Deutscher Bundestag Alterssicherung bei selbständiger Tätigkeit Welche Altersvorsorgemöglichkeiten sind für Selbständige vorgesehen? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2012 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000-022/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 2 Alterssicherung bei selbständiger Tätigkeit Welche Altersvorsorgemöglichkeiten sind für Selbständige vorgesehen? Aktenzeichen: WD 6 – 3000-022/12 Abschluss der Arbeit: 15. März 2012 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Alterssicherung auf drei Säulen 4 2. Deckungsgrad der bestehenden Sicherungssysteme für Selbständige 5 3. Nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige 5 4. Selbständige in der gesetzlichen Rentenversicherung 6 4.1. Versicherungspflicht kraft Gesetzes 7 4.2. Höhe der von den versicherungspflichtigen Selbständigen zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung 7 4.3. Schutzbedürftige Selbständige 8 4.3.1. Lehrer und Erzieher 8 4.3.2. Pflegepersonen in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege 9 4.3.3. Künstler und Publizisten 9 4.3.4. Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben 10 4.3.5. Selbständige mit nur einem Auftraggeber 11 4.3.6. Weitere schutzbedürftige Selbständige 11 4.3.7. Auf Antrag pflichtversicherte Selbständige 11 4.4. Freiwillig versicherte Selbständige 12 4.5. Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung 12 4.6. Finanzierung durch Beitragszahlungen und Aufwendungen des Bundes 13 5. Landwirtschaftliche Alterssicherung 13 5.1. Versicherter Personenkreis 14 5.2. Finanzierung durch Beitragszahlungen und Defizitdeckung des Bundes 14 5.3. Leistungen aus der Alterssicherung der Landwirte 15 6. Berufsständische Versorgung 15 6.1. Versicherter Personenkreis 16 6.2. Leistungen aus der berufsständischen Versorgung 16 6.3. Finanzierung durch Beitragszahlungen 17 7. Aktuelle wissenschaftliche und politische Reformvorschläge zur obligatorischen Alterssicherung von Selbständigen 18 7.1. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 18 7.2. Haltung der Parteien 19 7.3. Haltung der Verbände und Sozialpartner 20 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 4 1. Alterssicherung auf drei Säulen In Deutschland hat sich seit der Industrialisierung ein differenziertes Alterssicherungssystem gebildet, das, wie in den meisten entwickelten Ländern, auf drei Säulen beruht. So erfolgt die finanzielle Absicherung der älteren Generation über diverse öffentlich-rechtliche Pflichtsysteme sowie die betriebliche und private Altersvorsorge.1 Zur ersten und wichtigsten Säule der Alterssicherung ist die gesetzliche Rentenversicherung zu zählen, in der die abhängig Beschäftigten als größte Gruppe der Erwerbstätigen und bestimmte selbständig Erwerbstätige pflichtversichert sind. Hintergrund für die Einbeziehung bestimmter Selbständiger war die soziale Schutzbedürftigkeit.2 Daneben bestehen als obligatorische weitere Alterssicherungssysteme der ersten Säule die Beamtenversorgung, die Alterssicherung der Landwirte und die berufsständischen Versorgungswerke als Pflichtsystem für die Angehörigen der freien Kammerberufe, zum Beispiel Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten u. a. Zur zweiten Säule der Alterssicherung werden als betriebliche Altersversorgung Leistungen verstanden, die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern zur Sicherung der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung zusagen. Zur dritten Säule der Alterssicherung, der privaten Altersvorsorge, werden alle Formen der privaten Vermögensbildung gezählt, die der Vorsorge für das Alter dienen können. Den einzelnen Sicherungssystemen kommt eine unterschiedliche Bedeutung zu: Die Systeme der ersten Säule stellen in der Regel den größten Teil der zur Absicherung des Lebensstandards erforderlichen Mittel zur Verfügung und haben deshalb für die dort Versorgten die Funktion einer Regel- oder Basissicherung. Die betriebliche Altersversorgung hat als zweite Säule die Funktion, eine vorhandene Regel- oder Basissicherung zu ergänzen. Mit der privaten Altersvorsorge in der dritten Säule, zum Beispiel im Rahmen von Lebensversicherungen oder privaten Rentenversicherungen , ist eine eventuelle Versorgungslücke im Alter zwischen dem letzten Erwerbseinkommen und den Leistungen der ersten beiden Säulen zu schließen. Für Beschäftigte hat die dritte Säule somit ebenfalls die Funktion als Ergänzungssicherung. Personen, die nicht der gesetzlichen Rentenversicherung oder einem anderen System der ersten Säule angehören, sind dagegen auf die private Vorsorge als Regelsicherung angewiesen. Die für die jeweiligen Berufsgruppen im Laufe vieler Jahrzehnte entwickelten Alterssicherungssysteme weichen im Hinblick auf die Ausgestaltung der Finanzierung und der Leistungen zum Teil stark voneinander ab. Diese Abweichungen sind Ergebnis historischer Entwicklungen . Die einzige größere Gruppe von Erwerbstätigen, die von keinem obligatorischen Alterssicherungssystem erfasst wird, betrifft die klassischen Unternehmer. Für diese wurde aufgrund des fehlenden Schutzbedürfnisses bisher kein Erfordernis gesehen, sie in ein öffentlich-rechtliches Pflichtsystem einzubeziehen. Deshalb sind selbständig tätige Unternehmer, soweit sie nicht freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind oder auf Antrag Pflichtbeiträge dorthin zahlen, allein auf die private Altersvorsorge angewiesen. 1 Eine Darstellung der Alterssicherung für verschiedene Gruppen von Erwerbstätigen in Deutschland enthält: Viebrok, Holger und Himmelreicher, Ralf K., S. 22. 2 Kreikebohm, Ralf und Kuszynski, Jens (Kapitel 10, Rd. 20). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 5 2. Deckungsgrad der bestehenden Sicherungssysteme für Selbständige Insgesamt waren im Jahre 2010 von rund 40,375 Millionen inländischen Erwerbspersonen rund 4,411 Millionen als Selbständige oder deren mithelfende Familienangehörige tätig.3 Eine Untersuchung über die in öffentlich-rechtlichen Pflichtsystemen der Alterssicherung einbezogenen Selbständigen kommt zu dem Ergebnis, dass von den im Jahre 2005 in Deutschland erfassten 3,87 Millionen selbständig Tätigen ohne mithelfende Familienangehörige unter 65 Jahre 382.995 Personen versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung waren.4 Dies entspricht einem Anteil von 9,9 vom Hundert. Der Rentenversicherungspflicht unterliegen Künstler, Publizisten , Handwerker und andere schutzbedürftige Selbständige, insbesondere, wenn sie keine Mitarbeiter beschäftigen. Jeder 20. selbständig Tätige war Mitglied einer landwirtschaftlichen Alterskasse , in der 195.190 Landwirte versichert waren. Hinzu kommen noch die Ehegatten und mithelfenden Familienangehörigen. In die berufsständischen Versorgungseinrichtungen waren 335.375 Freiberufler und damit 8,7 vom Hundert der selbständig Tätigen einbezogen. Nur insgesamt 23,6 vom Hundert der selbständig Tätigen waren somit in Deutschland in einem öffentlichrechtlichen Pflichtsystem für das Alter abgesichert. In anderen Publikationen wird ebenfalls davon ausgegangen, dass etwa drei Viertel der Selbständigen keiner gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegen. An der Gesetzeslage hat sich seitdem nichts geändert, so dass die übrigen knapp