© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Einzelfragen zur Umsetzung der revidierten Entsenderichtlinie, zur Durchsetzungsrichtlinie und zur Handhabung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sowie zur Entwicklung einer europäischen Arbeitsbehörde und zur Einführung einer europäischen Sozialversicherungsnummer Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 2 Einzelfragen zur Umsetzung der revidierten Entsenderichtlinie, zur Durchsetzungsrichtlinie und zur Handhabung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sowie zur Entwicklung einer europäischen Arbeitsbehörde und zur Einführung einer europäischen Sozialversicherung Aktenzeichen: WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Abschluss der Arbeit: 3. September 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Gliederungspunkte 1 (S. 4), 2 (S. 4 ff.), 3 (S. 9 ff.) und 5 (S. 25 ff.) wurden vom Fachbereich WD 6, Gliederungspunkte 4 (S. 16 ff.), 6 (S. 24 ff.) und 7 (S. 28 ff.) vom Fachbereich PE 6 (Europa) bearbeitet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Umsetzung der revidierten Entsenderichtlinie 4 2.1. Deutschland 5 2.2. Belgien 6 2.3. Frankreich 7 2.4. Polen 7 2.5. Tschechische Republik 9 3. Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie 9 3.1. Richtlinie 2014/67/EU 9 3.2. Wesentliche Regelungen sowie Umsetzung in ausgewählten Mitgliedstaaten 10 3.2.1. Präzisierung des Entsendebegriffes 11 3.2.2. Zugang zu Informationen 11 3.2.3. Verwaltungszusammenarbeit 12 3.2.4. Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen 12 3.2.5. Meldepflicht 13 3.2.6. Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte 15 3.2.7. Nachunternehmerhaftung 15 3.2.8. Sanktionen 17 4. Bescheinigungsverfahren nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 18 4.1. Funktion der A1-Bescheinigungen und Reformüberlegungen 18 4.2. Zum elektronischen Antrags- und Bescheinigungsverfahren 24 5. Handhabung der A1-Bescheinigung in ausgewählten EU- Mitgliedstaaten 25 5.1. Deutschland 25 5.2. Belgien 26 5.3. Frankreich 26 5.4. Polen 26 5.5. Tschechische Republik 27 5.6. A1-Bescheinigung bei Kurzzeitentsendungen 27 6. Europäische Arbeitsbehörde 28 7. Europäische Sozialversicherungsnummer 30 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 4 1. Einleitung Diese Arbeit hat Einzelfragen zu arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekten der Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union (EU) zum Gegenstand. Im Folgenden wird zunächst auf die Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie sowie der sogenannten Durchsetzungsrichtlinie in Deutschland sowie in den ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Belgien , Frankreich, Polen und der Tschechischen Republik eingegangen. Dabei können nur Einzelaspekte aufgegriffen werden, ein umfassender Vergleich ist nicht zuletzt aufgrund historisch gewachsener Unterschiede der Rechtssysteme in diesem Rahmen nicht möglich. Erörtert wird anschließend das im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern durchzuführende Bescheinigungsverfahren nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (sogenannte A1-Bescheinigung ) sowie die Handhabung der A1-Bescheinigung in den ausgewählten Mitgliedstaaten. Schließlich wird über den Stand der Einrichtung und Entwicklung der europäischen Arbeitsbehörde und die Pläne der Europäischen Kommission zur Einführung einer europäischen Sozialversicherungsnummer berichtet. 2. Umsetzung der revidierten Entsenderichtlinie Die EU-Entsenderichtlinie1 setzt die europarechtlichen Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern in der Europäischen Union (EU). Am 29. Juli 2018 ist die Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen2 (Änderungsrichtlinie) in Kraft getreten. Die Mitgliedstaaten hatten bis zum 30. Juli 2020 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die Änderungsrichtlinie verfolgt das Ziel, das Verhältnis zwischen der unionsrechtlich geschützten Dienstleistungsfreiheit und der Gewährung gleicher Wettbewerbsbedingungen einerseits und 1 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in der durch die Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 geänderten Fassung, konsolidierte Fassung abrufbar im Internetauftritt der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder): https://www.rewi.europa-uni.de/de/lehrstuhl/br/arbeitsrecht/Veranstaltungen/Service_-Entsenderichtlinie-konsolidierte -Sprachfassungen/Entsende_RL_konsolidierte_Fassung_DE.pdf. (letzter Abruf: 31. August 2020). 2 Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EU L 173 vom 9. Juli 2018, S. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 5 dem Schutz der im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit von ihrem Arbeitgeber grenzüberschreitend entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer andererseits neu auszutarieren.3 Im Folgenden soll die Umsetzung der Änderungsrichtlinie in einigen EU-Mitgliedstaaten näher beleuchtet werden. Die Informationen hierzu beruhen auf Angaben des jeweiligen Mitgliedstaats und sind im Umfang sehr uneinheitlich. Daher wird bei der Darstellung der gesetzlichen Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten zum Teil auf unterschiedliche Aspekte eingegangen. 2.1. Deutschland4 In Deutschland ist die EU-Entsenderichtlinie durch das Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmerentsendegesetz - AEntG) umgesetzt. Die Umsetzung der Änderungsrichtlinie erfolgte durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 10. Juli 2020, das zum 30. Juli 2020 in Kraft getreten ist. Gegenstand der politischen Debatte war dabei zum einen der Verzicht des Gesetzgebers auf die Nutzung der in Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 der revidierten Entsenderichtlinie eröffneten Möglichkeit, auch regional allgemeinverbindliche Tarifnormen verbindlich festzuschreiben. Erstreckbar sind nach § 3 AEntG nach wie vor nur Bestimmungen bundesweit geltender Tarifverträge. Nur für länger als zwölf bzw. 18 Monate dauernde Entsendungen sollen gemäß § 13b AEntG entsprechend Art. 3 Abs. 9 der revidierten Entsenderichtlinie auch regionale allgemeinverbindliche tarifliche Arbeitsbedingungen anwendbar sein. Zum anderen entzündete sich die Diskussion daran, dass in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AEntG zwar entsprechend Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der revidierten Entsenderichtlinie der Begriff der „Mindestentgeltsätze “ durch den Begriff der „Entlohnung“ ersetzt und in § 2a AEntG entsprechend definiert wurde, Gegenstand einer Erstreckung durch Rechtsverordnung nach §§ 7, 7a AEntG aber nach wie vor nur „Mindestentgeltsätze“ sein können. „Darüber hinaus gehende Entlohnungsbestandteile “ sind nur durch Allgemeinverbindlicherklärung erstreckbar. Eine Differenzierung nach Art der Tätigkeit und Qualifikation wird außerdem nach § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG auf insgesamt bis zu drei Stufen begrenzt. 3 Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, BT-Drs. 19/19371 vom 22. Mai 2020, S. 1. 4 Vgl. dazu im Einzelnen: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausgewählte Einzelfragen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der revidierten EU-Entsenderichtlinie, Ausarbeitung WD 6 - 3000-019/20 vom 7. April 2020; sowie zur EU-rechtlichen Perspektive: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957, Ausarbeitung PE 6 - 3000-017/20 vom 7. April 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 6 Auch von der durch Art. 3 Abs. 9 der revidierten Entsenderichtlinie eröffneten Möglichkeit, Leiharbeitnehmern weitere zusätzliche Arbeitsbedingungen zu garantieren, macht der Entwurf keinen Gebrauch. 2.2. Belgien In Belgien ist die Richtlinie (EU) 2018/957 durch das Gesetz vom 12. Juni 2020 zur Änderung verschiedener Regelungen mit Bezug auf die Entsendung von Arbeitnehmern durch Änderung des Gesetzes vom 5. März 2002 umgesetzt worden. Das Änderungsgesetz setzt Art. 3 Abs. 1, Abs. 1a der revidierten Entsenderichtlinie um, indem es die während der ersten zwölf Monate der Entsendung anwendbaren Beschäftigungsbedingungen bestimmt sowie festlegt, welche Vereinbarungen ab dem 13. Monat gelten. Während der ersten zwölf Monate gelten danach alle durch Gesetz oder Verordnung festgelegten Rechtsvorschriften in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen, deren Nichteinhaltung strafbewehrt ist. Tarifverträge, die vom König für allgemeinverbindlich erklärt und deren Nichtbeachtung mit strafrechtlichen Sanktionen versehen wurden, sind ebenfalls anzuwenden. Der Begriff der „Entlohnung“ wird entsprechend der revidierten Entsenderichtlinie definiert. Ab dem 13. Monat sind alle durch Gesetz oder Verordnung festgelegten Bedingungen in Bezug auf Entlohnung, Beschäftigung sowie sonstige Arbeitsbedingungen anwendbar, unabhängig davon , ob ihre Verletzung strafbewehrt ist. Für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge, deren Nichtbeachtung strafrechtliche Folgen nach sich zieht, sind ebenso anzuwenden. Davon ausgenommen sind entsprechend des Art. 3 Abs. 1a UAbs. 2 der revidierten Entsenderichtlinie Bestimmungen , die den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverträgen, sowie die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme betreffen. Eine Verlängerung der Nichtanwendung dieser Bestimmungen über den Zeitraum von über zwölf Monaten hinaus ist entsprechend Art. 3 Abs. 1a UAbs. 3 der revidierten Entsenderichtlinie vorgesehen. Zudem wird von den durch Art. 3 Abs. 9 und 10 der revidierten Entsenderichtlinie eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Nach Art. 3 Abs. 9 können Leiharbeitnehmern zusätzliche Arbeitsbedingungen garantiert werden. Nach Art. 3 Abs. 10 kann die Geltung weiterer Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen angeordnet werden, soweit es sich um Vorschriften der öffentlichen Ordnung handelt. Entsprechend Art. 3 Abs. 6 UAbs. 2 der revidierten Richtlinie wurde ein Mechanismus zur Vermeidung mehrfach aufeinanderfolgender Entsendungen (sogenannter Kettenentsendungen) eingeführt , indem die Entsendezeiträume von Arbeitnehmern, die dieselbe Aufgabe am selben Ort ausführen, zusammengerechnet werden. Das neue Gesetz ergänzt schließlich das Leiharbeitsgesetz vom 23. Juli 1987 um die Verpflichtung des Entleihers eines entsandten Arbeitnehmers, das Leiharbeitsunternehmen über die Arbeitsbedingungen zu informieren, die der Entleiher in seinem Unternehmen anwendet. Dies entspricht Art. 3 Abs. 1b UAbs. 2 der revidierten Entsenderichtlinie. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 7 2.3. Frankreich Frankreich hat die Richtlinie (EU) 2018/957 durch Verordnung Nr. 2019 - 116 vom 20. Februar 2019 mit Wirkung zum 30. Juli 2020 umgesetzt.5 Um Gesetzeskraft zu erhalten, muss die Verordnung noch durch ein förmliches Gesetz ratifiziert werden. Nach Auskunft der französischen Assemblée nationale6 ist das Ratifikationsgesetz bisher nicht verabschiedet. Der Gesetzentwurf der französischen Regierung vom 7. Mai 20197 ist danach an den Ausschuss für soziale Angelegenheiten zurückverwiesen und bisher nicht auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt worden. 