© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 022/17 Erhöhte Sozialversicherungsbeiträge für befristete Beschäftigung? Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung Zu prüfen ist vorliegend, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, Arbeitgebern für befristet Beschäftigte einen um 25 oder 50 Prozent höheren Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung aufzuerlegen. Eine entsprechende Regelung hätte zum Ziel, auf diese Weise das mit einer befristeten Beschäftigung verbundene Risiko zu kompensieren, dass der betroffene Arbeitnehmer nach Ablauf der Befristung arbeitslos wird und damit einerseits als Beitragszahler ausfällt und andererseits Versicherungsleistungen in Anspruch nimmt. Die Sozialversicherungsbeiträge sind von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu tragen und bemessen sich nach einem bestimmten Prozentsatz des Bruttoarbeitsentgelts, höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Die Beitragshöhe beträgt nach derzeitiger Rechtslage in der Arbeitslosenversicherung 3 Prozent und in der gesetzlichen Rentenversicherung 18,7 Prozent. Der Beitrag ist in diesen Versicherungszweigen grundsätzlich von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu gleichen Teilen zu erbringen. Im Jahr 2017 gelten mithin folgende auf die Arbeitgeber entfallenden Werte: Versicherungszweig Beitragssatz Jährliche Beitragsbemessungsgrenzen Westdeutschland Ostdeutschland Arbeitslosenversicherung 1,5 Prozent 76.200 Euro 68.400 Euro Rentenversicherung 9,35 Prozent Eine Ausnahme bilden nach geltendem Recht lediglich geringfügig Beschäftigte im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) sowie Beschäftigungen in der sogenannten Gleitzone im Sinne des § 20 Abs. 2 SGB IV. Geringfügig Beschäftigte sind nach § 27 Abs. 2 Satz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) von der Arbeitslosenversicherung befreit und können nach § 6 Abs. 1b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) auf Antrag auch von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Sie können dann jedoch auch keine Ansprüche auf Versicherungsleistungen geltend machen. Die in Rede stehende Rechtsänderung könnte allerdings gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsfreiheit der Arbeitgeber als Unternehmer und schließlich gegen die Freiheit unternehmerischer Betätigung aus Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen. Dies wird im Folgenden für die beiden Sozialversicherungszweige getrennt geprüft. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 5 2. Arbeitslosenversicherung 2.1. Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu regeln, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund dafür gegeben ist.1 Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt keine Differenzierungen vornehmen dürfte. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen oder nicht Gründe von solcher Art und solchem Gewicht gegeben sind, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung einer möglichen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist daher zunächst zu klären, ob ein erhöhter Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosen- bzw. zur gesetzlichen Rentenversicherung befristet beschäftigter Arbeitnehmer für deren Arbeitgeber eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitgebern unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer darstellt. Ist dies nicht der Fall, liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nicht vor. Liegt jedoch eine Ungleichbehandlung vor, muss sodann untersucht werden, ob diese Ungleichbehandlung aus übergeordneten Erwägungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Regelung ein legitimes Ziel verfolgt, zu dessen Erreichung sie geeignet und erforderlich ist, und wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. 2.1.1. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung ist zunächst zu klären, ob eine Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung für befristet Beschäftigte als Ausnahme von der grundsätzlichen Regelung für die betroffenen Arbeitnehmer eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem darstellen würde. Die Beitragserhöhung soll nur für Arbeitsverhältnisse gelten, deren Dauer befristet ist. Die Ausnahme setzt am Arbeitsverhältnis an. Arbeitnehmer ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), „wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zu fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist."2 Arbeitnehmer in einem befristeten Arbeitsverhältnis unterliegen als solche keinem besonderen arbeitsrechtlichen Status, sondern unterscheiden sich von anderen Arbeitnehmern lediglich durch die vertragliche Befristung ihrer Beschäftigung. Die Einführung erhöhter Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung würde mithin eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung der Arbeitgeber befristet Beschäftigter gegenüber anderen Arbeitgebern darstellen. 