© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 019/19 Übertragung von Wertguthaben auf Dritte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 019/19 Seite 2 Übertragung von Wertguthaben auf Dritte Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 019/19 Abschluss der Arbeit: 15. März 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 019/19 Seite 3 1. Einleitung Mit der folgenden Arbeit soll auf die Frage der Möglichkeit der Übertragbarkeit eines Wertguthabens eines Beschäftigten auf Dritte1 eingegangen werden. 2. Rechtliche Grundlagen 2.1. Wertguthaben Wertguthaben sind eine Form von Arbeitszeitkonten, die auf eine längerfristige Freistellung von der Arbeitsleistung ausgerichtet sind bzw. dazu dienen, früher aus dem Berufsleben auszusteigen . Dazu werden Arbeitsentgelt- oder Arbeitszeitanteile der Beschäftigten in einem Wertguthaben angespart und im Falle einer Freistellung ausgezahlt. Die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen zu Wertguthaben sind in den §§ 7 ff. Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) geregelt. In der Ansparphase bringen die Beschäftigten Arbeitszeit (die in Arbeitsentgelt umzurechnen ist) bzw. Teile ihres (Brutto-)Arbeitsentgelts sowie der Arbeitgeber seinen Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung in das Wertguthaben ein. Das Wertguthaben wird damit als Bruttobetrag inklusive Steuern und Sozialversicherungsbeitrag geführt, § 7d Abs. 1 Satz 1 SGB IV. In der Freistellungsphase zahlt der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt aus dem Wertguthaben aus. Erst bei der Auszahlung werden für die ausgezahlten Arbeitsentgelte die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge fällig, vgl. § 23b SGB IV.2 § 7 Abs. 1a SGB IV in Verbindung mit § 23b SGB IV stellt sicher, dass auch in der Freistellungsphase der Sozialversicherungsschutz nicht entfällt. Nach § 7 Abs. 1a SGB IV liegt eine Beschäftigung im sozialrechtlichen Sinne auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat vor (im Sinne einer Beschäftigungsfiktion3). Damit besteht grundsätzlich auch die Sozialversicherungspflicht und der Sozialversicherungsschutz, wenn während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b SGB IV fällig ist und das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Freistellungsphase nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde. 2.1.1. Wertguthabenvereinbarung Eine Wertguthabenvereinbarung liegt nach § 7b SGB IV dann vor, wenn der Aufbau des Wertguthabens aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung erfolgt, diese Vereinbarung nicht das Ziel der flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder dem Ausgleich betrieblicher Produktions- und Arbeitszyklen verfolgt, 1 Zu den Dritten in diesem Sinne gehören auch nahe Angehörige. 2 Vgl. Wißing in Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB IV, 3. Auflage 2016, § 7b SGB IV, Rn. 15; Boecken in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 23b SGB IV, Rn. 3. 3 Boecken in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 7b SGB IV, Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 019/19 Seite 4 Arbeitsentgelt in das Wertguthaben eingebracht wird, um es für Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung oder der Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu entnehmen, das aus dem Wertguthaben fällige Arbeitsentgelt mit einer vor oder nach der Freistellung von der Arbeitsleistung oder der Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit erbrachten Arbeitsleitung erzielt wird und das fällige Arbeitsentgelt insgesamt 450 Euro monatlich übersteigt, es sei denn, die Beschäftigung wurde vor der Freistellung als geringfügige Beschäftigung ausgeübt. 