drei Millionen Selbständigen weiterhin nicht obligatorisch abgesichert sind und somit für ihre Altersversorgung selbst verantwortlich sind. 3. Nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige Nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige haben vielfältige Möglichkeiten zur Altersvorsorge. Nahezu jede Vermögensanlage kann der Alterssicherung dienen. Eine Erfassung entsprechender Aktivitäten nach Berufsgruppen erfolgt daher nicht. So wird die ausgeübte berufliche Tätigkeit von freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Personen beispielsweise nicht im maschinellen Versicherungskonto vermerkt. Aussagefähige Erhebungen, ob und in welcher Form nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige individuell für ihr Alter vorsorgen, sind nicht bekannt. Problematisch ist, dass einem großen Teil der Selbständigen nur ein geringes Einkommen zur Verfügung steht, das sie für ihre Altersversorgung aufwenden können.5 Ob sich Selbständige eigenverantwortlich für das Alter absichern, ist abhängig von ihrer Sparfähigkeit und Sparbereitschaft. Seit Einführung der Grundsicherung im Alter im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist gerade bei geringeren Einkünften aus einer selbständigen Tätigkeit zu befürchten, dass von einer privaten Alterssicherung abgesehen wird, da die zu leistenden Altersvorsorgeaufwendungen voraussichtlich keine Auswirkung auf die Einkünfte im Alter entfalten (so genannte Trittbrettfahrerproblematik).6 3 Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, S. 252. 4 Kohlmeyer, Anabell (2009), S. 22, 23. 5 Ziegelmeyer, Michael (2010), S. 200 – 201. 6 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, S. 317 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 6 Die von der Deutschen Rentenversicherung Bund und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene Studie Altersvorsorge in Deutschland (AVID 2005) umfasst nur die Geburtsjahrgänge 1942 bis 1961. Eine Analyse der Alterssicherung nicht obligatorisch abgesicherter Selbständiger hat deshalb zu berücksichtigen, dass diese Personengruppe nicht an einem Stichtag im Querschnitt, sondern mit einer längsschnittlichen Definition abzugrenzen ist.7 Danach weisen insgesamt etwa 14 vom Hundert der in der AVID 2005-Studie befragten Personen in ihren Erwerbsbiographien Phasen der Selbständigkeit auf. Davon sind fünf vom Hundert in einem öffentlich-rechtlichen Pflichtsystem versichert, während neun vom Hundert keiner Versicherungspflicht unterliegen. Der Anteil der Personen mit Phasen einer selbständigen Tätigkeit ist in den jüngeren Geburtsjahrgängen deutlich höher. Gleichzeitig nimmt die Anzahl der Selbständigen ohne Absicherung bei der jüngsten Kohorte deutlich zu. Aus diesem Trend ist zu schließen , dass künftig ein größerer Personenkreis als bisher ohne obligatorische Alterssicherung sein wird. Kapitalgedeckte private Rentenversicherungen werden seit dem Jahr 2005 als Basisversorgung staatlich gefördert, wenn sie eine lebenslange Rentenzahlung vorsehen und die Ansprüche nicht vererblich, nicht übertragbar, nicht beleihbar, nicht veräußerbar und nicht kapitalisierbar sind.8 In erster Linie richtet sich die staatliche Förderung solcher Basisversorgungen an nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige, da diese nach dem Alterseinkünftegesetz sonst im Gegensatz zu in öffentlich-rechtlichen Alterssicherungssystemen pflichtversicherten Personen keine Möglichkeit hätten, die Altersvorsorgeaufwendungen steuerlich zu berücksichtigen. Ende 2008 waren 850.000 Verträge über Basisversorgungen abgeschlossen.9 4. Selbständige in der gesetzlichen Rentenversicherung In § 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind Personen genannt, die kraft Gesetzes als Selbständige rentenversicherungspflichtig sind. Besteht keine Versicherungspflicht, z. B. weil eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, die von § 2 SGB VI nicht erfasst wird, ist bis fünf Jahre nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit die Versicherungspflicht auf Antrag nach § 4 Abs. 2 SGB VI oder die Zahlung von freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 7 SGB VI möglich.10 Im Jahre 2009 waren in der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt 253.135 selbständig Tätige versicherungspflichtig. Davon waren 157.002 Künstler und Publizisten , 51.753 Handwerker und 10.316 auf Antrag Pflichtversicherte.11 7 Frommert, Dina und Loose, Brigite L. (2009). 8 § 10 Abs. 1 Nr 2 Einkommensteuergesetz. 9 Ruland, Franz (2010). 10 Eine ausführliche Darstellung der Rechtslage, insbesondere zu den einzelnen versicherten Personengruppen, enthält die Publikation „Selbständige in der Rentenversicherung, herausgegeben von der Deutschen Rentenversicherung Bund. 11 Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, S. 39. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 7 4.1. Versicherungspflicht kraft Gesetzes Anknüpfungspunkt für die Versicherungspflicht ist die soziale Schutzbedürftigkeit. Danach ist darauf abzustellen, ob aufgrund der Eigenart der selbständigen Tätigkeit ohne eine entsprechende Versicherungspflichtregelung im Alter ein ausreichendes Einkommen vorhanden sein wird. Allen kraft Gesetzes versicherungspflichtigen Selbständigen ist gemeinsam, dass die Art ihrer Erwerbstätigkeit nicht ohne weiteres auch die Annahme einer dauerhaften Existenzgrundlage im Alter rechtfertigt. Das Gesetz geht deshalb bei der Einbeziehung bestimmter Gruppen von Selbständigen in die Versicherungspflicht von dem Erfordernis einer gleichen obligatorischen Absicherung gegen die biometrischen Risiken Alter, Erwerbsminderung und Tod, wie sie für abhängig beschäftigte Arbeitnehmer besteht, aus. Die Auswahl der Berufsgruppen beruht dabei auf einer typisierenden Betrachtungsweise ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit, d. h., die Versicherungspflicht tritt bei Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale unabhängig von der konkreten sozialen Schutzbedürftigkeit im Einzelfall ein. Die obligatorische Einbeziehung verschiedener Gruppen von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung stellt eine sachlich gerechtfertigte und damit eine mit dem Grundgesetz in Einklang stehende gesetzliche Maßnahme dar. Auch das Bundessozialgericht hat diesen Ansatz wiederholt bestätigt.12 Die im Gesetz genannten Berufsgruppen unterliegen der Versicherungspflicht selbst dann, wenn sie im Einzelfall zu einer eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge befähigt oder auf Grund ihrer individuellen Lebensverhältnisse nicht schutzbedürftig sind. 4.2. Höhe der von den versicherungspflichtigen Selbständigen zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung Die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung sind grundsätzlich von den versicherungspflichtigen Selbständigen in voller Höhe zu tragen.13 Ausnahmen gelten für Künstler und Publizisten , für deren Beitragszahlung die Versicherten, der Bund und die Unternehmen, die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten, aufkommen, sowie für Hausgewerbetreibende, deren Beiträge zur Hälfte von den Auftraggebern zu tragen ist. Die vorhandenen beitragsrechtlichen Regelungen bieten für Selbständige differenzierte Lösungen an, um der besonderen Einkommenssituation dieses Personenkreises gerecht zu werden. Dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit wird dadurch Rechnung getragen, dass versicherte Selbständige , wenn sie dies wünschen, einkommensgerechte Beiträge zahlen können. Ohne besonderen Antrag auf einkommensgerechte Beitragszahlung wird der Regelbeitrag regelmäßig nach einem Einkommen bemessen, das dem Durchschnittsentgelt aller Rentenversicherten entspricht.14 Bis zum Ablauf von drei Kalenderjahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit kann ohne Nachweis des tatsächlich erzielten Arbeitseinkommens der halbe Regelbeitrag gezahlt werden. 