1 BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1951 - 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 (52). 2 Vgl. z.B. BAG, Beschluss vom 22. März 1995 - 5 AZB 21/94. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 6 2.1.2. Minderung des finanziellen Risikos als legitimes Ziel Ein zeitlich befristetes Arbeitsverhältnis endet nach § 15 Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) stets mit Ablauf der Befristung, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Im Vergleich zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis, das nur durch Kündigung beendet werden kann, besteht mithin ein höheres Risiko dafür, dass der betroffene Arbeitnehmer im Anschluss daran keine neue Beschäftigung findet und arbeitslos wird. Das Ziel der Erhöhung des Arbeitgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung für befristet Beschäftigte , einem mit der befristeten Beschäftigung verbundenen besonderen Einnahme- und Mehraufwendungsrisiko für die Arbeitslosenversicherung und die gesetzliche Rentenversicherung vorzubeugen, erscheint legitim. Voraussetzung ist allerdings, dass mit befristeter Beschäftigung in der Gesamtschau tatsächlich auch ein entsprechendes finanzielles Risiko für die Arbeitslosenversicherung verbunden ist. Bei Arbeitslosigkeit werden für den Arbeitnehmer zunächst keine weiteren Beiträge mehr entrichtet , was unweigerlich zu Mindereinnahmen in der Arbeitslosenversicherung führt. Außerdem hat der Versicherte bei Arbeitslosigkeit grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld nach §§ 136 ff. des SGB III als Lohnersatzleistung. Arbeitslosengeld wird jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen bewilligt, zu denen insbesondere die Erfüllung der Anwartschaftszeit im Sinne der §§ 142, 143 SGB III gehört. Die Anspruchsdauer ist sodann vom Umfang der erworbenen Anwartschaft abhängig (§ 147 SGB III). Unabhängig von der Dauer der Beschäftigung hat der Arbeitslose Anspruch auf Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit und auf gegebenenfalls erforderliche Eingliederungsmaßnahmen nach dem SGB III, die mit einem finanziellen Mehraufwand für die Arbeitslosenversicherung verbunden sind, der je nach Einzelfall erheblich sein kann. Umgekehrt sind allerdings auch Fälle denkbar, in denen das Leistungsrisiko der Arbeitslosenversicherung gerade durch die Befristung der Beschäftigung gemindert wurde. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn eine unbefristete Einstellung aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nicht möglich war und der betroffene Arbeitnehmer andernfalls arbeitslos geblieben wäre. Insgesamt wird man jedoch ein gesteigertes Risiko für Mehrausgaben der Arbeitslosenversicherung aufgrund drohender Arbeitslosigkeit in den Fällen befristeter Beschäftigung annehmen können. 2.1.3. Geeignetheit und Erforderlichkeit Auch dürfte eine entsprechende Erhöhung des Arbeitgeberbeitrags zur Erreichung dieses Ziels geeignet sein, da höhere Beiträge die finanziellen Ressourcen stärken. Da auch ein milderes, aber gleichermaßen geeignetes Mittel, derartige Risiken innerhalb der Arbeitslosenversicherung abzudecken , nicht erkennbar ist, dürfte die Erforderlichkeit einer Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge zur Arbeitslosenversicherung zu bejahen sein. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 7 2.1.4. Verhältnismäßigkeit Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung muss die vorgesehene Regelung schließlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz „je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber , die stufenlos von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen können.“3 „Es gilt ein am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter, stufenloser Prüfungsmaßstab, der nicht abstrakt, sondern nur nach dem jeweils betroffenen Sach- und Regelungsbereich näher bestimmbar ist.“4 Dabei ist die Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umso strenger, je mehr die Ungleichbehandlung an personenbezogene Sachverhalte knüpft.5 Vorliegend setzt die geplante Regelung nicht an der Person des Arbeitgebers an, sondern an den von ihm begründeten Beschäftigungsverhältnissen als einem sachbezogenen Anknüpfungspunkt. Gleichwohl erscheint es fraglich, ob die Regelung nicht gegen das gesetzgeberische Übermaßverbot verstößt und die Arbeitgeber befristeter Arbeitsverhältnisse unangemessen benachteiligt. Im gegebenen Rahmen können im Folgenden nur einzelne Argumentationsansätze angeführt werden , die geeignet sein könnten, die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Frage zu stellen . In diesem Zusammenhang könnte zunächst die Frage von Bedeutung sein, ob die Befristung im Einzelfall mit Sachgrund