliche Renteneintritt mit Rentenabschlägen verbunden ist.26 Allerdings erkannte das Gericht in dieser Regelung einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung, wenn „bei der Anwendung der alternativen Berechnungsmethode auf die Möglichkeit, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, abgestellt wird.“ Dezidiert gegen diese „alterdiskiminierende Sozialplangestaltung“ wendet sich PREIS in seinem Gutachten für den 67. Deutschen Juristentag (s. oben S. 15): „Zugespitzt formuliert sorgt diese Vorgehensweise in Sozialplänen dazu, rentennahen Jahrgängen die Kompensationsfunktion von Abfindungen vorzuenthalten und sie stattdessen mit geringen Überbrückungszahlungen abzuspeisen , während den restlichen Arbeitnehmern echte Entschädigungsleistungen ausbezahlt werden (…)“ (S. B 58 f.). Wür den allerdings Leistungen aus dem Sozialplan als reine Überbrückungsleistungen verstanden, seien nicht die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der Bruttomonatsverdienst oder das Alter geeignete Kriterien, sondern die Rentennähe. Denn die Vermeidung von Überversorgung sei legitimes Interesse des Arbeitgebers. Der Überbrückungsbedarf müsse jedoch gerechterweise bei jedem Arbeitnehmer individuell festgestellt werden. Freilich sei es einfacher, in pauschalisierender Weise Entschädigungsleistungen für den erarbeiteten Bestandsschutz zu berechnen, als in individualisierter Form den Überbrückungsbedarf für die zu entlassenden Arbeitnehmer zu ermitteln. PREIS plädiert dafür, dass statt an das Lebensalter oder die Rentennähe anknüpfender Höchstbetragsklauseln nur unterschiedslos ausgestaltete Höchstbetragsklauseln zugelassen werden. (S. B 102 f.) 5. Weiterführende Quellen Das Internet-Portal Sozialpolitik-aktuell in Deutschland des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen liefert unter dem Themenfeld „Bevölkerung, demografischer Wandel“ einen allgemeinen Überblick zum demografischen Wandel mit zahlreichen Hinweisen zu weiterführenden Informationsquellen. Der Internetauftritt ist abrufbar unter: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/bevoelkerung_211.html (letzter Abruf am 3. Mai 2013). Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung bietet im Auftrag der Bundesregierung ein Demografie -Portal an, das sich mit vielen Facetten des demografischen Wandels beschäftigt. Unter 26 Zusammenfassung nach BOIGS, Joachim: jurisPR-ArbR 13/2013 Anm. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 027/13 Seite 22 anderem werden Analysen und Statistiken zur Beschäftigung Älterer angeboten. Das Portal ist abrufbar unter: http://www.demografie-portal.de/DE/Home/home_node.html (letzter Abruf am 3. Mai 2013). Sechs Bundesministerien haben gemeinsam mit Spitzenverbänden aus Wirtschaft und Gesellschaft die Initiative „Erfahrung ist Zukunft“ gegründet, die in ihrem Internetauftritt auch Informationen zur Arbeitswelt liefert. Die Seite ist abrufbar unter: http://www.erfahrung-ist-zukunft.de/DE/Home/home.html (letzter Abruf am 3. Mai 2013). 6. Fazit Aus demografischen Gründen empfehlen Arbeitsmarktexperten, auch die Erwerbstätigkeit Älterer zu erhöhen. Daher ist die Gruppe derer, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung weiter erwerbstätig sein möchte, von Interesse für Wissenschaft und Politik. Die Zahl der Erwerbstätigen im Rentenalter ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, bewegt sich aber nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Die erwerbstätigen Rentner sind eine heterogene Gruppe; unter ihnen befinden sich relativ viele Selbständige sowie gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitnehmer und gering Qualifizierte. Demzufolge sind auch die Berufsbilder sehr vielfältig, die Rentner ausüben. Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist derzeit weder für das Sozial- noch das Arbeitsrecht erkennbar. Das TzBfG bietet Möglichkeiten, Arbeitnehmer auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze für eine meist von beiden Seiten gewünschte Frist weiter zu beschäftigen. Eine Alternative zur befristeten Weiterbeschäftigung kann zum Beispiel eine freie Mitarbeit sein. Im kollektiven Arbeitsrecht widersprechen die vielfach vereinbarten tarifvertraglichen Altersgrenzen nach nationaler und europäischer Rechtsprechung nicht dem Diskriminierungsverbot des AGG. Dies wird auch für die anspruchsmindernde Berücksichtigung der Rentennähe im Rahmen von Sozialplänen angenommen. Doch werden auch ernstzunehmende Gegenargumente sowohl gegen starre Altersgrenzen als auch gegen die Berücksichtigung des Alters in Sozialplänen vorgetragen. Der in Befragungen geäußerte Wunsch, im Rentenalter mit einer reduzierten wöchentlichen Arbeitszeit an einem altersgerechten Arbeitsplatz arbeiten zu wollen, eröffnet aber einen Handlungsspielraum für die Sozialpartner, vor allem auf betrieblicher Ebene.