© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 024/16 Existenzsichernde Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 2 Existenzsichernde Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 024/16 Abschluss der Arbeit: 8. April 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 3 Abstract Das Bundesverfassungsgericht hat zur Bemessung existenzsichernder Leistungen in zwei Entscheidungen konkrete Anforderungen an den Gesetzgeber hinsichtlich der Ermittlungsmethode gestellt. Die Berechnung der Höhe existenzsichernder Leistungen muss folglich transparent, sachund realitätsgerecht an den aktuell konkreten Bedarfen orientiert erfolgen. Dem Gesetzgeber obliegt es, die eingesetzten Methoden und Berechnungen nachvollziehbar offenzulegen. Der Gesetzgeber darf bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen, wenn der Bedarf dieser Gruppe von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig und transparent anhand des tatsächlichen Bedarfs belegt werden kann. Erläutert werden Gesetzentwürfe zur Neubemessung existenzsichernder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu genügen scheinen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 4 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Das Asylbewerberleistungsgesetz 6 2.1. Entstehung und Begründung im Gesetzentwurf 6 2.2. Leistungsberechtigte und Leistungen heute 7 3. Menschenwürdiges Existenzminimum - Urteile des Bundesverfassungsgerichts 8 3.1. SGB II-Regelsatz-Urteil 8 3.2. Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz 10 3.3. Deutung der Urteile 12 3.4. Überlegungen zum SGB II-Regelsatz-Urteil 12 3.5. Überlegungen zum Asylbewerberleistungsgesetz-Urteil 14 4. Bemessung existenzsichernder Leistungen - Begründungen des Gesetzgebers 15 4.1. Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 16 4.2. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes 17 4.3. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren 19 5. Fazit 22 6. Literaturverzeichnis 25 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 5 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Frage, wie die Höhe der Geldleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 8 und § 3 Abs. 2 Satz 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)1 nach der jüngsten Gesetzesänderung2 aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten ist. Aufgrund der Komplexität der Thematik wird ein Überblick über die Rechtsprechung und die in der wissenschaftlichen Literatur vertretenen Auffassungen wiedergegeben, um die wesentlichen zu beachtenden Aspekte der Fragestellung darzustellen. Zudem werden Parlamentsmaterialien erläutert. Zum einen werden die Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)3 und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz4 herangezogen. Diese beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stellen konkrete Anforderungen an das Verfahren zur Bemessung des Existenzminimums: Es müsse transparent, sach- und realitätsgerecht sein. Für den Gesetzgeber bestehe die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen.5 Zum andern werden auch parlamentarische Materialien dargestellt, insbesondere die Begründungen von Gesetzentwürfen6, in denen auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen und Berechnungsverfahren zur Bemessung existenzsichernder Leistungen dargelegt und dokumentiert werden. Begründungen in Gesetzentwürfen sind an die anderen Beteiligten im Gesetzgebungsprozess adressiert und können als Anhaltspunkte des gesetzgeberischen Willens zur Auslegung einer Norm herangezogen werden.7 1 Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBL. I S. 2022), das durch Artikel 3 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) geändert worden ist. 2 Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016, BGBl. I S. 390. 3 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 -, BVerfGE 125, 175-260. Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850, 2094), das durch Artikel 5 des Gesetzes vom 24. Juni 2015 (BGBl. I S. 974) geändert worden ist. 4 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -, BVerfGE 132, 134-179. 5 BVerfGE 125, 135-179, juris Rnn 139, 144. 6 Gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung Bundestag (GOBT) müssen Gesetzentwürfe mit einer kurzen Begründung versehen werden. Auch § 43 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) sieht eine Begründung vor. 7 Waldhoff, Christian, „Der Gesetzgeber schuldet nichts als das Gesetz“, S. 329 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 6 Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich in seiner Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz unter anderem auf die Begründung des Gesetzentwurfes aus dem Jahr 19938, um das Fehlen eines transparenten und nachvollziehbaren Bemessungsverfahrens für die Höhe der Geldleistungen für Asylbewerber nach § 3 AsylbLG alte Fassung (a.F.) zu belegen.9 Herangezogen werden zur Prüfung der aktuellen Höhe der Geldleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz der Entwurf zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch10 sowie die Entwürfe zum Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes11 und zum Gesetz zur Beschleunigung von Asylverfahren.12 2. Das Asylbewerberleistungsgesetz 2.1. Entstehung und Begründung im Gesetzentwurf Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz, das am 1. November 1993 in Kraft getreten ist, wurde erstmals für Asylbewerber und andere vergleichbare ausländische Staatsangehörige ohne verfestigtes Bleiberecht eine eigenständige einfachgesetzliche Grundlage zur Sicherung des Mindestunterhalts geschaffen. Das Niveau lag deutlich unter den Sozialhilfeleistungen für Ausländer nach dem damaligen Bundessozialhilfegesetz (§ 120 BSHG), das bis zur Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes auch die Sozialhilfe für Asylbewerber regelte. Der parlamentarische Gesetzgeber beabsichtigte mit der Einführung eines eigenständigen Asylbewerberleistungsgesetzes eine deutliche Absenkung der Leistungen für Asylbewerber und vergleichbare Personengruppen; die grundsätzliche Gewährung von Sachleistungen in zentralen „Anlaufstellen oder Gemeinschaftsunterkünften“ und einen Vorrang für Sachleistung bei Unterbringung außerhalb von solchen Unterkünften. Da § 120 BSHG in seinen Grundzügen seit 1982 nahezu unverändert geblieben sei, aber die Zahlen insbesondere von Asylbewerbern und Flüchtlingen erheblich gestiegen seien, sei auch eine Änderung der Regelung zur Sozialhilfe für Asylbewerber und andere ihnen gleichgestellte Ausländer geboten.13 8 BT-Drs. 12/4451 vom 2. März 1993, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber, S. 5ff. 9 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 91. 10 BT-Drs. 17/3404 vom 26. Oktober 2010, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. 