© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 020/17 Situation der Alterssicherung angesichts drohender Altersarmut Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 2 Situation der Alterssicherung angesichts drohender Altersarmut Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 020/17 Abschluss der Arbeit: 12. Mai 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Alterssicherung über drei Säulen 4 2. Gesetzliche Rentenversicherung 4 2.1. Leistungen 5 2.2. Finanzierung im Umlageverfahren 5 2.3. Versicherungsprinzip und Teilhabeäquivalenz 5 2.4. Rentenniveau und Rentenanpassung 7 3. Bisherige Reformen in der Alterssicherung 8 4. Maßzahlen für Altersarmut 9 4.1. Armutsrisikoquote 10 4.2. Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 11 4.3. Bezieher von Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe 13 4.4. Bezieher von Wohngeld 14 5. Aktuelle Einkommenssituation älterer Menschen 15 6. Langfristige Entwicklung von Beitragssatz und Rentenniveau 16 7. Risikogruppen 16 8. Aktuelle Vorschläge zur Alterssicherung 17 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 4 1. Alterssicherung über drei Säulen In der öffentlichen Diskussion ist in Deutschland seit einigen Jahren das Problem steigender Altersarmut präsent. Das heute bestehende Alterssicherungssystem hat sich seit über hundert Jahren stetig entwickelt und laufend an wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen angepasst . Die finanzielle Absicherung der älteren Generation erfolgt über drei Säulen, nämlich in diversen öffentlich-rechtlichen Pflichtsystemen, der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Altersvorsorge .1 Dabei sind die Säulen unterschiedlich stark ausgeprägt. Zur ersten und wichtigsten Säule der Alterssicherung ist die gesetzliche Rentenversicherung zu zählen, in der die abhängig Beschäftigten als größte Gruppe der Erwerbstätigen und bestimmte schutzbedürftige selbständig Erwerbstätige pflichtversichert sind. Daneben bestehen in der ersten Säule als obligatorische weitere Alterssicherungssysteme die Alterssicherung der Landwirte, die berufsständischen Versorgungswerke und die Beamtenversorgung. Zur zweiten Säule der Alterssicherung werden als betriebliche Altersversorgung Leistungen verstanden, die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern zur Sicherung der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung zusagen. Zur dritten Säule der Alterssicherung , der privaten Altersvorsorge, werden alle Formen der privaten Vermögensbildung gezählt, die der Vorsorge für das Alter dienen können. Die im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) geregelte gesetzliche Rentenversicherung hat im Hinblick auf Versicherte und Leistungsempfänger eine herausragende Bedeutung im System der Alterssicherung in Deutschland. Über 80 Prozent der Bevölkerung sind dort versichert oder beziehen eine Leistung.2 Nachfolgend werden deshalb zunächst die Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung dargestellt. 2. Gesetzliche Rentenversicherung Das Gewicht der gesetzlichen Rentenversicherung zeigt sich vor allem durch die Anzahl der Versicherten und Rentner und das Haushaltsvolumen, welches das zweithöchste nach dem Bundeshaushalt ist. Zum Jahresende 2014 waren rund 53,3 Mio. Personen bei der Deutschen Rentenversicherung versichert, die zum 1. Juli 2015 rund 25,5 Mio. Rentenleistungen an rund 20,8 Mio. Rentnerinnen und Rentner gezahlt hat. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben im Jahr 2015 auf rund 272 Mrd. Euro, denen Einnahmen von rund 285 Mrd. Euro gegenüberstanden.3 1 Einen Überblick über die Alterssicherung für verschiedene Gruppen von Erwerbstätigen in Deutschland enthält u. A. Viebrok, Holger und Himmelreicher, Ralf K. (2001). Verteilungspolitische Aspekte vermehrter privater Altersvorsorge , ZeS-Arbeitspapier 17/2001, S. 19 ff. 2 Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2016 (Alterssicherungsbericht 2016) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbericht 2016, Bundestagsdrucksache 18/10571, S. 9. 3 Jahresbericht der Deutschen Rentenversicherung 2015. Herausgegeben von der Deutschen Rentenversicherung Bund, S. 2, abrufbar im Internet unter http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services /03_broschueren_und_mehr/02_fachliteratur/jahresbericht_download.pdf?__blob=publicationFile&v=29, zuletzt abgerufen am 7. April 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 5 2.1. Leistungen Versicherte haben Anspruch auf eine Rente, wenn die für die jeweilige Rente erforderliche Wartezeit als Mindestversicherungszeit erfüllt ist und die jeweiligen besonderen versicherungsrechtlichen und persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Anspruch auf Regelaltersrente besteht bereits nach einer Beitragsleistung von fünf Jahren bei Erreichen der Regelaltersgrenze. Diese wird seit dem Jahr 2012 stufenweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr angehoben. Unter bestimmten Voraussetzungen können Altersrenten auch vorzeitig, meist unter Inkaufnahme von Rentenabschlägen , in Anspruch genommen werden. Aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden neben den Renten wegen Alters auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Renten wegen Todes sowie Leistungen zur Rehabilitation erbracht. Ferner übernimmt die gesetzliche Rentenversicherung für Rentenbezieher die Hälfte des allgemeinen Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung , der auf die Rentenleistungen entfällt. 