© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 018/21 Pandemiebedingte vereinfachte Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 018/21 Seite 2 Pandemiebedingte vereinfachte Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 018/21 Abschluss der Arbeit: 4. März 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 018/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen 4 2. Vereinfachtes Stundungsverfahren aufgrund der pandemiebedingten wirtschaftlichen Situation 5 3. Beurteilung des vereinfachten Stundungsverfahrens 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 018/21 Seite 4 1. Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen Arbeitgeber sind gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen als zuständige Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag Schuldner der Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Arbeitslosen-, Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung. Sie haften für dessen rechtzeitige Abführung. Die Sozialversicherungsbeiträge werden grundsätzlich am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats in voraussichtlicher Höhe der Schuld fällig. Werden Beiträge nicht bis zu den jeweils zu berücksichtigenden Fälligkeitsterminen gezahlt, sind grundsätzlich Säumniszuschläge und Mahngebühren zu berechnen. Für die rechtzeitige und vollständige Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge sieht § 76 Abs. 2 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) Ausnahmen vor, die den Regelungen über die Veränderung sonstiger Ansprüche des Bundes in § 59 der Bundeshaushaltsordnung entsprechen: Danach können Sozialversicherungsbeiträge unter bestimmten Voraussetzungen gestundet, niedergeschlagen oder erlassen werden. Eine Stundung fälliger Sozialversicherungsbeiträge kommt gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB IV nur in Betracht, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für die Arbeitgeber als Beitragsschuldner verbunden wäre und der Anspruch der Krankenkasse auf die Beitragszahlung durch die Stundung letztlich nicht gefährdet wird. Gegebenenfalls wird die Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge befristet aufgeschoben. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) trifft gemäß § 217f des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) in grundsätzlichen Fach- und Rechtsfragen Entscheidungen zum Beitrags- und Meldeverfahren und zur einheitlichen Erhebung der Beiträge. Mit den Einheitlichen Grundsätzen zur Erhebung von Beiträgen, zur Stundung, zur Niederschlagung und zum Erlass sowie zum Vergleich von Beitragsansprüchen (Beitragserhebungsgrundsätze) vom 17. Februar 2010 hat der GKV-Spitzenverband nähere Bestimmungen zur Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen und zu erhebenden Stundungszinsen geregelt. Ob die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten verbunden wäre, ist nach den individuellen Verhältnissen des Arbeitgebers als Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags im Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilen. Eine besondere Härte liegt vor, wenn sich der Arbeitgeber in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen befindet oder bei sofortigem Einzug in solche geraten würde. Der Anspruch der Sozialversicherungsträger auf die Beitragszahlung wird durch die Stundung gefährdet, wenn nach den Gesamtumständen erkennbar ist, dass er auch nach Ablauf der Stundungsfrist nicht verwirklicht werden kann. Es müssen konkrete Hinweise auf dieses Risiko vorliegen, Vermutungen genügen nicht. Eine Gefährdung ist anzunehmen, wenn die Zahlungsschwierigkeiten erkennbar nicht nur vorübergehender Art sind, mit einer Besserung der Situation nicht zu rechnen ist und ausreichende Sicherheitsleistung nicht gewährt werden kann.1 Die Stundung soll gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 SGB IV gegen angemessene Verzinsung und in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Durch eine angemessene Verzinsung sollen wirtschaftliche Nachteile der Sozialversicherungsträger durch die Stundung ausgeglichen werden . Die Sollregelung verpflichtet, in der Regel Stundungszinsen in angemessener Höhe zu erheben . Die gesetzliche Krankenkasse hat als Einzugsstelle jedoch von sich aus nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob nach den Verhältnissen des Einzelfalles Zinsen in geringerer Höhe 1 Krauskopf/Baier, 108. EL September 2020, SGB IV § 76 Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 018/21 Seite 5 zu erheben sind oder von einer Verzinsung ganz abzusehen ist. Bei der verlangten Sicherheitsleistung ist durch die