2.4. Polen In Polen ist die Entsendung von Arbeitnehmern durch das Gesetz vom 10. Juni 2016 betreffend die Arbeitnehmerentsendung im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen geregelt.8 Am 15. Juni 2020 ist dem polnischen Sejm der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG zur Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorgelegt worden, mit dem außer dem Gesetz vom 10. Juni 2016 einzelne Bestimmungen der Steuerverordnung sowie der Prozessordnung für Ordnungswidrigkeiten geändert werden sollen. Soweit ersichtlich ist das Gesetz bisher nicht verabschiedet. Im Gesetzentwurf werden nicht alle durch die Richtlinie eröffneten Regelungsmöglichkeiten genutzt . Der Katalog der Arbeitsbedingungen, die nach Polen entsandten Arbeitnehmern gewährt werden müssen, soll ausgeweitet werden. Der Begriff des „Mindestentgelts“ ist entsprechend des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der revidierten Entsenderichtlinie durch den Begriff „Entlohnung“ zu ersetzen. Dieser umfasst alle für Arbeitnehmer zwingenden Entlohnungsbestandteile. Zudem ist die Erstattung von Kosten vorgesehen, die im Zusammenhang mit den inländischen Geschäftsreisen eines 5 Ordonnance n° 2019-116 du 20 février 2019 portant transposition de la directive (UE) 2018/957 du Parlement européen et du Conseil du 28 juin 2018 modifiant la directive 96/71/CE concernant le détachement de travailleurs effectué dans le cadre d'une prestation de services, abrufbar unter: https://www.legifrance.gouv.fr/affich- Texte.do?cidTexte=JORFTEXT000038149580&dateTexte=20200730#:~:text=prestation%20de%20services-,Ordonnance %20n%C2%B0%202019%2D116%20du%2020%20f%C3%A9vrier%202019%20portant ,d'une%20prestation%20de%20services (letzter Abruf: 31. August 2020). 6 Mitteilung vom 23. Juni 2020; inhaltlich soweit ersichtlich zum Bearbeitungsschluss noch aktuell. 7 Projet de loi n° 1927ratifiant l’ordonnance n° 2019‑116 du 20 février 2019 portant transposition de la directive (UE) 2018/957 du Parlement européen et du Conseil du 28 juin 2018 modifiant la directive 96/71/CE concernant le détachement de travailleurs effectué dans le cadre d’une prestation de services, abrufbar im Internetauftritt Assemblée nationale: http://www.assemblee-nationale.fr/dyn/15/textes/l15b1927_projet-loi (letzter Abruf: 31. August 2020). Der Gesetzentwurf enthält auch eine kurze inhaltliche Beschreibung der Verordnung in französischer Sprache. 8 Ustawa z dnia 10 czerwca 2016 r. o delegowaniu pracowników w ramach świadczenia usług, abrufbar in polnischer Sprache im Gesetzblatt der Republik Polen: https://dziennikustaw.gov.pl/DU/rok/2016/pozycja/868 (letzter Abruf: 1. September 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 8 entsandten Arbeitnehmers entstanden sind. Ausgenommen sein sollen Bestimmungen über Anforderungen an die Unterkunft der entsandten Arbeitnehmer nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. h der revidierten Entsenderichtlinie, da die allgemein geltenden Rechtsvorschriften in Polen keine entsprechenden Anforderungen für nicht an ihrem normalen Arbeitsort eingesetzte Arbeitnehmer vorsehen. Darüber hinaus soll die in der revidierten Entsenderichtlinie vorgesehene Differenzierung der anwendbaren Arbeitsbedingungen nach Dauer der Entsendung eingeführt werden. Bei einer Langzeitentsendung über zwölf Monate sollen zusätzliche Arbeitsbedingungen garantiert werden, die jenen entsprechen, die sich aus der Arbeitsordnung und anderen Bestimmungen über Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern ergeben. Ausgeschlossen sein sollen die in Art. 3 Abs. 1a UAbs. 2 der revidierten Entsenderichtlinie genannten Bestimmungen. Die Verlängerung der kurzzeitigen Entsendung auf bis zu 18 Monate soll durch eine begründete Mitteilung an die Nationale Arbeitsaufsichtsbehörde möglich sein. Der Gesetzentwurf sieht entsprechend Art. 3 Abs. 6 UAbs. 2 der revidierten Richtlinie vor, dass wiederholte Entsendezeiträume zur Ausübung derselben Tätigkeit zusammengerechnet werden. Ein System zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gibt es in Polen nicht, sodass in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen festgelegte Arbeitsbedingungen auch nicht auf entsandte Arbeitnehmer anzuwenden sind (Art. 3 Abs. 1 2. Spiegelstrich der revidierten Entsenderichtlinie ). Schließlich macht der Gesetzentwurf von dem durch Art. 3 Abs. 9 der revidierten Entsenderichtlinie eingeräumten Spielraum Gebrauch. Leiharbeitsunternehmen müssen entsandten Arbeitnehmern Beschäftigungsbedingungen garantieren, die nicht ungünstiger sind als jene, welche auf Leiharbeitnehmer anzuwenden sind, die von inländischen Leiharbeitsunternehmen geliehen sind. Der Entleiher soll außerdem verpflichtet werden, den entsendenden Arbeitgeber schriftlich über die Internetseite der nationalen Arbeitsinspektion sowie über die anzuwendenden Rechtsvorschriften (Art. 3 Abs. 1b UAbs. 2 der revidierten Entsenderichtlinie) zu informieren. Er soll zudem verpflichtet werden, über die Entsendung eines Leiharbeitnehmers in einen anderen Mitgliedstaat zu informieren (Art. 1 Abs. 3 UAbs. 3 der revidierten Entsenderichtlinie). Die Verletzung der Informationspflichten soll mit einer Geldstrafe sanktioniert werden. Leiharbeitnehmer sollen schließlich dadurch geschützt werden, dass im Falle einer sogenannten Kettenentsendung der Verleiher als der Arbeitgeber des entsandten Arbeitnehmers gilt, beispielsweise wenn ein Leiharbeitnehmer von einem entleihenden Unternehmen angestellt wird und dann zeitweise von diesem Entleiher in das Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates entsandt wird. Dies entspricht Art. 1 Abs. 3 Buchst. c UAbs. 2 der revidierten Entsenderichtlinie. Um den neuen Bestimmungen Wirkung zu verleihen, sollen der nationalen Arbeitsaufsichtsbehörde als der für Information, Überwachung und Kontrolle zuständigen Behörde neue Aufgaben und Befugnisse zugewiesen werden. Insbesondere soll die Kooperation mit den zuständigen Behörden und Stellen „Missbrauchsbekämpfung“ (nicht lediglich die Bekämpfung offensichtlichen Missbrauchs, wie von der Art. 1 Abs. 3 der Änderungsrichtlinie vorgesehen) sowie Reaktionen auf mögliche Fälle unrechtmäßigen Verhaltens in Bezug auf die Entsendung von Arbeitnehmern umfassen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 9 2.5. Tschechische Republik In der Tschechischen Republik ist die Richtlinie durch das Gesetz Nr. 695 umgesetzt worden. Aus tschechischer Sicht werden damit alle erforderlichen Bestimmungen der revidierten Entsenderichtlinie in das tschechische Rechtssystem eingeführt. Das Gesetz, das vor allem Änderungen des Arbeitsgesetzbuchs und des Beschäftigungsgesetzes enthält, ist im Juli 2020 in Kraft getreten. Nähere Informationen zur Umsetzung liegen nicht vor. 3. Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie 3.1. Richtlinie 2014/67/EU Ein gemeinsamer Rahmen für Bestimmungen, Maßnahmen und Kontrollmechanismen für eine bessere und einheitlichere Durchführung, Anwendung und Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG wurde durch die Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkts-Informationssystems (sogenannte Durchsetzungsrichtlinie) festgelegt. Zweck der Richtlinie ist nach Art. 1 einerseits die Gewährleistung eines angemessenen Schutzniveaus hinsichtlich der Rechte entsandter Arbeitnehmer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen, andererseits soll die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit erleichtert und so die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes gewährleistet werden. Die Durchsetzungsrichtlinie verfolgt somit ebenso wie die Entsenderichtlinie den Zweck, einen Kompromiss zwischen der Dienstleistungsfreiheit und den Schutzinteressen der Arbeitnehmer zu finden.9 Sie legt einen Rahmen für angemessene Bestimmungen, Maßnahmen und Kontrollmechanismen fest; eine Umsetzungsverpflichtung besteht hingegen nur bei einigen Bestimmungen.10 Die Umsetzungsfrist lief bis zum 18. Juni 2016. Am 25. September 2019 hat die Europäische Kommission den Bericht zur Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie veröffentlicht.11 9 EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 - C.341/05-Slg. 2007, I-11767 (Laval) Rn. 74. 10 Janda, Die Durchsetzung der Rechte entsandter Arbeitnehmer, Soziales Recht 2016, S. 1 (15). 11 Bericht der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen wirtschafts - und Sozialausschuss über die Anwendung und Umsetzung der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG (in der durch die Richtlinie 2018/957/EU geänderten Fassung) über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung“) vom 25. September 2019, COM(2019) 426 final, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52019DC0426&from=DE (letzter Abruf: 25. August 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 10 3.2. Wesentliche Regelungen sowie Umsetzung in ausgewählten Mitgliedstaaten Auf der Grundlage des Kommissionsberichts werden im Folgenden die wesentlichen Bestimmungen der Durchsetzungsrichtlinie und die entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen in Deutschland sowie den ausgewählten Mitgliedstaaten Belgien, Deutschland Frankreich, Polen und der Tschechischen Republik vorgestellt. Schließlich konnten noch einige Informationen durch Angaben aus diesen Mitgliedstaaten ergänzt werden. Ein Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf den Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen, die in Art. 9 und 10 der Durchsetzungsrichtlinie geregelt sind. Einleitend wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass einzig Deutschland seine bestehenden Rechtsvorschriften bereits als richtlinienkonform erachtete und somit im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedstaaten keine neuen Gesetze oder Verwaltungsvorschriften erlassen oder bestehende Gesetze geändert hat.12 Die Bundesregierung führte hierzu 2016 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Folgendes aus: „Die nach Artikel 9 der Durchsetzungsrichtlinie vorgesehenen und zugelassenen Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen sind in §§ 17 bis 19 AEntG, §§ 16 und 17 Mi- LoG und für den Bereich der Leiharbeit in §§ 17b und 17c AÜG umgesetzt. Insbesondere sieht § 18 AEntG eine Meldepflicht für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland vor, die Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen in Deutschland beschäftigen. Gleiches gilt nach § 16 MiLoG für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen in bestimmten, im SchwarzArbG gelisteten Branchen oder die Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen im sozialversicherungsrechtlichen Sinne geringfügig beschäftigen und nach § 17b AÜG bei Überlassung eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin durch einen Arbeitgeber mit Sitz im Ausland. Außerdem enthalten die genannten Vorschriften für Arbeitgeber mit Sitz im In- und Ausland Aufzeichnungspflichten sowie Pflichten zur Bereithaltung von Unterlagen, die für die Überprüfung, ob die in Deutschland umgesetzten Mindestarbeitsbedingungen nach Artikel 3 Absatz 1 der Entsenderichtlinie eingehalten werden, erforderlich sind und somit die Kontroll- und Prüftätigkeiten verbessern. Die Arbeitsstatistik der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS) differenziert weder bei Prüfungen noch bei Ermittlungsverfahren nach inländischen beziehungsweise entsandten ausländischen Beschäftigten. Daher kann keine Aussage dazu getroffen werden, in wie vielen Fällen Entsendungen kontrolliert und bei Entsendungen Mindestarbeitsbedingungen missachtet wurden. Die FKS geht regelmäßig von einem ganzheitlichen Prüfansatz aus, das heißt bei jeder Prüfung werden alle in Betracht kommenden Prüfaufgaben, unter anderem auch die Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen von entsandten Beschäftigten, abgedeckt. Die Personalausstattung der FKS ist, insbesondere vor dem Hintergrund, dass vor allem in den Jahren 2015 und 2016 fertig ausgebildete 12 COM (2019) 426 final, S. 