im Sinne des § 14 Abs. 1 TzBfG erfolgte oder ob es sich um eine sachgrundlose Befristung im Sinne des § 14 Abs. 2 TzBfG handelt. Die Privilegierung der Befristung mit Sachgrund durch das TzBfG würde der Gesetzgeber womöglich durch eine undifferenzierte Belastung befristeter Beschäftigung wieder in Frage stellen. Zu berücksichtigen ist aber andererseits auch, dass das TzBfG die Befristung von Arbeitsverhältnissen generell als Ausnahmetatbestand behandelt. Zu berücksichtigen ist auch der Umstand, dass der Befristungswunsch zwar meist vom Arbeitgeber ausgehen dürfte, dies aber nicht immer der Fall sein muss, denn auch der Arbeitnehmer kann Vorteile von der Befristung haben, weil beispielsweise die ordentliche Kündigung auf diese Weise zumeist ausgeschlossen wird. In derartigen Fällen stellt sich die Belastung des Arbeitgebers unter Umständen als unangemessen dar. Jedoch wird man auch von der allgemeinen strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer ausgehen können, die eine alleinige Belastung des Arbeitgebers rechtfertigen dürfte. Schließlich gibt es eine Reihe von Branchen, in denen die Arbeitgeber darauf angewiesen sind, in großem Umfang befristete Beschäftigungsverhältnisse anzubieten. Dies gilt vor allem für die stark 3 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07, Leitsatz 1. 4 BVerfG (Fn. 3), Orientierungssatz 1c. 5 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1993 - 1 BvL 38/92; BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 16/11, Rn. 19 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 8 von Saisonarbeit geprägten Branchen wie zum Beispiel der Landwirtschaft, dem Hotel- und Gaststättengewerbe oder anderen tourismusnahen Bereichen, zum Teil aber auch für die Zeitarbeit. Vor allem für diese Arbeitgeber müssten zur Wahrung des Übermaßverbots gegebenenfalls Ausnahmeoder Kompensationsregelungen eingeführt werden. Denn der Gesetzgeber muss darauf achten, dass die den Arbeitgebern auferlegte Mehrbelastung wirtschaftlich für alle betroffenen Arbeitgeber tragbar ist. Für die Rechtfertigung verfassungsrechtlich relevanter Ungleichbehandlung steht dem Gesetzgeber jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz kommt es daher nicht darauf an, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern allein darauf, ob sich die getroffene Regelung im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes hält.6 Insbesondere im Bereich der Gestaltung von Systemen sozialer Sicherheit verfügt der Gesetzgeber nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung über einen weiten Gestaltungsspielraum mit nur eingeschränkter gerichtlicher Überprüfbarkeit.7 Auch die Einschätzung, inwieweit der Gesetzgeber tätig werden muss, um einer Schwächung des Solidarsystems eines Sozialversicherungszweigs vorzubeugen, unterliegt danach einem weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum.8 2.1.5. Zwischenfazit Die Einführung eines erhöhten Arbeitgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung bei befristeter Beschäftigung stellt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung dar. Sie dient einem legitimen Ziel, zu dessen Erreichung sie geeignet und erforderlich erscheint. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit sind trotz des vom BVerfG anerkannten weiten legislativen Gestaltungsspielraums vor allem in Branchen mit strukturell hohem Befristungsanteil Bedenken nicht von der Hand zu weisen, die Ausnahme- oder Härtefallregelungen erforderlich machen könnten. 2.2. Berufsfreiheit „Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gewährt allen Deutschen das Recht, den Beruf frei zu wählen und frei auszuüben.“9 Sie erfasst nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG „jede 6 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. u. a. BVerfGE 82, 126 und BVerfGE 122, 151 (174). 7 BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 10 C 18/14, Rn. 28 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 8 BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 10 C 18/14, Rn. 28 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2008 - 1 BvR 1060/05. 9 BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2012 - 1 BvR 2983, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 9 auf die Dauer berechnete und nicht nur vorübergehende, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Betätigung“. […] Als Teil der Berufsfreiheit ist damit auch die Vertragsund Dispositionsfreiheit des Unternehmers geschützt.