© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 024/20 Tarifvertragliche Regelungen über die Rückzahlung betrieblicher Fortbildungskosten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 2 Tarifvertragliche Regelungen über die Rückzahlung betrieblicher Fortbildungskosten Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 024/20 Abschluss der Arbeit: 21. April 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Tarifvertragliche Rückzahlungsklauseln 4 3. Geltung von Tarifverträgen 5 3.1. Tarifgebundenheit 5 3.2. Allgemeinverbindlicherklärung 5 3.3. Vertragliche Bezugnahme 6 4. Hinweispflichten 6 4.1. Bekanntgabe des Tarifvertrages 6 4.2. Hinweispflicht gemäß Nachweisgesetz 6 4.3. Hinweispflicht als arbeitsvertragliche Nebenpflicht 7 5. Gerichtliche Kontrolle 7 5.1. Vertrags- und Berufsfreiheit 7 5.2. Angemessenheitskontrolle 8 5.3. Tarifautonomie 9 6. Erstattungsfähige Kosten 10 6.1. Kosten des Arbeitgebers 10 6.2. Gesetzlich ausgeschlossene Kosten 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 4 1. Einleitung Die berufliche Fortbildung der Arbeitnehmer gewinnt angesichts fortschreitender Anforderungen in der Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung. Die Arbeitgeber übernehmen die Fortbildungskosten in der Erwartung, die gestiegene fachliche Kompetenz der Beschäftigten möglichst langfristig gewinnbringend nutzen zu können. Die Bildungsinvestitionen sollen sich amortisieren. Demgegenüber erhöhen die mit der Fortbildung gestiegenen Arbeitsmarktchancen die Abwanderungsgefahr der qualifizierten Arbeitnehmer, die ihrerseits ein Interesse an ihrer beruflichen Karriere haben . Zur Absicherung der unternehmerischen Bildungsinvestitionen werden Rückzahlungsvereinbarungen abgeschlossen, in denen die Arbeitnehmer nach Abschluss der Fortbildung für eine bestimmte Dauer an das Unternehmen gebunden und im Falle des vorzeitigen Ausscheidens zur Rückzahlung der Fortbildungskosten verpflichtet werden. Im Arbeitsrecht fehlen besondere Regeln über eine solche Rückzahlungspflicht der Arbeitnehmer . Sie kann daher entweder individuell in einem Arbeitsvertrag oder kollektivrechtlich in einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag begründet werden.1 Im Folgenden sollen die Rahmenbedingungen tarifvertraglicher Rückzahlungsklauseln näher beleuchtet werden. 2. Tarifvertragliche Rückzahlungsklauseln Die Tarifvertragsparteien sind frei in ihrer Entscheidung, Rückzahlungsklauseln in Tarifverträgen zu vereinbaren. Die durch Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützte Tarifautonomie dient dem Zweck, den von der staatlichen Rechtssetzung ausgesparten Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge autonom zu regeln. Mit dem Tarifvertragsgesetz (TVG) hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für ein gesetzlich gesichertes tarifvertragliches Regelungsverfahren geschaffen. Die Tarifvertragsparteien regeln auf dessen Grundlage autonom, welche tarifvertraglichen Regelungen sie für ihre Mitglieder mit welchem Tarifvertragspartner aushandeln.2 In tarifvertraglichen Rückzahlungsklauseln können insbesondere die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Rückzahlungspflicht (Bindungsdauer und Umstände des Ausscheidens), die Berechnungsgrundlagen der zu erstattenden Kosten sowie eine gestaffelte Kürzung der Rückforde- 1 Dorth: Gestaltungsgrenzen bei Aus- und Fortbildungskosten betreffenden Rückzahlungsklauseln, RdA 2013, S. 287, 288. 2 BAG vom 15. April 2015 – 4 AZR 796/13 – juris Rn. 51. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 5 rung je nach Verbleib im Arbeitsverhältnis geregelt sein. Daneben können sie sogenannte Härtefallklauseln enthalten, wonach im Falle unbilliger Härte von einer Rückforderung abgesehen werden kann.3 3. Geltung von Tarifverträgen Die Rückzahlungsklauseln in Tarifverträgen können ihre Wirkung auf das konkrete Arbeitsverhältnis entweder normativ durch die Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien beziehungsweise durch die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages oder einzelvertraglich durch die Bezugnahme in einem Arbeitsvertrag entfalten. 