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 11 Nachwuchskräfte, die ursprünglich für andere Arbeitsbereiche der Zollverwaltung vorgesehen waren, prioritär in der FKS eingesetzt und in den Haushaltsjahren 2017 bis 2022 insgesamt 1.600 zusätzliche Planstellen zugeführt werden, ausreichend.“13 3.2.1. Präzisierung des Entsendebegriffes Um Scheinentsendungen aus Briefkastenunternehmen zu verhindern, gibt Art. 4 der Durchsetzungsrichtlinie den zuständigen nationalen Behörden Kriterien an die Hand, anhand derer sie auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung aller Tatsachen einzelfallbezogen feststellen können, ob tatsächlich eine Entsendesituation im Sinne der Entsenderichtlinie vorliegt. Nach dem Bericht der Kommission haben die meisten Mitgliedstaaten, darunter auch Belgien, Frankreich, Polen und die Tschechische Republik eine Liste von Umständen festgelegt, die denen der Richtlinie entsprechen. Deutschland hat den Artikel nicht ausdrücklich umgesetzt. 3.2.2. Zugang zu Informationen Art. 5 der Durchsetzungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen , um zu gewährleisten, dass die Informationen über die einzuhaltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Art. 3 der revidierten Entsenderichtlinie auf einer einzigen offiziellen nationalen Webseite allgemein und kostenlos zur Verfügung gestellt werden, sodass sie für die Arbeitgeber und die entsandten Arbeitnehmer leicht feststellbar sind. Diese Regelungen werden nunmehr durch Art. 3 Abs. 1 UAbs. 4 bis 6 der revidierten Entsenderichtlinie ergänzt. Nun müssen der von den Mitgliedstaaten einzurichtenden Webseite beispielsweise auch Informationen über die Entlohnung und ihre Bestandteile zu entnehmen sein. Art. 5 Abs. 2 der Durchsetzungsrichtlinie schreibt spezifische Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu Informationen vor.14 Neben Deutschland haben dem Bericht zufolge unter anderem auch Belgien und die Tschechische Republik diese Kriterien nicht in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegt. 13 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer , Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 18/9470 Entsendungen - Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie, BT-Drs. 18/9597 vom 9. September 2016, S. 9 f. 14 Dazu gehört die Einrichtung einer offiziellen nationalen Website, auf der klare Angaben über die anzuwendenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemacht werden, sowie Informationen über die Geltung von Tarifverträgen zur Verfügung gestellt werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 12 3.2.3. Verwaltungszusammenarbeit Art. 6 bis 8 der Durchsetzungsrichtlinie konkretisieren die Art und Weise der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die praktische Durchführung, Anwendung und Durchsetzung der Durchsetzungsrichtlinie und der Entsenderichtlinie. Nach Art. 6 der Durchsetzungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Amtshilfe und Verwaltungszusammenarbeit verpflichtet. Die Verwaltungszusammenarbeit besteht in erster Linie darin, über das Binnenmarkt-Informationssystem begründete Informationsersuchen von zuständigen Behörden zu übermitteln und zu beantworten. Gemäß Art. 7 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie liegt die Verantwortung für die Prüfung der einzuhaltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen während des Zeitraums der Entsendung grundsätzlich bei den Behörden des Aufnahmemitgliedstaates. Aber auch die Behörden im Entsendestaat sind nach Art. 7 Abs. 2 der Durchsetzungsrichtlinie verpflichtet, die Einhaltung der dort geltenden Vorschriften zu überwachen. Die meisten Mitgliedstaaten haben die Art. 6 und 7 der Durchsetzungsrichtlinie entweder ausdrücklich umgesetzt oder besitzen bereits anwendbare Rechtsvorschriften. Belgien und Frankreich verfügen nicht über einschlägige Rechtsvorschriften, halten aber die Art. 6 und 7 der Durchsetzungsrichtlinie ganz oder teilweise im Rahmen der Verwaltungspraxis ein. Nach Angaben der Europäischen Kommission übermittelte im Jahr 2018 kein anderes Land so viele Informationsersuchen wie Belgien, gefolgt von Österreich und Frankreich.15 3.2.4. Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass vor allem die unklare Verteilung der Kontrollbefugnisse nach der Entsenderichtlinie zur Schwächung der Position entsandter Arbeitnehmer geführt habe.16 Die Durchsetzungsrichtlinie harmonisiert weitgehend die Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen. Nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Durchsetzungsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten nur die Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen vorschreiben, die notwendig sind, um eine wirksame Überwachung der Einhaltung der Pflichten aus der Entsenderichtlinie und der Durchsetzungsrichtlinie zu gewährleisten. Die möglichen Maßnahmen sind nicht abschließend aufgezählt. Den Mitgliedstaaten steht es daher grundsätzlich frei, weitere Maßnahmen einzuführen. Die Kontrollen, Maßnahmen und Überwachungsmechanismen müssen aber adäquat und verhältnismäßig sein; keine der spezifischen 15 COM (2019) 426 final, S. 8. 16 Janda, Die Durchsetzung der Rechte entsandter Arbeitnehmer in: Soziales Recht 2016, S. 1 (12). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 13 Kontrollmaßnahmen ist verpflichtend. Insofern wird in der Literatur auch die Ansicht vertreten, dass durch die Richtlinie Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen so weit wie möglich eingeschränkt werden sollten.17 Art. 10 der Durchsetzungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten allerdings zum Einsatz wirksamer Kontroll- und Überwachungsmechanismen und sieht Prüfverfahren vor, die auf einer Risikobewertung basieren müssen, und in nicht diskriminierender und in verhältnismäßiger Weise durchzuführen sind. Zufallskontrollen sind aber weiterhin zulässig. Die unter Art. 9 Abs. 1 aufgeführten Kontrollmaßnahmen sind dem Kommissionsbericht zufolge in den meisten Mitgliedstaaten entweder in ihrer Gesamtheit oder zum großen Teil vorgeschrieben . Trotzdem seien die in den Mitgliedstaaten erlassenen konkreten Anforderungen - insbesondere mit Blick auf das Verfahren für Mitteilung, Dokumentation und die übersetzungsbezogenen Anforderungen - recht unterschiedlich.18 Die festgelegten Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen werden in Anhang I des Berichts (Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen) im Detail aufgeführt.19 3.2.5. Meldepflicht Zu den zulässigen Kontrollmaßnahmen gehört nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a der Durchsetzungsrichtlinie insbesondere die Pflicht des in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers zur Abgabe einer einfachen Erklärung gegenüber den zuständigen nationalen Behörden spätestens zu Beginn der Erbringung der Dienstleistung in (einer) der Amtssprache (n) des Aufnahmemitgliedstaats oder in (einer) anderen von dem Aufnahmemitgliedstaat akzeptieren Sprache(n), die die einschlägigen Informationen enthält, die eine Kontrolle der Sachlage am Arbeitsplatz erlauben. Zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes haben unter anderem Deutschland, Belgien, Frankreich und Polen ein onlinegestütztes beziehungsweise elektronisches Tool eingeführt, über welches die vorgenannte Entsendemeldung abzugeben ist.20 17 Ahlberg / Johansson / Malmberg, Monitoring Compliance with Labour Standards, in Evju (Hrsg.): Regulating Transnational Labour Law in Europe: The quandaries of multilevel gouvernance, Universität Oslo, Institut für Privatrecht, 2014, S. 203 (208), abrufbar unter: https://www.jus.uio.no/ifp/english/research/projects /freemov/publications/books/196.pdf (letzter Abruf: 25. August 2020). 18 COM (2019) 426 final, S. 14. 19 Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen, Bericht über die Anwendung und Einführung der Richtlinie 2014/67/EU, Anhang 1 zu COM (2019) 426 final: Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen, in englischer Sprache abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /EN/TXT/HTML/?uri=CELEX:52019SC0337&from=EN (letzter Abruf: 25. August 2020). 20 COM (2019) 426 final, S. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 14 In Deutschland ist eine vorherige Meldung an die Behörden der Zollverwaltung erforderlich. Bislang bestand die Mitteilungspflicht nur im Bausektor und baubezogenen Branchen, bei Gebäudereinigungsdiensten und bei Pflegeleistungen. Nach dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 10. Juli 202021 wird die Meldepflicht (§ 18 AEntG) auf alle Fälle ausgeweitet , in denen die Behörden der Zollverwaltung nach §16 AEntG zuständig sind. In Belgien ist für Arbeitnehmer und Selbständige, die für ihre Arbeit nach Belgien entsandt werden und dort arbeiten, eine Erklärung über das Online-System LIMOSA obligatorisch. Die „LI- MOSA-1-Meldung“ wird an die nationale Behörde für soziale Sicherheit übermittelt. Sie beinhaltet unter anderem Informationen zur Identifikation der entsandten Arbeitnehmer, zur Identifikation des Arbeitgebers in Belgien, zur Dauer sowie Art und Ort der Tätigkeit. Als Eingangsbestätigung erhält der Arbeitgeber das LIMOSA-1-Zertifikat, das dem belgischen Dienstleistungsempfänger vor Ausführung des Auftrages vom entsandten Arbeitnehmer vorzulegen ist. Wenn der entsandte Arbeitnehmer nicht über das Zertifikat verfügt, hat der belgische Dienstleistungsempfänger dies den Behörden zu melden. Zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes ist eine Befreiung von der Meldepflicht für dringende Reparatur- und Wartungsarbeiten an Maschinen oder Ausrüstungen, die vom selben Arbeitgeber an das Unternehmen verkauft wurden, eingeführt worden, sofern eine solche Tätigkeit fünf Tage im Monat nicht übersteigt.22 Mit dem sogenannten ConstruBadge ist eine besondere Maßnahme zur Identifikation entsandter Arbeitnehmer eingeführt worden, die im Bauwesen tätig sind. Seit dem 1. Oktober 2014 müssen Beschäftigte des Baugewerbes bei einem Einsatz auf einer belgischen Baustelle sichtbar einen ConstruBadge tragen. In Frankreich muss der Arbeitgeber die entsandten Arbeitnehmer der örtlich zuständigen Arbeitsinspektion elektronisch über das Portal SIPSI melden. Die Meldung muss insbesondere den Beginn, Ort und voraussichtliche Dauer der Tätigkeit, Personalien und Löhne der entsandten Mitarbeiter enthalten. Der entsendende Arbeitgeber muss für die Dauer der Tätigkeit einen Vertreter in Frankreich benennen, der für den Kontakt mit der Arbeitsinspektion und anderen Behörden zuständig ist. Seit dem 22. März 2017 ist für im Baugewerbe tätige Arbeitnehmer ein Baustellennachweis erforderlich. (Carte d’identitification professionnelle - Carte BTP), der die Kontrollen der Arbeitsinspektion vereinfachen soll.23 21 BGBl. 2020 I, S. 1657. 