2.2. Finanzierung im Umlageverfahren Die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung werden im Umlageverfahren durch die im selben Zeitraum erzielten Einnahmen aus der Beitragszahlung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie durch staatliche Zuwendungen bestritten. Die Finanzierung der Rentenversicherung war nicht von vornherein auf das Umlageverfahren festgelegt. Vielmehr war bei ihrer Einführung zunächst die Bildung eines Deckungsvermögens vorgesehen, aus dem zur Finanzierung der Renten auch Zinsgewinne erwirtschaftet werden sollten. Die Kapitalreserven der Rentenversicherungen waren jedoch mehrfach, zuletzt mit der Währungsreform 1948, fast vollständig entwertet worden. De facto mussten die Rentenzahlungen in der jungen Bundesrepublik überwiegend durch die Beiträge der Versicherten, also im Umlageverfahren, finanziert werden. 1957 wurde nach langer Diskussion die bruttolohnbezogene dynamische Rente eingeführt, mit der die Rentner am Wirtschaftswunder beteiligt werden konnten. Zur Finanzierung wurde der Beitragssatz zunächst so festgesetzt, dass die Renten zwar weiterhin durch die laufenden Beiträge gedeckt waren, jedoch sollte nach Ablauf von zehn Jahren darüber hinaus eine Kapitalrücklage von einer Jahresausgabe vorliegen. Während der Mitte der 1960er-Jahre eintretenden Rezession wäre zur Erreichung dieses Ziels eine Erhöhung des Beitragssatzes erforderlich gewesen. Dies hätte die wirtschaftliche Erholung gefährdet. Deshalb wurde 1969 notgedrungen das reine Umlageverfahren eingeführt und nur noch eine geringere Rücklage vorgesehen. Mit den in den vergangenen zwanzig Jahren verabschiedeten Rentenreformen sollte die gesetzliche Rentenversicherung an die sich abzeichnende demographische Entwicklung angepasst und für die Zukunft auf eine solide Grundlage gestellt werden. Dabei wurde nach intensiver wissenschaftlicher und politischer Erörterung an der reinen Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung festgehalten. 2.3. Versicherungsprinzip und Teilhabeäquivalenz Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Erwerbseinkommen. Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den Erwerbseinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben. Seit dem 1. Januar 2015 beträgt der Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung 18,7 Prozent. Die kalenderjährlich neu zu bestimmende Beitragsbemessungsgrenze beträgt für das Jahr 2017 in Westdeutschland 76.200 Euro und in Ostdeutschland 68.400 Euro und damit etwa das Doppelte des jeweiligen Durchschnittsverdienstes. Darüber liegende Einkommen sind insoweit nicht Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 6 schutzbedürftig und werden daher nicht von der ersten Säule der Alterssicherung erfasst. Die Beiträge werden je zur Hälfte von den Versicherten und ihren Arbeitgebern getragen. Durch den für alle Versicherten in der allgemeinen Rentenversicherung geltenden Beitragssatz hängt die Rentenhöhe zwar von der Höhe der gezahlten Beiträge ab, dennoch besteht zwischen der Summe der im gesamten Erwerbsleben gezahlten Beiträge und der insgesamt im Ruhestand bezogenen Leistungen keine direkte Äquivalenz. Hintergrund hierfür ist, dass der Beitragssatz nicht als statische Größe feststeht, sondern je nach wirtschaftlichen Gegebenheiten und den Anforderungen des umlagefinanzierten Rentenversicherungssystems variiert. Eine exakte Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung besteht daher lediglich innerhalb einer Gruppe von Versicherten , die zur selben Zeit Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt haben.4 Die gesetzliche Rentenversicherung beruht insoweit neben dem Versicherungsprinzip auch auf dem Prinzip der so genannten Teilhabeäquivalenz, nach dem die Rentenhöhe auf das Verhältnis des durch Beiträge versicherten individuellen Erwerbseinkommens zum durchschnittlichen Verdienst aller Versicherten zurückgeht.5 Dabei werden relative Einkommenspositionen aus der Erwerbsphase in die Ruhestandsphase übertragen, so dass bei lückenloser Erwerbsbiographie Versicherte mit einem höheren Einkommen im Verhältnis zum Durchschnittsverdiener überdurchschnittliche Renten erhalten, während die Rente für Versicherte mit geringeren Einkommen oder diskontinuierlicher Erwerbsbiographie unter dem Durchschnitt liegt. Dem Versicherungsprinzip steht in der gesetzlichen Rentenversicherung ein sozialer Ausgleich in beträchtlichem Umfang gegenüber. Zu diesem Solidarprinzip gehören sämtliche Rentenleistungen , die nicht als Äquivalent zum gezahlten Beitrag erbracht werden und insoweit nicht beitragsgedeckt , also versicherungsfremd sind. Die der gesetzlichen Rentenversicherung aus nicht beitragsgedeckten Leistungen entstehenden Aufwendungen werden in der Regel aus Bundesmitteln gegenfinanziert. Die gesetzliche Rentenversicherung ist aber vor allem eine auf dem Prinzip