© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 017/17 Leistungen für die Opfer des Berliner Terroranschlags Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 2 Leistungen für die Opfer des Berliner Terroranschlags Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 017/17 Abschluss der Arbeit: 4. April 2017 Fachbereiche: WD 6: Arbeit und Soziales WD 3: Verfassung und Verwaltung (Gliederungspunkte 11) WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung (Gliederungspunkt 12) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Findet das Opferentschädigungsgesetz Anwendung? 5 3. Welche Rechte können Opfer und Angehörige aus dem OEG ableiten? 7 4. Ansprüche ausländischer Geschädigter nach dem OEG 8 5. Welche Leistungen sind laut OEG zu gewähren? 10 6. Ist es für Leistungen nach dem OEG von Relevanz, dass ggf. eine strafrechtliche relevante Tat einem Beteiligten an dem Anschlag nicht nachgewiesen werden kann? 11 7. Was unterscheidet „Primäropfer“ von „Sekundäropfern“? 11 8. Rechte aus der Gesetzlichen Unfallversicherung (7. Buch Sozialgesetzbuch) 12 8.1. Leistungen für Versicherte 12 8.1.1. Verletztengeld 13 8.1.2. Übergangsgeld 13 8.1.3. Pflegegeld 13 8.2. Rentenleistungen 13 8.2.1. Jahresarbeitsverdienst 13 8.2.2. Höhe der Rente 14 8.2.3. Abstrakte Schadensbemessung 14 8.3. Leistungen für Hinterbliebene 14 8.3.1. Sterbegeld 14 8.3.2. Überführungskosten 15 8.3.3. Hinterbliebenenrenten 15 9. Garantiefond der Verkehrsopferhilfe 15 10. Härteleistungen für die Opfer terroristischer Straftaten - Bundesamt für Justiz 16 11. Amtshaftungsansprüche nach einem Terroranschlag 17 11.1. Vorbemerkungen 17 11.2. Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruches im Rahmen der Gefahrenabwehr 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 4 11.3. Beamter im haftungsrechtlichen Sinne 18 11.4. Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht 18 11.5. Kausalität/Verschulden 20 11.6. Haftung von Bundesbehörden 20 11.7. Haftung von Landesbehörden 20 12. Sonstige Haftungsrechtliche Implikationen 21 12.1. Einleitung 21 12.2. Ansprüche gegen die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung bzw. den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen 21 12.2.1. Schadensersatzansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) 21 12.2.2. Ansprüche gegen den Entschädigungsfonds 22 12.2.3. Anspruch gegen die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung 24 12.3. Ansprüche gegen Veranstalter 25 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 5 1. Einleitung Bei dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 sind zwölf Menschen getötet und 56 weitere verletzt worden.1 Das Bundeskriminalamt gab am 30. Dezember 2016 bekannt, dass zehn der zwölf verstorbenen Opfer in Deutschland gewohnt haben. Eines der Opfer lebte in Israel und ein weiteres in Polen.2 Bei dem Toten aus Polen wird es sich vermutlich um den getöteten Lkw-Fahrer handeln. Zu den verletzten Menschen liegen keine weiteren Informationen vor. Die Bundesregierung hat Anfang März 2017 den früheren Ministerpräsidenten von Rheinland- Pfalz Kurt Beck zum „Beauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz“ bestellt. Er soll „…insbesondere als Türöffner und Kontaktvermittler bei allen mit dem Terroranschlag befassten Behörden des Bundes und der Länder fungieren und sie bei allen Anliegen unterstützen.“3 Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick darüber geben, inwieweit das Opferentschädigungsgesetz (OEG) hier Anwendung findet bzw. welche anderen Entschädigungsleistungen zum Tragen kommen. 2. Findet das Opferentschädigungsgesetz Anwendung? Anspruch auf Versorgung hat nach § 1 Abs. 1 OEG, wer durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen , tätlichen Angriff gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen kann auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges Bundesversorgungsgesetz (BVG) geleistet werden . Der Begriff des Vorsatzes ist dabei zumindest an den strafrechtlichen Begriff angelehnt – das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Der Vorsatz muss grundsätzlich erwiesen sein.4 Der räumliche Anwendungsbereich des OEG ist auf den Geltungsbereich des Gesetzes beschränkt . Jedoch erfährt diese räumliche Anwendbarkeit durch § 1 Satz 1 OEG eine Erweiterung auf Vorfälle auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug. 1 Deutsche Presse Agentur, Meldung vom 6. März 2017. 2 Bundeskriminalamt, Informationen zu den Opfern vom #Breitscheidplatz, Twitter-Meldung vom 30. Dezember 2016. 3 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Pressemitteilung vom 8. März 2017. 4 Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24.4.1991, Az. 9a/9 RVg 1/89. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 6 Das OEG ist nach § 1 Abs. 11 OEG „nicht anzuwenden auf Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verursacht worden sind.“ Nach Rademacker5 ist „schon der engere Begriff des Betriebs eines Kraftfahrzeugs (…) selbst dann erfüllt, wenn das Fahrzeug als Waffe oder Werkzeug vorsätzlich gegen einen Menschen gerichtet wird6, und auch dann, wenn es mit abgestelltem oder auch defektem Motor als Gefahrenquelle im Straßenverkehr weiterwirkt.“7 Für Schäden, die durch den Gebrauch einen Kraftfahrzeugs verursacht wurden, tritt das das Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (Pflichtversicherungsgesetz - PflVG) ein (siehe die Ausführungen unter Punkt 8.2). Ende Januar 2017 haben sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und Bundesjustizminister Heiko Maas darauf geeinigt, dass die Opfer vom Breitscheidplatz Leistungen über das BVG im Rahmen des dort geregelten Härteausgleichs (§ 89 BVG) erhalten sollen.8 Das OEG enthält keine eigenständigen Regelungen zu Versorgungsleistungen. Die Leistungen des OEG richten sich nach dem BVG. „§ 89 BVG - Härteausgleich (1) Sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften dieses Gesetzes besondere Härten ergeben, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ein Ausgleich gewährt werden. (2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann der Gewährung von Härteausgleichen allgemein zustimmen. 3) Zahlungen für Zeiträume vor dem Monat, in dem die Entscheidung für die Verwaltungsbehörde bindend wird, kommen in der Regel nicht in Betracht, wenn sie überwiegend zur Erfüllung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger führten.“9 5 Rademacker, Olaf (2012) in Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Nomos , § 1 OEG, Rn. 152. 6 Bundesgerichtshof (BGH) 3. Juli 1962 – VI ZR 184/61, BGHZ 37, 311. 7 BGH, Urteil vom 9. Januar 1959 – VI ZR 202/57, BGHZ 29, 163 = NJW 1959, 627. 