11 BT-Drs. 18/2592 vom 22. September 2014, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes. 12 BT-Drs. 18/7538 vom 16. Februar 2016, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren. 13 BT-Drs. 12/4451 vom 2. März 1993, S. 5; vgl. Fn 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 7 Die damals noch in § 2 AsylbLG a.F. geregelten Grundleistungen sollten den Lebensunterhalt der Asylbewerber in notwendigem Umfang sowohl durch Sach- als auch durch Geldleistungen decken . Der „notwendige Bedarf“ umfasste Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits - und Körperpflege sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts (Sachleistungen). In der Begründung des Gesetzentwurfes wird erläutert, dass dieser Bedarf dem Grunde nach unterstellt werde, er könne aber, insbesondere bei Sachleistungen oder aufgrund von Einkommen des Berechtigten, im Einzelfall unterschiedlich hoch sein. Der Umfang der Sachleistungen werde nicht im Einzelnen festgeschrieben, sondern durch den Begriff des „notwendigen Bedarfs“ abstrakt bestimmt. Er sei durch die zuständige Behörde aufgrund der persönlichen Situation, der Art der Unterbringung und der örtlichen Gegebenheiten näher auszufüllen. Mit dem monatlichen Geldbetrag zur Deckung „persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens“ seien die notwendigen Ausgaben wie zum Beispiel für Verkehrsmittel, Telefon, Porto, Schreibmittel , Lesestoff, Werkmaterial oder kleine Mengen von Genussmitteln zu bestreiten. Den Leistungsberechtigten werde damit eine gewisse Dispositionsfreiheit eingeräumt, ohne dass aber die Höhe der Bargeldbeträge einen ernsthaften Spielraum für zweckfremde Ausgaben wie zum Beispiel „Zahlungen an Schlepperorganisationen“ zulasse.14 2.2. Leistungsberechtigte und Leistungen heute Das Asylbewerberleistungsgesetz gewährt Leistungen an Ausländer, denen grundsätzlich nur ein vorübergehender Aufenthalt zur Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland erlaubt ist oder die grundsätzlich über keinen regulären Aufenthaltstitel verfügen, deren Aufenthalt aber aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht beendet werden kann.15 Der Kreis der Leistungsberechtigten wurde in den vergangenen Jahren mehrmals verändert und erweitert.16 Mit Wirkung vom 1. März 2015 erhalten Leistungsberechtigte gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG neue Fassung (n.F.) nach 15 Monaten tatsächlicher Aufenthaltsdauer in Deutschland sogenannte „Analogleistungen “ entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, die höher und umfangreicher sind als Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zuvor galt eine sogenannte Vorbezugszeit von 48 Monaten. Die Verkürzung der „Wartefrist“ wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes eingeführt.17 Leistungsberechtigte Personen erhalten eigenständige Leistungen, die im Asylbewerberleistungsgesetz näher beschrieben werden. Dazu gehören unter anderem die Grundleistungen gemäß § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG n.F. zur Deckung des notwendigen Bedarfs für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie an Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts und Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse. 14 BT-Drs. 12/4451 vom 2. März 1993, S. 8; vgl. Fn 8. 15 Hailbronner Kay (2014), Asyl- und Ausländerrecht, Rn 971. 16 Vgl. hierzu ausführlich z.B. Frerichs § 1 AsylbLG. 17 Gesetz vom 10. Dezember 2014, BGBl. I S. 2187. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 8 Werden alle notwendigen persönlichen Bedürfnisse durch Geldleistungen gedeckt, beträgt der Geldbetrag derzeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG n.F. zwischen 79 Euro und 135 Euro monatlich , je nach Alter und Haushaltskonstellation und bei Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG).18 Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Abs. 1 AsylG sind vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs zu gewähren. Der notwendige Bedarf beträgt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG n.F. zwischen 133 und 216 Euro monatlich, abhängig von Alter und Haushaltskonstellation.19 Leistungen im Falle von Krankheit, Schwangerschaft und Geburt werden gemäß § 4 AsylbLG n.F. gewährt; sonstige Leistungen nach § 6 AsylbLG n.F. 3. Menschenwürdiges Existenzminimum - Urteile des Bundesverfassungsgerichts 3.1. SGB II-Regelsatz-Urteil Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 9. Februar 201020 die Höhe der Regelleistungen sowohl des Arbeitslosengeldes II für Erwachsene als auch des Sozialgeldes für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, da die Festlegung der Regelsätze verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sei.21 Aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ergebe sich das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Art. 1 Abs. 1 GG begründe diesen Anspruch. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteile dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Der Gesetzgeber habe aber einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der „unausweichlichen Wertungen“, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden seien.22 Dabei umfasse das menschenwürdige Existenzminimum zwei Dimensionen: Zum einen die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, zum anderen die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher 18 Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394) geändert worden ist. 19 Mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Asylverfahren wurden die Geldbeträge nach § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG abgesenkt. Die Bekanntmachung vom 26. Oktober 2015 über die Höhe der Leistungssätze nach § 3 Abs. 4 AsylbLG sah für die Zeit ab 1. Januar 2016 noch höhere Beträge vor. 20 BVerfGE 125, 175-260. 21 Meßling, Miriam (2011), Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren, S. 787 mit weiteren Verweisen. 22 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 133. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 9 Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.23 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums müsse, so die Verfassungsrichter, durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte.24 Allerdings leite sich der Umfang des Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung ab, sondern hänge von der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Der Gesetzgeber müsse die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht erfassen. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Dem Gesetzgeber komme aber bei der Bestimmung des Leistungsumfangs zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zu. Dieser Gestaltungsspielraum umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs . Der Spielraum sei enger im Hinblick auf die Sicherung der physischen Existenz und weiter im Hinblick auf Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.25 Der Gesetzgeber habe alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf zu bemessen. Hierfür habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe dafür keine bestimmte Methode vor und der Gesetzgeber dürfe sie im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auswählen. Abweichungen von der gewählten Methode bedürften aber der sachlichen Rechtfertigung.26 Diesem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspreche eine zurückhaltende Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelung durch das Bundesverfassungsgericht .27 Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums liefere zwar keine quantifizierbaren Vorgaben, erfordere aber eine Kontrolle der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung daraufhin, ob sie dem Ziel des Grundrechts gerecht würden. Da eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich 23 BVerfGE, 125, 175-260, juris Rn 135. 24 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 136. 25 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 138. 26 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 139. 27 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 141. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 10 sei, erstrecke sich der Grundrechtsschutz auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums . Daher müssten die Festsetzungen der Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sein.28 Das Bundesverfassungsgericht prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und schließlich, ob er sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe.29 Um eine solche verfassungsgerichtliche Kontrolle zu ermöglichen, bestehe für den Gesetzgeber die „Obliegenheit“, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen.30 3.2. Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 die Geldleistungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. für evident unzureichend zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erklärt. Weder sei die Leistungshöhe nachvollziehbar berechnet worden, noch sei eine realitätsgerechte, auf Bedarfe orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich. Damit seien die Leistungen mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar.31 Der erhebliche Abstand von einem Drittel zu Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch offenbare ein Defizit in der Sicherung der menschenwürdigen Existenz.32 Es zeige sich insbesondere ein erheblicher Abstand zwischen den Gelbeträgen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. und den im allgemeinen Fürsorgerecht festgelegten Leistungen für den soziokulturellen Bedarf.33 Die Verfassungsrichter führten auch in diesem Urteil aus, dass der Gesetzgeber die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auswählen dürfe. Würden 28 BVerfGE 125, 175-160, juris Rn 142. 29 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 143. 30 BverfGE 125, 175-260, juris Rn 144. 31 BVerfGE 132, 134-179, juris 1. Leitsatz und Rn 80. 32 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 86. 33 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 11 hinsichtlich bestimmter Personengruppen unterschiedliche Methoden zugrunde gelegt, müsse das allerdings sachlich zu rechtfertigen sein.34 Wie schon im SGB II-Regelsatz-Urteil erläutert, müssen die Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz zur Konkretisierung des grundrechtlichen Anspruchs folgerichtig in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen und jeweils aktuellen Bedarf, also realitätsgerecht bemessen, begründet werden können. Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich jedoch nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundgesetz schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und berechnen sei. Es lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Entscheidend sei, dass im Ergebnis die Anforderungen des Grundgesetzes nicht verfehlt werden, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen.35 Die Grundleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz jedoch seien nicht realitätsgerecht und begründbar , in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, bemessen worden. Der Bestimmung der Leistungshöhe für die Geldleistung lägen keine verlässlichen Daten zugrunde. Die Gesetzgebung habe sich damals auf eine bloße Kostenschätzung gestützt. Den Gesetzesmaterialien zum Gesetzentwurf zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber ließen sich keine Hinweise auf ein Bemessungsverfahren zur Bestimmung der Geldleistung entnehmen (siehe Punkt 2.1.). Die Materialien wiesen lediglich die Beträge aus, die nach dem Gesetzentwurf ausreichen sollten, um einen unterstellten Bedarf zu decken. Auch sonst seien belastbare Bemessungsgrundlagen nicht erkennbar geworden.36 Allerdings könne der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen, er dürfe aber bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren . Eine Differenzierung sei nur insofern möglich, so das Bundesverfassungsgericht, als der Bedarf dieser Personengruppe von dem anderer Bedürftiger signifikant abweiche und dies folgerichtig und transparent anhand des tatsächlichen Bedarfs belegt werden könne.37 Der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit befristetem Aufenthaltsrecht könne nur dann abweichend vom Regelbedarf gesetzlich bestimmt werden, wenn nachvollziehbar festgestellt werden könne, dass infolge eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht bestehen. Hierbei sei auch zu be- 34 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 71. 35 BVerfGE 132, 134-179, juris Rnn 69, 70. 36 BVerfGE 132, 134-179, juris Rnn 90, 91. 37 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 73. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 12 rücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert würden, die gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen .38 Wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Dies lasse sich zu Beginn eines Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen.39 Eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertige es allerdings nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlange, dass das Existenzminimum einschließlich der sozialen Teilhabe in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein müsse. Ausländische Staatsangehörige verlören den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verließen und sich in Deutschland nur vorübergehend aufhielten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz müsse daher ab Beginn des Aufenthalts in Deutschland realisiert werden.40 Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich hohes Leistungsniveau zu vermeiden, könnten von vorneherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das sozio-ökonomische Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde sei somit migrationspolitisch nicht zu relativieren.41 3.3. Deutung der Urteile Im Folgenden werden exemplarisch einige Bewertungen aus der wissenschaftlichen Literatur zu den beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dargestellt. 3.4. Überlegungen zum SGB II-Regelsatz-Urteil Nach Wahrendorf lege das Gericht keine eigenen Wertungen fest, sondern billige ausdrücklich die Entscheidungsspielräume des Gesetzgebers.42 Der Grundrechtsschutz erstrecke sich, so Sarto- 38 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 74. 39 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 75. 40 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 94. 41 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 95. 42 Wahrendorf, Volker, BVerfG 9.2.2010: Gibt es ein Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums? S. 91. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 13 rius, auf das (Gesetzgebungs-)Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums, um die der Bedeutung des Grundrechts angemessene Nachvollziehbarkeit des Umfangs der gesetzlichen Hilfeleistungen sowie deren gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten.43 Das Bundesverfassungsgericht habe, so Rothkegel, die Rechtsfigur der „Entscheidungsprärogative “ des Gesetzgebers mit der Folge reduzierter gerichtlicher „Kontrolldichte“ aufgegriffen, die es zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Gesetzgebung und Rechtsprechung in Bezug auf wertende gesetzgeberische Entscheidungen und deren gerichtliche Nachprüfbarkeit in früheren Urteilen entwickelt habe.44 An dem Begriff der „Obliegenheit“, den die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung verwenden, hat sich im Schrifttum zudem erneut eine Debatte darüber entwickelt, ob den parlamentarischen Gesetzgeber eine Begründungspflicht treffe.45 Meßling betont, das Bundesverfassungsgericht habe auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums abgestellt und sich auf die gesetzgeberische Konzeption eines Gesetzes, den internen Entstehungsvorgang des konkreten gesetzlichen Inhalts bezogen. Dieser Vorgang werde auch als inneres Gesetzgebungsverfahren bezeichnet. Für ein solches inneres Gesetzgebungsverfahren gebe es keine gesetzlichen Regelungen im Grundgesetz, sondern lediglich geschäftsordnungsrechtliche Regelungen, die jedoch aus sich heraus keine verfassungsrechtlichen Maßstäbe darstellten .46 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verwirkliche den Gedanken der Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes trotz eingeschränkter Überprüfbarkeit des Gesetzesergebnisses . Verfassungsrechtliche Grundlage für die Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens sei das Postulat eines Grundrechtsschutzes durch die Einhaltung bestimmter Vorgaben im inneren Gesetzgebungsverfahren . Allerdings lasse sich der Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren nur als Kompensation für eine eingeschränkte Überprüfbarkeit auf der Ergebnisebene festmachen . Die Entscheidung könne nur für diejenigen Sachverhalte Maßstabträger sein, in denen Gesetze an Grundrechten zu messen seien. 47 Klarstellend hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 18. Juli 2012 zum Asylbewerberleitungsgesetz und einem Beschluss vom 23. Juli 2014 erläutert, dass sich die aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich 43 Sartorius, „Hartz-IV“ mit dem Grundgesetz unvereinbar, S. 150ff. 44 Rothkegel, Ralf, Ein Danaergeschenk für den Gesetzgeber, S. 137 mit weiteren Nachweisen. 45 Allgemein Kischel, Uwe (2003), Die Begründung. Zur Debatte um das SGB II-Urteil neben anderen Meßling, Miriam (2011), Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren ; Hebeler, Timo, Ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet, Gesetze zu begründen?; Sanders, Anne; Preisner, Damian, Begründungspflicht des Gesetzgebers und Sachverhaltsaufklärung im Verfassungsprozess . 46 Meßling, Miriam, Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren, S. 792 mit weiteren Verweisen. 47 Meßling, Miriam, Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren, S. 813-817. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 14 garantierter Leistungen nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse bezögen. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte , schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse.48 3.5. Überlegungen zum Asylbewerberleistungsgesetz-Urteil Die Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz hat unter anderem einen erneuten Diskurs über die Frage der Aufenthaltsdauer von Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgelöst. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass das Regelungskonzept des Gesetzes davon ausging , dass der Aufenthalt der Leistungsberechtigten nur von kurzer Dauer und vorübergehend sei. Das werde jedoch der tatsächlichen Situation nicht gerecht. Der überwiegende Teil der Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, halte sich länger als sechs Jahre in Deutschland auf, erklärte das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahr 2010. Damit sei die im Gesetz angelegte Vermutung, die Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG hielten sich nur kurzzeitig in Deutschland auf, erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.49 Der Gesetzgeber stehe damit, so eine Auffassung im Schrifttum, vor der Aufgabe, Personen zu identifizieren, deren Aufenthalt tatsächlich vorübergehend ist. Fraglich sei, ob dies durch eine Generalisierung anhand aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen gelingen könne. Ein Referenzrahmen könnte für Asylbewerber die sechswöchige bis maximal dreimonatige Dauer der Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung sein. 50 Nach Deibel lasse sich aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe des Urteils die Auffassung vertreten, dass ein kurzer oder vorübergehender Aufenthalt bei einer Dauer von bis zu zwölf Monaten vorliege. Die Bewilligung von Leistungen in besonderen Fällen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG biete aber selbst bei einer Verkürzung auf zwölf Monate keinen Ausweg, weil dieser Personenkreis leistungsberechtigt nach den Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes bleibe. Daher sollte der Gesetzgeber den leistungsberechtigten Personenkreis wieder auf die Ausländer des 48 BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1BvR 1691/13, NJW 2014, 3425, juris Rn 77. BVerfGE 132, 134-179, juris Rnn 69, 70. Vgl. hierzu z.B. auch Lenze, Anne, Ist die Debatte um die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums beendet?, S. 746. 49 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, juris Rn 93; vgl. auch BT-Drs. 17/642 vom 5. Februar 2010. 50 Janda, Constanze, Quo vadis AsylbLG?, S. 178ff. Mit Wirkung vom 1. März 2015 erhalten Leistungsberechtigte gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG bereits nach 15 Monaten höhere Analogleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und nicht mehr wie bisher nach 48 Monaten Vorbezugszeit. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 15 Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung vom 30. Juni 1993 begrenzen und § 2 AsylbLG ersatzlos streichen.51 4. Bemessung existenzsichernder Leistungen - Begründungen des Gesetzgebers Der Umfang der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII wird anhand eines Statistikmodells auf der Grundlage von Daten ermittelt, die das Statistische Bundesamt mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfasst. Dabei werden zunächst die tatsächlich getätigten Ausgaben einer Referenzgruppe bestimmt, die nach verschiedenen Waren- und Dienstleistungsgruppen aufgeschlüsselt sind. Die Referenzgruppe besteht aus Einpersonen- und Familienhaushalten unterer Einkommensgruppen. In einem zweiten Schritt wird festgelegt, welche der Verbrauchspositionen in welchem Umfang dem Existenzminimum zuzurechnen sind, um dann in einem dritten Schritt die Höhe des Eckregelsatzes rechnerisch zu bestimmen.52 Datengrundlage für das Statistikmodell ist die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die das Statistische Bundesamt erhebt. Es handelt sich hierbei um eine dezentrale Querschnittserhebung der amtlichen Statistik über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie Ausgabenstrukturen der privaten Haushalte in Deutschland. Zum einen werden zwei Befragungen mittels Fragebogen zum Selbstausfüllen durchgeführt, zum anderen wird eine dreimonatige Aufzeichnung sämtlicher Haushaltseinnahmen und -ausgaben in einem Haushaltsbuch angefertigt. Zusätzlich protokolliert rund ein Fünftel der beteiligten Haushalte einen Monat lang detailliert den Einkauf (Ausgaben und Mengen) von Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren.53 Das Bundesverfassungsgericht hat die Anwendbarkeit des Statistikmodells bestätigt, da es sich auf geeignete empirische Daten stütze. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe liefere eine realitätsnahe Ermittlungsgrundlage und bilde in statistisch zuverlässiger Weise das Verbrauchsverhalten der Bevölkerung ab. Auch die Auswahl der Referenzgruppe, nach deren Ausgaben der Eckregelsatz bemessen werde, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.54 Der Gesetzgeber dürfe aber Ausgaben, welche die Referenzgruppe tätige, nur dann als nicht relevant einstufen, wenn feststehe, dass sie anderweitig gedeckt würden oder zur Sicherung des Exis- 51 Deibel, Klaus, Die Menschenwürde im Asylbewerberleistungsrecht, S. 583. Vgl. BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 93. 