von Vorleistungen und Gegenleistungen beruhende Versicherung, in der es nicht um eine Existenzsicherung, sondern um eine Gegenleistung für eine entsprechende Beitragsleistung geht. In den Fällen, in denen die Rente eine ausreichende Sicherung im Alter nicht gewährleisten kann, kommt die Grundsicherung im Alter nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Betracht. Bei der Grundsicherung als Teil der Sozialhilfe handelt es sich um das unterste Netz der sozialen Sicherung . Aufgabe der Sozialhilfe ist es, Personen in materieller Notlage die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde eines Menschen entspricht. Mit der Einführung der Grundsicherung im Alter im Jahre 2003 ist die Entscheidung gefallen, die auf Leistung und Gegenleistung beruhende Rentenversicherung und das als Ergänzung erforderliche sozialhilferechtliche Auffangnetz weiterhin voneinander zu trennen. Diese Aufgabentrennung ist Folge der unterschiedlichen Funktionsweisen von gesetzlicher Rentenversicherung und Grundsicherung. Nur so können steuerfinanzierte Leistungen auf diejenigen Personen beschränkt 4 Ruland, Franz (2012): Grundprinzipien der Rentenversicherung, in: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln 2012, Luchterhand, Kapitel 9, Rd. 47. 5 Rürup, Bert (2006): Die Bedeutung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Gesetzliche Rentenversicherung , in: Deutsche Rentenversicherung, 4-5/2006, S. 240. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 7 werden, die über keine anderweitigen finanziellen Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts im Alter verfügen. Eine Vermischung von sozialhilferechtlichen Leistungen mit denen der gesetzlichen Rentenversicherung würde die Akzeptanz der Rentenversicherung gefährden, weil die Bedeutung der eigenen Vorleistung in Form von Beiträgen nicht mehr ausreichend erkennbar wäre. 2.4. Rentenniveau und Rentenanpassung Mit dem Rentenniveau wird das Verhältnis von Renten zu Arbeitsentgelten beschrieben. Dabei handelt es sich um eine für die Angemessenheit und Akzeptanz von Rentenreformen maßgebliche Größe, die im Zusammenhang mit der Anpassung der Renten zu sehen ist. Folgt diese nicht exakt der Lohn- und Gehaltsentwicklung, verändert sich das Rentenniveau entsprechend nach oben oder nach unten. Die laufenden Renten werden regelmäßig zum 1. Juli eines Jahres angepasst . Die Höhe der Rentenanpassungen wird von den Veränderungen der Einkommen und Aufwendungen für die Altersvorsorge der Versicherten sowie der Relation von Rentnern zu Beitragszahlern beeinflusst. Damit wirkt sich auch die Entwicklung der Lebenserwartung, der Geburtenrate und der Erwerbstätigkeit über den Nachhaltigkeitsfaktor in der Formel für die Rentenanpassung bei den Rentenanpassungen aus. Die hierfür maßgebenden Werte werden nach einem gesetzlich detailliert vorgegebenen Berechnungsverfahren durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgesetzt.6 Das für sozialpolitische Erwägungen gängige Renten- beziehungsweise Sicherungsniveau bezieht sich nicht, wie häufig falsch dargestellt, auf den letzten individuellen Verdienst, sondern auf das im gesamten Erwerbsleben im Durchschnitt erzielte Einkommen. Für die Bestimmung des Sicherungsniveaus wird modellhaft eine fiktive verfügbare Altersrente ermittelt, die auf einer Beitragszahlung für 45 Jahre aus einem durchschnittlichen Verdienst beruht, und ins Verhältnis zum verfügbaren Durchschnittseinkommen aller Versicherten gesetzt. Im Jahr 2015 betrug die verfügbare Standardrente 13.955 Euro.7 Das heute maßgebende aus der verfügbaren Standardrente errechnete Sicherungsniveau vor Steuern ist vom früher gebräuchlichen Nettorentenniveau zu unterscheiden und darf nicht synonym verwandt werden. Mit einem Nettorentenniveau von etwa 70 Prozent sollte unter Berücksichtigung geringerer Bedürfnisse der Lebensstandard im Alter gehalten werden. Wegen des aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts8 erfolgten Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung von Alterseinkommen war das Nettorentenniveau als Sicherungsziel für die gesetzliche Rentenversicherung ab dem Jahr 2005 nicht mehr bestimmbar, da sich der Steuersatz nunmehr nach dem Jahr des Rentenzugangs richtet und somit keine einheitliche Besteuerung aller Rentenbezieher mehr erfolgt. 6 Vgl. zur letzten Rentenanpassung zum 1. Juli 2016: Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte zum 1. Juli 2016 (Rentenwertbestimmungsverordnung 2016 - RWBestV 2016) vom 20. Juni 2016, BGBl. I, S. 1360. 7 Rentenversicherung in Zeitreihen, DRV-Schriften Band 22, Deutsche Rentenversicherung Bund, Oktober 2016, S. 258. 8 Urteil vom 6. März 2002, Az. 2 BvL 17/99. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 8 Seit 1990 haben sich das Nettorentenniveau und das Sicherungsniveau vor Steuern wie folgt entwickelt :9 Jahr Nettorentenniveau in Prozent Sicherungsniveau vor Steuern in Prozent 1990 67,6 55,0 1995 70,1 53,9 2000 69,7 52,9 2005 ./. 52,6 2010 ./. 51,6 2015 ./. 