2.1.2. Verwendung von Wertguthaben Nach § 7c Abs. 1 Nr. 1 SGB IV kann das Wertguthaben für gesetzlich geregelte vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeitsleistung oder gesetzlich geregelte Verringerung der Arbeitszeit verwendet werden, insbesondere für die Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz oder dem Familienpflegegesetz , Kindererziehungszeiten und Zeiten der Teilzeitbeschäftigung nach dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG).4 Daneben können aber weitere Freistellungszwecke individuell vereinbart werden, § 7c Abs. 1 Nr. 2 SGB IV. Das Gesetz nennt hier beispielhaft Zeiten, die unmittelbar vor dem Bezug der Altersrente liegen, und berufliche Qualifizierungszeiten, § 7c Abs. 1 Nr. 2a, b SGB IV. 2.1.3. Übertragbarkeit des Wertguthabens Nach § 7f SGB IV kann das Wertguthaben bei Beendigung der Beschäftigung auf den neuen Arbeitsgeber beziehungsweise auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen werden. Stimmt der neue Arbeitgeber der Übertragung des Wertguthabens zu, so besteht nach § 7f Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ein Anspruch des Beschäftigten gegenüber seinem bisherigen Arbeitgeber auf die Übertragung. Bei der Übertragung wird das Guthaben weder versteuert noch werden die darin enthaltenen Sozialversicherungsbeiträge fällig. Kann oder will der neue Arbeitgeber das Wertguthaben nicht übernehmen oder schließt sich an die beendete Beschäftigung entweder eine selbstständige Tätigkeit oder eine Phase der Nichtbeschäftigung an, so kann der Beschäftigte das Wertguthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen oder das Wertguthaben als sogenannten Störfall (siehe unter 2.1.4.) noch vom alten Arbeitgeber auflösen lassen. 2.1.4. Störfälle Bei Eintritt eines Störfalles, wenn also der eigentliche Zweck des Wertguthabens, nämlich die Finanzierung von Freistellungsphasen, nicht erfüllt werden kann (z.B. Kündigung des Wertguthabens , vorzeitige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, Tod des Beschäftigten), wird das Guthaben aufgelöst, § 23b SGB IV. Das bedeutet, dass der im Wertguthaben enthaltene Gesamtsozialversicherungsbeitrag grundsätzlich mit dem Folgemonat fällig (vgl. § 23b Abs. 2 Satz 8 SGB 4 § 8 TzBfG findet hier mit der Maßgabe Anwendung, dass sich die Reduzierung der Arbeitszeit auch nur auf den befristeten Zeitraum der Inanspruchnahme des Wertguthabens beziehen kann, § 7c Abs. 1 Nr. 1c SGB IV. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 019/19 Seite 5 IV) wird und das Arbeitsentgelt dem Beschäftigten auszubezahlen ist, was wiederum steuerrechtlich gemäß des Zuflussprinzips die Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer auslöst.5 3. Übertragbarkeit des Wertguthabens auf Dritte Die Möglichkeit der Übertragung des Wertguthabens auf Dritte6 ist im SGB IV nicht ausdrücklich geregelt. Zwar enthalten die §§ 7 Abs. 1a Satz 6 und 23b Abs. 4 SGB IV Regelungen, die die Wirkung der Übertragung des Wertguthabens auf einen Dritten betreffen. Ein Ausschluss der Übertragbarkeit des Wertguthabens ist damit aber nicht verbunden. Vielmehr lassen die §§ 7 Abs. 1a Satz 6 und 23b Abs. 4 SGB IV erkennen, dass der Gesetzgeber von der zivilrechtlichen Übertragbarkeit von Wertguthaben im Wege der Abtretung nach § 398 BGB ausgeht.7 Allerdings hat der Gesetzgeber ausdrücklich geregelt, dass im Falle der Übertragung auf andere Beschäftigte diese nicht in den Genuss der Vorteile der Wertguthabenvereinbarung kommen, insbesondere nicht in die der Beschäftigungsfiktion nach § 7 Abs. 1a Satz 1 SGB IV. Der Gesetzgeber wollte Arbeitnehmer in die Lage versetzen, in Absprache mit dem Arbeitgeber eine Arbeitsreduzierung für einen gewissen Zeitraum vorzunehmen, ohne den Sozialversicherungsschutz zu verlieren . Eine weitergehende Regelung, die eine Übertragung der Fiktion auf Dritte vorsieht sollte ausdrücklich ausgeschlossen sein. Dazu heißt es in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen: „Die Vorschrift schließt aus, dass Dritte durch Erwerb von Wertguthaben, die ein Beschäftigter durch Arbeitsleistung angesammelt hat, einen sozialversicherungsrechtlichen Schutz ohne eigene Arbeitsleistung begründen können. Die Verbriefung von Zeitguthaben in Zertifikaten, Wertpapieren o.