Formulierung „in der Regel“ der Ermessensspielraum weiter als bei einer reinen Sollregelung. Entscheidend ist, ob nach den Gesamtumständen ohne Sicherheitsleistung die spätere Realisierung des Anspruchs gefährdet ist.2 Vor allem dann, wenn die Position des Sozialversicherungsträgers nach Ablauf der Stundungsfrist ungünstiger sein könnte, wird eine Sicherheitsleistung zu verlangen sein.3 Gemäß § 3 Abs. 5 der Beitragserhebungsgrundsätze des GKV-Spitzenverbands setzt die Stundung einen Antrag des Arbeitgebers voraus, der das Vorliegen der Voraussetzungen der Stundung im Rahmen seiner Möglichkeiten zu belegen und dadurch glaubhaft zu machen hat. Über den Stundungsantrag ist gemäß § 3 Abs. 6 der Beitragserhebungsgrundsätze nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden und die Entscheidung durch Verwaltungsakt bekanntzugeben. Die Erhebung von Zinsen kann gemäß § 4 Abs. 3 und 4 der Beitragserhebungsgrundsätze unter anderem unterbleiben , wenn die Einziehung von Zinsen die Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers verschärfen und dieser dadurch in seiner wirtschaftlichen Lage schwer geschädigt würde. 2. Vereinfachtes Stundungsverfahren aufgrund der pandemiebedingten wirtschaftlichen Situation Die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie seit dem Frühjahr 2020 weltweit zur Eindämmung von SARS-CoV-2-Infektionen eingeführten Kontaktbeschränkungen und die pandemiebedingte Störung der internationalen Lieferketten wirken sich unmittelbar auf die Beschäftigten und Unternehmen aus. Vor diesem Hintergrund erfolgte ein breit aufgestelltes Maßnahmenpaket der Bundesregierung, das neben der Flexibilisierung der Regelungen zum Kurzarbeitergeld sowie der Ausweitung von Liquiditätshilfen für betroffene Unternehmen in Form von vereinfachten Zugangsmöglichkeiten zu Krediten und Bürgschaften auch steuerliche Liquiditätshilfen vorsah. Korrespondierend zu den Maßnahmen der Bundesregierung hat der GKV-Spitzenverband am 25. März 2020 mit dem Rundschreiben RS 2020/197 in Abstimmung mit den übrigen Spitzenorganisationen der Sozialversicherung für die Einzugsstellen einheitliche Empfehlungen zur vereinfachten Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen veröffentlicht. Danach konnten unmittelbar und nicht unerheblich durch die Coronakrise betroffene Arbeitgeber als Beitragsschuldner einen vom üblichen Verfahren abweichenden Antrag auf Stundung der Sozialversicherungsbeiträge stellen. Dabei war eine glaubhafte Erklärung über den erheblichen finanziellen Schaden durch die Pandemie abzugeben und die sonstigen Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen vorrangig in Anspruch zu nehmen. Von der Erhebung von Zinsen, Säumnis- oder Mahngebühren sowie von Sicherheitsleistungen wurde abgesehen. Das vereinfachte Stundungsverfahren sollte nur Anwendung finden, wenn alle anderen Maßnahmen aus den verschiedenen Hilfspakten und Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung ausgeschöpft worden sind. Die Beschäftigten konnten so in den Betrieben gehalten und Firmen vor einer möglichen Insolvenz bewahrt werden. 2 Krauskopf/Baier, 108. EL September 2020, SGB IV § 76 Rn. 8. 3 Krauskopf/Baier, 108. EL September 2020, SGB IV § 76 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 018/21 Seite 6 Die Empfehlung zur vereinfachten Stundung galt bis zur Gewährung von Kurzarbeitergeld und war zunächst bis Mai 2020 befristet. Im weiteren Verlauf der Pandemie wurde eine mehrfache Verlängerung erforderlich.4 Auch andere Sozialversicherungsträger, die neben den Einzugsstellen Sozialversicherungsbeiträge entgegennehmen, haben entsprechend verfahren.5 3. Beurteilung des vereinfachten Stundungsverfahrens Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für Gesundheit haben die Empfehlungen des GKV-Spitzenverbands begrüßt und darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen auch bei der vereinfachten Stundung weiterhin erfüllt sein müssen. Eine sofortige Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge müsse eine erhebliche Härte für das Unternehmen darstellen und der Anspruch dürfe durch die Stundung nicht gefährdet werden. Es könne nur um einen eng begrenzten Zeitraum gehen, in dem auf diese Weise geholfen werde. Der könne nicht für viele Monate vorab festgelegt werden. Die Situation müsse jeden Monat neu bewertet werden und zwar unter Berücksichtigung sowohl der Liquidität der Unternehmen als auch der Finanzlage der Sozialkassen.6 Die im Verwaltungsverfahren zu treffende Entscheidung über die Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen liegt im Ermessen der für die Einziehung des konkreten Sozialversicherungsbeitrags