12 Z. B. Urteil vom 12.Oktober 2000, Az. B 12 RA 2/99 R. 13 § 169 SGB VI. 14 Vgl. § 165 SGB VI. Das als Bezugsgröße in § 18 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) genannte Durchschnittsentgelt beträgt für das Jahr 2012 in Westdeutschland 31.500 Euro und in Ostdeutschland 26.880 Euro. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 8 Soweit aus der selbständigen Tätigkeit unterdurchschnittliche Einkünfte erzielt werden, kann zur gesetzlichen Rentenversicherung auf Antrag ein entsprechend niedrigerer Beitrag gezahlt werden. Als Mindesteinkommen ist gegebenenfalls die Geringfügigkeitsgrenze von 400 Euro maßgebend. Umgekehrt können höhere Arbeitseinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze einkommensgerecht versichert werden. Für das Jahr 2012 ergeben sich bei dem aktuellen Beitragssatz von 19,6 vom Hundert folgende Beträge: Westdeutschland Ostdeutschland Mindestbeitrag 78,40 Euro 78,40 Euro Regelbeitrag 514,50 Euro 439,04 Euro Halber Regelbeitrag 257,25 Euro 219,52 Euro Höchstbeitrag 1.097,60 Euro 940,80 Euro Bei Vorliegen von Gründen persönlicher Unbilligkeit, z. B. bei wirtschaftlichen Notlagen, können Beiträge im Einzelfall gestundet, niedergeschlagen oder erlassen werden.15 4.3. Schutzbedürftige Selbständige Ein den Arbeitnehmern vergleichbares Schutzbedürfnis, das ihre Einbeziehung in den versicherten Personenkreis rechtfertigt, besteht für selbständig Tätige insbesondere, wenn sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts ebenso wie Arbeitnehmer maßgeblich auf die Verwertung ihrer eigenen Arbeitskraft angewiesen sind. In der gesetzlichen Rentenversicherung sind aus diesem Grunde folgende selbständig Tätige versicherungspflichtig: 4.3.1. Lehrer und Erzieher Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, unterliegen bereits seit 1899 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.16 Als Lehrer oder Erzieher gilt in diesem Sinne jeder, der durch Erteilung von theoretischem oder praktischem Unterricht von Mensch zu Mensch Allgemeinbildung, Fertigkeiten oder spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt. Auf die Ausbildung, ein bestimmtes Studium oder gar ein staatliches Lehrerexamen kommt es nicht an. Der Inhalt des Unterrichts ist ebenso wenig entscheidend wie die Art des Auftraggebers. Der Begriff des Lehrers ist in diesem Zusammenhang außerordentlich weit gefasst. Hierunter fallen nicht nur die klassischen Lehrer an allgemeinbildenden Schulen, sondern zum Beispiel auch die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Lehrbeauftragten und Dozenten an staatlichen und privaten Bildungseinrichtungen, ferner Repetitoren, Nachhilfe-, Sprach und Fahrlehrer sowie Sporttrainer, Fitness- und Aerobicübungsleiter. 15 § 76 Abs. 2 SGB IV. 16 § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sowie vorhergehende Regelungen, z. B. § 1 Nr. 2 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 9 Für das Vorliegen der Versicherungspflicht für Erzieher gilt eine ähnlich weite Auslegung des Begriffs der Erziehung. Auch hier kommt es wie bei den Lehrern nicht auf eine bestimmte Ausbildung an. Unter die Gruppe der Erzieher fallen somit beispielsweise auch Tagesmütter.17 4.3.2. Pflegepersonen in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege Auch erwerbsmäßig selbständig tätige Pflegepersonen in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Hierzu gehören Pflegepersonen, die grundsätzlich auf ärztliche Anoder Verordnung tätig sind und Art und Umfang der medizinisch erforderlichen Behandlung nicht selbst bestimmen können. Neben selbständigen Krankenschwestern und Krankenpflegern gehören Masseure, Physio- und Ergotherapeuten, nicht jedoch Logopäden zum versicherungspflichtigen Personenkreis.18 4.3.3. Künstler und Publizisten Seit dem Inkrafttreten des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) im Jahre 1983 gehören Künstler und Publizisten, soweit sie keinen anderweitigen ausreichenden sozialen Schutz haben, zum versicherten Personenkreis der gesetzlichen Rentenversicherung.19 20 Darüber hinaus liegt grundsätzlich auch eine Versicherungspflicht in der Kranken-, Unfall und Pflegeversicherung vor. Besonderheiten bestehen gegenüber den anderen versicherten Selbständigen insbesondere beim Beitragseinzug, den die Unfallkasse des Bundes als Künstlersozialkasse (KSK) mit Sitz in Wilhelmshaven durchführt. Die KSK entscheidet auch über die Versicherungszugehörigkeit, ist jedoch im Gegensatz zu den landwirtschaftlichen Alterskassen kein eigener Versicherungsträger. Die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden durch die Deutsche Rentenversicherung erbracht. Insoweit ist die Künstlersozialversicherung keine eigenständige berufsständische Versorgungseinrichtung. Künstler ist in diesem Zusammenhang, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt; Publizist ist, wer als Schriftsteller, Journalist oder in anderer Weise publizistisch tätig ist.21 Die Versicherungspflicht ist nicht von bestimmten Qualifikationen oder einem bestimmten künstlerischen oder publizistischen Wert der Tätigkeit abhängig. Die Tätigkeit muss selbständig, erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausgeübt werden. Im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit darf regelmäßig nicht mehr als ein versicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt werden. Die Versicherungspflicht nach dem KSVG setzt weiter voraus, dass aus der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nach Ablauf von drei Jahren grundsätzlich ein jährliches Mindesteinkommen von 3.900 Euro erzielt wird. Dieser 17 BSG B 12 RA 12/04 R. 18 § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. 19 Vgl. Abhandlung zur Künstlersozialversicherung in: Übersicht über das Sozialrecht (2010), S. 750 ff. 20 § 2 Satz 1 Nr. 5 SGB VI. 21 §§ 1 ff. KSVG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 10 Betrag ist seit dem Jahr 2008 nicht mehr an die sonst in der Sozialversicherung geltende Geringfügigkeitsgrenze gebunden und wird zurzeit nicht mehr automatisch angepasst. Die Versicherungspflicht beginnt gegebenenfalls mit dem Tag der Meldung bei der KSK, zu der jeder selbständige Künstler oder Publizist nach dem KSVG verpflichtet ist. Besondere leistungsrechtliche Vorschriften enthält das KSVG nicht, d. h. die versicherten Künstler und Publizisten erhalten grundsätzlich die in der gesetzlichen Rentenversicherung üblichen Leistungen. Die Mittel für die Künstlersozialversicherung werden zur einen Hälfte durch Beitragsanteile der versicherten Künstler und Publizisten und zur anderen Hälfte durch die so genannte Künstlersozialabgabe und einen Zuschuss des Bundes aufgebracht. Die Beiträge bemessen sich nach dem voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommen aus der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit, das die Versicherten der KSK zu melden haben. Bei der Künstlersozialabgabe handelt es sich um eine Umlage, die die KSK bei bestimmten Verwertern von Kunst und Publizistik erhebt. Zur Abgabe herangezogen werden Unternehmen, die darauf ausgerichtet sind, Werke oder Leistungen selbständiger Künstler oder Publizisten für Zwecke des Unternehmens gegen Entgelt zu nutzen. Dies sind beispielsweise Verlage, Hersteller von Tonträgern, Galerien, Werbeagenturen, Konzertveranstalter , Theater, Museen, Medienunternehmen. Bemessungsgrundlage für die Abgabe sind die an selbständige Künstler und Publizisten gezahlten Honorare. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine nach dem KSVG versicherungspflichtige künstlerische oder publizistische Tätigkeit ausgeübt wird. Die Höhe der Künstlersozialabgabe richtet sich nach einem Prozentsatz, der entsprechend dem Finanzbedarf der KSK bestimmt wird. Jeder abgabepflichtige Unternehmer hat nach Ablauf eines Kalenderjahres die für die Künstlersozialabgabe maßgebenden Honorare der KSK zu melden und die Abgabe zu zahlen. Neben der Künstlersozialabgabe finanziert sich die zweite Beitragshälfte in der Künstlersozialversicherung aus einem Zuschuss des Bundes. Dieser Zuschuss soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die versicherten Künstler und Publizisten ihre Honorare nicht ausschließlich von abgabepflichtigen Unternehmern, sondern auch von Endabnehmern, z. B. Gagen für Auftritte bei Vereinsfeiern oder sonstigen privaten Festen, erhalten. Diese Endabnehmer sind keine Verwerter und können deshalb auch nicht zu einer Abgabe herangezogen werden. In diesen Fällen wird die zweite Beitragshälfte aus dem Bundeszuschuss aufgebracht. Dieser Zuschuss beträgt ein Fünftel des Gesamtbeitrags zur KSK. 4.3.4. Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben In die Handwerksrolle eingetragene Handwerker unterliegen bereits seit 1939 der Rentenversicherungspflicht . Das Handwerkerversicherungsgesetz hatte die Dauer der Versicherungspflicht für alle Handwerker auf 18 Beitragsjahre begrenzt. Seit dem Rentenreformgesetz 1992 endet die Versicherungspflicht für Handwerker nach einer 18-jährigen Pflichtversicherungszeit nicht mehr automatisch, sondern nur noch auf Antrag.22 Die Pflichtversicherung der Handwerker stellt sich somit als bloße Grundsicherung dar, die ggf. durch zusätzliche private Vorsorgemaßnahmen des Handwerkers zu ergänzen ist. Als Ausnahme sind selbständige Bezirksschornsteinfeger ohne 22 § 2 Satz 1 Nr. 8, § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 11 zeitliche Begrenzung versicherungspflichtig, weil für sie ein auf die gesetzliche Rentenversicherung abgestimmtes Zusatzversorgungsystem besteht.23 4.3.5. Selbständige mit nur einem Auftraggeber Selbständige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, deren Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig 400 Euro im Monat übersteigt und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, unterliegen als arbeitnehmerähnliche so genannte Solo- Selbständige seit dem Jahr 1999 ebenfalls der Rentenversicherungspflicht.24 Anders als bei den vorher genannten Berufsgruppen hängt diese Versicherungspflicht nicht von einem bestimmten ausgeübten Beruf ab und kann daher grundsätzlich jede Art selbständiger Tätigkeit betreffen. Die Vorschrift soll der Erosion des versicherungspflichtigen Personenkreises durch die Umwandlung von Beschäftigung in Auftragsvergabe an Solo-Selbständige entgegenwirken und zugleich diejenigen Selbständigen in die Pflichtaltersvorsorge einbeziehen, die sozial ebenso schutzwürdig erscheinen wie die anderen vom SGB VI erfassten Personen. 4.3.6. Weitere schutzbedürftige Selbständige Im SGB VI sind als weitere schutzbedürftige Personengruppen Hebammen und Entbindungspfleger , Seelotsen, Hausgewerbetreibende, Küstenschiffer und Küstenfischer und Existenzgründer genannt.25 Letztere unterliegen nicht mehr der Rentenversicherungspflicht, da ein die Versicherungspflicht auslösender Existenzgründungszuschuss nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht mehr geleistet wird. 4.3.7. Auf Antrag pflichtversicherte Selbständige Nicht nur vorübergehend selbständig Tätige, die nicht bereits kraft Gesetzes versicherungspflichtig sind, können der gesetzlichen Rentenversicherung auf Antrag als Pflichtversicherte beitreten .26 Mit der Zahlung des Regelbeitrags, des halben Regelbeitrags oder eines einkommensgerechten Beitrags zwischen dem Mindest- und dem Höchstbeitrag erwerben sie die gleichen Rechte auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung wie die übrigen versicherungspflichtigen Personen. Der Antrag ist innerhalb von fünf Jahren seit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu stellen. Die Versicherungspflicht beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt, frühestens jedoch mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen eingetreten sind. Im Unterschied zur freiwilligen Versicherung kann die Versicherungspflicht auf Antrag nicht durch freie Entscheidung des Versicherten wieder aufgegeben werden. Sie endet erst mit dem Rentenalter oder bei Aufgabe der selbständigen Tätigkeit. 23 Übersicht über das Sozialrecht (2010), S. 798 ff. 24 § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. 25 § 2 Satz 1 Nr. 3, 4, 6, 7 und 10 SGB VI. 26 Übersicht über das Sozialrecht (2010), S. 305. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 12 4.4. Freiwillig versicherte Selbständige Im Gegensatz zu Pflichtbeiträgen wirken sich freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht für alle Anspruchsvoraussetzungen aus. Beispielsweise besteht auch bei freiwilliger Versicherung in der Regel kein Anwartschaftsschutz für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit . Auch gibt es in der Rentenberechnung Unterschiede zwischen Pflicht- und freiwilliger Versicherung. So erfolgt zwar für die Zeit der Erziehung eines Kinders bis zu dessen zehnten Lebensjahr eine Höherbewertung von gleichzeitig vorliegenden Pflichtbeiträgen, nicht jedoch von freiwillig gezahlten Beiträgen. In die gesetzliche Rentenversicherung zahlen derzeit knapp 400.000 Versicherte freiwillige Beiträge .27 Wie viele davon selbständig tätig sind, ist nicht bekannt. 4.5. Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung Zwar bedeutet die Auferlegung einer Versicherungspflicht zunächst eine finanzielle Belastung. Die Versicherungspflicht bietet aber auf der anderen Seite den Schutz der Versichertengemeinschaft und schafft eine Grundlage für eine sichere Vorsorge. So bleibt etwa durch die verpflichtende Beitragszahlung während der Selbständigkeit das volle Leistungsspektrum der Rentenversicherung erhalten. Darunter fallen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben, Renten wegen Erwerbsminderung und wegen Alters sowie die Absicherung von Hinterbliebenen im Falle des Todes. Hinzu kommt die Beteiligung der Rentenversicherung an den Aufwendungen der Rentenbezieher für die Kranken- und Pflegeversicherung. Anspruch auf Altersrente besteht spätestens bei Vollendung der Regelaltersgrenze, wenn die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt ist. Hierfür müssen für mindestens 60 Monate Pflichtoder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen oder entsprechende Anwartschaften aus einem Versorgungsausgleich oder Rentensplitting übertragen worden sein. Die Regelaltersgrenze wird ab dem Jahr 2012 schrittweise nach Geburtsjahrgängen vom 65. auf das 67. Lebensjahr angehoben. Unter bestimmten Voraussetzungen kann aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine vorzeitige Altersrente gezahlt werden. Dabei sind aufgrund der aus der vorzeitigen Inanspruchnahme folgenden längeren Rentenlaufzeit versicherungsmathematische Rentenabschläge in Kauf zu nehmen. Für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme vor Eintritt der Regelaltersgrenze verringert sich die Altersrente um 0,3 vom Hundert. Die monatliche Rente einer rechtzeitig in Anspruch genommenen Altersrente aufgrund der Zahlung des Regelbeitrags für ein Jahr beträgt seit dem 1. Juli 2011 in Westdeutschland 27,47 Euro, in Ostdeutschland 24,37 Euro.28 Die Standardrente, der eine Beitragszahlung aufgrund eines durchschnittlichen Einkommens für 45 Jahre zugrunde liegt, beträgt in Westdeutschland zurzeit 1.236,15 Euro und in Ostdeutschland 1.096,65 Euro. Als Sicherungsniveau wird der Verhältniswert aus der verfügbaren Standardrente und dem verfügbaren Durchschnittsentgelt bezeichnet. Verfügbare Standardrente ist die ohne Berücksichti- 27 Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, S. 37. 28 Entspricht den aktuellen Rentenwerten aus § 1 Rentenwertbestimmungsverordnung 2011. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 13 gung der auf sie entfallenden Steuern, um den allgemeinen Beitragsanteil zur Krankenversicherung und den Beitrag zur Pflegeversicherung geminderte Standardrente. Verfügbares Durchschnittsentgelt ist das Durchschnittsentgelt ohne Berücksichtigung der darauf entfallenden Steuern , gemindert um den durchschnittlich zu entrichtenden Arbeitnehmersozialbeitrag einschließlich des durchschnittlichen Aufwands zur zusätzlichen Altersvorsorge. Das Sicherungsniveau vor Steuern betrug im Jahr 2010 nach vorläufiger Berechnung 51,5 vom Hundert.29 Bis zum Jahr 2020 soll das Sicherungsniveau vor Steuern 46 vom Hundert und bis zum Jahr 2030 43 vom Hundert nicht unterschreiten. 4.6. Finanzierung durch Beitragszahlungen und Aufwendungen des Bundes Die gesetzliche Rentenversicherung wird in Deutschland durch die Beitragszahlungen der Versicherten und Arbeitgeber sowie durch Bundeszuschüsse finanziert. Die Beitragszahlungen werden im Umlageverfahren für die Rentenzahlungen an die derzeitigen Rentner verwandt. Die Versicherten erhalten im Gegenzug einen Anspruch auf den Bezug einer Rente im Alter. Abgesehen von einer Nachhaltigkeitsrücklage, der die Überschüsse der Einnahmen zugeführt werden und aus der Defizite zu decken sind, wird kein Kapitalstock gehalten. Das reine Umlageverfahren wurde mit dem Finanzänderungsgesetz 1968 eingeführt. 5. Landwirtschaftliche Alterssicherung Für landwirtschaftliche Unternehmer und ihre mithelfenden Familienangehörigen besteht in Deutschland ein eigenes berufsständisches Sicherungssystem, das der Sozialversicherung zugeordnet ist.30 Die landwirtschaftliche Sozialversicherung gliedert sich in die landwirtschaftliche Unfallversicherung (seit 1885), die Alterssicherung der Landwirte (1957) und die landwirtschaftliche Krankenversicherung (1972). Die Alterssicherung für Landwirte besteht als eigenständiges öffentlich-rechtliches Alterssicherungssystem der Haupt-, Zuerwerbs- und Nebenerwerbslandwirte sowie deren Ehegatten und mitarbeitenden Familienangehörigen neben der gesetzlichen Rentenversicherung und ist nicht – anders als die knappschaftliche Rentenversicherung – im SGB VI, sondern im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) geregelt. Sie verfolgt neben der Alterssicherung auch agrarstrukturpolitische Ziele, indem sie z. B. die Gewährung von Altersrenten stets von der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens abhängig macht. Damit soll erreicht werden, dass der Hofnachfolger das Unternehmen frühzeitig übernehmen kann und der Altersgeldempfänger sich in der Regel mit Erreichen des 65. Lebensjahres aus der Unternehmensleitung zurückzieht.31 Die Alterssicherung für Landwirte ist 1995 umfassend reformiert worden. Sie stellt im Gegensatz zu anderen Alterssicherungssystemen nur eine Teilsicherung dar, weil zur Sicherung des Lebensstandards bereits das notariell mit dem Erben und Nachfolger vereinbarte Altenteil beiträgt.32 29 Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, S. 238. 30 § 4 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) 31 Übersicht über das Sozialrecht (2010), S. 808. 32 Wirth, Christian (2007). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 14 Auch wenn an der Teilsicherung festgehalten wurde, erfolgte im Laufe der Zeit eine Annäherung der Alterssicherung für Landwirte an die Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung. So wurden die wegen der demografischen Entwicklung erforderlich gewordenen Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung, wie die Anhebung der Regelaltersgrenze, wirkungsgleich auf die Alterssicherung für Landwirte übertragen. Ein wesentlicher Unterschied zur gesetzlichen Rentenversicherung besteht aufgrund der für die Landwirtschaft typischen Familienbetriebe in der Versorgung mitarbeitender Ehefrauen. Inklusive der Eheleute und mithelfender Familienangehöriger verzeichnet die Statistik der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung rund 250.000 aktiv Versicherte.33 5.1. Versicherter Personenkreis Pflichtversichert in der Alterssicherung der Landwirte sind Unternehmer der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Wein-, Obst-, Gemüse- und Gartenbaus sowie der Teichwirtschaft und der Fischzucht. Versicherungspflicht besteht jedoch nur, wenn das Unternehmen eine bestimmte Mindestgröße erreicht. Diese Mindestgröße wird von jeder landwirtschaftlichen Alterskasse unter Berücksichtigung der örtlichen oder regionalen Gegebenheiten eigenverantwortlich festgelegt. Im Bundesdurchschnitt bilden etwa vier Hektar eine Mindestgröße. Pflichtversicherte in der Alterssicherung der Landwirte sind außerdem die mitarbeitenden Familienangehörigen des Unternehmers und seines Ehegatten, wenn sie hauptberuflich im Unternehmen mitarbeiten. Die Zahl der beitragspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmer ist stark rückläufig. Daran konnte auch die 1995 geregelte Einbeziehung der Eheleute von Landwirten in die Versicherungspflicht letztlich nichts ändern. So ist die Zahl der Versicherten von fast 800.000 im Jahre 1958 auf unter 250.000 im Jahre 2011 gesunken. Ehemalige landwirtschaftliche Unternehmer sowie die ehemalig als Ehegatten versicherten Landwirte, die – z. B. wegen Aufgabe oder Veräußerung des Unternehmens – in der Alterssicherung der Landwirte nicht mehr versicherungspflichtig sind, können die Versicherung unter bestimmten Voraussetzungen freiwillig fortsetzen. Hiervon wird jedoch nur in sehr begrenztem Umfang Gebrauch gemacht. 