8 Deutsche Presse Agentur, Berliner Terroropfer sollen mehr Unterstützung vom Bund erhalten, Meldung vom 20. Januar 2017, Deutscher Bundestag, Nachrichtenportal. 9 § 89 BVG in der Fassung vom 13. Dezember 2007. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 7 Nach Rademacker 10 setzt die Gewährung eines Härteausgleichs voraus, „dass sich aus der Anwendung des Gesetzes im Einzelfall eine besondere Härte ergibt. Wegen der Umstände des Einzelfalls , die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen hat, müssen die Auswirkungen der Gesetzesanwendung dem Zweck der begehrten aber abgelehnten Leistung in unbilliger Weise widersprechen .11 Eine besondere Härte kann darin liegen, dass ein Geschädigter nicht alle gesetzlichen Voraussetzungen vollständig erfüllt, aber eine Schädigung erlitten hat, für die die Allgemeinheit verantwortlich ist.“12 Die Hinterbliebenen des polnischen Lkw-Fahrers dürften unabhängig von der Härteausgleichs- Regelung ohnehin Ansprüche nach dem OEG geltend machen können, weil - nach Ausführungen des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof13 - der polnische Lkw-Fahrer nicht durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verstarb. Vielmehr soll er bereits vor der Tat auf dem Weihnachtsmarkt durch eine „tödliche Schussabgabe“ getötet worden sein. Nach § 4 Abs. 1 OEG ist Kostenträger der Leistungen das Bundesland, in dem die Schädigung eingetreten ist. Da der Anschlag in Berlin stattgefunden hat, ist das Land Berlin für Ansprüche nach dem OEG zuständig. Vom Anschlag Betroffene können sich zur Beantragung von Leistungen an das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) wenden. Wenn der Geschädigte zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte, trägt der Bund die Kosten der Versorgung (§ 4 Abs. 2 OEG). Hier empfiehlt es sich, die Geschäftsstelle des Beauftragten der Bundesregierung für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zu kontaktieren. 3. Welche Rechte können Opfer und Angehörige aus dem OEG ableiten? Gesetzgeberischer Zweck des OEG ist es auch, ein Versagen der nationalen Sicherheitsbehörden auszugleichen, die das Opfer nicht vor der Verletzung durch den Gewalttäter haben schützen können.14 Das OEG hat keinen eigenen Leistungskatalog. Wer als Opfer einer Gewalttat anerkannt wird, erhält - abhängig vom Grad der Schädigungsfolgen Leistungen - aus dem Katalog des BVG (§ 1 Abs. 1 OEG). Die von der Versorgung umfassten Leistungen werden in § 9 BVG aufgezählt. Dieser beinhaltet zum Beispiel die Heil- und Krankenbehandlung, eine Rente oder einen Berufsschadensausgleich . Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung sowie 10 Rademacker, Olaf (2012) in Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Nomos , § 1 OEG, Rn. 97. 11 BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 – 9 RVg 7/93, BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 7. 12 Vgl. BSG, Urteil vom 17. November 1981 – 9 RVi 1/81, SozR 3850 § 54 Nr. 1. 13 Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 4. Januar 2017, 5/2017. 14 BSG, Urteil vom 18. Juni 1996 – 9 RVg 4/94 –, Rn. 17, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 8 heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind (§ 1 Abs. 14 OEG). § 1 Absatz 8 OEG regelt den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung. Ist ein solcher Anspruch dem Grunde nach gegeben, erhalten die Anspruchsberechtigten auf Antrag die entsprechenden Leistungen. Ein Anspruch besteht in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Nach §§ 38 Abs. 1 Satz 1 und 43 BVG haben die Witwe, der Witwer, der hinterbliebene Lebenspartner , die Waisen und die Verwandten der aufsteigenden Linie Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung . Verlobte haben keinen Anspruch auf Witwenversorgung. Als Kinder waisenberechtigt sind auch Stiefkinder oder Kinder des gleichgeschlechtlichen Lebenspartners, die der Verstorbene in seinen Haushalt aufgenommen hatte, sowie Pflegekinder. Bei dem Anspruch des Hinterbliebenen handelt es sich um einen vom Geschädigten abgeleiteten Anspruch. Deshalb ist Voraussetzung für einen Anspruch des Hinterbliebenen, dass in der Person des Geschädigten alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. 4. Ansprüche ausländischer Geschädigter nach dem OEG Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 OEG ist nicht zwischen Deutschen und Ausländern zu unterscheiden . Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls für Deutsche und Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedstaates. Deutschen und EU-Staatsangehörigen werden die Leistungen nach dem OEG auch ins Ausland erbracht. Neben Deutschen und EU-Staatsangehörigen haben auch andere Ausländer, die sich bereits seit drei Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhalten, einen Anspruch auf das volle Leistungsspektrum des OEG. Am 1. Juli 2009 ist das Dritte Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes in Kraft getreten (BGBl. I, S.1580). Danach haben auch Verwandte dritten Grades (z.B. Nichten und Neffen, Onkel und Tanten) und Lebenspartner von dauerhaft rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländern einen Anspruch nach dem OEG. Sie erhalten lediglich die einkommensunabhängigen Leistungen nach § 1 Abs. 5 Nr. 2 OEG. Das können die Heil- und Krankenbehandlung und die Grundrente für den Geschädigten nach § 31 BVG oder den Hinterbliebenen nach § 40 BVG sein. Die übrigen Touristen oder Geschäftsreisende, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten , können eine einmalige Härteleistung erhalten. § 1 Absätze 4, 5 und 6 OEG regeln den jeweiligen Leistungsanspruch: „(4) Ausländer haben einen Anspruch auf Versorgung, 1. wenn sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften sind oder 2. soweit Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, die eine Gleichbehandlung mit Deutschen erforderlich machen, auf sie anwendbar sind oder 3. wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 9 (5) Sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, erhalten Versorgung nach folgenden Maßgaben: 1. Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; 2. ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten. Ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne dieses Gesetzes ist auch gegeben, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen oder auf Grund erheblicher öffentlicher Interessen ausgesetzt ist. (6) Versorgung wie die in Absatz 5 Nr. 2 genannten Ausländer erhalten auch ausländische Geschädigte, die sich rechtmäßig für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, 1. wenn sie mit einem Deutschen oder einem Ausländer, der zu den in Absatz 4 oder 5 bezeichneten Personen gehört, bis zum dritten Grade verwandt sind oder in einem den Personenkreisen des Absatzes 8 entsprechenden Verhältnis zu ihm stehen oder 2. wenn sie Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten sind, soweit dieser keine Vorbehalte zum Übereinkommen erklärt hat. (7) Wenn ein Ausländer, der nach Absatz 5 oder 6 anspruchsberechtigt ist, 1. ausgewiesen oder abgeschoben wird oder 2. das Bundesgebiet verlassen hat und sein Aufenthaltstitel erloschen ist oder 3. ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten erlaubt wieder eingereist ist, erhält er für jedes begonnene Jahr seines ununterbrochen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet eine Abfindung in Höhe des Dreifachen, insgesamt jedoch mindestens in Höhe des Zehnfachen, höchstens in Höhe des Dreißigfachen der monatlichen Grundrente. Dies gilt nicht, wenn er aus einem der in den §§ 53, 54 oder 55 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes genannten Gründe ausgewiesen wird. Mit dem Entstehen des Anspruchs auf die Abfindung nach Satz 1 oder mit der Ausweisung nach Satz 2 erlöschen sämtliche sich aus den Absätzen 5 und 6 ergebenden weiteren Ansprüche; entsprechendes gilt für Ausländer, bei denen die Schädigung nicht zu einem rentenberechtigenden Grad der Schädigungsfolgen geführt hat. Die Sätze 1 und 3 gelten auch für heimatlose Ausländer sowie für sonstige Ausländer, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) oder Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 10 nach dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II S. 473) genießen, wenn die Tat nach dem 27. Juli 1993 begangen worden ist. Die Sätze 1 bis 4 gelten entsprechend auch für Hinterbliebene, die sich nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten.“ 5. Welche Leistungen sind laut OEG zu gewähren? Wie oben bereits ausgeführt, richten sich die Leistungen des OEG nach dem BVG. Die Höhe der Leistungen ist jeweils stark vom Einzelfall abhängig und bemisst sich nach den wirtschaftlichen und sozialen Umständen im konkreten Fall. Zum Leistungsumfang gemäß § 9 BVG gehören: – Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbehandlung (§§ 10 bis 24a BVG), – Leistungen der Kriegsopferfürsorge (§§ 25 bis 27j BVG), – Beschädigtenrente (§§ 29 bis 34 BVG) und Pflegezulage (§ 35 BVG), – Bestattungsgeld (§ 36 BVG) und Sterbegeld (§ 37 BVG), – Hinterbliebenenrente (§§ 38 bis 52 BVG), – Bestattungsgeld beim Tode von Hinterbliebenen (§ 53 BVG). Auf Antrag werden folgende Leistungen durch ein Persönliches Budget nach § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ) in Verbindung mit der Budgetverordnung15 erbracht: – Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung, – Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 26 und 26a BVG, – Leistungen zur Teilhabe nach § 27d Absatz 1 Nummer 3 BVG, – Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 26c BVG einschließlich der Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nach § 26d BVG und – die Pflegezulage nach § 35 BVG. 15 Verordnung zur Durchführung des § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Budgetverordnung - BudgetV). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 11 Ein Anspruch auf Beschädigtenrente setzt nach § 31 Abs. 1 BVG einen Grad der Schädigungsfolgen von wenigstens 25 voraus (ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst, § 30 Abs. 1 BVG). 6. Ist es für Leistungen nach dem OEG von Relevanz, dass ggf. eine strafrechtliche relevante Tat einem Beteiligten an dem Anschlag nicht nachgewiesen werden kann? Strafrechtliche Relevanz im eigentlichen Sinne muss bei Anwendung des OEG nicht vorliegen. Auch schuldunfähige Personen können vorsätzlich handeln – ausreichend ist insofern der natürliche Vorsatz. Lediglich der Vorsatz muss grundsätzlich erwiesen sein.16 Rademacker17 führt aus, dass „der Anspruch nach dem OEG (…) kein schuldhaftes Handeln des Täters voraussetzt.18 (…) Im Unterschied zu den im Strafverfahren zu entscheidenden Fallgestaltungen kann sich in Verfahren nach dem OEG die Frage nach dem Vorsatz des Täters auch stellen, wenn der Täter nicht zu ermitteln ist. Nach der Rechtsprechung des BSG ist es auch in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen , dass aus äußeren Umständen auf ein vorsätzliches Handeln des unbekannten Täters geschlossen werden kann. (…) Soweit Strafverfahren durchgeführt worden sind, können Versorgungsverwaltungen und Sozialgerichte im Grundsatz dort getroffene Feststellungen übernehmen. Auch wenn strafgerichtlichen Urteilen Feststellungen zum Sachverhalt entnommen werden, sind Verwaltungen und Sozialgerichte nicht an die dort ergangene Entscheidung gebunden. Die auf das OEG bezogene Beweiswürdigung ist unabhängig von der Beurteilung in einem vorangegangenen Straf- oder Zivilverfahren .“ 7. Was unterscheidet „Primäropfer“ von „Sekundäropfern“? Die unmittelbar geschädigten Opfer sind in diesem Zusammenhang als „Primäropfer“ zu bezeichnen . Das Opfer eines Schockschadens wird als „Sekundäropfer“ bezeichnet. Als Schockschaden wird die psychische Schädigung einer Person bezeichnet, die zwar nicht selbst unmittelbar Opfer eines tätlichen Angriffs geworden ist, jedoch als Zeugen einer solchen Gewalttat oder als Empfänger einer Nachricht bezüglich einer solchen gleichwohl betroffen ist (Augenzeugen, Angehörige, denen die Nachricht überbracht wird). Seit einer Entscheidung des BSG aus Jahr 1979 sind Opfer von Schockschäden in das OEG einbezogen. Laut diesem Urteil ist „dafür (…) entscheidend, dass der an der Schockwirkung Erkrankte selbst durch die Gewalttat betroffen ist (unmittelbarer Schaden ) und nicht etwa nur deren Rückwirkung zu spüren bekommt.19 16 BSG, Urteil vom 24. April 1991, Az. 9a/9 RVg 1/89. 17 Rademacker, Olaf (2012) in Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Nomos , § 1 OEG, Rn. 62, 175. 18 Vgl. Lackner/Kühl, StGB, 27. Auflage, 2011, § 15 Rn. 34 (zitiert nach Rademacker, Fn. 17.). 