zuständigen Stelle. Nach dem Wortlaut des Gesetzes soll die Stundung zwar gegen angemessene Verzinsung und in der Regel nur gegen eine Sicherheitsleistung gewährt werden, ein Verzicht auf die Erhebung von Zinsen und Sicherheitsleistungen ist aber nicht gänzlich ausgeschlossen , sondern im Rahmen der Ermessensausübung möglich. Mit Blick auf den durch die Pandemie kurzfristig erheblichen finanziellen Schaden für Arbeitgeber und das Ziel, Beschäftigte in den Betrieben zu halten und Beitragsschuldner vor einer möglichen Insolvenz zu bewahren bevor die anderen Maßnahmen aus den verschiedenen Hilfspakten und Unterstützungsmaßnahmen greifen, war der Verzicht auf die Erhebung von Zinsen, Säumnis- oder Mahngebühren sowie ohne das Erfordernis von Sicherheitsleistungen in einer Vielzahl von Fällen durchaus angebracht . Eine Umkehrung der Regel-Ausnahme-Regelung liegt hierdurch nicht vor, da das vereinfachte Stundungsverfahren nicht generell, sondern nur für Beitragsschuldner gilt, die pandemiebedingt einen erheblichen finanziellen Schaden erlitten und die beantragten sonstigen Unterstützungs - und Hilfsmaßnahmen noch nicht erhalten haben. 4 Vgl. zuletzt Information des GKV-Spitzenverbands vom 19. Januar 2021: Maßnahmen zur Unterstützung der von der Corona-Pandemie betroffenen Arbeitgeber und Mitglieder bei der Zahlung der Beiträge, abrufbar im Internet unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/grundprinzipien_1/finanzierung /beitragsbemessung/01-2021_Information_zur_Beitragsstundung.pdf, zuletzt abgerufen am 2. März 2021. 5 Vgl. beispielsweise Meldung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 22. Dezember 2020: Corona - Stundung der Sozialversicherungsbeiträge, abrufbar im Internet unter https://www.deutsche-rentenversicherung .de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Meldungen/2020/201222_corona_stundung_sv_beitraege.html, zuletzt abgerufen am 2. März 2021. 6 Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 31. März 2020, abrufbar im Internet unter https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Meldungen/2020/stundung-sozialbeitaegen-unternehmen-entlasten .html, zuletzt abgerufen am 3. März 2021. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 018/21 Seite 7 Ebenso kann nicht von einer der Stundung entgegenstehenden Gefährdung der Beitragsansprüche ausgegangen werden, weil mit der Beitragszahlung nach Bewilligung der sonstigen Unterstützungs - und Hilfsmaßnahmen zu rechnen war. Deshalb dürfte auch die Entscheidung, auf eine Sicherheitsleistung zu verzichten, im Ermessensspielraum liegen. In der Sozialversicherung ist von den Trägern als Masseverwaltung eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen. Die in § 76 SGB IV enthaltenen Regelungen zur Stundung, zur Niederschlagung und zum Erlass von fälligen Sozialversicherungsbeiträgen räumen hierzu Ermessensspielräume ein, die individuelle Entscheidungen erlauben. Es ist in der Masseverwaltung dienlich, wenn die Spitzenverbände in geeigneten Fällen, die gehäuft in Erscheinung treten, Empfehlungen zu einer einheitlichen Verfahrensweise abgeben. Die Empfehlung des GKV-Spitzenverbands zum vereinfachten Stundungsverfahren ist vor dem Hintergrund des pandemiebedingten Wirtschaftseinbruchs erfolgt, der für eine Vielzahl von Beitragsschuldnern temporäre Liquiditätsprobleme bedeutete. Die aufgrund der Stundung mögliche spätere Beitragszahlung dürfte die Existenz vieler Unternehmen vorübergehend gesichert haben, ohne dass der Sozialversicherung im Zeitablauf Beitragsmittel entzogen worden wären. Die Beitragsschulden waren nach Bewilligung des zuvor beantragten Kurzarbeitergeldes oder anderer Liquiditätshilfen zu begleichen. Die Auferlegung von Zinsen oder Säumnisgebühren und das Bestehen auf Sicherheitsleistungen beziehungsweise die Ablehnung der Stundung hätte womöglich zu einer Reihe von vermeidbaren Unternehmensschließungen geführt, ohne dass die ausstehenden Beiträge noch hätten gezahlt werden können. Insoweit entspricht das vereinfachte Stundungsverfahren auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die Beitragszahlung auch bei vorübergehenden Zahlungsengpässen zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen. Eine gesonderte gesetzliche Regelung hierzu erscheint nicht geboten. Die Vorgehensweise der Einzugsstellen und übrigen Sozialversicherungsträger nach den Empfehlungen des GKV-Spitzenverbands zum vereinfachten Stundungsverfahren erfolgte in Übereinstimmung mit den oben vorgestellten Regelungen des § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB IV und der Beitragserhebungsgrundsätze vom 17. Februar 2010. ***