47,7 3. Bisherige Reformen in der Alterssicherung Die Diskussion über erforderliche Einschnitte in der umlagefinanzierten Rentenversicherung aufgrund der demographischen Entwicklung mit gesunkener Geburtenrate und längerer fernerer Lebenserwartung wurde bereits seit Mitte der 1980er-Jahre geführt.10 Lasten aus dem sich ändernden Altersaufbau der Bevölkerung sollten von den Rentnern, den Beitragszahlern und dem Bund gleichermaßen gemeinsam getragen werden.11 Das Ergebnis der politischen Debatte mündete in die Rentenreform 1992, nach der die gesetzliche Rentenversicherung zunächst weiterhin als leistungsdefiniertes Rentensystem vorgesehen war. Nach einem erfüllten Arbeitsleben wurde das seinerzeitige Nettorentenniveau von 65 bis 70 Prozent als angemessen angesehen.12 Inhaltlich bedeutete die Rentenreform 1992 unter anderem eine geänderte Bewertung beitragsfreier Zeiten, deren Höhe nunmehr von der im Erwerbsleben insgesamt erbrachten Beitragsleistung abhing. Lücken in der Erwerbsbiographie wirken sich damit verstärkt ungünstig auf die Rentenberechnung aus. Die 1972 eingeführte Rente nach Mindesteinkommen wurde auf Beitragszeiten vor 1992 begrenzt. Die in den Jahren 2001 und 2004 verabschiedeten Reformen sahen erstmals Beitragssatz- und Sicherungsniveauziele und damit einen Paradigmenwechsel in der gesetzlichen Rentenversicherung hin zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik vor: Durch eine modifizierte Rentenanpassung sollte das Rentenniveau zugunsten eines stabilen Beitragssatzes allmählich gesenkt werden . In der Formel für die Rentenanpassung wirken sich seitdem neben der Veränderung der Bruttolöhne auch die steigenden Aufwendungen für die Altersvorsorge und die Relation von 9 Vgl. Fn. 10, Nettorentenniveau aus Rentenversicherung in Zeitreihen, DRV-Schriften Band 22, Deutsche Rentenversicherung Bund, Oktober 2005, S. 234. 10 Clemens, Johannes (2012): Die gesetzliche Rentenversicherung im Prozess einer veränderten Alterssicherungspolitik . In: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand, Kapitel 4, Rd. 1. 11 U. a. Begründung Gesetzentwurf zum Rentenreformgesetz 1992, Bundesrats-Drucksache 120/89. 12 Thiede, Reinhold (1998): Das Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung. In: Die Angestelltenversicherung , 45, 5-6/1998, S. 150 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 9 Rentnern zu Beitragszahlern aus. Die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung orientierten sich nicht mehr wie zuvor an den zu erwartenden Ausgaben, vielmehr bestimmt seitdem der den Beitragszahlern zumutbare Beitragssatz die Rentenhöhe. Zur Schließung der hierdurch neu entstehenden Versorgungslücke wird seitdem eine über die bisherigen Alterssicherungssysteme hinausgehende betriebliche und private Altersvorsorge durch die Zahlung einer Zulage bzw. steuerlich gefördert und insoweit eine zusätzliche kapitalgedeckte Alterssicherung aufgebaut.13 Der Abschluss eines Vertrages über eine zusätzliche betriebliche oder private Altersvorsorge ist jedoch nicht obligatorisch. Nach den gesetzlich festgelegten Beitragssatz- und Niveausicherungszielen soll der Beitragssatz bis zum Jahr 2020 nicht über 20 und bis zum Jahr 2030 nicht über 22 Prozent hinausgehen. Das Sicherungsniveau vor Steuern soll bis zum Jahr 2020 mindestens 46 und bis zum Jahr 2030 mindestens 43 Prozent betragen. Die Beitragssatz- und Sicherungsniveauziele bedeuten eine noch stärkere Orientierung an der Beitragssatzstabilität im Sinne der mit der Agenda 2010 beabsichtigten Begrenzung der Lohnnebenkosten.14 Aus den Rentenreformen ergab sich auch die Minderung vorzeitig in Anspruch genommener Renten um einen Rentenabschlag zum Ausgleich der längeren Rentenbezugsdauer. Renten wegen Erwerbsminderung mindern sich daher um bis zu 10,8 Prozent. Die Minderung wird jedoch durch eine längere Zurechnungszeit zum Teil wieder ausgeglichen. Im Jahr 2007 wurde die stufenweise Anhebung der Altersgrenze für die Regelaltersrente von bisher 65 Jahren auf das 67. Lebensjahr beschlossen. Die Anhebungsphase dauert von 2012 bis 2029 und betrifft die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1963. Ferner ist die Berücksichtigung von Langzeitarbeitslosigkeit für die Rentenberechtigung in mehreren Stufen deutlich reduziert worden. Seit dem Jahr 2011 wirkt sich der Bezug von Arbeitslosengeld II so gut wie nicht mehr rentensteigernd aus. 4. Maßzahlen für Altersarmut Pauschale Aussagen über die Einkommens- und Lebensverhältnisse der älteren Generation, zum Beispiel über die Höhe der durchschnittlich gezahlten Rente, sind nur wenig aussagekräftig. Durchschnittswerte und Statistiken sagen wenig über die soziale Realität älterer Menschen aus. Die Lebenslagen auch von Älteren sind zunehmend unterschiedlich ausgestaltet und nicht so einfach vergleichbar. Wie in der Gesellschaft insgesamt, so stehen auch bei den Älteren den gut Versorgten und Vermögenden jene gegenüber, die nur über ein geringes Einkommen verfügen. 13 Hüfken, Hartmut (2012): Die Finanzierung und Finanzbeziehungen der Rentenversicherung. In: Eichenhofer- Rische-Schmähl (Hrsg.), Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand, Kapitel 23, Rd. 40. 14 Vgl. Regierungserklärung zur Agenda 2010, Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/32, S. 2489 (C, D). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 10 Die sozialen Differenzierungen des Erwerbslebens werden auf die Lebensphase des Alters übertragen .15 Wenn es um Armut in Deutschland geht, dann ist meistens relative Armut gemeint, das bedeutet, Menschen verfügen über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel, dass sie von der Lebensweise , die als Mindeststandard angesehen wird, ausgeschlossen sind. Als Maßzahlen im Zusammenhang mit Altersarmut werden üblicherweise die Armutsrisikoquote sowie die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung verwendet . Jedoch müssen auch die Empfänger von Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel SGB XII, hier insbesondere diejenigen, die Hilfe zur Pflege (7. Kapitel) erhalten, und die Bezieher von Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz - als eine vorrangige Leistung - in die Betrachtung einbezogen werden . Bezieher dieser Leistungen müssen ebenfalls bedürftig sein. 4.1. Armutsrisikoquote Die Armutsrisikoquote ist ein Indikator zur Messung relativer Einkommensarmut und wird - entsprechend dem EU-Standard - definiert als der Anteil der Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung (in Privathaushalten ) beträgt. Das Äquivalenzeinkommen ist ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied, das ermittelt wird, indem das Haushaltsnettoeinkommen durch die Summe der Bedarfsgewichte der im Haushalt lebenden Personen geteilt wird. Nach EU-Standard wird zur Bedarfsgewichtung die neue OECD-Skala verwendet. Danach wird der ersten erwachsenen Person im Haushalt das Bedarfsgewicht 1 zugeordnet, für die weiteren Haushaltsmitglieder werden Gewichte von < 1 eingesetzt (0,5 für weitere Personen im Alter von 14 und mehr Jahren und 0,3 für jedes Kind im Alter von unter 14 Jahren), weil angenommen wird, dass sich durch gemeinsames Wirtschaften Einsparungen erreichen lassen. Im Jahr 2015 lag die Armutsgefährdungsquote in Deutschland bei 15,7 Prozent.16 Die Armutsrisikoquoten unterscheiden sich aufgrund der verwendeten Datenbasis: die jährlichen Erhebungen „Sozio-oekonomisches Panel (SOEP)“, „Leben in Europa (EU-SILC)“, „Mikrozensus“ und die alle fünf Jahre erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS). Die Maßgröße hat generell den Nachteil, dass in der Regel jährliche Lohn- und Gehaltszuwächse auftreten. Sie lassen das Einkommensniveau der Gesamtbevölkerung von Jahr zu Jahr weiter ansteigen , sodass auch der Schwellenwert für Armutsgefährdung, der ja einen vom Einkommensniveau abhängigen Prozentanteil darstellt (60 Prozent des Medians), von Jahr zu Jahr weiter an- 15 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, abrufbar im Internet unter http://www.bpb.de/politik/innenpolitik /rentenpolitik/187842/materielle-teilhabedimensionen und http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/rentenpolitik /187936/alterseinkommen-und-altersarmut, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2017. 16 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Sozialberichterstattung, Armut und soziale Ausgrenzung, abrufbar im Internet unter http://www.amtliche-sozialberichterstattung.de/A1armutsgefaehrdungsquoten.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 11 steigt. So wird die 60-Prozentschwelle beispielsweise auch von Vertretern der Wohlfahrtsorganisationen kritisiert: „Irreführend ist die Gleichsetzung von Armutsrisiko und Armut auch deswegen , weil sie die soziale Lage der Menschen unberücksichtigt lässt. So gibt es Menschen, die einige Zeit lang von einem verfügbaren Einkommen unterhalb der 60-Prozent-Schwelle leben und damit keine ernsthaften sozialen Probleme haben. Ein Beispiel: Die Armutsrisikoschwelle beträgt nach dem Mikrozensus 2013 für einen Alleinstehenden 892 Euro. Somit sind praktisch alle Auszubildenden und Studierenden, die in einem eigenen Haushalt leben, per Definition "einkommensarm ", auch Studierende beispielsweise, die mit elterlicher Unterstützung von 750 Euro sorgenfrei studieren können.“17 Die nachfolgende Tabelle basiert auf den Daten von EU-SILC. Armutsschwelle und Armutsgefährdungsquoten (monetäre Armut in Deutschland) – 65-Jährige und Ältere vor und nach Sozialleistungsbezug 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Schwellenwert für Armutsgefährdung in Euro je Jahr (Alleinlebende) 10.986 11.151 11.278 11.426 11.757 11.749 11.840 12.401 Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen (außer Renten und Pensionen) in Prozent 14,9 15,0 14,1 14,2 15,0 14,9 16,3 16,5 Armutsgefährdungsquote vor Sozialleistungen in Prozent 16,0 16,1 15,2 15,4 15,9 16,0 17,3 17,5 © Statistisches Bundesamt (Destatis) 2017.18 4.2. Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41-46) ist eine Leistung im Rahmen der Sozialhilfe. Sozialhilfe ist eine nachrangige Leistung. Bedürftigkeit ist zwingende Voraussetzung. Die Leistungen erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 2 SGB XII). Die Leistungen der Grundsicherung können durch Antragstellung ältere und dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland erhalten. Hinsichtlich der Altersgrenze gelten folgende Regelungen: Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Für Menschen, die nach dem 17 Cremer, Georg (Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes e.V.), Die tief zerklüftete Republik, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. April 2015. 