“10 Während die Freiheit der Berufsausübung durch eine Regelung beschränkt werden kann (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen, darf die Freiheit der Berufswahl nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz überragender Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert. Bei der vorgeschlagenen Beitragserhöhung für befristet beschäftigte Arbeitnehmer handelt es sich nicht um eine unmittelbar berufsregelnde Bestimmung. In Frage steht daher, ob durch die vorgeschlagene Regelung überhaupt in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingegriffen wird. „Der Schutz des Grundrechts ist einerseits umfassend angelegt, schützt aber andererseits nur vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind […]. So ist ein Eingriff zu bejahen, wenn eine Rechtsnorm tatbestandlich unmittelbar an bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten anknüpft, etwa wenn Abgabepflichtige gerade wegen ihrer Beteiligung an einem Markt in Anspruch genommen werden […]. Dies ist indes nicht schon dann der Fall, wenn eine Rechtsnorm, ihre Anwendung oder andere hoheitliche Maßnahmen unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfalten […]. Die Berufsfreiheit ist aber dann berührt, wenn sich die Maßnahmen zwar nicht auf die Berufstätigkeit selbst beziehen, aber die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben […].“11 „Eine solch enge Verbindung kann zwischen einer beruflichen Tätigkeit und der Erhebung von Steuern oder Abgaben vorhanden sein […].“12 Abgabelasten wie die Beitragspflichten zur Sozialversicherung stehen aber nach der Rechtsprechung des BVerfG „oft nur in einem losen Zusammenhang mit der Berufstätigkeit, so dass sie die eigentliche Berufsausübung nicht beeinflussen und der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG nicht berührt ist.“13 So werde der besondere Schutzbereich, den gerade dieses Grundrecht sichern will, etwa durch einen einkommensunabhängigen Pflichtbeitrag bei der Rentenversicherung der Handwerker nicht berührt.14 Auch durch die Zwangsmitgliedschaft eines Arztes bei der Bayerischen Ärzteversorgung sei „die besondere Freiheitsverbürgung des Art. 12 Abs. 1 GG, der besondere Freiheitsraum, den gerade dieses Grundrecht sichern will, […] nicht berührt.“15 Die zitierten Entscheidungen des BVerfG betrafen zwar immer Abgaben, die für die Person des Unternehmers selbst zu entrichten waren und damit dessen eigener sozialer Absicherung dienen 10 BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2012 - 1 BvR 2983, Rn. 14 mit weiteren Nachweisen. 11 BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2012 - 1 BvR 2983, Rn. 16 jeweils mit weiteren Nachweisen. 12 BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2012 - 1 BvR 2983, Rn. 17 mit weiteren Nachweisen. 13 BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2012 - 1 BvR 2983, Rn. 17 mit weiteren Nachweisen. 14 BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1972 - 1 BvR 288/70, Rn. 20 (zit. nach juris). 15 BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1960 - 1 BvR 239/52, Rn. 38 (zit. nach juris). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 10 sollten. Für die Frage der berufsregelnden Tendenz einer Regelung der Sozialabgaben dürfte jedoch in Bezug auf die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für abhängig Beschäftigte des Unternehmers im Ergebnis nichts anderes gelten. Damit ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG durch eine Regelung der vorgesehenen Art nicht betroffen. Ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit liegt nicht vor. 2.3. Unternehmerische Freiheit Die Unternehmerfreiheit stellt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG als Ausprägung wirtschaftlicher Entfaltungsfreiheit dar, die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird.16 Sie umfasst die Freiheit, ein Unternehmen zu gründen und zu führen, die freie Disposition über die Art und Weise, in der auf den Unternehmenserfolg hingearbeitet werden soll, über den Einsatz von Betriebs - und Investitionsmitteln. Die Unternehmerfreiheit bewahrt nicht allein vor ungerechtfertigten direkten sondern auch vor indirekten staatlichen Beeinflussungen der Unternehmensführung, etwa durch Steuern und Abgaben.17 Ob die vorliegend zu erörternde Erhöhung von Sozialbeiträgen für befristete Beschäftigungsverhältnisse in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eingreift, kann an dieser Stelle offenbleiben, denn das Grundrecht der Unternehmerfreiheit unterliegt den Schranken des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG. Das Grundrecht ist nicht verletzt, wenn die Eingriffsnorm formell und materiell verfassungsgemäß ist, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Letztlich kommt es mithin auf die im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des Gleichheitssatzes bereits behandelte Frage der Verhältnismäßigkeit (oben 2.1.4) an. 3. Gesetzliche Rentenversicherung Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung könnte eine Erhöhung des Arbeitgeberbeitrags für befristet beschäftigte Arbeitnehmer verfassungsrechtlich nur dann einem legitimen Ziel dienen, wenn die einer solchen Regelung zugrundliegende Vorstellung, dass befristete Beschäftigung mit dem Risiko finanzieller Mehrbelastungen einhergeht, tatsächlich zuträfe. In der gesetzlichen Rentenversicherung sind Zeiten der Arbeitslosigkeit als rentenrechtliche Zeit zu berücksichtigen. In Frage kommt die Anerkennung als Beitragszeit oder als beitragsfreie Anrechnungszeit . Rentenrechtliche Zeiten dienen zum einen der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente und können zum anderen die Rentenhöhe beeinflussen. Während Beitragszeiten aufgrund einer Versicherungspflicht bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ausnahmslos heranzuziehen sind, können sich beitragsfreie Anrechnungszeiten 16 BVerfGE 25, 371, 407. 