© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 020/21 Einzelfragen zum Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten und zur Ratifizierung des ILO-Übereinkommens 169 zum Schutz indigener Völker Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Einleitung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden zu verschiedenen Einzelfragen in Zusammenhang mit einer Ratifikation des Übereinkommens 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz indigener Völker, dem von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten und einem möglichen Gesetzesakt auf Ebene der Europäischen Union zur nachhaltigen Unternehmensführung um Auskunft gebeten. 2. Ergeben sich aus der Ratifikation des ILO-Übereinkommens 169 in Verbindung mit den Bestimmungen des Gesetzentwurfs über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten rechtliche Auswirkungen auf deutsche Unternehmen und wenn ja, welche? Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 27. Juni 1989 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (ILO-Übereinkommen 169) vorgelegt.1 Durch das Vertragsgesetz sollen die Voraussetzungen nach Art. 59 des Grundgesetzes (GG) für die Ratifikation des ILO-Übereinkommens 169 geschaffen werden.2 Das Bundeskabinett hat am 3. März 2021 den Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz-E) beschlossen.3 Mit dem Sorgfaltspflichtengesetz -E sollen in Deutschland ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet werden, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte durch die Implementierung der Kernelemente der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser nachzukommen. Dadurch sollen laut Begründung des Gesetzentwurfs zum einen die Rechte der von Unternehmensaktivitäten betroffenen Menschen in den 1 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 27. Juni 1989 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, Bundestagsdrucksache 19/26834 vom 19. Februar 2021. 2 Zum Inhalt und den rechtlichen Folgen einer Ratifikation des ILO-Übereinkommen 169 für die Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise deutsche Unternehmen wird auf die folgende Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages verwiesen: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Mögliche Folgen für Deutschland bei einer Ratifikation der ILO-Konvention 169 zum Schutz der indigenen Völker, WD 2 - 3000 - 098/20 vom 3. Dezember 2020, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/821372/f8d71fa2d34521d943256833de9f6155/WD-2-098-20-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 18. März 2021). 3 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Sorgfaltspflichtengesetz – Gesetzentwurf vom Bundeskabinett beschlossen, Pressemitteilung vom 3. März 2021, abrufbar unter https://www.bmas.de/DE/Service /Presse/Pressemitteilungen/2021/bundeskabinett-verabschiedet-sorgfaltspflichtengesetz.html (zuletzt abgerufen am 16. März 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/21 Seite 4 Lieferketten gestärkt, zum anderen den legitimen Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden.4 Das Gesetz soll auf Unternehmen, die ihren Sitz in Deutschland haben und in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen, Anwendung finden und zum Januar 2023 in Kraft treten. Ab Januar 2024 soll das Gesetz für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten gelten (§ 1 Sorgfaltspflichtengesetz-E). Nach dem Gesetzentwurf sind Unternehmen dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu beachten. Die Sorgfaltspflichten enthalten unter anderem die Einrichtung eines Risikomanagements (§ 4 Sorgfaltspflichtengesetz-E), die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§ 5 Sorgfaltspflichtengesetz-E), das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen (§ 7 Sorgfaltspflichtengesetz-E) sowie die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf mittelbare Zulieferer (§ 9 Sorgfaltspflichtengesetz-E). Die Sorgfaltspflichten beziehen sich auf den eigenen Geschäftsbereich, auf den Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers sowie auf den des mittelbaren Zulieferers. Die §§ 4 bis 10 Sorgfaltspflichtengesetz -E regeln, welche Maßnahmen für jede Stufe zu ergreifen sind.5 Die Menschenrechte beziehungsweise menschenrechtlichen Risiken sowie die umweltbezogenen Pflichten und Risiken, auf die sich die Sorgfaltspflichten beziehen. werden in § 2 Sorgfaltspflichtengesetz -E bestimmt. § 2 Abs. 1 Sorgfaltspflichtengesetz-E definiert Menschenrechte im Sinne dieses Gesetzes als solche, die sich aus den im Anhang zu § 2 Abs. 1 Sorgfaltspflichtengesetz -E aufgelisteten Übereinkommen ergeben. Laut Begründung des Gesetzesentwurfs handelt es sich bei Nr. 1 bis 11 der Anlage zu § 2 Abs. 1 Sorgfaltspflichtengesetz-E um weitgehend universell ratifizierte völkerrechtliche Verträge zum Schutz der Menschenrechte. Die in der Anlage genannten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation würden als Kernübereinkommen gelten, da in ihnen grundlegende Prinzipien und Rechte zum Ausdruck gebracht werden. Der Katalog ist abschließend.6 Das ILO-Übereinkommen 169 gehört nicht zu den in der Anlage genannten Übereinkommen. Es wird daher nicht von den im Sorgfaltspflichtengesetz-E statuierten Pflichten erfasst. Folglich 4 Beschluss des Bundeskabinetts vom 3. März 2021, Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, Bearbeitungsstand: 1. März 2021 21:21 Uhr, S. 1, abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Regierungsentwuerfe /reg-sorgfaltspflichtengesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen am 18. März 2021). 