5.2. Finanzierung durch Beitragszahlungen und Defizitdeckung des Bundes Der von den landwirtschaftlichen Unternehmern aufzubringende Einheitsbeitrag wird entsprechend dem Beitrags-/Leistungsverhältnis in der gesetzlichen Rentenversicherung festgesetzt. Dabei wird den unterschiedlichen Leistungsstrukturen zwischen Alterssicherung der Landwirte einerseits und gesetzlicher Rentenversicherung andererseits durch einen Abschlag in Höhe von 10 vom Hundert Rechnung getragen. Seit 1. Januar 2012 beträgt der vom Einkommen unabhängige monatliche Beitrag zur landwirtschaftlichen Alterskasse in Westdeutschland 224 Euro und Ostdeutschland 191 Euro. Versicherte, deren Gesamteinkünfte den Betrag von 15.500 Euro (für Ehepaare: 31.000 Euro) jährlich nicht übersteigen erhalten einen Beitragszuschuss. 33 Quartalsstatistik III/2011, abrufbar im Internet: http://www.lsv.de/spv/02_lsv/statistiken/1_adl/01quartal_adl/index.html (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 15 Die Differenz zwischen den Gesamtausgaben und den Beitragseinnahmen trägt der Bund. Der Bund hat mit der Defizitdeckung das agrarstrukturelle Risiko übernommen und garantiert die finanzielle Stabilität der Alterssicherung der Landwirte. Ein Kapitalstock wird nicht gehalten. 5.3. Leistungen aus der Alterssicherung der Landwirte Die Leistungen der Alterssicherung der Landwirte orientieren sich grundsätzlich an denen der gesetzlichen Rentenversicherung. Da die Alterssicherung der Landwirte als Teilsicherung konzipiert ist, sind die Rentenleistungen jedoch betragsmäßig durchweg niedriger als die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Altersrenten sind keine Vollversorgung, da die Landwirte im Ruhestand meist, wie bereits dargestellt, über weitere Einnahmequellen verfügen. Hinzu kommen Besonderheiten durch die zusätzlichen agrarpolitischen Ziele, die mit der Alterssicherung der Landwirte verfolgt werden. Die Altersgrenze für eine Regelaltersrente aus der Alterssicherung der Landwirte entspricht der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Regelungen über den vorzeitigen Bezug einer Altersrente weichen zum Teil von denen der gesetzlichen Rentenversicherung ab. Landwirte haben bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen wie der Aufgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens - die so genannte Hofabgabe - nur Anspruch auf Regelaltersrente, wenn auch die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt ist.34 Auf die Wartezeiten werden Beitragszeiten zur Alterssicherung der Landwirte und auch Zeiten angerechnet, in denen Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden.35 Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch aus der Alterssicherung der Landwirte eine vorzeitige Altersrente unter Berücksichtigung von Rentenabschlägen gezahlt werden. Nach dem Prinzip der seit 1995 geltenden linearisierten Rentenberechnung erbringt jedes Jahr der Beitragszahlung denselben Rentenertrag. Der monatliche Rentenertrag pro Beitragsjahr beträgt ab 1. Juli 2011 in Westdeutschland 12,68 Euro und in Ostdeutschland 11,25 Euro.36 Im Zusammenhang mit der Agrarsozialreform sind noch vielfältige Vertrauensschutzregelungen zu beachten . 6. Berufsständische Versorgung Die berufsständischen Versorgungswerke sind Sondersysteme, die die Pflichtversorgung der Angehörigen kammerfähiger freier Berufe für das Alter, den Fall der Invalidität und des Todes gewährleisten . Erfasst werden derzeit Ärzte (einschließlich Zahnärzte und Tierärzte), Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer/vereidigte Buchprüfer, Steuerberater sowie (Bau-) Ingenieure.37 Insgesamt existieren 89 berufsständische Versorgungswerke. Die zu zah- 34 § 11 Abs. 1 Nr. 2 ALG. 35 § 17 Abs. 1 ALG. 36 § 2 Rentenwertbestimmungsverordnung 2011. 37 Übersicht über das Sozialrecht (2010), S. 749 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 16 lenden Beiträge werden gemäß dem Alterseinkünftegesetz im gleichen Maße steuerlich gefördert wie die der gesetzlichen Rentenversicherung. Anlass für die Gründungen der Versorgungswerke waren in erster Linie die aus den Folgen der beiden Weltkriege gewonnene Erkenntnis, dass Grundbesitz, Kapitalanlagen und private Lebensversicherung eine sichere Altersversorgung nicht mehr garantieren konnten. Die ersten Gründungen finden sich im süddeutschen Raum, z. B. die Bayerische Ärzteversorgung von 1923. Eine Gründungswelle war aber erst in den 60er Jahren und dann wieder in den 80er Jahren zu erkennen . In den 90er Jahren ist die berufsständische Versorgung insbesondere auf weitere verkammerte Berufsgruppen wie Wirtschaftsprüfer, Steuerberater sowie beratende Ingenieure ausgedehnt worden, für die es zuvor keine Versorgungswerke gab. Die Versorgungswerke beruhen auf landesgesetzlicher Rechtsgrundlage. So weit – wie häufig bei älteren Gründungen – der Landesgesetzgeber nur allgemeine Vorgaben gemacht hat, findet sich die nähere Ausgestaltung in der jeweiligen Satzung der einzelnen Versorgungseinrichtungen. Vielfach sind durch Staatsverträge zwischen einzelnen Bundesländern Angehörige freier Berufe aus verschiedenen Bundesländern in einem Versorgungswerk zusammengefasst. Fast alle Versorgungswerke haben sich in der Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungswerke e. V. zusammengeschlossen. Für die einzelnen Berufe ist der Bestand an Versorgungseinrichtungen nicht identisch. Weitgehend flächendeckend gibt es Versorgungswerke für die Arztberufe, für Apotheker, Rechtsanwälte, Architekten, Notare sowie in jüngerer Zeit für Wirtschaftprüfer und Steuerberater. 6.1. Versicherter Personenkreis Die Versicherungspflicht ist ausschließlich an die Mitgliedschaft in der jeweiligen Kammer gebunden . Pflichtmitglieder der Versorgungswerke sind somit die Kammerangehörigen der freien Berufe, in der Regel also Selbständige und Beschäftigte gleichermaßen. Beschäftigte können sich auf Antrag von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Neben der Pflichtversicherung ist in den meisten Versorgungswerken auch eine freiwillige Versicherung möglich, insbesondere im Anschluss an eine frühere Pflichtversicherung. Die berufsständischen Versorgungseinrichtungen haben nach dem letzten Stand aus dem Jahre 2006 etwa 686.000 aktiv beitragszahlende Mitglieder. Der Anteil der Selbständigen und Angestellten dürfte etwa gleich groß sein. 6.2. Leistungen aus der berufsständischen Versorgung Die Versorgungswerke haben – wie die gesetzliche Rentenversicherung – die Sicherung des Lebensstandards auf der Grundlage des versicherten Einkommens zum Ziel. Die Leistungen sind daher auch dynamisch, folgen aber nicht wie die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeinen Einkommensentwicklung, sondern werden unter Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Versorgungswerks angepasst.38 Bei der Beurteilung des Verhältnisses von Beitrag und Leistung im Vergleich zu anderen Sicherungssystemen ist der 38 Fachinger, Uwe ; Oelschläger, Angelika; Schmähl, Winfried (2004), S. 94. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 17 im Versorgungswerk abgegrenzte homogene Personenkreis zu berücksichtigen, weshalb versicherungsfremde Leistungen sowie Aspekte des sozialen Ausgleichs kaum eine Rolle spielen. Die Versorgungswerke gewähren Altersrenten ab Vollendung des 65. Lebensjahrs. Die Berufstätigkeit muss nicht aufgegeben werden, um Rente zu erhalten. Eine Wartezeit wird in den meisten Fällen nicht vorausgesetzt; ist dies ausnahmsweise doch der Fall, beträgt sie regelmäßig 60 Beitragsmonate . Einige Versorgungswerke haben flexible Altersgrenzen eingeführt, d. h. Versicherte können ihre Altersrente bereits vor oder erst nach Vollendung des 65. Lebensjahrs in Anspruch nehmen. Gegebenenfalls sind versicherungsmathematische Zu- oder Abschläge die Folge. Es bleibt abzuwarten , ob und inwieweit die einzelnen berufsständischen Versorgungswerke die für die gesetzliche Rentenversicherung und die Beamtenversorgung vorgesehene, ab 2012 beginnende schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre übernehmen werden. Die berufsständischen Versorgungswerke, die auf landesgesetzlicher Grundlage beruhen, sind hierbei in ihren Entscheidungen nicht an die für andere Systeme geltenden Regelungen gebunden. Die Höhe der Renten wird sehr unterschiedlich ermittelt, weil sich die Leistungsberechnung nicht über eine einheitliche Rentenformel wie in der gesetzlichen Rentenversicherung richtet, sondern aus den Satzungen der einzelnen Versorgungswerke folgt. Sie ist abhängig von Höhe und Zahl der geleisteten Beiträge, die mit einer nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelten Rentenbemessungsgrundlage multipliziert werden. Nach einem vollen Erwerbsleben mit entsprechend hohen Beiträgen - die Durchschnittsbeiträge betrugen 2006 monatlich 750 Euro - können Monatsrenten von 2.000 Euro und darüber erzielt werden. In jüngster Vergangenheit sind die durchschnittlichen Monatsbeiträge jedoch gesunken, was auf eine im Durchschnitt leicht verschlechterte allgemeine Einkommenssituation auch der Angehörigen der freien Berufe hindeutet. Derzeit ist allerdings zu berücksichtigen, dass die meisten Werke noch kein volles Erwerbsleben abdecken können, da sie erst in den 60er oder 80er Jahren gegründet wurden. Die durchschnittliche Altersrente beträgt nach dem Stand 2006 rd. 1.950 Euro. Viele Einrichtungen gewähren zum Altersruhegeld einen Kinderzuschuss für Kinder, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. 6.3. Finanzierung durch Beitragszahlungen Die Ausgaben der berufsständischen Versorgungswerke werden allein durch Beiträge der Mitglieder und Vermögenserträge finanziert. Öffentliche Zuschüsse aus Bundes- oder Landesmitteln gibt es nicht. Die Beitragshöhe orientiert sich in der Regel an der Beitragshöhe der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Mitglieder können die Beitragshöhe in einem gewissen Rahmen selbst bestimmen. Die Finanzierung der berufsständischen Versorgung kombiniert Elemente des Umlageverfahrens mit der Bildung eines Kapitalstocks. Als übliche Verfahren werden das modifizierte Anwart- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 18 schaftsdeckungsverfahren und das offene Deckungsplanverfahren praktiziert.39 Beiden Finanzierungssystemen ist gemeinsam, dass ein Kapitalstock gebildet wird, in dem die eingezahlten Beiträge verzinslich angesammelt werden. Beim modifizierten Anwartschaftsdeckungsverfahren wird die Verweildauer der Beiträge im Versorgungswerk bei der Wirkung für die Rentenhöhe berücksichtigt. Vorwiegend erfolgt die Finanzierung in den Versorgungswerken jedoch nach dem offenen Deckungsplanverfahren, das im Vergleich zum modifizierten Anwartschaftsdeckungsverfahren mit einer geringeren Kapitalbildung auskommt.40 Dabei ist nicht allein die Höhe und Anzahl der von den Mitgliedern gezahlten Beiträge für die Erfüllung der Ansprüche maßgeblich. Zusätzlich werden auch die Beiträge der künftigen Beitragszahler mit in die versicherungsmathematische Äquivalenzberechnung einbezogen . Deshalb ist das offene Deckungsplanverfahren auf den kontinuierlichen Neuzugang von Beitragszahlern angewiesen. Die Versorgungswerke unterliegen der Rechtsaufsicht und einer Fachaufsicht für die vermögensrelevanten und versicherungsmathematischen Belange in den jeweiligen Bundesländern. Dabei orientieren sich die Länder am Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) des Bundes. 7. Aktuelle wissenschaftliche und politische Reformvorschläge zur obligatorischen Alterssicherung von Selbständigen Wegen der seit einigen Jahren zu beobachtenden Zunahme selbständiger Erwerbstätigkeit im Sinne einer freien beruflichen Tätigkeit ohne Mitarbeiter wird im Allgemeinen aufgrund der sozialen Schutzbedürftigkeit, die mit der von Beschäftigten vergleichbar ist, ein Handlungsbedarf gesehen. Eine Einbeziehung sämtlicher Solo-Selbständiger in die gesetzliche Rentenversicherung sollte nach den Befürwortern als erster Schritt hin zu einer Bürger- oder Erwerbstätigenversicherung erfolgen. Erst in einem späteren zweiten Schritt wären dann weitere Personenkreise, z. B. Beamte, einzubeziehen. Andere Vorschläge sehen vor, Solo-Selbständige zur Altersvorsorge zu verpflichten, ihnen aber die Art und Weise selbst zu überlassen, d. h. eine allgemeine Versicherungspflicht anstelle einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung einzuführen . 7.1. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Zur Reduzierung des Altersarmutsrisikos schlägt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2011/1241 vor, Solo-Selbständige obligatorisch für das Alter abzusichern. Auch wenn eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung die durch mögliche, häufige Erwerbsstatuswechsel sonst gefährdete Kontinuität in der Altersabsicherung mit sich bringt und die bestehende Ungleichbehandlung von gesetzlich Rentenversicherten und allen anderen Erwerbstätigen reduziert, spricht sich der Sachverständigenrat lediglich für die Einführung einer Versicherungspflicht für Selbständige in Form einer obligatorischen Altersvorsorge aus, da diese die zukünftigen Generationen entlasten würde. 39 Fakten zur Altersvorsorge der Freien Berufe, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen. 40 Fachinger, Uwe ; Oelschläger, Angelika; Schmähl, Winfried (2004), S. 59. 41 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, S. 317 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 19 7.2. Haltung der Parteien Nach einer Ankündigung der Bundesministerin für Arbeit und Soziales eine soziale Absicherung von Selbständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung vorantreiben zu wollen, hat der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Dezember 2011 erklärt, dass eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, die solange greift, bis Ansprüche auf eine grundsichernde Altersrente bestehen, erforderlich ist. Der Versicherte sollte frei wählen können, wie er dann die darüber hinausgehende Absicherung gestaltet. Nicht erforderlich sei eine Versicherungspflicht für solche Selbständigen, insbesondere Freiberufler, die in berufsständischen Versorgungswerken integriert sind.42 Dagegen hat sich die CSU-Landesgruppe anlässlich ihrer Klausurtagung am 6. Januar 2012 für eine Pflicht zur Altersvorsorge für Selbständige ausgesprochen. Dabei solle vollständige Wahlfreiheit bezüglich der Art der Altersvorsorge gelten. Einzige Voraussetzung sei, dass die Vorsorge als Rente ausgezahlt werde und durch diese Absicherung der spätere Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wirksam ausgeschlossen werde.43 Die FDP- Bundestagsfraktion ist nach Pressemeldungen ebenfalls gegen eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies entspricht auch