22 Zu den Befreiungen von der Meldepflicht finden sich in deutscher Sprache Informationen auf der Seite der belgischen Behörde für soziale Sicherheit: https://www.socialsecurity.be/site_de/employer/applics /meldingsplicht/vrijgesteld.htm (letzter Abruf: 4. September 2020). 23 Ausführliche Informationen zu dem Meldeverfahren und mitzuführende Unterlagen, sowie steuerlichen Meldepflichten und sozialversicherungsrechtlichen Aspekten findet sich in einem Merkblatt der Handwerkskammer Freiburg: Vorübergehende Tätigkeit deutscher Handwerksbetriebe in Frankreich, Stand: August 2019, abrufbar unter: https://www.hwk-freiburg.de/adbimage/898/asset-original//voruebergehende-taetigkeit-in-frankreich.pdf (letzter Abruf: 25. August 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 15 In Polen ist ebenfalls eine einfache Erklärung vor Aufnahme der Tätigkeit abzugeben. Die Erklärung muss Angaben über einen Vertreter in Polen enthalten, der die Kommunikation mit den Behörden im Aufnahmemitgliedstaat abwickelt. Deutsche Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zu kurzfristigen Einsätzen nach Polen entsenden, müssen diese spätestens am Tag des Arbeitsbeginns bei der polnischen staatlichen Arbeitsinspektion melden. Das Entsendeformular muss Angaben zum Arbeitgeber, zu den entsandten Fachkräften sowie zum Tätigkeitsbereich des Unternehmens enthalten.24 Ein ausländischer Arbeitgeber, der Arbeitnehmer in die Tschechische Republik entsendet, ist verpflichtet, eine Meldung mit folgenden Angaben abzugeben: Daten zur Identifikation des Arbeitnehmers , den Wohnort oder Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes, Reisepassnummer sowie Angaben zur Art der Beschäftigung, Tätigkeitsort, Beginn und Ende der Tätigkeit, Geschlecht des, Tag des Beschäftigungsbeginns und Beschäftigungsendes beziehungsweise des Entsendebeginns und Entsendeendes. Darüber hinaus gibt es die Verpflichtung, eine Kopie eines Dokuments zum Nachweis des Beschäftigungsverhältnisses in tschechischer Sprache am Arbeitsplatz vorzuweisen . Im Umsetzungsbericht der Europäischen Kommission wird vermerkt, dass unter anderem in der Tschechischen Republik die Pflichten in Bezug auf die Erklärung über entsandte Arbeitnehmer auf den Dienstleistungsempfänger übergehe.25 3.2.6. Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte Nach Art. 11 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten Regelungen einführen , die es entsandten Arbeitnehmern ermöglichen, unmittelbar Beschwerde gegen ihren Arbeitgeber zu erheben, sowie Gerichts- und Verwaltungsverfahren einzuleiten. Außerdem sind Standards für die Durchsetzung der Rechte vorgeschrieben. So ist nach Art. 11 Abs. 3 der Durchsetzungsrichtlinie sicherzustellen, dass auch Gewerkschaften und Dritte die Rechte entsandter Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat verteidigen können. Nach Art. 11 Abs. 5 der Durchsetzungsrichtlinie dürfen entsandte Arbeitnehmer durch die Geltendmachung ihrer Rechte nicht benachteiligt werden. 3.2.7. Nachunternehmerhaftung Nach Art. 12 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten eine Haftung für Nachunternehmer einführen, die neben oder an die Stelle der Arbeitgeberhaftung tritt. Für die 24 Industrie und Handelskammer Rhein-Neckar: Polen: Meldepflichten bei der Entsendung von Arbeitnehmern, abrufbar unter: https://www.rhein-neckar.ihk24.de/international/maerkte-international/polen/dienstleistungserbringung /meldepflichten-3525358 (letzter Abruf: 25. August 2020). 25 COM (2019) 426 final, S. 12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 16 Bauwirtschaft besteht hierfür nach Art. 12 Abs. 2 der Durchsetzungsrichtlinie eine Umsetzungspflicht . Ist dem Auftraggeber oder Unterauftraggeber kein Sorgfaltspflichtverstoß nachzuweisen, soll dieser von der Haftung befreit, zumindest aber in der Haftung beschränkt werden können. Eine Befreiung von der Haftung nach Art. 12 der Durchsetzungsrichtlinie ist zulässig, wenn Auftragnehmer ihren besonderen Sorgfaltspflichten gegenüber ihrem Unterauftragnehmer nachgekommen sind. Gemäß Art. 12 Abs. 6 der Durchsetzungsrichtlinie haben die Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit, andere angemessene Durchsetzungsmaßnahmen einzuführen.26 Entsandten Arbeitnehmern wird in der gesamten EU Zugang zu den Justizsystemen der Mitgliedstaaten gewährt. In Polen und der Tschechischen Republik wird die Beteiligung Dritter am Gerichtsverfahren an die Voraussetzung geknüpft, dass diese ein berechtigtes Interesse an der jeweiligen Rechtssache haben. Belgien und Polen haben Art. 11 Abs. 5 der Durchsetzungsrichtlinie ausdrücklich umgesetzt, indem sie in ihren nationalen Rechtsvorschriften verankert haben, dass entsandte Arbeitnehmer vor Vergeltung durch ihren Arbeitgeber geschützt sind. In der Tschechischen Republik, Deutschland und Frankreich bestand hierzu keine Veranlassung, da durch allgemeine Grundsätze ausreichender Schutz verliehen werde. Polen hat die Nachunternehmerhaftung auf die Baubranche begrenzt. Belgien und die Tschechische Republik haben das Konzept der Nachunternehmerhaftung auf andere Sektoren ausgeweitet, Deutschland und Frankreich auf alle Wirtschaftszweige. In Belgien, der Tschechischen Republik, Frankreich und Polen ist die Haftung auf den direkten Auftragnehmer begrenzt. In Deutschland gibt es die Möglichkeit, die Zahlungen auch von Parteien zu erlangen, die in keiner unmittelbaren vertraglichen Beziehung mit den entsendenden Arbeitgeber stehen, die Haftung nach § 14 AEntG ist aber auf das Mindestentgelt beschränkt.27 In Belgien, Frankreich und Polen sind die Arbeitnehmer berechtigt, vom Auftraggeber ihre gesamten Löhne einzufordern. Ein Auftragnehmer, der den in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, kann in der Tschechischen Republik und Polen sowie in Belgien und Frankreich Einrede gegen die Haftung erheben.28 26 Dänemark und Finnland haben als einzige Länder keine Regelungen für die Nachunternehmerhaftung eingeführt . In Dänemark ist ein Arbeitsmarktfond eingerichtet worden, nachdem Arbeitnehmer, die Schwierigkeiten haben, ihren Lohn vom Arbeitgeber zu erhalten, diesen vom Fonds beziehen können. Der Arbeitgeber und der dänische Dienstleistungsempfänger sind dann verpflichtet, einen Sonderbeitrag an den Fonds abzuführen. Hat in Finnland ein entsandter Arbeitnehmer nicht den Mindestlohn erhalten, kann er den Bauunternehmer oder den Generalunternehmer hierüber unterrichten. Der Bauunternehmer oder der Generalunternehmer müssen daraufhin das entsendende Unternehmen unverzüglich auffordern, einen Bericht über die dem entsandten Arbeitnehmer gezahlten Löhne vorzulegen, der dann dem entsandten Arbeitnehmer vorzulegen ist. Das Auskunftsersuchen ist auf Verlangen des Arbeitnehmers der Arbeitsschutzbehörde vorzulegen. Der Bauunternehmer oder der Generalunternehmer sind zur Aufbewahrung des Schriftstücks für mindestens zwei Jahre verpflichtet. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen kann jedoch nicht zur Haftung des Auftragnehmers für ausstehende Lohnforderungen führen, COM (2019) 426 final, S. 20. 27 Die Haftung nach § 14 AEntG besteht für alle Ansprüche gegen die „Nachunternehmerkette“ (Bundesarbeitsgericht , Urteil vom 17. August 2011, NZA 2012, 563). Geschützt werden also die Arbeitnehmer des beauftragten Unternehmens, die Arbeitnehmer des von diesem beauftragten Nachunternehmens sowie die Leiharbeitnehmer, vgl. Schlachter/Franzen in: Erfurter Kommentar, 20. Auflage 2020, AEntG § 14 Rn. 4. 28 COM (2019) 426 final, S. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 17 3.2.8. Sanktionen Gemäß Art. 20 der Durchsetzungsrichtlinie haben die Mitgliedstaaten für Verstöße gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen nationalen Bestimmungen Sanktionen festzulegen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Alle Mitgliedstaaten haben ein System mit Sanktionen umgesetzt, die bei administrativen Verstößen zur Anwendung kommen. Darüber hinaus sind in den meisten Mitgliedstaaten Sanktionen für die Verletzung der Rechte entsandter Arbeitnehmer vorgesehen. In Deutschland kann die wiederholte Verletzung der Rechte entsandter Arbeitnehmer zu einem Bußgeld von bis zu 500.000 Euro führen (§ 23 Abs. 3 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG). Damit droht in Deutschland in diesen Fällen innerhalb der EU das höchste Bußgeld. Werden Rechte entsandter Arbeitnehmer in Belgien verletzt, kann der Arbeitgeber mit einer Geldstrafe von bis zu 96.000 Euro sanktioniert werden. Ausländischen Arbeitgebern, die es versäumen , vor dem Beginn der Beschäftigung eines nach Belgien entsandten Arbeitnehmers die Meldeerklärung auszufüllen, droht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren und/oder je nach Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer eine Geldstrafe in Höhe von 3.600 bis 36.000 Euro beziehungsweise ein Bußgeld von 1.800 bis 18.000 Euro. Der belgische Auftraggeber wird in diesem Fall mit einer Geldstrafe von 100 bis 1.000 Euro oder einem Bußgeld von 50 bis 500 Euro bestraft. In Frankreich drohen einem Arbeitgeber, der Arbeitnehmer nach Frankreich entsendet, Bußgelder in Höhe von maximal 4.000 Euro (im Wiederholungsfall 8.000 Euro), wenn Formvorschriften nicht eingehalten werden (beispielsweise die vorherige Meldung der Entsendung und Benennung eines Vertreters in Frankreich) und wenn der Arbeitsinspektion nicht die ins Französisch übersetzten Dokumente zu Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorgelegt werden können29 oder wenn die Rechte der entsandten Arbeitnehmer verletzt werden. In der Tschechischen Republik kann die Verletzung administrativer Pflichten im Zusammenhang mit der Entsendung durch den entsendenden ausländischen Arbeitgeber mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 500.000 CZK (derzeit ca. 1.135 EUR) geahndet werden. In Polen sind Strafgelder von bis zu 30.000 PLN (derzeit ca. 6.760 Euro) vorgesehen. 29 Artikel R. 1263-1 des französischen Arbeitsgesetzbuches enthält eine Auflistung der Dokumente, die mit einer französischen Übersetzung am Ort der Arbeitsausführung oder, falls dies materiell unmöglich ist, an einem anderen für den Vertreter des Betriebes zugänglichen Ort aufzubewahren und auf Aufforderung unverzüglich vorzulegen sind: Lohnabrechnung, Nachweis über die Zahlung des Mindestlohns, Nachweis, dass der Lohn tatsächlich gezahlt wurde, Arbeitsrapport, Arbeitsvertrag, Nachweis über die Anzahl der ausgeführten Verträge und die Höhe des Umsatzes des Arbeitgebers sowie Nachweis über das auf den Vertrag anzuwendende Recht. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 18 4. Bescheinigungsverfahren nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Am 1. Mai 2010 ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit über soziale Sicherheit in Kraft getreten, die für alle Mitgliedstaaten der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums sowie in der Schweiz gilt. Nach Art. 12 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 muss jeder, der in einem EU-Mitgliedsstaat vorübergehend einer Beschäftigung nachgeht, eine sogenannte A1-Bescheinigung zum Nachweis der Sozialversicherung im Entsendestaat mitführen. Dies gilt gleichermaßen für abhängig Beschäftigte und Beamte wie für Selbständige und unabhängig von der Dauer des auf höchstens 24 Monate begrenzten Aufenthalts. Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, welche Alternativen und Möglichkeiten es zur Vereinfachung beim Antrags- und Bescheinigungsverfahren A1 nach Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 für die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins EU-Ausland bei Forschung und Wirtschaft gibt, die gleichzeitig eine effektive Kontrolle bezüglich der Sozialversicherungspflicht ermöglichen. Gefragt wurde auch, wie die zum 1. Januar 2019 (elektronisches Antragsverfahren ) und zum 1. Januar 2020 (zusätzliche Angaben) erfolgten Änderungen zu bewerten sind. Dazu können aus fachlicher Sicht, soweit dies die Zuständigkeit des Fachbereichs Europas betrifft , folgende Informationen bereitgestellt werden: 4.1. Funktion der A1-Bescheinigungen und Reformüberlegungen Nach dem in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit30 (nachfolgend: VO (EG) 883/2004) statuierten Beschäftigungslandprinzip ist ein Arbeitnehmer in dem Land sozialversichert, in dem er tätig ist. Von diesem Grundsatz sieht Art. 12 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 eine Ausnahme für den Fall der Entsendung vor: (1) Eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen , unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere Person ablöst. Voraussetzung hierfür ist, dass eine gültige A1-Bescheinigung ausgestellt ist, mit der die fortlaufende Abführung der Sozialversicherungsbeiträge zum zuständigen Sozialversicherungsträger im Entsendestaat bestätigt wird.31 Die europäische A1-Bescheinigung legt für einen Auslandseinsatz 30 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004, letzte konsolidierte Fassung vom 11. April 2017. 31 Saager/Schmuck, NJOZ 2020, S. 289. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 19 eines Arbeitnehmers fest, dass dieser in seinem Heimatstaat sozialversichert bleibt, die Sozialpflichtigkeit mithin ausschließlich im Herkunftsmitgliedstaat besteht. Die Rechtsgrundlage hierfür findet sich in Art. 19 Abs. 2 Verordnung Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (nachfolgend: VO (EG) 987/2009).32 „(2) Auf Antrag der betreffenden Person oder ihres Arbeitgebers bescheinigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der Grundverordnung anzuwenden sind, dass und gegebenenfalls wie lange und unter welchen Umständen diese Rechtsvorschriften anzuwenden sind.“ Die A1-Bescheinigung regelt die sozialrechtliche Zuordnung eines im Ausland tätigen Leiharbeitnehmers und erzeugt zugleich eine entsprechende Bindungswirkung der sozialrechtlichen Zuständigkeit für alle anderen EU-Mitgliedstaaten.33 Mit der Administration der A1-Bescheinigungen ist ein hoher Verwaltungsaufwand verbunden, da insbesondere im Grundsatz bei jedem grenzüberschreitenden Arbeitseinsatz - selbst für kurze Geschäftsreisen - eine A1-Bescheinigung mitzuführen ist. Die Nichtvorlage einer A1-Bescheinigung kann mit Bußgeldern geahndet werden und zu Dienstleistungsverboten im Aufnahmestaat führen.34 Im Grundsatz ist die A1-Bescheinigung bei dem zuständigen Träger im Voraus zu beantragen. Da für kurzzeitige Entsendungen diese Bescheinigung nicht immer zeitgerecht vor der geplanten Entsendung ausgestellt werden kann, können die zuständigen Träger diese rückwirkend erstellen .35 Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 987/2009 erzeugt eine rechtliche Bindung der in einem Mitgliedstaat für alle anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Dokumente und Belege. (1) Vom Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte Dokumente, in denen der Status einer Person für die Zwecke der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung bescheinigt wird, sowie Belege, auf deren Grundlage die Dokumente ausgestellt wurden, sind für die Träger der anderen Mitgliedstaaten so lange verbindlich , wie sie nicht von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurden, widerrufen oder für ungültig erklärt werden.“ 32 Abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1583834249797&uri=CELEX:02009R0987- 20180101, letzte konsolidierte Fassung vom 1. Januar 2018. 33 Wilde, NZS 2016, S. 48. 34 Saager/Schmuck, NJOZ 2020, S. 289. 35 EuGH, Urteil vom 6.September 2018, Rs. C-527/16 Rn. 70 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 20 Der EuGH umschreibt die Geltung der A1-Bescheinigung und deren Bindungswirkung für die anderen Mitgliedstaaten wie folgt: „Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 in der durch die Verordnung Nr. 1244/2010 geänderten Fassung ist in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 in der durch die Verordnung Nr. 1244/2010 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats aufgrund von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Verordnung Nr. 1244/2010 geänderten Fassung ausgestellte A1-Bescheinigung, solange sie von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurde, weder widerrufen noch für ungültig erklärt worden ist, auch dann sowohl für die Träger der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, als auch für dessen Gerichte verbindlich ist, wenn die zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats und des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, die Verwaltungskommission angerufen haben und diese zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Bescheinigung zu Unrecht ausgestellt wurde und widerrufen werden sollte.“36 Diese Bindungswirkung der A1-Bescheinigung führt dazu, dass die Sozialversicherungspflicht ausschließlich im Herkunftsland besteht.37 Diese soll selbst dann bestehen, wenn eine solche Bescheinigung rückwirkend - z.B. nach einer Betriebsprüfung im Aufnahmestaat – ausgestellt wird.38 Bei Zweifeln an der Gültigkeit eines Dokuments oder an der Richtigkeit des dokumentierten Sachverhalts eröffnet Art. 5 Abs. 2 bis 4 VO (EG) 987/2009 ein Überprüfungsverfahren. Die zuständige Stelle im Aufnahmestaat kann in einem Dialogverfahren die zuständige Stelle des Entsendestaates formell um Überprüfung des Sachverhaltes und um Rücknahme der A1-Bescheinigung bitten. Kommt es nicht zu einer Verständigung oder zu einer Reaktion des Entsendestaats, kann gem. Art. 5 Abs. 4 VO (EG) 987/2009 nach Ablauf eines Monats die bei der Kommission eingesetzte Verwaltungskommission (Art. 71 f. VO (EG) 883/2004) als Vermittlerin angerufen werden. Die Verwaltungskommission bemüht sich binnen sechs Monaten nach ihrer Befassung um eine Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte. Solange diese Bescheinigung aber nicht widerrufen oder für ungültig erklärt ist, ist sie auch bindend , selbst wenn diese inhaltlich unzutreffend ist.39 36 EuGH, Urt. 6. September 2018, Rs. C-527/16; so bereits zur Vorgängerbescheinigung E 101 EuGH, Urteil vom 26. Januar 2006, Rs. C- 2/05. 37 EuGH, Urteil vom 26. Januar 2006, Rs. C-2/05. 38 So bereits für die der A1-Bescheinigung vorausgegangene Bescheinigung EuGH, Urteil vom 30. März 2000, Rs. C-527/16. 39 EuGH, Urteil vom 26. Januar 2006, C-2/05. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 21 Im Falle eines begründeten Missbrauchs- und/oder Betrugsverdachts legt der EuGH in einer jüngeren Entscheidung40 detailliert dar, bei welchen Sachlagen die nationalen Behörden oder Gerichte nicht mehr an A1-Bescheinigungen gebunden sein sollen: „98 Als Erstes ist festzustellen, dass keine Bestimmung der Verordnung Nr. 883/2004 oder der Verordnung Nr. 987/2009 eine Ermächtigung der Mitgliedstaaten enthält, bei einem Betrug oder Missbrauch unilateral durch ein Gesetz die Nichtanwendbarkeit von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 vorzusehen, so dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit , den Art. 76 Abs. 6 der Verordnung Nr. 883/2004 und Art. 5 der Verordnung Nr. 987/2009 konkretisieren, auch in solchen Fällen Anwendung findet. 99 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs können sich die Rechtsunterworfenen nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Union berufen. Der Grundsatz des Verbots von Betrug und Rechtsmissbrauch stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der von den Rechtsunterworfenen zu beachten ist. Die Anwendung der Unionsrechtsvorschriften kann nicht so weit gehen, dass Vorgänge geschützt werden, die zu dem Zweck durchgeführt werden, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen (Urteil vom 6. Februar 2018, Altun u. a., C-359/16, EU:C:2018:63, Rn. 48 und 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). 100 Wenn im Rahmen des in Art. 76 Abs. 6 der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehenen Dialogs der Träger des Mitgliedstaats, in den Arbeitnehmer entsandt wurden, dem Träger, der die Bescheinigungen A1 ausgestellt hat, konkrete Beweise vorlegt, die den Schluss zulassen , dass diese Bescheinigungen betrügerisch erlangt wurden, hat der ausstellende Träger gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit anhand dieser Beweise erneut zu prüfen, ob die Ausstellung zu Recht erfolgt ist, und die Bescheinigungen gegebenenfalls zurückzuziehen (Urteil vom 6. Februar 2018, Altun u. a., C-359/16, EU:C:2018:63, Rn. 54). 101 Nimmt der ausstellende Träger nicht innerhalb einer angemessenen Frist eine solche erneute Überprüfung vor, müssen diese Beweise im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht werden dürfen, um zu erreichen, dass das Gericht des Mitgliedstaats , in den die Arbeitnehmer entsandt wurden, die betreffenden Bescheinigungen außer Acht lässt (Urteil vom 6. Februar 2018, Altun u. a., C-359/16, EU:C:2018:63, Rn. 55). 102 In einem solchen Fall kann das nationale Gericht die betreffenden Bescheinigungen A1 außer Acht lassen und hat festzustellen, ob die Personen, die verdächtigt werden, entsandte Arbeitnehmer unter Verwendung von betrügerisch erwirkten Bescheinigungen eingesetzt zu haben, auf der Grundlage des anwendbaren innerstaatlichen Rechts zur Verantwortung gezogen werden können. 