52 Bauernschuster, Stefan u.a., Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen, S. 21. Vgl. ausführlich zum Statistikmodell Höft-Dzemski, Reiner, 25 Jahre „Statistikmodell“ in der Sozialhilfe. 53 Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, Aufgabe, Methode und Durchführung, Fachserie 15 Heft 7, Wiesbaden. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen /Thematisch/EinkommenKonsumLebensbedingungen/EinkommenVerbrauch/EVS_AufgabeMethodeDurchfuehrung 2152607089004.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 24. März 2016). 54 BVerfGE 125, 175-260, Rnn 167, 168. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 16 tenzminimums nicht notwendig seien. Auch die Höhe einer Kürzung müsse sich aus der Einkommens - und Verbrauchsstichprobe oder aus einer anderen, zuverlässigen Erhebung ergeben. Eine Schätzung auf fundierter empirischer Grundlage sei dabei nicht ausgeschlossen.55 4.1. Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Ziel des Gesetzentwurfes ist unter anderem eine verfassungskonforme Ermittlung der Regelbedarfe im Zweiten und Zwölften Sozialgesetzbuch.56 Mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG)57 in Artikel 1 des Gesetzentwurfes sei der Gesetzgeber der Aufforderung der Verfassungsrichter nach einer verfassungskonformen Ausgestaltung der Regelbedarfe nachgekommen.58 In der Begründung des Gesetzentwurfes wird auf das Verfahren zur Ermittlung des Leistungsumfangs verwiesen, welches auf der Grundlage verlässlicher Zahlen transparent, sach- und realitätsgerecht sowie nachvollziehbar und schlüssig ausgestaltet sei. Die Bedarfsermittlung auf der Basis von Sonderauswertungen, die das Statistische Bundesamt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe durchgeführt habe, sei durch Anhörungen von Wissenschaftlern und Praktikern aus unterschiedlichen Disziplinen und Bereichen ergänzt worden. Deren Bewertungen seien in die Ausgestaltung der Leistungen eingeflossen. Dabei werde an dem bewährten System der typisierenden Betrachtung des Regelbedarfs festgehalten. Auf geschätzte Abschläge bei der Bestimmung der Höhe der zu berücksichtigenden Verbrauchsausgaben in den Sonderauswertungen, sogenannte Einzelpositionen, werde verzichtet. In Fällen, in denen nur Teile einer Einzelposition existenzsichernden Charakter hätten, seien gesonderte Auswertungen oder auf amtlichen Statistiken beruhende Berechnungen erfolgt. Die empirisch fundierten Ergebnisse seien in die Bemessung des Regelbedarfs eingeflossen. Der Gesetzentwurf stelle sicher, dass die ermittelte Bedarfshöhe kontinuierlich überprüft werde. Dadurch sei gewährleistet , dass auf Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zeitnah reagiert werden könne. Der vorgesehene Fortschreibungsmechanismus orientiere sich an der Entwicklung der Nettolöhne und der Preise.59 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe geprüft, welche Alternativen zum Statistikmodell als Methode zur Ermittlung des Leistungsumfangs bestehen. Dabei habe sich das so genannte Warenkorbmodell, das häufig als Alternative genannt werde, als ungeeignet erwiesen. 55 BVerfGE 125, 175-260, Rn 171. 56 BT-Drs. 17/3404, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen, S. 43; vgl. Fn 10. 57 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vom 24. März 2011 (BGBL. I S. 453). Vgl. zu diesem Gesetz zum Beispiel auch den Aufsatz von Mogwitz, Beate, Die neue Regelbedarfsermittlung. 58 BT-Drs. 17/3404, Artikel 1 des Gesetzentwurfes zur Ermittlung von Regelbedarfen; vgl. Fn 10. 59 BT-Drs. 17/3404, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen, S. 43ff.; vgl. Fn 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 17 Dieses Modell beruhe nicht auf statistischen Grundlagen, sondern auf normativen Entscheidungen von Experten, die teilweise als willkürlich und sachfremd empfunden worden seien. Nach dem Statistikmodell würden die Regelbedarfe auf der Grundlage von empirisch ermittelten Verbrauchsausgaben und den Entscheidungen des Gesetzgebers über deren Relevanz für die Gewährleistungen eines menschenwürdigen Existenzminimums für die einzelnen zu betrachtenden Haushaltskonstellationen ermittelt. Dabei sei vom Gesetzgeber normativ festgelegt worden, dass sich die Regelbedarfe am Konsumniveau anderer Haushalte mit niedrigem Konsumniveau orientieren sollten. Die Einkommen der anderen Haushalte müssten aber oberhalb des sich durch Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ergebenden Niveaus liegen. Dieser Unterschied sei gerechtfertigt, da Personen, die ihren Lebensunterhalt selber erwirtschafteten, besser gestellt werden sollten und besser gestellt werden dürften als Personen, die ausschließlich von Transferleistungen lebten. Da die hierzu nötigen Daten über Konsumhöhe und Konsumstruktur nicht in Form eines Idealtyps vorlägen, müssten sie als Durchschnitt des empirisch festgestellten individuellen Konsums einer Gruppe von Haushalten ermittelt werden (Referenzgruppe ). Das Statistikmodell sei unmittelbar mit der Nutzung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) als Datengrundlage verknüpft. Diese stelle die einzige statistische Erhebung in Deutschland dar, die Einkommens-, Vermögens- und Schuldensituation sowie die Konsumausgaben der Haushalte in Deutschland erfasse. Die bisher genutzt Einkommens- und Verbrauchsstichprobe sei alternativlos , da sie als einzige Quelle valide Daten zur Konsumstruktur liefere.60 Das Statistische Bundesamt wurde gemäß § 28 Abs. 3 SGB XII vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 beauftragt .61 4.2. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes Ziel des Gesetzentwurfes der Bundesregierung ist die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz, die Leistungssätze transparent , realitäts- und bedarfsgerecht zu bemessen und sie regelmäßig zu aktualisieren. Daher seien die neuen Leistungssätze im Asylbewerberleistungsgesetz wie im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auf der Grundlage des Statistikmodells und der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe neu ermittelt und gegenüber den alten Leistungssätzen deutlich angehoben worden.62 Methodisch werde zur Ermittlung des Bargeldbedarfes und der notwendigen Bedarfe nach § 3 AsylbLG zukünftig auf die nach § 28 SGB XII vorgenommene Sonderauswertung der Einkommens - und Verbrauchsstichprobe zurückgegriffen. Damit werde für die Leistungsberechtigten 60 BT-Drs. 17/3404, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen, S. 50ff.; vgl. Fn 10. 61 BT-Drs. 17/3404, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen, S. 52; vgl. Fn 10. 