19 BSG, Urteil vom 07. November 1979 – 9 RVg 1/78 –, BSGE 49, 98-104, SozR 3800 § 1 Nr 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 12 Die Unmittelbarkeit der Schädigung, also der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung, ist entscheidend. Die psychischen Auswirkungen müssen mit der Gewalttat eng verbunden sein (zeitliche, örtliche und persönliche Nähe). Es müssen jedoch nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt sein. Eine Person kann zeitlich und räumlich am Ort des Geschehens sein, ohne dass eine persönliche Nähe zu den Opfern besteht. Andererseits kann ein Angehöriger von einer Gewalttat erfahren, ohne dass er räumlich und zeitgleich anwesend war.20 Bei einer Gewalttat im Inland und Übermittlung der Nachricht im Ausland erhalten Primäropfer und das Schockopfer Leistungen nach § 1 Abs. 1 OEG.21 8. Rechte aus der Gesetzlichen Unfallversicherung (7. Buch Sozialgesetzbuch) Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 des siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Beschäftigte der Stände auf dem Weihnachtsmarkt kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert . Zusätzlich wäre zu prüfen, ob bei Helfern die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a SGB VII erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift besteht Versicherungsschutz für Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Es kommt aber immer auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an. 8.1. Leistungen für Versicherte Um den Versicherten während der Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und/oder beruflichen Rehabilitation finanziell abzusichern, haben die Unfallversicherungsträger nach den gesetzlichen Bestimmungen im SGB VII Verletztengeld bzw. Übergangsgeld an den Versicherten zu zahlen. Nicht immer sind Heilbehandlung und Reha-Maßnahmen so erfolgreich, dass die Versicherten wieder uneingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen können. In solchen Fällen zahlen die Berufsgenossenschaften , Unfallkassen oder Gemeindeunfallversicherungsverbände eine Rente. Voraussetzung ist eine andauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 Prozent durch einen Arbeitsunfall, einen Wegeunfall oder eine Berufskrankheit. 20 Siehe hierzu: BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 – B 9 VG 1/02 R –, BSGE 91, 107-114, SozR 4-3800 § 1 Nr 3. 21 BMAS, Rundschreiben, Drittes Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (3. OEG-ÄndG) vom 25. Juni 2009 (BGBl. I, S. 1580), 5. Oktober 2009, http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Rundschreiben -SE/rundschreiben-soziale-entschaedigung-IVc-IVc-2-47030.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 23. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 13 8.1.1. Verletztengeld Bei Arbeitsunfähigkeit durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit und während der Dauer der medizinischen Rehabilitation zahlen die Berufsgenossenschaften nach Ablauf der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber das Verletztengeld (§ 45 SGB VII). Dieses wird zwar auch über die Krankenkassen ausgezahlt, ist aber nicht mit dem Krankengeld der Kassen gleichzustellen: Während das Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung 70 Prozent des entgangenen regelmäßigen Bruttoentgelts ausmacht, beträgt das Verletztengeld 80 Prozent des Regelentgelts, darf aber nicht höher sein als das regelmäßige Nettoarbeitsentgelt. Abgezogen werden dann noch die Beitragsanteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. 8.1.2. Übergangsgeld Während der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme kann der Verletzte nicht für seinen Unterhalt bzw. den Unterhalt seiner Familie sorgen. Während einer Berufshilfemaßnahme hat der Verletzte einen Anspruch auf Übergangsgeld gemäß § 50 SGB VII. Dies soll das fehlende Einkommen ausgleichen und die Bereitschaft des Verletzten fördern, an der berufsfördernden Maßnahme teilzunehmen. Die Höhe des Übergangsgeldes richtet sich grundsätzlich nach den Einkommensverhältnissen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit und den Familienverhältnissen des Verletzten zur Zeit der Berufshilfemaßnahme . Das Übergangsgeld beträgt bei Versicherten, die mindestens ein Kind haben oder pflegebedürftig sind, 75 Prozent, bei den übrigen Versicherten 68 Prozent des Verletztengeldes. 8.1.3. Pflegegeld Für Versicherte, die infolge des Versicherungsfalls so hilflos sind, dass sie in erheblichem Umfang fremder Hilfe bedürfen, wird Pflegegeld gezahlt oder Haus- bzw. Heimpflege gewährt. Das Pflegegeld hat den Zweck, pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um die notwendige Betreuung und Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens soweit wie möglich sicherzustellen und hilflosen Personen ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu ermöglichen. Das Ausmaß der Hilflosigkeit und damit die Höhe des Pflegegeldes richten sich nach dem Gesundheitsschaden des Versicherten und dem dadurch bedingten Umfang der notwendigen Hilfe. 8.2. Rentenleistungen 8.2.1. Jahresarbeitsverdienst Die Rente wird nach dem Jahresarbeitsverdienst (JAV) berechnet. Als JAV gilt das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Versicherungsfall (§ 82 Abs. 1 SGB VII). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 14 8.2.2. Höhe der Rente Die Höhe der Rente ist abhängig von der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Die MdE richtet sich danach, wie sehr die infolge des Versicherungsfalls eingetretene Minderung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens eines Versicherten seine Arbeitsmöglichkeiten einschränkt . Ist die Erwerbsfähigkeit durch mehrere Versicherungsfälle gemindert, wird die MdE für jeden Versicherungsfall gesondert festgestellt, und dementsprechend werden mehrere Renten gezahlt . Der Grad der MdE wird in Prozent angegeben. Bei vollständigem Verlust der Erwerbsfähigkeit (100 Prozent) wird eine Vollrente gezahlt. Diese beträgt zwei Drittel des vor dem Arbeitsunfall oder der Berufskrankheit erzielten JAV. Bei teilweiser Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wird der Teil der Vollrente gezahlt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht - Teilrente. Ein Anspruch auf Teilrente besteht ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent. 8.2.3. Abstrakte Schadensbemessung Im Unterschied zum zivilrechtlichen Schadensersatz setzen Versichertenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht voraus, dass der Verletzte einen konkret nachweisbaren wirtschaftlichen Schaden erlitten hat. Es wird nur ein möglicher Schaden ausgeglichen. Demzufolge wird nicht eine tatsächliche Erwerbsminderung ausgeglichen, sondern die geminderte Erwerbsfähigkeit. Diese Beeinträchtigung, deren Ausgleich die Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezweckt, wird daher nicht nach den Berufen der Versicherten und ihren Einkommensverhältnissen zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls bemessen, sondern nach dem für die Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten vor und nach dem Versicherungsfall. 