17 DiFabio, Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 2, Rn. 126. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 11 hier nur bei vorzeitigen Renten auswirken. Allerdings dürfte ein Rentenanspruch nur selten von der Anerkennung einer beitragsfreien Anrechnungszeit abhängen. Die früher häufig in Anspruch genommene vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit war auf die Geburtsjahrgänge bis 1951 begrenzt und spielt heute keine Rolle mehr. Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens gezahlten Beiträge. Für die Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld I besteht grundsätzlich Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI. Die Beitragszahlung beruht gemäß § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI auf 80 Prozent des zuvor erzielten Arbeitsentgelts und erfolgt gemäß § 170 Abs. 1 Nr. 2 Bst. b) SGB VI allein durch die Bundesagentur für Arbeit. Im Rentenfall führt die Beitragszahlung zu einer entsprechend höheren Rente. Wird kein Arbeitslosengeld I oder nur Arbeitslosengeld II bezogen, kommt die Anerkennung als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in Betracht. Diese wird im Rentenfall jedoch gemäß § 74 Satz 4 Nr. 1 und 1a SGB VI nicht bewertet und kann die Rentenhöhe nur in sehr geringem Maße beeinflussen. Kurzfristig können der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung durch eine auf den Ablauf einer befristeten Beschäftigung folgenden Arbeitslosigkeit Mindereinnahmen entstehen, da der von der Bundesagentur für Arbeit für den Bezug von Arbeitslosengeld I zu zahlenden Rentenversicherungsbeitrag nur auf 80 Prozent des zuvor erzielten Arbeitsentgelts beruht. Bei längerer Arbeitslosigkeit entfällt die Beitragseinnahme in voller Höhe. Dem steht jedoch gegenüber, dass durch die Möglichkeit Beschäftigungsverhältnisse zu befristen auch Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen Mindereinnahmen verhindert werden kann. Die kurzfristigen Vor- und Nachteile befristeter Beschäftigungen dürften sich insoweit gegenseitig aufheben. Die langfristige Auswirkung von Arbeitslosigkeit auf die gesetzliche Rentenversicherung ist insgesamt als geringfügig einzustufen, da aus der geringeren, auf 80 Prozent des zuvor erzielten Arbeitsentgelts beruhenden Beitragszahlung der Bundesagentur für Arbeit für den Bezug von Arbeitslosengeld I gegenüber einer weiteren versicherten Beschäftigung später entsprechend geringere Rentenanwartschaften erwachsen. Auch eine länger anhaltende Arbeitslosigkeit hat auf die Dauer für die gesetzliche Rentenversicherung kaum Folgen, da sich der Bezug von Arbeitslosengeld II in der Rentenhöhe nur sehr wenig niederschlägt. Die gesetzliche Rentenversicherung hat demzufolge auf längere Sicht wohl kein messbares höheres Risiko durch eine höhere Arbeitslosigkeit infolge der Befristung von Beschäftigungsverhältnissen zu tragen. Das mit dem Vorschlag eines höheren Arbeitgeberbeitrags für befristete Beschäftigungen verbundene Ziel, die Risiken für die gesetzliche Rentenversicherung auszugleichen, geht somit ins Leere. Damit dürfte eine Erhöhung des Arbeitgeberbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung für befristet Beschäftigte einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. Soweit der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG betroffen sein sollte, wäre auch die unternehmerische Freiheit verletzt. Eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dürfte hingegen mangels eines Eingriffs in das Grundrecht (siehe oben 2.2) nicht vorliegen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 022/17 Seite 12 4. Fazit Während eine Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung für befristet beschäftigte Arbeitnehmer - gegebenenfalls unter Schaffung von Ausnahme- bzw. Härtefallregelungen für Arbeitgeber besonders belasteter Branchen - verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden könnte, erscheint die Erhöhung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlich nicht zulässig. Die verbindliche verfassungsrechtliche Beurteilung einer konkreten gesetzlichen Regelung obliegt jedoch letztlich allein dem Bundesverfassungsgericht. ***