62 BT-Drs. 18/2592, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 1ff.; vgl. Fn 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 18 nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch grundsätzlich dieselbe Datengrundlage verwendet. Der Rückgriff auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe schaffe die Grundlage für eine nachvollziehbare Ermittlung des Bargeldbedarfs und der notwendigen Bedarfe, denn eine eigene Erhebung der Verbrauchsausgaben von Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz würde zu Zirkelschlüssen führen und müsse daher aus methodischen Gründen ebenso unterbleiben wie die Einführung einer speziellen Statistik (Haushaltsbudgeterhebung) nur für Haushalte von Ausländern. Soweit sich zwischen den Beziehern von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und dem Asylbewerberleistungsgesetz Unterschiede bei den Bedarfen ergäben oder Bedarfe in unterschiedlicher Weise gesondert gedeckt würden, werde dies bei der Ermittlung von Leistungssätzen anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe berücksichtigt. Sofern Mehr- oder Minderbedarfe lediglich vermutet würden, aber weder statistisch nachweisbar noch offenkundig seien, würden diese nicht berücksichtigt. Für die Bemessung der Bedarfsstufen nach § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG bedeute dies konkret, dass von den zwölf Abteilungen der in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 ermittelten Verbrauchsausgaben insgesamt neun Abteilungen ungekürzt übernommen würden. Unberücksichtigt blieben regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben beim Bargeldbedarf und beim notwendigen Bedarf nur, soweit diese bei den Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz typischerweise aufgrund ihrer Sondersituation nicht anfielen. Konkret bedeute dies, dass aus den betreffenden Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, in denen sich abweichende Bedarfe ergäben, nicht berücksichtigungsfähige Ausgabepositionen gestrichen würden. Zusammensetzung und Höhe des Bargeldbedarfs nach § 3 Abs. 1 AsylbLG bestimmten sich damit zunächst auf Grundlage der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für die Abteilungen 7 bis 12 der Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Zusammensetzung und Höhe des notwendigen Bedarfs nach § 3 Abs. 2 AsylbLG bestimmten sich auf der Grundlage der in den Abteilungen 1 bis 4 und 6 genannten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der Einkommens - und Verbrauchsstichprobe 2008. In der Gesetzesbegründung wird auf die Darstellung der einzelnen Verbrauchspositionen im Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch verwiesen. Demnach bleibe die Abteilung 5 (Hausrat) vollständig unberücksichtigt , da die dort enthaltenen Bedarfe nach dem Konzept des Asylbewerberleistungsgesetzes gesondert erbracht würden. Die Verbrauchsausgaben in Abteilung 6 (Gesundheitspflege) blieben teilweise unberücksichtigt, weil diese Bedarfe in anderer Weise gesondert gedeckt würden. Schließlich werde in Abteilung 12 (andere Waren und Dienstleistungen) ein geringfügiger Betrag abgezogen, der dort für die Beschaffung eines Personalausweises ermittelt worden sei. Dieser Bedarf falle bei den Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht an.63 Bei der Bemessung des Bargeldbedarfs seien diejenigen regelbedarfsrelevanten Bedarfspositionen nicht zu berücksichtigten, die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG a.F. als Sachleistungsanspruch 63 BT-Drs. 18/2592, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 20ff.; vgl. Fn 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 19 ausgestaltet seien. Dies betreffe Bedarfe für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege sowie für Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts (Abteilungen 1 bis 6 gemäß §§ 5 und 6 RBEG). Der Bargeldbedarf sei entsprechend dem in § 7 RBEG und den §§ 28, 28a, 138 SGB XII geregelten Fortschreibungsmechanismus mit den jährlichen Veränderungsraten angepasst und gerundet worden.64 Die Residenzpflicht für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sei kein hinreichender Grund, die in Abteilung 7 enthaltenen regelbedarfsrelevanten Ausgabepositionen für Verkehrsdienstleistungen zu reduzieren. Zwar sei über die Gesamtheit der Leistungsberechtigten davon auszugehen, dass sie innerhalb des Bundesgebiets gegenüber Personen ohne Aufenthaltsbeschränkung tatsächlich nur geringere Verkehrsausausgaben hätten. Allerdings seien diese vermuteten Minderausgaben nicht qualifiziert ermittelbar und abschätzbar. Andererseits sei jedoch auch ein eventueller Mehrbedarf in diesem Bereich beispielsweise für die Fahrt zu einem weiterentfernten Rechtsanwalt denkbar, aber nicht qualifiziert ermittelbar und abschätzbar. Ebenso fehle es an einem hinreichenden Grund zur Erhöhung der in Abteilung 8 erfassten regelbedarfsrelevanten Ausgabepositionen für die Nachrichtenübermittlung. Die Vermutung, dass Personen mit unsicherer Aufenthaltsperspektive ein anderes Telekommunikationsverhalten aufwiesen als Personen mit sicherem Aufenthaltsstatus, sei nicht plausibel zu belegen. Für die Bedarfssätze außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Abs. 1 AsylG würden alle in den Abteilungen 1 bis 4 und 6 der in den §§ 5 und 6 RBEG als regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben bezeichneten Bedarfspositionen anerkannt, sofern sie bei den leistungsberechtigten anfallen könnten und nicht anderweitig gedeckt würden. Die Bedarfsstufen würden wie die Bargeldbedarfsstufen nach § 3 Abs. 1 Satz AsylbLG a.F. entsprechend den Regelbedarfsstufen nach dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz festgesetzt. Nachvollziehbare Gründe für eine abweichende Festsetzung der Altersstufen oder der Haushaltskonstellationen seien nicht ersichtlich und nicht mit der unsicheren Aufenthaltsperspektive der Leistungsberechtigten begründbar . Dabei berücksichtigten die Bedarfsstufen auch die durchschnittlichen Ausgabepositionen für größere und nur in längeren zeitlichen Abständen anfallende notwendige Bedarfe. Die Gesundheitsversorgung der Leistungsberechtigten wird nach §§ 4 und 6 AsylbLG gewährt. Daher müsse beispielsweise die Abteilung 6 (Gesundheitspflege) unberücksichtigt bleiben, weil diese Bedarfe anderweitig gedeckt würden. Da die Leistungsberechtigten keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung hätten, könnten die in Abteilung 6 enthaltenen Ausgaben (Rezeptgebühren , Eigenanteile) bei ihnen nicht anfallen. Damit stellten die Verbrauchspositionen der Abteilung 6 keine notwendigen Bedarfe im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes dar.65 4.3. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren Angesicht der einmalig hohen Zahl von Asylbewerbern in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurden verschiedene neue Regelungen im Asylgesetz, im Aufenthaltsgesetz und im 64 BT-Drs. 18/2592, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 22ff.; vgl. Fn 11. 