8.3. Leistungen für Hinterbliebene Kommt es zu einem tödlichen Arbeitsunfall, so sichert die gesetzliche Unfallversicherung die Hinterbliebenen (Witwen und Witwer sowie eingetragene Lebenspartner und Lebenspartnerinnen , Waisen) mit finanziellen Leistungen ab. Dazu gehören: 8.3.1. Sterbegeld Das Sterbegeld beträgt pauschal ein Siebtel der im Zeitpunkt des Todes geltenden Bezugsgröße (§ 18 SGB IV). Es wird an die Hinterbliebenen gezahlt, die die Kosten der Bestattung getragen haben . Haben nicht die Hinterbliebenen, sondern außenstehende Dritte die Kosten der Bestattung getragen , werden ihnen die tatsächlich entstandenen Kosten bis zur Höhe des Sterbegeldes erstattet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 15 8.3.2. Überführungskosten Ist der Tod nicht am Ort der ständigen Familienwohnung des Versicherten eingetreten, können unter bestimmten Voraussetzungen (siehe § 64 Abs. 2 SGB VII) neben dem Sterbegeld auch die Kosten für die Überführung an den Ort der Bestattung erstattet werden. 8.3.3. Hinterbliebenenrenten Renten an Hinterbliebene sollen den Familienangehörigen von Versicherten Ersatz für den entfallenden Unterhalt schaffen. Alle Hinterbliebenenrenten dürfen zusammen höchstens 80 Prozent des Jahresarbeitsverdienstes betragen. Witwen und Witwer sowie eingetragene Lebenspartner und Lebenspartnerinnen können eine Hinterbliebenenrente so lange beziehen, bis sie wieder heiraten oder sie sich neu verpartnern. 9. Garantiefond der Verkehrsopferhilfe Der Verein Verkehrsopferhilfe e.V. (VOH) wurde im Jahre 1963 von allen Autohaftpflichtversicherern des früheren HUK-Verbandes gegründet. Ihm wurde vom Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 1966 die Stellung des gesetzlichen Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen zugewiesen. Der Garantiefonds wurde eingerichtet, um Lücken im PflVG zu schließen und um Verkehrsopfer vor Härten zu schützen (§§ 12 – 14 PflVG). Nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 PflVG tritt der Fonds ein, „wenn für den Schaden, der durch den Gebrauch des ermittelten oder nicht ermittelten Fahrzeugs verursacht worden ist, eine Haftpflichtversicherung deswegen keine Deckung gewährt oder gewähren würde, weil der Ersatzpflichtige den Eintritt der Tatsache, für die er dem Ersatzberechtigten verantwortlich ist, vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat.“ Das entspricht der Sachlage beim Berliner Terroranschlag. „Auch ausländische Staatsangehörige können grundsätzlich die Leistungen der Verkehrsopferhilfe in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist dann aber, dass sie einen festen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben oder mit ihrem Heimatstaat Gegenseitigkeit verbürgt ist. (…) Die Verkehrsopferhilfe tritt (…) ein wie ein leistungsfreier Versicherer, d. h. insbesondere also im Rahmen der geltenden Mindestdeckungssummen. Diese betragen bei Verletzung oder Tötung von Personen maximal 7,5 Mio. Euro pro Schadenfall unabhängig von der Anzahl der verletzten oder getöteten Personen und bei Sachschäden 1,12 Mio. Euro. Ferner hat der Geschädigte nur dann einen Anspruch, wenn er von dritter Seite keinen Ersatz seines Schadens erlangen kann (Subsidiarität ).“22 Der VOH übernimmt die Schäden, für die keine andere Stelle (also auch nicht nach 22 Verkehrsopferhilfe e.V., http://www.verkehrsopferhilfe.de/wp-content/uploads/2016/06/Der_Verein_Verkehrsopferhilfe _160415.pdf (zuletzt abgerufen am 23. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 16 dem OEG) aufkommt (Schmerzensgeld, Übernahme aller Sachschäden, Ersetzen des Verdienstausfalls bei längerer Krankschreibung, Zahlung einer Haushaltshilfe, Beteiligung an Beerdigungskosten , etc.). Es werden jedoch keine Versorgungsrenten gezahlt. Bis Ende Februar 2017 waren bei der VOH 53 Anträge von Geschädigten oder Hinterbliebenen des Berliner Terroranschlags eingegangen. Die VOH hat nach eigenen Angaben „rund 50.000 Euro als frei verrechenbare Vorschüsse gezahlt. Das heißt, die Menschen erhalten das Geld vorab, ohne dass klar ist, wofür sie es am Ende verwenden. Das ist eine flexible und unbürokratische Lösung. Normalerweise muss die Regulierungskommission der Verkehrsopferhilfe Auszahlungen genehmigen, sobald ein Schadenfall 30.000 Euro übersteigt. Wir haben den Betrag auf 50.000 Euro angehoben und vereinbart, das Limit nicht auf den Schadenfall zu beziehen, sondern auf jeden einzelnen Antragsteller.“23 10. Härteleistungen für die Opfer terroristischer Straftaten - Bundesamt für Justiz Im Jahr 2002 wurden nach den Anschlägen von Djerba vom Deutschen Bundestag erstmals Haushaltsmittel für die Opfer terroristischer Straftaten zur Verfügung gestellt (Kapitel 0718 Titel 681 02). Die Ausgaben dienen als Soforthilfe der Zahlung von Härteleistungen aus Billigkeit an Opfer terroristischer Straftaten bei Personenschäden. Anfang des Jahres 2007 hat das Bundesamt für Justiz die Aufgaben im Bereich der Härteleistungen übernommen. Generell wird unterschieden zwischen „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ und „Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten“. Nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt können den Geschädigten nach einer förmlichen Antragstellung Härteleistungen für die Opfer einer terroristischen Straftat gewährt werden. Auf die einmalige finanzielle Unterstützung besteht kein Rechtsanspruch. Ihre Höhe richtet sich nach den erlittenen Beeinträchtigungen. Es können nur Leistungen bei Körperschäden beantragt werden. Vermögensgegenstände und Sachmittel werden im Rahmen der Härteleistungen nicht ersetzt. Die Entschädigung von Körperschäden umfasst materielle und immaterielle Schäden (also auch einmalige Entschädigungen für Unterhaltsschäden und Schäden bei beruflichem Fortkommen). Anspruchsberechtigt sind: – „Personen, die durch eine in Deutschland begangene terroristische Straftat verletzt wurden, 23 Schwarz, Sandra, Geschäftsführerin Verkehrsopferhilfe e.V., Interview mit Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft , 28. Februar 2017, http://www.gdv.de/2017/02/alle-personenschaeden-sind-abgedeckt/(zuletzt abgerufen am 23. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 17 – Deutsche und Ausländer mit Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland, die durch eine im Ausland begangene terroristische Straftat verletzt wurden sowie – Eltern, Kinder, Ehe- und Lebenspartner solcher Opfer, die bei einem Terroranschlag getötet wurden. Dritte, die im Rahmen der Erfüllung dienst- oder arbeitsrechtlicher Pflichten beim Kampf gegen terroristische Straftaten geschädigt wurden, können keine Härteleistung erhalten .