5 Beschluss des Bundeskabinetts vom 3. März 2021, Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, Bearbeitungsstand: 1. März 2021 21:21 Uhr, S. 23, abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Regierungsentwuerfe /reg-sorgfaltspflichtengesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen am 18. März 2021). 6 Beschluss des Bundeskabinetts vom 3. März 2021, Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, Bearbeitungsstand: 1. März 2021 21:21 Uhr, S. 14 f., abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Regierungsentwuerfe /reg-sorgfaltspflichtengesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen am 18. März 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/21 Seite 5 hätte auch die Ratifikation des ILO-Übereinkommens 169 keine Auswirkungen auf die im Sorgfaltspflichtengesetz -E vorgesehenen Vorgaben für deutsche Unternehmen. 3. Welche rechtlichen Auswirkungen könnten sich aus der Ratifikation des ILO-Übereinkommens 169 in Verbindung mit einer möglichen Regelung über die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für Verstöße gegen Rechte Angehöriger indigener Völker auf Ebene der Europäischen Union und § 11 Sorgfaltspflichtengesetz-E (Prozessstandschaft) ergeben? Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2021 sieht unter anderem die Vorlage eines Legislativvorschlags zum Thema nachhaltige Unternehmensführung im zweiten Quartal 2021 vor.7 Das Europäische Parlament hat zudem am 10. März 2021 eine Entschließung mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen angenommen. Darin wird die Europäische Kommission aufgefordert, einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie zu unterbreiten.8 Nach den in der Entschließung enthaltenen Empfehlungen zum Inhalt des verlangten Vorschlags sollen die Mitgliedstaaten unter anderem sicherstellen , „dass sie über eine Haftungsregelung verfügen, nach der Unternehmen nach innerstaatlichem Recht für Schäden aufgrund potenzieller oder tatsächlicher nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte, die Umwelt oder die verantwortungsvolle Unternehmensführung, die sie oder von ihnen kontrollierte Unternehmen durch Handlungen oder Unterlassungen verursacht oder zu denen sie beigetragen haben, haftbar gemacht werden können und für Abhilfe sorgen müssen“.9 Gemäß Art. 225 Satz 1 des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann das Europäische Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Fragen zu unterbreiten, die nach seiner Auffassung die Ausarbeitung eines Unionsakts zur Durchführung der Verträge erfordern. Der Vorschlag ist jedoch für die Kommission, der nach Art. 17 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union grundsätzlich das Initiativmonopol für Gesetzgebungsakte zusteht10, 7 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Arbeitsprogramm der Kommission für 2021 - Eine vitale Union in einer fragilen Welt, 19. Oktober 2020, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52020DC0690&from=EN (zuletzt abgerufen am 18. März 2021). 8 Europäisches Parlament, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen (2020/2129(INL), P9_TA(2021)0073, abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021- 0073_DE.html#title2 (zuletzt abgerufen am 18. März 2021). 9 Europäisches Parlament, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen (2020/2129(INL), P9_TA(2021)0073, Anlage Artikel 19, abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9- 2021-0073_DE.html#title2 (zuletzt abgerufen am 18. März 2021) 10 Martenczuk in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: 71. EL August 2020, EUV Art. 17, Rn. 50. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/21 Seite 6 inhaltlich nicht bindend.11 Vielmehr hat die Kommission einen weiten Ermessensspielraum für die inhaltliche Ausgestaltung ihres Vorschlags.12 Legt die Kommission keinen Vorschlag vor, so hat sie dem Europäischen Parlament die Gründe dafür mitzuteilen, Art. 225 Satz 2 AEUV. Letztlich bleibt daher abzuwarten, welchen Inhalt ein etwaiger Legislativvorschlag der Europäischen Kommission haben wird, um Aussagen darüber treffen zu können, welche Pflichten und Haftungsregelungen sich gegebenenfalls nach einer Umsetzung einer solchen Richtlinie in nationales Recht für deutsche Unternehmen ergeben würden. Gemäß § 11 Sorgfaltspflichtengesetz-E kann, wer in einer überragend wichtigen Rechtsposition aus § 2 Abs. 1 Sorgfaltspflichtengesetz-E verletzt ist, zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte einer inländischen Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation die Ermächtigung zur Prozessführung erteilen. Diese besondere Prozessstandschaft soll es ermöglichen, dass inländische Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen die Ansprüche eines Betroffenen im eigenen Namen geltend machen können, sofern der Betroffene zuvor eine entsprechende Ermächtigung erteilt.13 *** 11 Szczekalla in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Auflage 2017, AEUV Art. 225, Rn. 4; Haag in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, AEUV Art. 225, Rn. 9; Kluth in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, AEUV Art. 225, Rn. 4. 12 Kluth in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, AEUV Art. 225, Rn. 4; Haag in: von der Groeben /Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, AEUV Art. 225, Rn. 9; Hölscheidt in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: 71. EL August 2020, AEUV Art. 225, Rn. 12. 13 Beschluss des Bundeskabinetts vom 3. März 2021, Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, Bearbeitungsstand: 1. März 2021 21:21 Uhr, S. 1, abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Regierungsentwuerfe /reg-sorgfaltspflichtengesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen am 18. März 2021).