65 BT-Drs. 18/2592, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 24; vgl. Fn 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 20 Asylbewerberleistungsgesetz getroffen. Ziel des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sei unter anderem die Asylverfahren von Asylbewerbern, deren Anträge nur geringe Erfolgsaussichten hätten, weiter zu beschleunigen.66 Für das Asylbewerberleistungsgesetz stellte der Gesetzgeber fest, dass die derzeitigen Regelungen über die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG die Besonderheiten der Bedarfssituation von Leistungsbeziehern nur unzureichend abbildeten. Angesichts des ungesicherten Aufenthalts könne bei ihnen für die Dauer der Wartefrist insbesondere nicht von einer umfassenden Bedarfslage ausgegangen werden, die auch das Ansparen zur Deckung unregelmäßig auftretender Bedarfe umfasse. Daher würden im Rahmen einer wertenden Betrachtung der besonderen Bedarfslage der Leistungsberechtigten zu Beginn ihres Aufenthalts die Geldleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf neu festgesetzt. Die Höhe dieser Leistungen werde dabei - unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Sicherung des Existenzminimums - gegenüber den derzeit geltenden Leistungsätzen durch eine Nichtberücksichtigung von einzelnen Verbrauchsausgaben in angemessenem Umfang abgesenkt.67 Die Zusammensetzung und Höhe der „notwendigen persönlichen Bedarfe“ bestimmten sich auch weiterhin auf der Grundlage der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für die Abteilungen 7 bis 12 der Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008. Die Neubemessung setze dabei methodisch auf der Novellierung der Leistungssätze für den Bargeldbedarf nach dem Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes auf. Die dort festgestellten Unterschiede bei den persönlichen Bedarfen zwischen den Beziehern von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und dem Asylbewerberleistungsgesetz würden auch weiterhin berücksichtigt. Zusätzlich zur Nichtberücksichtigung eines Betrages in Abteilung 12 für die Beschaffung eines Personalausweises seien im Rahmen der Neubemessung weitere regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 identifiziert worden, die zukünftig nicht mehr als notwendige persönliche Bedarfe im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes anerkannt würden und deshalb bei der Bemessung der Geldbeträge nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG unberücksichtigt blieben.68 Demnach sollten folgende Ausgabenpositionen nicht mehr berücksichtigt werden: Abteilung 10 (Bildungswesen) bleibe hinsichtlich der dort erfassten Ausgaben für Gebühren und Kurse vollständig außen vor. Die Verbrauchsausgaben in Abteilung 9 (Freizeit, Unterhaltung und Kultur) blieben hinsichtlich der Bedarfe für Fernseh- und Videogeräte, TV-Antennen; Datenverarbeitungsgeräte und Software; langlebige Gebrauchsgüter und Ausrüstung für Kultur, Sport, Camping und Erholung; Reparaturen und Installation von langlebigen Gebrauchsgütern und Ausrüstung für Kultur, Sport, Camping und Erholung sowie außerschulischer Unterricht und Hobbykurse unberücksichtigt . Die Herausnahme dieser Positionen erfolge in allen Fällen aufgrund der mangelnden Aufenthaltsverfestigung in den ersten 15 Monaten. Die Einstufung als nicht bedarfsrelevant fuße auf der 66 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 1; vgl. Fn 12. 67 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 2; vgl. Fn 12. 68 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 21; vgl. Fn 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 21 wertenden Einschätzung des Gesetzgebers, dass die betreffenden Ausgaben nicht als existenznotwendiger Grundbedarf anzuerkennen seien, solange die Bleibeperspektive der Leistungsberechtigten ungesichert und deshalb von einem nur kurzfristigen Aufenthalt auszugehen sei. Erst mit einer längeren Verweildauer im Inland, die mit einer entsprechenden „Integrationstiefe“ bzw. einer Einbindung in die Gesellschaft einhergehe, sollten diese Ausgaben - wie bei den Beziehern von Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - als bedarfsrelevant anerkannt werden. Erst dann sei davon auszugehen, dass die mit den Regelbedarfen verbundene Budget- und Ansparfunktion ihre volle Wirkung entfalten könne. Hiervon sei frühestens nach Ablauf der „Wartefrist“ von 15 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG und dem damit verbundenen Übergang zu Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auszugehen. In der Begründung beruft sich der Gesetzgeber auf den Gestaltungsspielraum, der ihm vom Bundesverfassungsgericht bei der Festlegung des Existenzminimums für bestimmte Personengruppen im Urteil zu den Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuerkannt werde.69 Zum einen komme dem Gesetzgeber die Befugnis zu, die konkrete Bedarfslage der Betroffenen „gruppenspezifisch“ zu erfassen, zum anderen umfasse der Gestaltungsspielraum aber auch die Befugnis zur normativen Wertung, welche Bedarfe er als regelbedarfsrelevant anerkenne. Auch bei dieser wertenden Entscheidung könne der Gesetzgeber somit eine gruppenspezifische Betrachtung anstellen, sofern er an das zulässige Differenzierungskriterium der Kurzfristigkeit des Aufenthalts anknüpfe und die von ihm getroffenen Wertungen nicht migrationspolitisch motiviert seien.70 In der Gesetzesbegründung findet sich eine detaillierte tabellarische Darstellung der Herausnahmen von Ausgabepositionen mit den zugrundliegenden Erwägungen. Betroffen seien ausschließlich Bedarfe der sozialen Teilhabe, bei denen nach dem SGB II - Regelsatz - Urteil des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber ein weiterer Gestaltungsspielraum zustehe als bei Bedarfen, die zur Deckung des Existenzminimums erforderlich seien.71 Die Begründung des Gesetzgebers für die Herausnahme einer konkreten Ausgabeposition sei hier beispielhaft dargestellt: So sei die Anschaffung eines Fernseh- oder Videogeräts sowie der zugehörigen TV-Antennenanlage in der ersten Zeit des Aufenthalts nicht existenznotwendig. Für den Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass ein Fernsehgerät nicht zu den unabweisbaren Bedarfen nach § 24 Abs. 1 SGB II gehöre, die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Wohnens gesondert zu erbringen seien. Die im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelten durchschnittlichen Verbrauchsausgaben ermöglichten die Anschaffung eines Fernsehgerätes nur durch langfristige Ansparung . Diese Ausgaben seien daher nicht als notwendiger Grundbedarf anzusehen, solange von 69 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 21; vgl. Fn 12. BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 74. 70 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 21ff; vgl. Fn 12. BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 75. 71 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 22-23; vgl. Fn 12. BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 138. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 22 einem ungesicherten und perspektivisch nur kurzfristigen Aufenthalt auszugehen sei. Unterhaltungs - und Informationsbedürfnisse könnten nicht nur durch ein eigenes Fernsehgerät, sondern auch auf andere Weise, etwa mittels Zeitschriften, Radiokonsum oder den Besuch von Kulturveranstaltungen , gedeckt werden. Die zuständigen Leistungsbehörden seien im Übrigen nicht daran gehindert, den notwendigen persönlichen Bedarf an sozialer Teilhabe in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften auch mittels Bereitstellung von Fernsehgeräten (als Sachleistung ) zu decken.72 Die nach der Herausnahme einzelner Verbrauchspositionen verbleibende Summe der Verbrauchsausgaben nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 werde sodann nach Maßgabe der Veränderungsrate, die auch im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch für die jährliche Fortschreibung Anwendung finde, fortgeschrieben.73 5. Fazit Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes auf die nach § 28 Abs. 3 SGB XII vorgenommene Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zurückgegriffen und somit die Ermittlung der Höhe der existenzsichernden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf die Grundlage einer vom Bundesverfassungsgericht als realitätsgerecht bestätigten Methode gestellt. Die Daten aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 werden nun auch für die Bemessung des menschenwürdigen Existenzminimums