“24 Leistungen werden nicht gewährt, soweit die Opfer (auch Hinterbliebene und Nothelfer) von anderen (Täter, öffentliche Stellen, Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger, etc.) tatsächlich Ersatz kurzfristig erlangen können.25 Das Bundesamt für Justiz hat für die Betroffenen und Hinterbliebenen des Anschlags vom Breitscheidplatz ein entsprechendes Antragsformular bereitgestellt und Beratung angeboten. „Fast zwei Monate nach dem Berliner Terroranschlag haben Opfer und Angehörige rund 203 000 Euro Entschädigung vom Bund bekommen. ‚Weitere Zahlungen erfolgen laufend‘, teilte das Bundesjustizamt am Donnerstag mit. Mit Stand 8. Februar seien 51 Anträge von Opfern und Hinterbliebenen erfasst.“26 11. Amtshaftungsansprüche nach einem Terroranschlag 11.1. Vorbemerkungen Vor dem Hintergrund des Terroranschlags am 19.12.2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz wird nach möglichen Amtshaftungsansprüchen gegen Behörden des Bundes bzw. der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen gefragt. Die nachfolgenden Ausführungen können nur abstrakt möglicherweise in Betracht kommende Amtshaftungsansprüche aufzeigen. Eine Haftung im konkreten Einzelfall wird nicht geprüft. 24 Bundesamt für Justiz, Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten, https://www.bundesjustizamt .de/DE/Themen/Buergerdienste/Opferhilfe/terroristisch/Haerteleistung_node.html;jsessionid =6EAA09B249232C6C308FAB2B6FA944FF.1_cid386 (zuletzt abgerufen am 23. März 2017). 25 Bundesamt für Justiz, Richtlinie zur Zahlung von Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten aus dem Bundeshaushalt, https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Opferhilfe/Richtlinie_Haerteleistung _terroristisch.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 23. März 2017). 26 Deutsche Presse Agentur, Meldung vom 9. Februar 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 18 Als mögliche Anspruchsgrundlage für einen Amtshaftungsanspruch kommt zunächst die allgemeine Haftung bei Amtspflichtverletzungen nach § 839 BGB i.V.m. Art 34 GG in Betracht. Daneben bestehen für die Landesebene auch spezielle Haftungsvorschriften in den jeweiligen Polizeibzw . Ordnungsgesetzen.27 11.2. Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruches im Rahmen der Gefahrenabwehr Nach § 839 Abs. 1 BGB führt ein durch einen Beamten verursachter Schaden, der auf einer Verletzung einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht beruht, zu einem Schadensersatzanspruch . Dieser Anspruch gegen den Beamten wird über Art. 34 GG auf den Staat übergeleitet . Die Amtshaftungsansprüche bestehen demnach direkt gegenüber den jeweiligen Anstellungskörperschaften .28 11.3. Beamter im haftungsrechtlichen Sinne Die Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist nicht auf Beamte im wörtliche Sinne beschränkt . Die Haftung wird über Art. 34 GG vielmehr auf alle haftungsrelevanten Handlungen von Inhabern eines öffentlichen Amtes ausgedehnt. Zu diesen zählen neben den Beamten auch die in einem sonstigen Dienstverhältnis stehenden Personen, wie Richter oder Soldaten, sowie die privatrechtlich Beschäftigten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.29 Unproblematisch können die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder diesem Kreis der amtshaftungsrechtlich Verantwortlichen zugeordnet werden. 11.4. Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht Unter den Amtspflichten ist jede persönliche Verhaltenspflicht des Amtsträgers bezüglich seiner Amtsführung zu verstehen. Eine Verletzung kann dabei sowohl in einem Handeln als auch in einem Unterlassen einer gebotenen Amtshandlung liegen.30 Im Rahmen einer allgemeinen Amtspflicht ist jeder Amtsträger verpflichtet, seine Aufgaben und Befugnisse im Einklang mit dem geltenden Recht wahrzunehmen.31 Den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder obliegt damit die allgemeine Amtspflicht zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Der Bundesgerichtshof hat bereits in einer frühen Entscheidung die Pflicht der Polizei zur Verhütung 27 Vgl. etwa: § 59 des Allgemeines Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG); § 39 Ordnungsbehördengesetz NRW (OBG). 28 Papier/Shirvani, MüKo 7. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 360 ff. 29 Vgl. Bonk/Detterbeck, in: Sachs, 7. Aufl. 2014, Art. 34 GG Rn. 55. 30 Reinert, in: Bamberger/Roth, 41. Edt. 2016, § 839 BGB Rn. 44. 31 Papier/Shirvani, MüKo 7. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 193. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 19 strafbarer Handlungen betont und diese als Amtspflicht angesehen.32 Eine rechtsfehlerhaft unterlassene Abwehr von Straftaten kann daher grundsätzlich als mögliche Amtspflichtverletzung von Sicherheitsbehörden eingeordnet werden. Zur Begründung eines Amtshaftungsanspruches genügt eine bloße Amtspflichtverletzung allein noch nicht. Nach § 839 Abs. 1 BGB muss diese vielmehr auch einem Dritten gegenüber bestehen, also drittgerichet sein. Dabei ist maßgeblich auf den Schutzzweck der verletzten Vorschriften abzustellen . Diese dürfen nicht bloß im allgemeinen öffentlichen Interesse liegen, sondern müssen gerade auch den Schutz des Einzelnen bezwecken.33 Für das Polizei- und Ordnungsrecht ist dabei allgemein anerkannt, dass die Vorschriften zur Gefahrenabwehr gerade auch dem Schutz möglicher Betroffener dienen sollen.34 Die Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörden dient damit auch dem individuellen Rechtsgüterschutz von möglichen Verletzten. Bei der Abwehr von Gefahren durch Terroranschläge sind insbesondere zwei Konstellationen denkbar, in denen eine Verletzung drittgerichteter Amtspflichten in Betracht kommt: Einerseits können die jeweils für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden drittgerichtete Amtspflichten verletzen, indem sie auf eine bestehende konkrete Gefahrenlage nicht reagieren. Dies setzt voraus, dass nach den Regeln des jeweils anzuwendenden Polizeirechts eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht und es den Sicherheitsbehörde auch möglich ist, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Bloße Verdachtslagen reichen zur Begründung einer konkreten Gefahrenlage noch nicht aus, begründen aber unter Umständen die Pflicht zu weiteren Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung. Im Einzelfall ist die Feststellung einer konkreten Gefahrenlage ein umfassender Wertungsvorgang, der den Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung Handlungsspielräume belässt. Um den Sicherheitsbehörden in einer solchen Konstellation nachträglich eine Amtspflichtverletzung nachzuweisen, müsste eine verdichtete Gefahrenlage belegt werden. Die zuständigen Behörden müssten trotz des ihnen konkret bekannten bevorstehenden Anschlags untätig bleiben. Eine andere denkbare Verletzung von drittgerichteten Amtspflichten könnte sich aus einer Verletzung von Schutzpflichten ergeben. Die zuständigen Behörden müssten in diesem Fall Kenntnis von einer erhöhten Gefahrenlage haben und entsprechende vorbeugende Maßnahmen, etwa das Aufstellen von Betonsperren, unterlassen. Zu beachten ist dabei, dass den handelnden Behörden über die zu wählenden Mittel ein erheblicher Entscheidungsspielraum zukommt.35 Auch 32 BGH, Urt. v. 30.04.1953 – III ZR 204/52 –, juris; OLG München, Beschl. v. 03.08.2004 – 1 U 3245/04 –, juris Rn. 21. 