40 EuGH, Urteil vom 11. Juli 2018, Rs. C-356/15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 22 Nach einem Vorschlag der Kommission41 soll im Rahmen einer Novelle zur VO (EG) 883/2004 dieser Verordnung ein Art. 76a eingefügt werden, der die Kommission zu Durchführungsrechtsakten gemäß Artikel 291 AEUV ermächtigen soll, „in denen das Verfahren zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Anwendung der besonderen Vorschriften gemäß den Artikeln 12 und 13 der Grundverordnung für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige, die entsandt oder geschickt worden sind, sowie für Personen festgelegt wird, die eine Erwerbstätigkeit in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausüben. Mit diesen Rechtsakten wird ein Standardverfahren für die Ausstellung, die Anfechtung und den Widerruf des PD A1 festgelegt, mit dem die Rechtsvorschriften bescheinigt werden, die für die vorgenannten Personen gelten.“ Auf dieser Rechtsgrundlage könnte die Kommission auch festlegen, was im Einzelnen vor der Ausstellung des Dokuments zu prüfen ist sowie den Widerruf des Dokuments regeln, falls dessen Richtigkeit bzw. Gültigkeit vom zuständigen Träger des Beschäftigungsmitgliedstaats bestritten wird.42 Die Bundesregierung verweist darauf, dass sich der Rat im Rahmen der Beratungen zur Überarbeitung der VO (EG) 883/2004 in seiner allgemeinen Ausrichtung im Juni 2018 für die Einfügung eines neuen Artikel 19a in die VO (EG) 987/2009 ausgesprochen habe. Insbesondere sollen mit diesem Artikelentwurf transparentere Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in den Fällen geschaffen werden, in denen Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit von A1-Bescheinigungen bestehen. Die Bundesregierung teilte auf eine parlamentarische Anfrage, welche Alternativen zur Entbürokratisierung der A1-Bescheinigung derzeit auf europäischer Ebene diskutiert werden, und welche Mitgliedstaaten sich für die jeweiligen Alternativen einsetzen, folgendes mit: „Im Rahmen des Trilogs zur Revision der Koordinierungsverordnungen wurde im März 2019 diskutiert, dass bei Auslandstätigkeiten im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchstaben b und d, Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die keine Geschäftsreisen sind, künftig zwingend vorab eine „A1-Bescheinigung“ beantragt werden muss und die nachträgliche Antragsmöglichkeit entfallen soll. Da nach Auffassung der Bundesregierung bereits nach aktuell gültigem Unionsrecht bei kurzzeitigen und kurzfristigen Auslandsaufenthalten auf die vorherige Beantragung einer A1-Bescheinigung häufig verzichtet werden kann, wäre eine ausdrücklich in der Verordnung festgehaltene Befreiung von Geschäftsreisen grundsätzlich zu begrüßen. Dies gilt jedoch nicht für die gleichzeitig vorgesehene Streichung der nachträglichen Antragsmöglichkeit für alle anderen Auslandsaufenthalte . Das derzeitige Regel-Ausnahmeprinzip würde damit umgekehrt. Dies würde den Bürokratieaufwand für die betroffenen Personen erheblich erhöhen und als Missbrauchsbekämpfung wäre diese Maßnahme unverhältnismäßig. Zudem wurde das genaue 41 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (Text von Bedeutung für den EWR und die Schweiz) vom 16.12.2016, COM(2016)815, abrufbar unter: http://eudoxap01.bundestag .btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=179114&latestVersion=true&type=5. 42 BT-Drs. 19/13176. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 23 Verfahren nicht definiert, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit geführt hätte. Unter anderem aus diesem Grund hat die Bundesregierung den Trilogkompromisstext vom 25. März 2019 nicht unterstützt. Offizielle Stellungnahmen anderer Mitgliedstaaten zu diesem Punkt des Trilogs wie auch aktuellere Vorschläge zu A1-Bescheinigungen sind der Bundesregierung nicht bekannt.“ Im Jahreswirtschaftsbericht 2020 der Bundesregierung kündigt diese an, dass sie sich für eine Entbürokratisierung der A1-Bescheinigung einsetzt. „183. Die Bundesregierung wird sich des Weiteren dafür einsetzen, einen Anstieg der Bürokratie für die Wirtschaft aus europäischem Recht wirksam zu begrenzen. Bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen zur Änderung der entsprechenden EU-Koordinierungsverordnungen wird die Bundesregierung insbesondere auf die Einführung einer zeitlichen Schwelle hinwirken, unterhalb derer generell keine sogenannte A1-Bescheinigung bei Entsendungen und Dienstreisen ins EU-Ausland erforderlich ist.43“ Forderungen zur Weiterentwicklung der A1-Bescheinigung finden sich auch in dem Antrag des Landes Niedersachen für eine Entschließung des Bundesrates zur A1-Bescheinigung: „1. Das Anmeldeverfahren zur Ausstellung von A1-Bescheinigungen soll erleichtert und eine EU-weite einheitliche Online-Meldeplattform eingeführt werden, über die A1- Bescheinigungen beantragt werden können. In Deutschland wird die A1-Bescheinigung von der Deutschen Rentenversicherung, den Gesetzlichen Krankenversicherungen sowie den berufsständischen Versorgungseinrichtungen ausgestellt. Im Jahr 2017 waren dies über 300.000 Bescheinigungen. 2. Kurzfristige und kurze Dienst- und Geschäftsreisen von Beschäftigten ins EU-Ausland von bis zu einer Woche Dauer sollen zukünftig ohne eine A1-Bescheinigung sowie ohne Vorlage weiterer Unterlagen und Verpflichtungen ermöglicht werden. Die Bearbeitungszeiten bei den die A1-Bescheinigung ausstellenden Versicherungsträgern erstrecken sich teilweise über mehrere Wochen, so dass kurzfristige und kurze Dienst- und Geschäftsreisen ins EU-Ausland nicht mehr möglich sind. Dies erschwert den grenzüberschreitenden Personen -, Handels- und Dienstleistungsverkehr und bildet damit ein großes Hemmnis für den Binnenmarkt, insbesondere für die exportorientierte deutsche Wirtschaft.“44 Der Bundesrat hatte am 15. März 2019 beschlossen: „Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, im anhängigen EU-Gesetzgebungsverfahren (Trilog) zur Revision der Verordnung zur Koordinierung der sozialen Sicherungssys- 43 BT-Drs. 19/16850. 44 BR-Drs. 35/20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 24 teme (BR-Drucksache 761/16) darauf hinzuwirken, dass die derzeit eingeforderte Ausstellung sogenannter A1-Bescheinigungen für kurzfristige Dienst- und Geschäftsreisen ins EU- Ausland aufgehoben beziehungsweise zumindest flexibler gehandhabt wird.“45 4.2. Zum elektronischen Antrags- und Bescheinigungsverfahren Seit dem 1. Juli 2019 ist das elektronische Antrags- und Bescheinigungsverfahren auch in Deutschland verpflichtend. Das automatisierte Verfahren wird in die Entgeltabrechnungsprogramme der Unternehmen eingebunden. Das elektronische Verfahren gilt für ArbeitnehmerInnen der Privatwirtschaft (Art. 12 Abs. 1 VO (EG) 883/2004) und des öffentlichen Dienstes (Art. 11 Abs. 3 Buchst. b VO (EG) 883/2004). Darüber hinaus kann auch für verbeamtete Personen (Art. 11 Abs. 3 Buchst. b VO (EG) 883/2004) die Ausstellung einer A1-Bescheinigung elektronisch beantragt werden. Der elektronisch zu stellende Antrag für die A1-Bescheinigung erfordert ein zertifiziertes Entgeltabrechnungsprogramm oder die elektronische Ausfüllhilfe sv-net. Der gesamte Datenaustausch erfolgt elektronisch, auch die Übermittlung der Bescheinigung.46 Der Regierungsentwurf eines Siebten SGB IV-Änderungsgesetzes47 sieht die Vorzüge eines obligatorischen elektronischen A1-Antrags- und Bescheinigungsverfahrens in Folgendem: „Das für Arbeitgeber verpflichtende elektronische A1-Antrags- und Bescheinigungsverfahren führt zu einer deutlichen Beschleunigung des Verfahrens und trägt damit entscheidend dazu bei, dass frühzeitig für alle Verfahrensbeteiligten Rechtssicherheit hinsichtlich des für die betreffende Person anwendbaren Rechts besteht. Darüber hinaus führen die umgesetzten Regelungen zu einer Reduzierung des Verwaltungsaufwandes. Eine Ausweitung des Verfahrens auf weitere Sachverhalte bietet zudem den Vorteil, dass die für das elektronische Antrags- und Bescheinigungsverfahren bei den Unternehmen und den antragsbearbeitenden Stellen aufgebauten Strukturen besser ausgelastet werden können.“ 48 45 BR-Drs. 95/19. 46 Vgl. dazu Deutsche Rentenversicherung https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Arbeitgeber -und-Steuerberater/summa-summarum/Lexikon/A/automatisiertes_meldeverfahren.html;jsessionid =23E60968F302C3A46B24A5614B1CF2A9.delivery2-3-replication und https://www.lexware.de/artikel/a1- bescheinigung-entsendebescheinigung/. 47 Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 13. Dezember 2019, abrufbar unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/Regierungsentwuerfe /reg-7-sgb-iv-aendg.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 48 Begründung des Entwurfs, S. 90. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 25 5. Handhabung der A1-Bescheinigung in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Im Folgenden wird darauf eingegangen, wie ausgewählte EU-Mitgliedstaaten mit der zuvor beschriebenen A1-Bescheinigung im Hinblick auf eine Mitführungspflicht und eine Bußgeldbewehrung umgehen.49 Die Informationen basieren - sofern nicht anders gekennzeichnet - auf Angaben aus den jeweiligen Mitgliedstaaten. 5.1. Deutschland In Deutschland können Arbeitgeber bei Entsendungen seit dem 1. Januar 2019 A1-Bescheinigungen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf elektronischem Weg beantragen . Wo die Bescheinigung beantragt wird, hängt davon ab, wie der Mitarbeiter versichert ist. Für gesetzlich versicherte Mitarbeiter beantragt der Arbeitgeber die A1-Bescheinigung bei der Krankenkasse des Mitarbeiters. Für privat versicherte Mitarbeiter, die kein Mitglied in einem Versorgungswerk sind, beantragen Arbeitgeber die Bescheinigung bei der Deutschen Rentenversicherung . Für Mitarbeiter, die nicht gesetzlich versichert sind und aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei einer berufsständischen Einrichtung von der Rentenversicherung befreit sind, wenden sich Arbeitgeber an die Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen. Die innerhalb von drei Arbeitstagen zu übermittelnde Bescheinigung wird vom Arbeitgeber ausgedruckt und dem Arbeitnehmer mitgegeben. Das Bescheinigungsverfahren nach Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) 987/2009 soll dadurch in die elektronischen Meldeverfahren nach dem Arbeitnehmer -Entsendegesetz integriert werden. Nach deutschem Recht gibt es keine Pflicht, einen Sozialversicherungsausweis mitzuführen. Dies gilt auch für A1-Bescheinigungen. Die deutschen Zollbehörden sind im Rahmen ihrer Zuständigkeiten nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) lediglich berechtigt, hinsichtlich der Sozialversicherungsrechtsverhältnisse Auskünfte einzuholen und gegebenenfalls mitgeführte Nachweise zu überprüfen . 