3.1. Tarifgebundenheit Gemäß § 4 Abs. 1 TVG gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrages unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen . Die wichtigste Form der Tarifbindung ist nach § 3 Abs. 1 TVG die beiderseitige Verbandsmitgliedschaft . In diesem Fall ist der Tarifvertrag anwendbar, wenn der Arbeitgeber Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes und der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist. Bei einem Haus- oder Firmentarifvertrag ist der Arbeitgeber selbst Tarifvertragspartei . Für die Geltung des Tarifvertrages reicht dann nur die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitnehmers aus.4 3.2. Allgemeinverbindlicherklärung Die Tarifbindung kann auch dadurch hergestellt werden, dass der Tarifvertrag durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beziehungsweise die entsprechenden obersten Landesbehörden für allgemeinverbindlich erklärt wird (§ 5 Abs. 1 TVG). Die Allgemeinverbindlicherklärung bewirkt, dass der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich auch für bisher nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend gilt (§ 5 Abs. 4 TVG).5 3 vgl. § 6 Bezirkstarifvertrag der Mitglieder des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Rheinland-Pfalz über die Ausbildungs- und Prüfungspflicht der Beschäftigten nach § 38 Abs. 5 Satz 1 TVöD vom 10. November 2008 i.d.F. des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 29. September 2017, abrufbar im Internet unter: http://ksimainz .de/fileadmin/pdf/Bezirkstarifvertrag_2017.pdf, zuletzt abgerufen am 21. April 2020; Nr. 14 der Studienbedingungen auf der Grundlage des Anwendungstarifvertrages für Studierende bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (AnwendungsTV Stud DRV-Bund), abrufbar im Internet unter:https://www.deutsche-rentenversicherung .de/SharedDocs/Downloads/DE/Traeger/Bund/Wir_ueber_uns_und_Presse/Tarifvertraege/studienbedingungen .pdf, zuletzt abgerufen am 21. April 2020; § 30 Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Nachwuchskräfte der Bundesagentur für Arbeit (TVN-BA), abrufbar im Internet unter: http://www.verdi-hprwir -in-der-ba.de/TV_geeint/TV_BA_10_TVN_BA.pdf, zuletzt abgerufen am 21. April 2020. 4 Griese in: Küttner Personalbuch, 27. Auflage 2020, Tarifvertrag Rn. 5. 5 Griese in: Küttner Personalbuch, 27. Auflage 2020, Tarifvertrag Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 6 3.3. Vertragliche Bezugnahme Auch ohne Tarifbindung können Tarifnormen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sein, wenn sie wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogen worden sind. Die am häufigsten auftretende Einbeziehungsform ist die Aufnahme der tariflichen Bezugnahme in den Einzelarbeitsvertrag. Durch sie wird der Tarifvertrag, auf den Bezug genommen wird, zum Inhalt des Arbeitsvertrages. Die Zulässigkeit der einzelvertraglichen Bezugnahme auf den Inhalt von Tarifverträgen ergibt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit.6 Bezugnahmeklauseln können einen gesamten Tarifvertrag (Global-/Gesamtverweisung), bestimmte abgeschlossene Regelungskomplexe (Teilverweisung ) oder nur einzelne Bestimmungen eines Tarifvertrags (Einzelverweisung) für anwendbar erklären .7 Tarifvertragliche Regelungen können auch aufgrund stillschweigender Bezugnahme, zum Beispiel durch betriebliche Übung, auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sein.8 4. Hinweispflichten Mit der Anwendung tarifvertraglicher Normen gehen für den Arbeitgeber folgende Hinweispflichten einher: 4.1. Bekanntgabe des Tarifvertrages Der Arbeitgeber ist im Falle normativer Geltung der Tarifverträge gemäß § 8 TVG verpflichtet, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge bekanntzumachen. Dies kann beispielsweise durch Aushang oder Bekanntgabe im Intranet erfolgen. Arbeitgeber, die einen Tarifvertrag lediglich aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln anwenden, unterliegen nicht dieser Bekanntmachungspflicht .9 4.2. Hinweispflicht gemäß Nachweisgesetz Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 Nachweisgesetz (NachwG) spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen aushändigen. Diese muss auch einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifverträge enthalten. Es genügt, wenn ein solcher allgemeiner Hinweis bereits in dem Arbeitsvertrag 6 Panzer-Heemeier in: Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Bezugnahmeklausel Rn. 14 f. 7 Jacobs in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck Onlinekommentar Arbeitsrecht, 55. Ed. 1.3.2020, § 307 BGB Rn. 20 ff. 8 BAG vom 19. Januar 1999 – 1 AZR 606/98 – juris Rn. 50; BAG vom 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – juris Rn. 15. 9 Giesen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck Onlinekommentar Arbeitsrecht, 55. Ed. 1.3.2020, TVG § 8 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 7 enthalten ist (§ 2 Abs. 4 NachwG). Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die tariflichen Bestimmungen dem Arbeitnehmer „quasi wiederholend“ mitzuteilen.10 Eine Aushändigung des Tarifvertrages ist mithin nicht erforderlich.11 4.3. Hinweispflicht als arbeitsvertragliche Nebenpflicht Dem Arbeitgeber können im Einzelfall besondere Hinweis- und Auskunftspflichten als arbeitsvertragliche Nebenpflichten obliegen. Gemäß dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jeder Vertragspartner für die Wahrnehmung seiner Vermögensinteressen grundsätzlich selbst zu sorgen. Eine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer bei einer von ihm selbst gewünschten Änderung des Arbeitsvertrages über alle möglichen nachteiligen Folgen aufzuklären, besteht nicht. Eine Hinweispflicht könnte vorliegen, wenn der Arbeitgeber erkennen muss, dass der Arbeitnehmer weiterer Informationen bedarf und er selbst die Auskünfte unschwer erteilen oder beschaffen kann. Dies ist nicht anzunehmen, wenn es sich um eine vorhersehbare Folge der Änderung des Arbeitsverhältnisses handelt, die für den Arbeitnehmer aus dem Tarifvertrag ersichtlich ist.12 Nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm besteht keine Pflicht des Arbeitgebers , auf eine tarifvertragliche Rückzahlungsklausel ausdrücklich hinzuweisen. Der Arbeitnehmer muss sich die zur Wahrung seiner Belange erforderlichen Rechtskenntnisse entweder selbst erwerben oder die Beratung durch Dritte in Anspruch nehmen. Gegen eine besondere Hinweispflicht spricht auch die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG, die nur einen allgemeinen Hinweis auf einschlägige Tarifverträge fordert.13 5. Gerichtliche Kontrolle 5.1. Vertrags- und Berufsfreiheit Die Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln beruht auf der grundrechtlich geschützten Vertragsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die allgemeine Vertragsfreiheit ist Teil der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit. Die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zum Abschluss arbeitsvertraglicher Vereinbarungen ist vorrangig durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Teilweise wird hinsichtlich der Arbeitsvertragsfreiheit des Arbeitgebers auch Art. 14 GG herangezogen.14 10 BAG vom 23. Januar 2002 – 4 AZR 56/01 – juris Rn. 41. 11 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage, TVG § 8 Rn. 2. 12 BAG vom 18. August 1999 – 10 AZR 424/98 – juris Rn. 53; BAG vom 13. Juni 1991 – 8 AZR 330/90 – juris Rn. 23. 13 LAG Hamm vom 2. Juni 2003 – 17 Sa 40/03 – juris Rn. 244 ff. zu der Rückzahlungsklausel in § 44 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT). 14 BAG vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – juris Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 8 Rückzahlungsklauseln greifen zugleich in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) des Arbeitnehmers ein. Die Freiheit der Arbeitsplatzwahl schützt den Entschluss des einzelnen Arbeitnehmers, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte. Dies umfasst seine Entscheidung, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf beizubehalten oder aufzugeben. Diese Freiheit wird durch eine Rückzahlungsklausel beeinträchtigt, weil mit einer solchen Regelung die selbstbestimmte Arbeitsplatzaufgabe des Arbeitnehmers verzögert oder verhindert werden soll.15 5.2. Angemessenheitskontrolle Da beide Seiten grundrechtlichen Schutz genießen, haben die Arbeitsgerichte bei der Prüfung der Wirksamkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln den konkurrierenden Grundrechtspositionen des Arbeitnehmers und Arbeitgebers ausgewogen Rechnung zu tragen. Im Rahmen einer umfassenden Angemessenheitskontrolle wird geprüft, ob die Rückzahlungspflicht einerseits einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entspricht und andererseits der Arbeitnehmer mit der Fortbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung erhalten hat. Die Erstattungspflicht muss dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein.16 Die Rechtsprechung hat eine Vielzahl von Kriterien für die Angemessenheit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln entwickelt.17 Der Arbeitnehmer muss insbesondere einen beruflichen, geldwerten Vorteil durch die Aus- oder Fortbildung erlangt haben (zum Beispiel bessere Arbeitsmarktchancen, die Erfüllung der Voraussetzungen für eine höhere Vergütung oder anderweitige