18 Datenbasis: Statistisches Bundesamt (2017), Lebensbedingungen, Armutsgefährdung, abrufbar im Internet unter https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/Lebensbedingungen Armutsgefaehrdung/Tabellen/EUArmutsschwelleGefaehrdung_SILC.html, zuletzt abgerufen am 11. Mai 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 12 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze gemäß § 41 Abs. 2 SGB XII entsprechend der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung stufenweise angehoben. Die Grundsicherung wird regelmäßig für zwölf Kalendermonate gewährt. Wenn Einkommensänderungen nicht wahrscheinlich sind, ist es in Ausnahmefällen möglich, die Grundsicherung auf Dauer zu bewilligen. Seit Einführung der Grundsicherung im Alter im Jahr 2003 ist die Zahl der Leistungsberechtigten , die die Altersgrenze erreicht haben, kontinuierlich gestiegen. Ausnahmslos beziehen mehr ältere Frauen die Leistung. Am 31. Dezember 2003 erhielten insgesamt 257.734 ältere Menschen Grundsicherungsleistungen (74.748 Männer und 182.986 Frauen). Im Dezember 2015 gab es insgesamt 536.121 ältere Leistungsempfänger (214.089 Männer und 322.032 Frauen); im Dezember 2016 war die Zahl gesunken auf 525.595 (216.869 Männer und 308.726 Frauen). Einfluss auf den Rückgang hat eine zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene Reform des Wohngelds. Bisherige Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung profitieren seitdem unter Umständen von höheren, vorrangig zu gewährenden Wohngeldbeträgen. Zudem führte eine Rentenanpassung zum 1. Juli 2016 zu steigendem Einkommen für Rentenbezieher. Bei Personen über der Altersgrenze ist dadurch möglicherweise der Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung entfallen.19 Der Anspruch des Leistungsberechtigten auf Grundsicherung ist der Nettobedarf. Er ergibt sich aus der Differenz aller regelmäßig anerkannten Bedarfe (Bruttobedarf) und des angerechneten Einkommens (bereinigt um Absetzbeträge und Freibeträge). Zu den regelmäßigen anerkannten Bedarfen und damit zur Berechnung des Bruttobedarfs zählen der Regelsatz, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die Mehrbedarfe, die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Beiträge für die Vorsorge nach § 33 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Zahl der Grundsicherungsempfänger (Altersgrenze und älter) und deren durchschnittliche Bedarfe Jahr Monatliche durchschnittliche Bedarfe in Euro Zahl der Leistungsempfänger Bruttobedarf Anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung Angerechnetes Einkommen Nettobedarf Dezember 2003 257.734 572 227 274 298 Dezember 2015 536.121 785 348 375 410 Dezember 2016 525.595 800 353 370 430 Zusammenstallung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes20 19 Die Zahlen wurden der Pressemitteilung Nr. 130 von 12. April 2017 des Statistischen Bundesamtes entnommen, abrufbar im Internet unter https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen /2017/04/PD17_130_221.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2017. 20 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 136 vom 19. April 2016, abrufbar im Internet unter https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/04/PD16_136_221.html, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Soziales /Sozialleistungen/Sozialhilfe/Grundsicherung/Tabellen/Reiter_03_BL_BQ_2015_DurchschnBetrVersch Merkmale.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 13 Nachteil dieser Maßgröße ist der Umstand, dass die vorliegenden Zahlen nur diejenigen Grundsicherungsbezieher zeigen können, die die Leistung tatsächlich beantragt haben. Nicht erfasst werden Menschen, die in Armut leben, aber die Leistung aus unterschiedlichen Gründen nicht beantragt haben. 4.3. Bezieher von Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe Die Hilfe zur Pflege nach dem siebten Kapitel des SGB XII umfasst beispielsweise ambulante Hilfen , häusliche Pflege, einen Entlastungsbetrag, teilstationäre Hilfe in Tagesstätten, stationäre Hilfen oder eine Heimpflege. Voraussetzung ist die Pflegebedürftigkeit ab Pflegegrad 2. Bei Pflegegrad 1 kommt die Gewährung eines Entlastungsbetrags, die Finanzierung von Pflegehilfsmitteln oder von Maßnahmen, die das Wohnumfeld verbessern, in Betracht. Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist - wie bei allen Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe - das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Deckung des notwendigen Bedarfes. Es müssen alle vorrangigen sonstigen Hilfen, beispielsweise die Leistungen der Pflegeversicherung, ausgeschöpft werden. Die Grafik zeigt die Anzahl der Empfänger von Hilfe zur Pflege im Jahr 2015. Einbezogen sind nur Personen, die älter als 65 Jahre sind. © Statistisches Bundesamt (Destatis), 201721 21 Statistisches Bundesamt, GENESIS Online-Datenbank, abrufbar im Internet unter https://www-genesis.destatis .de, zuletzt abgerufen am 11. Mai 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 14 4.4. Bezieher von Wohngeld Das Wohngeld dient der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens . Auf Wohngeld besteht ein Rechtsanspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen. Die Leistung wird nur auf Antrag gewährt. Empfänger von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung haben keinen Leistungsanspruch, da die Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung gewährt werden. „Am Jahresende 2015 erhielten rund 185.000 Rentnerhaushalte (2,1 Prozent aller Rentnerhaushalte ) Wohngeld. Das waren rund 40 Prozent der Wohngeldhaushalte insgesamt. (…) Das durchschnittliche wohngeldrechtliche Einkommen (nach Abzug des Pauschalabzugs und von Freibeträgen ) betrug Ende 2015 rund 560 Euro.