49 Eine Kurzübersicht über die Mitführungspflicht einer A1-Bescheinigung und deren Kontrolle in den Ländern des EWR und der Schweiz ist abrufbar im Internetauftritt des Hauptverbands der Bauindustrie: https://www.bauindustrie.de/media/documents/2019-03-21_Kurz%C3%BCbersicht_A1-Bescheinigung.pdf (letzter Abruf: 4. September 2020). Die Angaben basieren auf einer Umfrage der privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Ein Überblick über sozial- und arbeitsrechtliche Melde- und Dokumentationspflichten bei Entsendungen innerhalb der EU wurde von der Anwaltskanzlei Baker McKenzie erstellt und ist abrufbar unter: https://www.bakermckenzie.com/-/media/files/insight/publications/2017/11/bk_austria_notificationdocumentationobligationseu _oct17_german.pdf?la=en (letzter Abruf: 4. September 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 26 5.2. Belgien Belgische Behörden verlangen neben der LIMOSA 1-Entsendemeldung, dass der entsandte Arbeitnehmer eine A1-Bescheinigung zum Nachweis darüber mitführt, dass im Herkunftsland eine Sozialversicherung besteht. Nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ist es in Belgien auch bei kurzen Geschäftsreisen erforderlich, eine A1-Bescheinigung mitzuführen, da es sozialversicherungsrechtlich keine Unterscheidung zwischen einer Entsendung und einer Dienstreise gibt.50 Im Gegensatz zum LIMOSA 1-Zertifikat gibt es für die Mitführung einer A1- Bescheinigung keine Ausnahmen. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Mitführung der A1-Bescheinigung stellt nach Informationen aus Belgien keine Ordnungswidrigkeit dar. Die Mitführungspflicht einer A1-Bescheinigung erfolgt im Rahmen der LIMOSA-Kontrollen. Liegt die A1-Bescheinigung nicht vor, sind nach der belgischen Rechtsprechung die Entsendevorschriften nicht anzuwenden 5.3. Frankreich In Frankreich ist eine A1-Bescheinigung ebenfalls verpflichtend mitzuführen. Das Fehlen der A1- Bescheinigung ist mit 3.260 Euro pro fehlender Bescheinigung bußgeldbewehrt.51 Die Verpflichtung , Sozialversicherungsunterlagen bereitzuhalten, trifft das ausländische entsendende Unternehmen . Ausreichend ist, wenn ein Dokument mitgeführt wird, das den Antrag auf Ausstellung einer A1-Bescheinigung bestätigt.52 5.4. Polen Für die Ausstellung einer A1-Bescheinigung für aus Polen entsandte Arbeitnehmer ist die polnische Sozialversicherungsanstalt ZUS zuständig. Wenn möglich, ist der Antrag vor der Entsendung zu stellen. Die A1-Bescheingung kann aber auch rückwirkend ausgestellt werden. 50 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: A1-Bescheinigungen bei Dienstreisen, 4. November 2019, abrufbar unter: https://home.kpmg/de/de/home/themen/2018/08/a1-bescheinigungen-bei-entsendungen-und-dienstreisen .html (letzter Abruf: 2. September 2020). 51 Kind/Schmid: Dienstreise ohne Entsendebescheinigung? Das kann teuer werden, 4. April 2019 in: Impulse - Netzwerk und Know-How für Unternehmer, abrufbar im Internetauftritt des Impulse-Netzwerks: https://www.impulse.de/recht-steuern/rechtsratgeber/a1-bescheinigung/7342879.html#:~:text=%C3%96sterreich %20verh%C3%A4ngt%20bei%20fehlenden%20A1,von%203269%20Euro%20vom%20Mitarbeiter (letzter Abruf: 2. September 2020). 52 Auf der Internetseite des Centre des Liaisons Européennes et Internationales de Securité Sociale (CLEISS) finden sich Informationen über sozialversicherungsrechtliche Aspekte für nach Frankreich entsandte Arbeitnehmer in deutscher Sprache: https://www.cleiss.fr/particuliers/venir/travailler/detachement/ue883_de.html (letzter Abruf: 2. September 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 27 Nach Polen entsandte Arbeitnehmer sollen eine vom Entsendestaat ausgestellte A1-Bescheinigung bei sich führen, um sie jederzeit vorweisen zu können, da dieses Zertifikat den Berechtigten von der Sozialversicherungspflicht in Polen befreit. Es gibt jedoch keine Mitführungspflicht. Auch Bußgelder können daher nicht verhängt werden. 5.5. Tschechische Republik In der Tschechischen Republik besteht dagegen wie in Belgien und Frankreich eine Verpflichtung , die A1-Bescheinigung mitzuführen. Bei Nichterfüllung droht ein Bußgeld von bis zu 500.000 CZK (derzeit ca. 1.135 EUR). Die Mitführungspflicht trifft aber nicht den Arbeitnehmer, sondern den Arbeitgeber. 5.6. A1-Bescheinigung bei Kurzzeitentsendungen Die Ausstellung einer A1-Bescheinigung ist auch bei kurzfristigen Entsendungen wie Dienstreisen erforderlich. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die Anzahl der A1-Bescheinigungsanträge nach Angaben des Haufe-Rechtsberatungsportals vervielfacht. Jedoch habe sich der elektronische Prozess erfolgreich etabliert (siehe oben unter 4.2, S. 24). Trotz der hohen Antragszahlen würden die A1-Bescheinigungen von den antragsannehmenden Stellen in der Regel zeitnah zurückgemeldet .53 Neben den internen Herausforderungen berichten Arbeitgeber von verstärkten Prüfungen im EU- Ausland. Dies gelte vor allem für Österreich und Frankreich. Wie in Frankreich wird nach Haufe auch in Österreich der Nachweis des Antrags als ausreichend akzeptiert. Zumindest in diesen beiden EU-Mitgliedstaaten dürfte die A1-Bescheinigung daher auch für kurzfristig anzutretende Dienstreisen in der Regel kein unüberwindliches Hindernis bedeuten.54 Mit dem 7. SGB IV-Änderungsgesetz55 soll ab 1. Januar 2021 unter anderem das A1-Verfahren weiterentwickelt werden. Dabei wird insbesondere die Pflicht zum Ausdruck der A1-Bescheinigung wegfallen. Wie in vielen anderen EU-Ländern bereits üblich, können auch deutsche Arbeitgeber künftig die elektronische A1-Bescheinigung dem Arbeitnehmer in elektronischer Form 53 O. Verf., A1-Verfahren für stundenweise und längerfristige Entsendung, 23. März 2020, abrufbar im Internetauftritt der Haufe-Lexware Services GmbH & Co. KG: https://www.haufe.de/personal/entgelt/a1-verfahren-daswichtigste -zum-melderecht/a1-verfahren-fuer-stundenweise-und-laengerfristige-entsendung_78_512044.html (letzterAbruf: 4. September 2020). Die Entgeltabrechnungsprogramme erstellen danach seit dem 1. Januar 2020 auf Grundlage der Quittierung des Kommunikationsservers über die technische Annahme des A1-Antrages eine elektronische Antragsbestätigung. Arbeitgeber erhalten so unmittelbar nach Antragstellung eine Bestätigung, was insbesondere bei kurzfristigen Dienstreisen hilfreich ist. 54 Wissenschaftliche Untersuchungen fehlen hierzu. 55 Siebtes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. Juni 2020, BGBl. 2020 I S. 1248. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 28 übermitteln. „Mit diesem letzten Schritt besteht ein vollständiges, medienbruchfreies elektronisches Verfahren.“56 6. Europäische Arbeitsbehörde Die Europäische Arbeitsbehörde (ELA) wurde mit der VO (EU) 2019/1149 zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde57 (nachfolgend: VO (EU) 2019/1149) gegründet. Diese Behörde soll nach Art. 2 VO (EU) 2019/1149 zu einer fairen unionsweiten Arbeitskräftemobilität beitragen und die Mitgliedstaaten und die Kommission bei der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit innerhalb der EU unterstützen. Nach derzeitiger Planung soll der Aufbau von ELA erst im Jahr 2024 abgeschlossen sein.58 In ihrem Art. 2 heißt es zu den Zielen dieser Behörde: „Zweck der Behörde ist es, zur Gewährleistung einer fairen unionsweiten Arbeitskräftemobilität beizutragen und die Mitgliedstaaten und die Kommission bei der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit innerhalb der Union zu unterstützen. Hierzu und im Rahmen des Anwendungsbereichs nach Artikel 1 unternimmt die Behörde Folgendes: a) Sie erleichtert den Zugang zu Informationen über Rechte und Pflichten in Verbindung mit der unionsweiten Arbeitskräftemobilität sowie zu einschlägigen Diensten; b) sie erleichtert und stärkt die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der unionsweiten Durchsetzung des einschlägigen Unionsrechts; dazu gehört auch die Erleichterung konzertierter und gemeinsamer Kontrollen; c) sie vermittelt bei länderübergreifenden Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und trägt zur Herbeiführung von Lösungen bei; und d) sie unterstützt die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit.“ Die Aufgabenstellung von ELA wird in den Erwägungsgründen 6 ff. der VO (EU) 2019/1149 näher umschrieben. Einleitend wird dazu im Erwägungsgrund 6 ausgeführt: „(6) Als Beitrag zur Stärkung der Fairness im und des Vertrauens in den Binnenmarkt sollte eine Europäische Arbeitsbehörde (im Folgenden „Behörde“) errichtet werden. Die Zielvorgaben der Behörde sollten klar festgelegt werden, wobei der Schwerpunkt auf nur einer begrenzten Zahl von Aufgaben liegen sollte, damit die zur Verfügung stehenden Mittel in den Bereichen, in denen die Behörde den größten Mehrwert hervorbringen kann, so 56 Vgl. Haufe (Fn. 53). 57 Verordnung (EU) 2019/1149 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004, (EU) Nr. 492/2011 und (EU) 2016/589 sowie zur Aufhebung des Beschlusses (EU) 2016/344, ABl. L 186, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1584006512727&uri=CELEX:32019R1149. 58 Wolfgarten, ZESAR 2019, S. 414 (419). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 29 effizient wie möglich wahrgenommen werden. Hierzu sollte die Behörde die Mitgliedstaaten und die Kommission bei der Verbesserung des Zugangs zu Informationen unterstützen , die Einhaltung von Vorschriften und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der kohärenten, wirksamen und effektiven Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts im Bereich der unionsweiten Arbeitskräftemobilität sowie die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Union fördern, bei Streitigkeiten vermitteln und zur Herbeiführung von Lösungen beitragen.“ Zu der VO (EU) 2019/1149 hat die Kommission ihre Folgenanalyse dieses Rechtsaktes und die damit verfolgten Ziele in einem Arbeitsdokument vom 13. März 2018 dargelegt.59 Analysen der von dieser Verordnung erwarteten Verbesserungen finden sich auch in der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 6. Dezember 201860 und in der Studie des Think Tanks des Europäischen Parlaments The European Labour Authority and Enhanced Enforcement vom 15. Mai 2018.61 Im Dezember 2019 hatte die ELA ihr Arbeitsprogramm 202062 veröffentlicht. Hierin werden als wesentliche Aufgaben von ELA benannt: Erleichterung des Zugangs zu Informationen und Koordinierung der EURES63 Erleichterung der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die konsequente, effiziente und wirksame Anwendung und Durchsetzung des einschlägigen Unionsrechts Koordinierung und Unterstützung konzertierter und gemeinsamer Inspektionen Analyse und Risikobewertung von Fragen der grenzüberschreitenden Arbeitskräftemobilität durchführen Unterstützung der Mitgliedstaatsstatistiken beim Kapazitätsaufbau in Bezug auf die wirksame Anwendung und Durchsetzung des einschlägigen Unionsrechts Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten bei der Anwendung von einschlägigem Unionsrecht. Eine Evaluierung der Leistung von ELA soll nach Art. 40 Abs. 1 VO (EU) 2019/1149 erstmals bis zum 1. August 2024 und danach alle fünf Jahre erfolgen. 59 Commission Staff Working Document Impact Assessment, SWD(2018) 68 final, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1521215103108&uri=SWD%3A2018%3A68%3AFIN. 60 ABl. C 440, 140, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DEU/TXT/PDF/?uri=celex:52018AE1490. 