Vorteile). Eine Kostenbeteiligung ist umso eher zuzumuten, je größer der mit der Fortbildung verbundene berufliche Vorteil ist.18 Die Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel richtet sich nach den Umständen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses . Es genügt, wenn der Arbeitgeber darlegt, dass im Zeitpunkt der Vereinbarung der Rückzahlungsklausel ein entsprechender beruflicher Vorteil für den Arbeitnehmer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.19 Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer nach Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme die gesteigerten Berufs- oder Verdienstchancen tatsächlich realisiert.20 Das Ausbleiben eines wirtschaftlichen Vorteils, zum Beispiel in Folge 15 BAG vom 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – juris Rn. 44. 16 BAG vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – juris Rn. 46, 61. 17 Geldwerter, beruflicher Vorteil: BAG vom 21. Juli 2005 – 6 AZR 452/04 – juris Rn. 16; Richtwerte für die zulässige Bindungsdauer: BAG vom 14. Januar 2009 – 3 AZR 900/07 – juris Rn. 18; gestaffelte Kürzung der Rückforderung je nach Dauer des Verbleibs im Arbeitsverhältnis: LAG Hamm vom 9. März 2012 – 7 Sa 1500/11 – juris Rn. 43 ff.; Differenzierung nach Grund des Ausscheidens: BAG vom 11. April 2006 – 9 AZR 610/05 – juris Rn. 27; Transparenzgebot: BAG vom 6. August 2013 – 9 AZR 442/12 – juris Rn. 13. 18 BAG vom 21. Juli 2005 – 6 AZR 452/04 – juris Rn. 16. 19 BAG vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – juris Rn. 78 f.; BAG vom 5. Dezember 2002 – 6 AZR 216/01, juris Rn. 40. 20 BAG vom 30. November 1994 – 5 AZR 715/93 – juris Rn. 35 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 9 einer späteren Kündigung durch den Arbeitnehmer zur Aufnahme eines Studiums, hindert nicht den Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung der Fortbildungskosten. 5.3. Tarifautonomie Die vorgenannten Kriterien der Rechtsprechung zur Wirksamkeit einzelvertraglich vereinbarter Rückzahlungsklauseln binden nicht die Tarifvertragsparteien. Ihnen ist durch die grundrechtlich geschützte Tarifautonomie ein weitergehender Gestaltungsspielraum bei ihrer Normsetzung eröffnet . Tarifverträge unterliegen nur in begrenztem Umfang einer gerichtlichen Inhaltskontrolle, denn sie werden von gleichberechtigten Partnern des Arbeitslebens ausgehandelt und genießen eine Institutsgarantie nach Art. 9 Abs. 3 GG. Hierbei wird davon ausgegangen, dass bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt werden. Es besteht insoweit eine materielle Richtigkeitsgewähr für die Tarifnorm. Die Arbeitsgerichte prüfen nicht, ob dabei jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung gefunden wurde, sondern nur ob sie gegen die Verfassung, anderes höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstößt.21 Tarifverträge sind gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) von der Angemessenheitskontrolle durch die Arbeitsgerichte ausgenommen.22 Bei einer nur punktuellen arbeitsvertraglichen Bezugnahme (Einzelverweisung) auf eine tarifliche Rückzahlungsklausel gilt diese Privilegierung nicht und es findet eine umfassende Inhaltskontrolle statt. Denn erst die Gesamtheit der Regelungen eines Tarifvertrages begründet die Vermutung, die divergierenden Interessen seien angemessen berücksichtigt.23 Die Tarifnormen sind in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen abschließend. Wenn die Voraussetzungen der tariflichen Rückzahlungsklausel vorliegen, ist daher nicht mehr zusätzlich zu prüfen, inwieweit dem Arbeitnehmer durch die erfolgreiche Bildungsmaßnahme im Einzelfall ein beruflicher, geldwerter Vorteil entstanden ist. Eine Rückzahlungspflicht besteht bereits dann, wenn die tarifvertragliche Bestimmung rechtmäßig ist und ihre Voraussetzungen vorliegen.24 Tarifvertragliche Rückzahlungsklauseln werden von der Rechtsprechung – auch wenn sie erheblich von den Maßstäben einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln abweichen – grundsätzlich großzügig anerkannt.25 Eine solche Klausel verstößt erst dann gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, 21 BAG vom 6. September 1995 – 5 AZR 174/94 – juris Rn. 38. 22 BAG vom 28. Juni 2007 – 6 AZR 750/06 – juris Rn. 22. 23 BAG vom 6. Mai 2009 – 10 AZR 390/08 – juris Rn. 29; BAG vom 15. Juli 2009 – 5 AZR 867/08 – juris Rn. 19 setzt für eine solche Privilegierung zumindest die Bezugnahme auf vollständig abgrenzbare Sachbereiche des Tarifvertrages voraus; Schönhöft in: Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Rückzahlungsklausel Rn. 45. 