ä. bei flexiblen Arbeitszeitregelungen wird dadurch nicht ausgeschlossen; die Übertragung auf Dritte begründet für diese jedoch keinen Schutz in der Sozialversicherung. Für den Übertragenden wird allerdings mit der Übertragung das (aufgeschobene) Arbeitsentgelt fällig und damit beitragspflichtig […].“8 Demnach ist eine Übertragung des Wertguthabens möglich, nicht aber seine Funktion zur vollständigen oder teilweisen Freistellung von Arbeitsleistungen unter Fiktion eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Die Wertguthabenvereinbarung bleibt eine individuelle Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, auch wenn der als Wertguthaben gebildete Vermögenswert als Forderung nach § 398 BGB disponibel bleibt. 5 Boecken in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 23b SGB IV, Rn. 17 f. sowie § 7e SGB IV, Rn. 21. 6 Hier geht es nicht um die Übertragung auf einen neuen Arbeitsgeber oder die Deutsche Rentenversicherung Bund. 7 Boecken in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 7a SGB IV, Rn. 49. 8 BT-Drucksache 13/9818, Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen , S. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 019/19 Seite 6 Die Übertragung des Wertguthabens durch den Arbeitnehmer auf einen Dritten nach § 398 BGB im Sinne des § 23b Abs. 4 SGB IV stellt einen Störfall nach § 23b Abs. 2 SGB IV dar. Damit gelten in einem solchen Fall die Regelungen zu der beitragsrechtlichen Abwicklung nach § 23b Abs. 2 bis 3a SGB IV. Der neue Gläubiger wird hinsichtlich des übernommenen Wertguthabens nicht mit den Beiträgen belastet; insoweit bleibt der übertragende Arbeitnehmer verpflichtet. Vielmehr sind nach § 23b Abs. 4 SGB IV im Störfall die zu leistenden Beiträge von demjenigen aufzubringen , der das Wertguthaben durch seine Arbeitsleistung erzielt hat.9 Da die Regelungen der §§ 7 Abs. 1a Satz 6, 23b Abs. 4 SGB IV bezüglich der Übertragung von Wertguthaben auf Dritte zwingendes höherrangiges Recht darstellen, könnten sie jedenfalls schon aus diesem Grunde nicht durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Betriebsverfassungsgesetz abbedungen werden.10 Es erscheint aber bereits zweifelhaft, ob eine entsprechende Regelungsbefugnis überhaupt angenommen werden kann. Sinn und Zweck der oben dargestellten Regelungen war es insbesondere aufgrund von Wertguthaben freigestellten Beschäftigten den Schutz der Sozialversicherung zu sichern. Einer Übertragbarkeit von Wertguthaben auf Dritte unter Beibehaltung der Beschäftigungsfiktion in der Freistellungsphase würden erheblichen Bedenken begegnen, da Dritte ohne eigene sozialversicherungspflichtige Arbeitsleistungen erbracht zu haben in den Genuss des besagten Schutzes gelangen könnten. Dies stünde insbesondere dem Grundprinzip der Sozialversicherung entgegen, nach dem aus einer versicherten Beschäftigung in individuellen Leistungsfällen an die versicherte Person oder Hinterbliebene Erwerbsersatzeinkommen beziehungsweise Unterhaltsersatz zu gewähren ist. *** 9 Vgl. Boecken in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 23b SGB IV, Rn. 30; Zieglmeier in Kassler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 102. EL, Dezember 2018, § 23b SGB IV, Rn. 31. 10 Vgl. zu den Schranken der Regelungsbefugnis im Rahmen einer Betriebsvereinbarung: Schwarze in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 77 BetrVG, Rn. 36.