61 Abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/619003/I- POL_BRI(2018)619003_EN.pdf. 62 ELA, Decision No 6/2019of the Management Board on the work programme of the European Labour Authority for 2020 S. 4, abrufbar unter: https://ela.europa.eu/documents/ELA_Work_Programme_2020.pdf. 63 EURES ist ein Kooperationsnetzwerk, das die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in den 27 Ländern der EU sowie in der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, Island, Liechtenstein und Norwegen erleichtern soll, weitere Informationen stellt die Homepage von EURES bereit; https://ec.europa.eu/eures/public/de/homepage. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 30 „(1) Bis zum 1. August 2024 und danach alle fünf Jahre bewertet die Kommission die Leistung der Behörde im Verhältnis zu ihren Zielen, ihrem Auftrag und ihren Aufgaben. Die Bewertung befasst sich besonders mit den im Rahmen des Mediationsverfahrens gemäß Artikel 13 gewonnenen Erfahrungen. Außerdem befasst sich die Bewertung mit der etwaigen Notwendigkeit einer Änderung des Auftrags der Behörde und ihres Tätigkeitsbereichs, einschließlich der Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs auf bereichsspezifische Bedürfnisse , sowie den finanziellen Auswirkungen einer solchen Änderung auch unter Berücksichtigung der von Agenturen der Union in diesen Bereichen geleisteten Arbeit. Im Rahmen der Bewertung werden auch weitere Synergien und eine optimierte Koordinierung mit Agenturen , die im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik tätig sind, untersucht. Auf der Grundlage der Bewertung kann die Kommission bei Bedarf Gesetzgebungsvorschläge zur Änderung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung vorlegen.“ 7. Europäische Sozialversicherungsnummer Der Fachbereich ist um eine Einschätzung der Europäischen Sozialversicherungsnummer als Alternative zur A1-Bescheinigung gebeten worden. Da dieser hierzu über keine eigenen Erkenntnisse verfügt, muss auf verfügbare Quellen zurückgegriffen werden. Die Kommission spricht sich für eine einheitliche europäische Sozialversicherungsnummer (ESSN) aus. Diese könne die Mobilität von Arbeitnehmern innerhalb der EU erleichtern.64 Sie erwartet von ihrer Einführung eine beschleunigte Bearbeitung von grenzüberschreitenden Sozialversicherungsansprüchen sowie einen besseren Schutz vor Betrug. Dabei soll es sich um ein sicheres Datensystem mit einer Kombination aus zehn Buchstaben und Zahlen handeln. Die ESSN soll jedoch nicht die nationalen Versicherungsnummern ersetzen. Hierdurch kommt die Kommission einer Forderung der Sozialversicherungs- und Arbeitgeberverbände entgegen, die auf einem rein ergänzenden Charakter der ESSN bestehen. Die ESSN soll zudem das bestehende System der analogen Bescheinigungen durch ein digitales System ersetzen, als Identifizierungsinstrument für grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer dienen und den Aufbau eines elektronischen Austauschsystems zur Sozialen Sicherheit unterstützen. Die Arbeitnehmer sollen die Nummer bei der ersten Arbeitsaufnahme erhalten, die unbegrenzt gültig blieb. Sozialversicherungsverbände schlagen vor, die ESSN nicht nur an EU-Bürger sondern auch an Drittstaatsangehörige zu vergeben, sobald diese erstmals von einem Sozialversicherungssystem eines Mitgliedstaats erfasst würden.65 Derzeit ist - soweit ersichtlich - der Regelungsvorschlag noch nicht veröffentlicht . Die Kommission gelangte zu folgender Folgeneinschätzung66 dieses Vorhabens: 64 WzS 2018, S. 80 (81). 65 PE 4 Bericht aus Brüssel 3/2018 vom 19. Februar 2018: Geplantes Maßnahmenpaket der Kommission zur sozialen Gerechtigkeit. 66 Europäische Kommission, Inception impact assessment - Ares(2017)5862503, abrufbar unter: https://ec.europa .eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/1222-European-Social-Security-Number. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 31 „The Commission announced in its Work Programme 2018 (https://ec.europa.eu/info/sites /info/files/cwp_2018_en.pdf) to continue addressing labour mobility and social security coordination challenges by the creation of a multi-purpose European Social Security Number (ESSN) that will simplify and modernise citizen's interaction with administrations in a wide range of policy areas. This initiative is part of the EU's efforts to facilitate the free movement of workers and citizens and the traceability of their rights, while ensuring that national public authorities have all necessary tools to fight fraud or abuse. In that context ESSN should ensure efficient information exchange between institutions by optimising the use of digital tools and by facilitating administrative procedures for citizens . It would complement the ongoing revision of the social security coordination rules and the setting up of the Electronic Exchange of Social Security Information (EESSI). Problem the initiative aims to tackle The initiative aims to address two main challenges in the field of social security coordination : It is cumbersome for insured persons to prove and for social security institutions to determine the identity of the person for social security purposes across borders and throughout their career given the wide variety of national personal identification numbers. Within many Member States different social security numbers are issued for the same person by the different branches of social security (e.g. health insurance number, pension number, general social security numbers) which renders identification in another country for social security purposes even more complex. Personal data are often recorded differently by institutions of different countries. The extent of this challenge can be witnessed from the latest statistics regarding cross-border healthcare showing that in 2016 alone at least 1,5 million persons took advantage of healthcare services during their stay in another Member State. In 2015, 2,05 million postings of workers to another Member State took place1 . In all these cases their social security status needs to be determined by national social security institutions. The determination of the social security coverage of a person by social security institutions or care providers is often time consuming and complex . It relies on the use by citizens of paper forms (Portable Documents such as the A1, or the European Health Insurance Card (EHIC) which is a physical card without electronic features at this stage). In addition to the existence of these documents, supplementary exchanges between national authorities are also used in order to precisely determine the social security rights of persons.“ In einem Arbeitspapier vom 24. Oktober 201767 führte die Kommission zur ESSN aus: „European Social Security Number: In the context of social security coordination and related to a REFIT Platform opinion on the subject, the Commission is planning an initiative on introducing a European Social Security Number. This will aim at facilitating the identification of persons across borders, and the quick and accurate verification of their social security insurance coverage. Benefits will include simplifying the interactions with administrations and helping citizens to exercise their EU social security rights. It could lead to 67 Overview of the Union's Efforts to Simplify and to Reduce Regulatory Burdens, SWD(2017) 675 final, abrufbar unter: http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=173630 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 32 a reduction of administrative burden for national administrations and help in combating fraud and abuse.“ In seiner Entschließung vom 14. März 2018 zu dem Thema „Europäisches Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Jahreswachstumsbericht 2018“ (2017/2226(INI)) fordert das Europäische Parlament „die Kommission auf, eine europäische Sozialversicherungsnummer einzuführen , um den Informationsaustausch zu erleichtern, den Menschen einen Nachweis über ihre derzeitigen und früheren Ansprüche zu geben und Missbrauch zu verhindern;…“68 Nach Einschätzung der Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung wären mit der Einführung einer ESSN Vorteile verbunden, wenn diese zusätzlich zu den nationalen Versicherungsnummern bereitstünde. Die Digitalisierung der Verwaltungsabläufe und die Kommunikation ließen sich so erleichtern. In der Stellungnahme SK - 01/2018 wird hierzu folgendes ausgeführt. „Nach Auffassung der Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung könnte eine ESSN Vorteile mit sich bringen, wenn sie zusätzlich zu den nationalen Versicherungsnummern vergeben wird. Sie hätte das Potential, die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse oder die Kommunikation der beteiligten Behörden der Mitgliedstaaten zu vereinfachen und sicherer zu machen. Allerdings setzt die Einführung eines einheitlichen europäischen Ordnungsmerkmals, welches ergänzend zu den nationalen Versichertennummern implementiert werden könnte, voraus, dass ein Zugriff auf die hinterlegten Daten/Sozialdaten der verschiedenen Zweige der sozialen Sicherheit (in Deutschland Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung , Arbeitslosenverwaltung, Grundsicherungsämter) sowie ggf. Daten der Steuerverwaltung rechtlich möglich ist. Ein Zugriff auf gespeicherte Daten mehrerer bzw. aller deutschen Sozialleistungsträger über eine Versichertennummer ist mit der derzeit bestehenden Rechtslage nicht vereinbar. Hier müsste also zunächst eine Lösung geschaffen werden. Eine einheitliche europäische Sozialversicherungsnummer könnte außerdem Vorteile bei der Identifizierung und Registrierung von Personen haben. Unterschiedliche Namensschreibweisen und nicht aktuell erfasste Personalien erschweren es derzeit, Personen im Datenbestand der Verwaltungen auf nationaler und mitgliedstaatlicher Ebene zu identifizieren . So dokumentiert die Europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) schon heute bei der ausstellenden Behörde erfasste Personalien des Karteninhabers und kann so die Identifizierung für bestimmte Zweige der Sozialversicherung erleichtern. Die ESSN als einheitliches systemübergreifendes Ordnungsmerkmal in allen Mitgliedstaaten könnte Schwierigkeiten jedoch auf breiterer Ebene - bei entsprechender Ausgestaltung - reduzieren . Dies würde auch zu Vorteilen beim künftigen elektronischen Datenaustausch im Rahmen von EESSI führen. 68 Ziff. 16. der Entschließung, abrufbar unter: http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt ?id=185263. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000-026/20 PE 6 - 3000-20/20 Seite 33 Eine europäische Versicherungsnummer hätte zudem den Vorteil, dass eine einfachere Zuordnung von Versicherten bei der Ermittlung von Versicherungszeiten aus verschiedenen Mitgliedstaaten im Rahmen der Prüfung von Ansprüchen auf Sozialleistungen möglich wäre. Ferner würde sie den Leistungsmissbrauch beim Bezug von Sozialleistungen erschweren . Versicherungsträger könnten leichter feststellen, welchem Recht Beschäftigte aus anderen Mitgliedstaaten unterliegen. Der Erfolg der ESSN hängt nach Auffassung der deutschen Sozialversicherung jedoch von ihrer Ausgestaltung ab. Dabei kommt es insbesondere auf die Gewährleistung einer eindeutigen Identifikation der Person an. Die alleinige Vergabe und Vorlage einer europaweiten Sozialversicherungsnummer kann dies nicht leisten.“ ***