für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewendet. Diese liefert eine realitätsnahe Ermittlungsgrundlage und bildet in statistisch zuverlässiger Weise das Verbrauchsverhalten der Bevölkerung ab.74 Während die Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz a.F. vom Bundesverfassungsgericht als nicht realitätsgerecht und begründbar bezeichnet worden waren, weil die Bemessung nicht in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf stattgefunden habe, wird nun eine Bemessungsmethode angewandt, die auch für existenzsichernde Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch gilt. Damit liegen der Bestimmung der Höhe der Geldleistung nun verlässliche Daten zugrunde und es hat keine bloße Kostenschätzung stattgefunden. Nach Hohm genügt die Zusammensetzung, Errechnung und Fortschreibung der Geldleistungen nach § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG, die mit dem Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vorgenommen worden ist, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine transparente, realitäts- und bedarfsgerechte Bemessung sowie regelmäßige 72 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 22; vgl. Fn 12. 73 BT-Drs. 18/7538, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, S. 23; vgl. Fn 12. 74 BVerfGE 125, 175-260, Rnn 167, 168. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 23 Aktualisierung von Leistungssätzen für Ausländer mit einem noch nicht verfestigten Aufenthaltsstatus .75 Nach der oben erläuterten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen. Aber er ist gehalten, bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus zu differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, wenn der Bedarf dieser Personengruppe von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig und transparent anhand des tatsächlichen Bedarfs belegt werden kann.76 Der Gesetzgeber beschreibt in seiner ersten Gesetzesnovellierung, die am 1. März 2015 in Kraft getreten ist, welche Verbrauchsausgaben aus den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 er bei der Ermittlung des Existenzminimums nicht berücksichtigt. Er verweist auf die Bedarfsdeckung an anderer Stelle bzw. auf abweichende Bedarfe gegenüber anderen Hilfeempfängern (Beispiel Hausrat und Personalausweis).77 Er begründet auch, warum er bestimmte regelbedarfsrelevante Ausgabepositionen nicht kürzt bzw. erhöht. So sehe er in der Residenzpflicht für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keinen hinreichenden Grund, die Ausgabeposition für Verkehrsdienstleistungen zu reduzieren. Ausgaben für die Nachrichtenübermittlung erhöhte der Gesetzgeber nicht, da seiner Begründung nach ein unterschiedliches Telekommunikationsverhalten bei unsicherer Aufenthaltsperspektive und sicherem Aufenthaltsstatus nicht plausibel belegbar sei.78 Mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren sind die Geldbeträge nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG n.F. mit Wirkung vom 17. März 2016 für Leistungsberechtigte um Beträge zwischen sechs und zehn Euro monatlich gekürzt worden, je nach Alter und Haushaltskonstellation. Die Geldleistungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG n.F. wurden jeweils um zwei Euro gekürzt. Die Kürzungen bei den Ausgabepositionen beziehen sich auf Abteilungen zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums, nicht des physischen Existenzminimums. In der Gesetzesbegründung nimmt der Gesetzgeber auf den Gestaltungsspielraum Bezug, der ihm vom Bundesverfas- 75 Hohm in Schellhorn-Hohm-Scheider, § 3 AsylbLG Rnn 35, 44. Hier sei darauf hingewiesen, dass § 3 AsylbLG seit dem 1. März 2015 weitere Änderungen erfahren hat, die aber nicht die Bemessungsmethode an sich betreffen. 76 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 73. 77 BT-Drs. 18/2592, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 20ff.; vgl. Fn 11. 78 BT-Drs. 18/2592, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 24; vgl. Fn 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 24 sungsgericht bei der Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums und den damit einhergehenden Wertungen eingeräumt wird.79 Dieser Gestaltungsspielraum ist weiter bei der Ermittlung des sozio-kulturellen und enger bei der Bestimmung des physischen Existenzminimums .80 Der Gesetzgeber geht gemäß der Gesetzesbegründung davon aus, dass die Regelungen nach § 3 AsylbLG a.F. die Besonderheiten der Bedarfssituation von Leistungsbeziehern nur unzureichend abbildeten. Angesichts eines ungesicherten Aufenthalts könne zum Beispiel das Ansparen zur Deckung unregelmäßig auftretender Bedarfe bei der Ermittlung des Existenzminimums nicht berücksichtigt werden.81 Das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz die Anforderung, dass der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit befristetem Aufenthaltsrecht nur dann abweichend vom Regelbedarf gesetzlich bestimmt werden kann, wenn nachvollziehbar festgestellt ist, dass infolge eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht bestehen. Auch hier kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse dieser Personengruppe wie auch die wertende Einschätzung ihres notwendigen Bedarfs umfasst, aber nicht davon entbindet, das Existenzminimum zeit- und realitätsgerecht zu bestimmen.82 Der Gesetzgeber bezieht sich bei der Herausnahme der in der Gesetzesbegründung dargestellten Ausgabenpositionen wie beispielsweise Fernseh- und Videogeräte etc. (Punkt 4.3.) auf die mangelnde Aufenthaltsverfestigung in den ersten 15 Monaten. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte höhere „Analogleistungen“ entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch , wenn sie sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Bereits mit der Neuregelung des § 2 AsylbLG, die zum 1. März 2015 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber den Zeitpunkt festgelegt, ab dem er eine Bedarfssituation für gegeben hält, die mit der anderer Leistungsberechtigter vergleichbar ist. Für die Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestehe, so die Begründung, eine abweichende Bedarfssituation mindesten für die ersten 15 Monate ihres Aufenthalts in Deutschland. In dieser Zeit hätten die Leistungsberechtigten noch keine Perspektive auf einen Daueraufenthalt. Daher sei es gerechtfertigt, 79 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 133. 80 BVerfGE 125, 175-260, juris Rn 138. 81 BT-Drs. 18/7588 vom 16. Februar 2016, S. 2; vgl. Fn 12. 82 BVerfGE 132, 134-179, juris Rn 74. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 024/16 Seite 25 für diesen Zeitraum bei der Berechnung der Geldleistungen solche Positionen nicht zu berücksichtigen , die regelmäßig erst nach einer noch längeren Verweildauer entstünden bzw. bereits durch Sachleistungen erbracht oder auf Grund von Sonderregelungen gewährt würden.83 Der Gesetzgeber hat mit der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes zum 1. März 2015 die Bemessung der Höhe der Geldbeträge im Rahmen der Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG auf eine nachvollziehbare Datengrundlage gestellt und Herausnahmen von regelbedarfsrelevanten Ausgaben bzw. Kürzungen mit einem noch nicht verfestigten Aufenthaltsstatus bzw. mit einer anderweitigen Deckung begründet. Dies scheint den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine transparente, sach-und realitätsgerechte Ermittlungsmethode zu genügen. 6. 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