“22 Die Wohngeldreform ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten. Das Wohngeldleistungsniveau wurde um durchschnittlich 39 Prozent erhöht. Der sich daraus ergebende Wohngeldbetrag hängt im Einzelfall von der Kombination aus Haushaltsgröße, Einkommen und Miete beziehungsweise 22 Lebenslagen in Deutschland - Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 433-434, abrufbar im Internet unter http://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Bericht/Der-fuenfte-Bericht/Der-Bericht /der-bericht.html;jsessionid=27A15759AD5D6B82E5CCEC470B959F4F, zuletzt abgerufen am 11. Mai 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 15 Belastung ab. Wie bereits oben dargestellt ist im Jahr 2016 die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung gesunken, da sie vermutlich von den höheren, vorrangig zu gewährenden Wohngeldbeträgen profitieren. 5. Aktuelle Einkommenssituation älterer Menschen Die heutige Generation der Rentnerinnen und Rentner ist verhältnismäßig gut abgesichert. Im Durchschnitt betrug 2015 das Haushaltsnettoeinkommen von Ehepaaren und Alleinstehenden im Alter von über 65 Jahren 1.941 Euro.23 Dabei gibt es ein Ost-West-Gefälle sowie Unterschiede zwischen den Einkommen von Männern und Frauen. Nach dem aktuellen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung stellt sich die durchschnittliche Einkommenssituation älterer Menschen wie folgt dar:24 Durchschnittliches monatliches Haushaltsnettoeinkommen 2015 ab 65 Jahre in Euro: Deutschland West Ost Ehepaare 2.543 2.611 2.260 Alleinstehende Männer 1.614 1.661 1.394 Alleinstehende Frauen 1.420 1.431 1.372 Das durchschnittliche monatliche Nettoarbeitsentgelt eines westdeutschen Arbeitnehmers betrug zum Vergleich etwa 2.110 Euro.25 Aus dem durchschnittlichen Alterseinkommen geht freilich nicht das Ausmaß von Altersarmut hervor. Dies kann eher der Verteilung der Alterseinkommen innerhalb der Gruppe der 65-Jährigen und Älteren entnommen werden. Danach ist die Einkommensverteilung in Westdeutschland breiter gestreut als in Ostdeutschland. Der sich aus der Verteilung der Alterseinkommen ergebende Anteil der Haushalte älterer Menschen mit geringen Einkommen stellt sich wie folgt dar: Haushalte über 65-Jähriger mit geringen monatlichen Haushaltsnettoeinkommen:26 West Ost Ehepaare mit unter 1.500 Euro 15 % 9 % Alleinstehende Männer mit unter 1.000 Euro 20 % 24 % Alleinstehende Frauen mit unter 1.000 Euro 25 % 19 % 23 Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Das Gesamtkonzept zur Alterssicherung“, S. 15. 24 Bundestags-Drucksache 18/10571, S. 69 ff. 25 Errechnet aus dem vorläufigen in Westdeutschland im Jahr 2015 erzielten Durchschnittsentgelt der Anlage 1 zum SGB VI in Höhe von 35.363 Euro abzüglich 2.727 Euro Steuer und 7.311 Euro Sozialabgaben. 26 Bundestags-Drucksache 18/10571, S. 91, Daten aus Tabelle C.5.1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 16 6. Langfristige Entwicklung von Beitragssatz und Rentenniveau Die Alterssicherung betrifft einen Zeitraum, der über mehrere Jahrzehnte hinausgeht. Prognosen werden immer weniger verlässlich, je weiter ein Blick in die Zukunft gewagt wird. So wirken auf die Alterssicherung folgende Faktoren, deren weitere Entwicklung nur sehr vage vorhergesagt werden kann: Gesellschaftliche Einflüsse Wirtschaftliche Einflüsse Persönliche Merkmale Zuwanderung (aktuell insb. Integration von geflüchteten Menschen) Geburtenrate Wandel der Arbeitswelt /Digitalisierung Entwicklung der Erwerbseinkommen / Lohn- bzw. Arbeitseinkommensquote Erwerbsquote (insb. von Frauen und älteren Erwerbstätigen ) Lebenserwartung Gesundheitliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit Hinsichtlich der auf eine möglichst hohe Verzinsung angewiesenen kapitalgedeckten Alterssicherungssysteme ist ein Ende der anhaltenden Niedrigzinsphase nicht abzusehen. Für die gesetzliche Rentenversicherung schätzt die Bundesregierung, dass der Beitragssatz bis zum Jahr 2021 unverändert 18,7 Prozent beträgt und anschließend über 20,2 Prozent im Jahr 2025 bis auf 21,8 Prozent im Jahr 2030 steigt. Dabei wird von einer durchschnittlichen Zuwachsrate der Durchschnittsentgelte der Versicherten von 3,0 Prozent und einer mittleren Beschäftigungsentwicklung ausgegangen. Das Sicherungsniveau vor Steuern wird bei denselben Annahmen von derzeit rund 48 Prozent nach dem Jahr 2024 unter 47 Prozent bis auf 44,5 Prozent im Jahr 2030 sinken.27 Nach den langfristigen Vorausberechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales würde bei unveränderter Gesetzeslage der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2045 auf 23,6 Prozent ansteigen und das Versorgungsniveau vor Steuern auf 41,7 Prozent sinken .28 7. Risikogruppen Die obligatorischen Alterssicherungssysteme sind in Deutschland auf eine kontinuierliche Erwerbsbiographie mit einer Vollzeitbeschäftigung von etwa 45 Jahren ausgerichtet. Zum einen sind vermehrt Lücken in der Erwerbsbiographie durch gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel zu beobachten, zum anderen führen familienbedingte Unterbrechungen der beruflichen 27 Bundestags-Drucksache 18/10570, S. 29 ff. 28 Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbericht 2016, Bundestags -Drucksache 18/10570, S. 96. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 17 Tätigkeit nach wie vor insbesondere bei Frauen zu geringeren Alterseinkünften. Im Einzelnen können folgende Risikogruppen festgestellt werden:29 Familienorientierte Frauen, die eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgrund von Kindererziehung und/oder Pflege von Familienangehörigen nicht ausüben konnten. Bis zum zehnten Lebensjahr eines Kindes erfolgt jedoch eine teilweise Kompensierung durch die Anerkennung der Erziehungszeiten und einen Nachteilsausgleich in der gesetzlichen Rentenversicherung . Für Zeiten der Pflege zahlt die Pflegekasse seit 1992 Rentenbeiträge. Ehemalige selbständig Tätige, die von keinem obligatorischen Alterssicherungssystem erfasst werden. Zugewanderte Personen, insbesondere aus Ländern, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen besteht. Hierzu zählen auch die aus Osteuropa seit den 1990er-Jahren zugewanderten Spätaussiedler, für die die Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Fremdrentengesetz (FRG) drastisch gekürzt worden sind.30 Personen, deren Erwerbsbiographie nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Unterbrechungen aufweist und andere Personen mit langandauernder Arbeitslosigkeit oder Teilzeitbeschäftigungen. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder anderweitige Qualifizierung. Erwerbsgeminderte Personen. Arbeitnehmer in prekärer Beschäftigung zu Niedriglöhnen. Die Einkommensverteilung im Alter wird zunehmend ungleicher, weil auch die Verteilung der Einkommen der Erwerbstätigen ungleicher wird. Hinzu kommen der durch die Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgte Abbau der auf dem Solidarprinzip beruhenden Rentenleistungen und das sinkende Sicherungsniveau. Insbesondere die Renteneinkommen von Geringverdienern und ihr Risiko, im Alter arm zu sein, hängen von der Lohnentwicklung und der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt ab.31 8. Aktuelle Vorschläge zur Alterssicherung Im Gesetzgebungsverfahren befinden sich zurzeit der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung anderer Gesetze (EM-Leistungsverbesserungsgesetz) und der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz ).32 29 Vgl. Brettschneider, Antonio und Klammer, Ute (2016): Lebenswege in die Altersarmut. Duncker & Humblot, Berlin, S. 141 ff., Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Das Gesamtkonzept zur Alterssicherung “, S. 16/17. 30 Vgl. § 22 Abs. 4 FRG. 31 Kistler, Ernst und Trischler, Falko (2014): Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in der Alterssicherung – Folgen für die Einkunftslage im Alter. Hans- Böckler Stiftung, Düsseldorf, S. 11. 32 Bundestags-Drucksachen 18/11926 und 18/11286. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 020/17 Seite 18 Danach sollen Menschen mit verminderter Erwerbsfähigkeit besser abgesichert werden, indem die Zurechnungszeit für Rentenzugänge schrittweise auf das vollendete 65. Lebensjahr verlängert wird. Erwerbsgeminderte werden gegebenenfalls langfristig so gestellt, als ob sie - entsprechend der Bewertung ihrer Zurechnungszeit - drei Jahre länger als bisher gearbeitet hätten. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz sieht tariflich abgesicherte Betriebsrenten auch für kleine und mittlere Betriebe, vereinfachte und transparentere durch die Zahlung einer Zulage bzw. steuerlich geförderte zusätzliche private Altersvorsorge sowie Freibeträge für Zusatzrenten in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vor. Im November 2016 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgestellt, nach dem die gesetzliche Rente als verlässliches Fundament bezeichnet wird. Im Einzelnen wird neben der Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und der Stärkung der betrieblichen Altersversorgung Folgendes vorgeschlagen : Das Rentenniveau soll auch nach dem Jahr 2020 mindestens 46 Prozent betragen. Der Höchstwert für den Beitragssatz soll bis zum Jahr 2030 bei 22 Prozent und anschließend bis zum Jahr 2045 bei 25 Prozent liegen. Bisher nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige sollen schrittweise in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden. Als Anerkennung von Lebensleistung soll mit einer Solidarrente für langjährig Versicherte ein garantiertes Alterseinkommen gewährleistet werden, das 10 Prozent oberhalb der Grundsicherung liegt. ***