24 BAG vom 6. November 1996 – 5 AZR 498/95 – juris Rn. 20. 25 BAG vom 6. September 1995 – 5 AZR 174/94, juris Rn. 40 und 46, wonach die betreffende Rückzahlungsklausel zwar erheblich von der Rechtsprechung zur Zulässigkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln abweiche, aber die Tarifparteien die Grenzen ihrer Gestaltungsfreiheit nicht überschritten hätten. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 10 wenn sie auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich gewährleisteten Tarifautonomie und der daraus resultierenden Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien die berufliche Freiheit der Arbeitnehmer unverhältnismäßig einschränkt.26 Das Bundesarbeitsgericht betont, dass es ein legitimes Ziel des Arbeitgebers sei, den Arbeitnehmer zur Betriebstreue anzuhalten. Eine Rückzahlungsklausel sei auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Es sei auch kein anderes, gleich wirksames Mittel ersichtlich. Den Tarifvertragsparteien müsse es überlassen bleiben, in eigener Verantwortung Vorteile in einer Hinsicht mit Zugeständnissen in anderer Hinsicht auszugleichen .27 6. Erstattungsfähige Kosten 6.1. Kosten des Arbeitgebers Der Arbeitgeber kann nur den Betrag zurückverlangen, den er tatsächlich aufgewendet hat, höchstens jedoch den vereinbarten Betrag.28 Zu den erstattungsfähigen Kosten zählen insbesondere die Lehrgangs- oder Ausbildungsgebühren, die fortgezahlte Vergütung während der Freistellung sowie Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten. Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, die Vergütung des Arbeitnehmers für während einer Fortbildung tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung zurückzufordern.29 Der Arbeitgeber darf durch die Rückzahlungen des Arbeitnehmers keinen finanziellen Vorteil erlangen .30 Vor diesem Hintergrund darf sich in den Fällen, in denen eine Fortbildung öffentlich gefördert wird und Teile der Kosten dem Arbeitgeber erstattet werden, die Rückzahlungsverpflichtung nur auf die tatsächlich dem Arbeitgeber entstandenen Kosten beziehen.31 Der Arbeitgeber hat im Streitfall substantiiert vorzutragen, wie sich die Rückforderungssumme im Detail zusammensetzt.32 6.2. Gesetzlich ausgeschlossene Kosten Eine Vereinbarung, nach der ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auch die anteiligen Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zu erstatten hat, ist gemäß § 32 Erstes Buch Sozialgesetzbuch 26 BAG vom 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – juris Rn. 36, 38. 27 BAG vom 27. Juni 2018 – 10 AZR 290/17 – juris Rn. 46 ff. 28 BAG vom 21. Juli 2005 – Az. 6 AZR 452/04 – juris Rn. 23. 29 Dorth: Gestaltungsgrenzen bei Aus- und Fortbildungskosten betreffenden Rückzahlungsklauseln, RdA 2013, S. 287, 296; zur Rückforderung von Bezügen der Anwärter für den gehobenen Verwaltungsdienst: BAG vom 5. Juli 2000 – 5 AZR 883/98 – juris Rn. 27. 30 Schönhöft in: Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Rückzahlungsklausel Rn. 37. 31 Schönhöft in: Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Rückzahlungsklausel Rn. 6. 32 BAG vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – juris Rn. 101. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 024/20 Seite 11 (SGB I) wegen Verstoßes gegen die zwingenden Bestimmungen der §§ 20, 22 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nichtig.33 Die Rückforderung von Kosten für die nach § 81 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geschuldete Einarbeitung eines Mitarbeiters ist ebenso unzulässig . Als weitere gesetzliche Grenze kommt § 1 Abs. 2 Satz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) für Kosten von Umschulungsmaßnahmen zur Vermeidung einer Kündigung in Betracht.34 Eine Rückzahlungsklausel betreffend die Kosten des Arbeitgebers bei betrieblicher Berufsausbildung ist gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) nichtig. Weitere gesetzliche Verbote betreffen die zwingend vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten bei der Schulung und dem Bildungsurlaub von Betriebsräten (§ 37 Abs. 6 und 7 BetrVG in Verbindung mit § 40 Abs. 1 BetrVG).35 *** 33 BAG vom 17. November 2005 – 6 AZR 160/05 – juris Rn. 35. 34 BAG vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – juris Rn. 59. 35 Schönhöft in: Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Rückzahlungsklausel Rn. 7.