der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarung, die kapitalgedeckte Altersvorsorge zu stärken. Danach soll geprüft werden, ob es notwendig und finanziell darstellbar ist, weiteren Personengruppen, insbesondere Selbständigen, den Zugang zur staatlich geförderten Altersvorsorge zu ermöglichen.44 Nach Auffassung der SPD sollten Selbständige, die nicht in einem der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren System pflichtversichert sind, zur Vermeidung von Altersarmut in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.45 Dabei wurde in einem auf dem Bundesparteitag gestellten Antrag vom 30. November 2011 zur solidarischen digitalen Gesellschaft für Solo- Selbständige in digitalen Berufen Bezug auf die Künstlersozialversicherung als zeitgemäßes Modell , wie unstete Erwerbsbiografien modern sozialstaatlich abgesichert werden, genommen. Ein- Personen-Selbständige sollten sozialversicherungsthematisch als Arbeitnehmer behandelt werden und nur den Arbeitnehmerbeitrag zahlen. Für den fehlenden Arbeitgeberanteil seien die Auf- 42 Pressemitteilung vom 1. Dezember 2011, abrufbar im Internet: www.cducsu.de/Titel__pressemitteilung_auch_selbststaendige_ausreichend_gegen_altersarmut_sichern/TabID_ _6/SubTabID__7/InhaltTypID__1/InhaltID__20560/Inhalte.aspx (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). 43 Beschluss der 36. Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad-Kreuth vom 5. Januar 2012, abrufbar im Internet: http://www.cducsu.de/mediagalerie/getMedium.aspx?mid=2687&showmode=1&showportal=4 (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). 44 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP vom 26. Oktober 2009, S. 84. 45 Beschluss vom SPD-Bundesparteitag vom 5. Dezember 2011, 237/11, Ziffer5.6, abrufbar im Internet: http://www.spd.de/aktuelles/Pressemitteilungen/21882/20111205_leitantrag_arbeit.html (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 20 traggeber von Web-Produkten in die Verantwortung zu nehmen und ein steuerlicher Zuschuss eine paritätische Finanzierung zu gewährleisten.46 Die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich für die Einbeziehung der zwei Millionen Selbständigen, die nach heutigem Recht überhaupt nicht verpflichtet sind vorzusorgen , in die gesetzliche Rentenversicherung ausgesprochen. Es sei ihnen häufig nicht möglich, die Beiträge aufzubringen, die erforderlich sind, um ausreichende Anwartschaften für das Alter aufzubauen , weil sie häufig zu den Geringverdienenden zählen. Es sei zu diskutieren, ob Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Geringverdienenden bei den Beiträgen unter die Arme greifen oder ob auch Auftraggeber stärker in die Verantwortung genommen werden können und sollten – ähnlich etwa wie bei der Mehrwertsteuer durch eine obligatorische Abgabe auf jede Rechnung. In einem zweiten Schritt sei eine einheitliche Sozialversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger einzuführen , weil Beschäftigungsformen fließend geworden seien und viele Menschen ihren beruflichen Status im Laufe des Lebens immer wieder wechseln.47 Die Fraktion DIE LINKE. fordert, künftig neben den bisher Pflichtversicherten alle Erwerbstätigen , also unter anderem auch Freiberufler und Selbständige, in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, sofern am Stichtag keine anderweitige obligatorische Alterssicherung vorliegt . Ein entsprechender Antrag befindet sich zurzeit im parlamentarischen Verfahren.48 7.3. Haltung der Verbände und Sozialpartner Der Sozialverband Deutschland (SoVD), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Volkssolidarität haben bereits im Jahre 2006 ein gemeinsames Konzept für eine Erwerbstätigenversicherung vorgelegt, nach dem alle Erwerbstätigen ohne obligatorische Alterssicherung in die solidarische Rentenversicherung einbezogen werden sollen.49 Nach Auffassung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) müsse dagegen lediglich die staatlich geförderte zusätzliche Altersvorsorge auf Selbständige ausgedehnt werden. Die Gruppe der Selbständigen sei bislang von den staatlichen Zulagen und Steuervorteilen ausgeschlossen, da diese auf die Pflichtversicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung und auf Beamte beschränkt sind. Somit hätten vor allem Selbständige, die nur geringe Einnahmen erzielen, keine Möglichkeit, eine staatlich geförderte Altersvorsorge aufzubauen, obwohl sie 46 Antrag für den Bundesparteitag 2011, 4. Die solidarische digitale Gesellschaft, abrufbar im Internet: http://www.spd.de/aktuelles/Parteitag_2011/16246/110804_netzpolitischer_antrag_solidarisch.html (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). 47 Fachgespräch der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 9. Februar 2012, Selbstständige in die Rentenversicherung! Aber wie?, abrufbar im Internet: http://www.gruenebundestag .de/cms/rente/dok/401/401822.selbststaendige_in_die_rentenversicherun-print~1.html (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). 48 Bundestagsdrucksache 17/8481. 49 Gemeinsames Konzept des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Volkssolidarität Bundesverband e. V. für die Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung, abrufbar im Internet: http://www.sovd.de/fileadmin/downloads/broschueren/pdf/erwerbstaetigenversicherung_2007.pdf (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 21 denselben Vorsorgebedarf haben wie andere Geringverdiener auch. Von der allein steuerlich geförderten Basisrente könne die Gruppe der gering verdienenden Selbständigen mangels zu versteuerndem Einkommen nicht oder nur in sehr geringem Umfang profitieren.50 Vor dem Hintergrund der Informationsdefizite hält der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) weit reichende Reformen in der Alterssicherung Selbständiger derzeit nicht begründbar und lehnt den Einbezug aller Selbständigen, die nicht bereits einer verpflichtenden Absicherung unterliegen, in die Pflichtversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung ab.51 50 Vgl. BDA-Internetseite > Home > Themen A-Z > Private Altersvorsorge: http://www.bdaonline .de/www/arbeitgeber.nsf/id/1CDE938943D2965AC12574F00040E96E?open&ccm=800 (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). 51 Beschluss des DIHK-Vorstands vom 16. November 2012, abrufbar im Internet: http://de.sitestat.com/hk/dihk/s?presse.meldungen.2011-12-01-altersvorsorge-selbststaendige.altersvorsorgeselbststaendi -ge&ns_type=pdf&ns_url=http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/altersvorsorgeselbststaendige /at_download/file?mdate=1322741100851 (zuletzt abgerufen am 9. März 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-022/12 Seite 22 Literaturverzeichnis: Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen (Hrsg.): Fakten zur Altersvorsorge der Freien Berufe , Oktober 2008 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Übersicht über das Sozialrecht, 7. Auflage 2010, Nürnberg: BW Bildung und Wissen Verlag. Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.): Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2011, DRV-Schriften Bd. 22. Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.): Selbständige in der Rentenversicherung, 9. Auflage 5/2011. 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