33 Papier/Shirvani, MüKo 7. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 227. 34 Zimmerling, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK, 8. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 396. 35 BVerfG, NJW 1992, 964. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 20 bei der Beurteilung der Gefahrenlage ist von einem Prognosespielraum auszugehen, da sich Gefahrenbewertungen nie mit letzter Sicherheit vornehmen lassen.36 Um eine Schutzpflichtenverletzung zu begründen, müsste den zuständigen Behörden daher bekannt sein, dass entsprechende Anschlagspläne existieren. Lediglich die zeitliche und örtliche Konkretisierung der Anschlagspläne wäre in dieser Konstellation aus Behördensicht offen. Ob eine dieser Konstellationen beim Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin vorlag, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Dies obliegt einer Würdigung im Einzelfall unter Zugrundelegung einer umfassenden Bewertung der vorhandenen Tatsachengrundlage. 11.5. Kausalität/Verschulden Die Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht müsste für den konkreten Schadenseintritt ursächlich geworden sein. Den handelnden Amtsträgern müsste zudem ein Verschulden nachgewiesen werden können. Hierfür müssten diese vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Gerade hinsichtlich der oben aufgezeigten anzustellenden Gefahrenprognosen dürfte sich der Nachweis von Fahrlässigkeit schwierig gestalten. 11.6. Haftung von Bundesbehörden Da die Gefahrenabwehr vorrangig im Zuständigkeitsbereich der Länder zu verorten ist, kommt eine Haftung des Bundes von vornherein nur begrenzt in Betracht. Gefahrenabwehrrechtlich wäre für die Verhinderung terroristischer Anschläge in bestimmten Konstellationen das Bundeskriminalamt (BKA) zuständig. Dem BKA kommt nach § 4a des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zu, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Zu den möglichen Befugnissen des BKA zählt nach § 20p BKAG auch, eine Person in Gewahrsam zu nehmen, um eine unmittelbar bevorstehende Straftat zu verhindern. Ob eine dieser Konstellationen und damit eine Zuständigkeit des BKA vorlag, kann hier nicht beurteilt werden. Eine Haftung käme darüber hinaus nur bei Vorliegen einer der oben genannten Konstellationen in Betracht. 11.7. Haftung von Landesbehörden Auf der Landesebene sind die jeweiligen Polizei- und Ordnungsbehörden für die Gefahrenabwehr zuständig. Bei einer schuldhaften Verletzung drittgerichteter Amtspflichten durch diese Behörden würde daher das jeweilige Land nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder den spezialgesetzlichen Regelungen in den Landespolizei- bzw. in den Ordnungsgesetzen haften. 36 Vgl. zu den Anforderungen an das Bestehen einer Gefahr: Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes 2014, § 14 BPolG Rn. 19 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 21 12. Sonstige Haftungsrechtliche Implikationen 12.1. Einleitung Durch islamistisch motivierte Terroristen wurden seit 2006 wiederholt Anschläge dergestalt begangen , dass mit Kraftfahrzeugen gezielt Passanten angefahren bzw. überfahren wurden – so genannte „vehicle ramming attacks“37 bzw. „Ramm-Attacken“38. Überwiegend geschah dies im allgemeinen öffentlichen Straßenraum, zum Teil auch auf räumlich abgegrenzten Veranstaltungsflächen , etwa bei Straßenfesten. Das Geltendmachen zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche verletzter Passanten gegen den jeweiligen Täter persönlich dürfte in der Praxis regelmäßig kaum zu einer hinreichenden materiellen Kompensation der erlittenen Schäden führen, sei es, weil der Täter verstorben ist, sei es, weil er nicht über die für den Schadensausgleich mutmaßlich erforderlichen erheblichen Vermögenswerte verfügt. Vorliegend soll deshalb summarisch beleuchtet werden, welche zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche den Opfern derartiger Angriffe gegen die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (KHV) oder gegen Veranstalter grundsätzlich zustehen können.39 12.2. Ansprüche gegen die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung bzw. den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen 12.2.1. Schadensersatzansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) § 7 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sieht eine strikte Haftung des Halters für Schäden vor, die durch den Betrieb eines Kfz verursacht werden: „Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“ Gemäß § 18 Absatz 1 StVG haftet im Falle eines Verschuldens auch der Fahrer eines Kfz: „In den Fällen des § 7 Absatz 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs oder des Anhängers zum Ersatz des Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht 37 https://en.wikipedia.org/wiki/Vehicle-ramming_attack#cite_note-slate1-6. Dort ist auch eine Liste entsprechender Anschläge abrufbar. 38 Vgl. etwa Röpcke, „ISIS ruft zu Ramm-Attacken zu Thanksgiving auf“, in: Bild-Zeitung vom 14. November 2016 (abrufbar unter http://www.bild.de/politik/ausland/isis/isis-thanksgiving-48749968.bild.html). 39 Die Betrachtung geht hierbei von einer Tatbegehung im Inland aus und legt die Anwendung deutschen Rechts zugrunde. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 22 ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist.“ Der Anspruchsinhalt wird in den §§ 10 ff. StVG näher bestimmt. Gemäß § 10 StVG ist der Schadensersatz im Fall der Tötung durch Ersatz der Kosten einer versuchten Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten, den der Getötete dadurch erlitten hat, dass während der Krankheit seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert oder eine Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten war. Der Ersatzpflichtige hat außerdem die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen , dem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. Im Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist der Schadensersatz gemäß § 11 StVG durch Ersatz der Kosten der Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten, den der Verletzte dadurch erleidet, dass infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert oder eine Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten ist. Wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann auch eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. In § 12 StVG werden für die Haftung Höchstbeträge normiert: Der Ersatzpflichtige haftet danach – im Fall der Tötung oder Verletzung eines oder mehrerer Menschen durch dasselbe Ereignis bis zu einem Betrag von insgesamt fünf Millionen Euro; – im Fall der Sachbeschädigung, auch wenn durch dasselbe Ereignis mehrere Sachen beschädigt werden, bis zu einem Betrag von insgesamt einer Million Euro. Übersteigen die Entschädigungen, die mehreren auf Grund desselben Ereignisses zu leisten sind, insgesamt die vorbenannten Höchstbeträge, so verringern sich die einzelnen Entschädigungen in dem Verhältnis, in welchem ihr Gesamtbetrag zu dem Höchstbetrag steht (§ 12 Absatz 2 StVG). Für die Frage, ob und in welchem Maße die KHV oder der Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen wegen dieser möglichen Schadensersatzansprüche einem Dritten gegenüber leistungspflichtig ist, ist in der vorliegenden Fallkonstellation danach zu differenzieren, ob der Fahrer zugleich Halter des benutzten Kraftfahrzeugs ist und, wenn dies nicht der Fall ist, unter welchen Umständen er das Kraftfahrzeug erlangt hat.40 12.2.2. Ansprüche gegen den Entschädigungsfonds Ist der Täter zugleich Halter des Kraftfahrzeugs, ist nach herrschender Auffassung ein direkter Anspruch der Opfer gegen die KHV aufgrund von § 103 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) 40 Vgl. überblicksartig Tews, Amokfahrten und Terroranschläge – eine Bedrohung auch für die KH-Versicherung? In: GenRe Newsletter Kfz-Versicherung, Oktober 2016 (abrufbar unter http://media .genre.com/documents/kfz1610-de.pdf). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 23 – also wegen vorsätzlicher und widerrechtlicher Herbeiführung des Schadens – ausgeschlossen.41 In diesem Fall kann ein Anspruch jedoch gegen den bei dem Verkehrsopferhilfe e. V.42 angesiedelten Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen gemäß § 12 des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) gegeben sein: „§ 12 (1) Wird durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers im Geltungsbereich dieses Gesetzes ein Personen- oder Sachschaden verursacht, so kann derjenige, dem wegen dieser Schäden Ersatzansprüche gegen den Halter, den Eigentümer oder den Fahrer des Fahrzeugs zustehen, diese Ersatzansprüche auch gegen den "Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen" (Entschädigungsfonds) geltend machen, (…) 3. wenn für den Schaden, der durch den Gebrauch des ermittelten oder nicht ermittelten Fahrzeugs verursacht worden ist, eine Haftpflichtversicherung deswegen keine Deckung gewährt oder gewähren würde, weil der Ersatzpflichtige den Eintritt der Tatsache, für die er dem Ersatzberechtigten verantwortlich ist, vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat (…)“ Auch dann, wenn der Fahrer nicht zugleich Halter ist und er das Fahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters in Gebrauch genommen hat, ohne dass letzterer dies durch sein Verschulden ermöglicht hat – namentlich etwa durch Diebstahl eines ordnungsgemäß gesicherten Kfz –, scheidet ein Direktanspruch gegen die KHV aus, da nach § 7 Absatz 3 StVG bereits keine Halterhaftung vorliegt. Auch hier kann deshalb Schadensersatz nur gemäß § 12 PflVG bei der Verkehrsunfallhilfe e. V. erlangt werden.43 Der Umfang des Anspruchs entspricht dem eines im Innenverhältnis leistungsfreien Versicherers .44 Gemäß § 117 Absatz 3 VVG besteht eine Haftung damit im Rahmen der vorgeschriebenen Mindestversicherungssummen. Diese sind für den Betrieb von Kfz in der Anlage45 zum PflVG wie folgt festgelegt: „Mindestversicherungssummen 41 BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012, Az. VI ZR 55/12 m.w.N. In Teilen der Literatur wird diese Auffassung – zum Teil unter Hinweis auf europarechtliche Regelungen – kritisiert, vgl. etwa Franck, Richtlinienkonforme Auslegung der Vorschriften über die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Pflichtversicherung , VersR 2014, 13. 42 http://www.verkehrsopferhilfe.de/de/. 43 So auch UE – Unfallregulierung effektiv, Ausgabe 12/2009, S. 15 (abrufbar unter http://www.iww.de/ue/archiv /vorsatz-statt-fahrlaessigkeit-keine-eintrittspflicht-des-kfz-versicherers-bei-suizid-des-unfallverursachersf 18848); Tews, Amokfahrten und Terroranschläge – eine Bedrohung auch für die KH-Versicherung? In: GenRe Newsletter Kfz-Versicherung, Oktober 2016 (abrufbar unter http://media.genre.com/documents/kfz1610-de.pdf). 44 Castellvi, Baroch, in: Rüffer/Halbach/Schimikowski (Hrsg.), Versicherungsvertragsgesetz, 3. Auflage 2015, § 12 PflVG Rdn. 6. 45 Anlage zuletzt geändert mit Wirkung vom 11. Juni 2016 durch VO vom 6. Februar 2017 (BGBl. I S. 147). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 24 1. Die Mindesthöhe der Versicherungssumme beträgt bei Kraftfahrzeugen einschließlich der Anhänger je Schadensfall a) für Personenschäden siebeneinhalb Millionen Euro, b) für Sachschäden 1.220.000 Euro, c) für die weder mittelbar noch unmittelbar mit einem Personen- oder Sachschaden zusammenhängenden Vermögensschäden (reine Vermögensschäden) 50.000 Euro. (…) 3. Bei Anhängern entspricht die Mindesthöhe der Versicherungssumme für Schäden, die nicht mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs im Sinne des § 7 des Straßenverkehrsgesetzes im Zusammenhang stehen, und für die den Insassen des Anhängers zugefügten Schäden den in Nummer 1, bei Personenanhängern mit mehr als neun Plätzen den in Nummern 1 und 2 genannten Beträgen 4. Zu welcher dieser Gruppen das Fahrzeug gehört, richtet sich nach der Eintragung im Kraftfahrzeug - oder Anhängerbrief.“ 12.2.3. Anspruch gegen die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Ist der Fahrer nicht der Halter, wurde ihm das Fahrzeug jedoch vom Halter zum Gebrauch überlassen , liegt weder ein Haftungsausschluss nach § 7 Absatz 3 StVG noch ein solcher nach § 103 VVG vor, da in diesem Fall nicht der Halter als Versicherungsnehmer vorsätzlich handelt, sondern ein Dritter, dessen Vorsatz dem Halter nicht zugerechnet wird.46 Ein Opfer kann Schadensersatzansprüche mithin aufgrund von § 115 VVG direkt gegen die KHV erheben.47 Das Gleiche gilt, wenn der Fahrer, der nicht Halter ist, das Fahrzeug zwar ohne Wissen und Willen des Halters in Betrieb genommen hat, den Halter hieran aber ein Verschulden trifft – etwa dadurch, dass er das Fahrzeug nicht hinreichend gegen Wegnahme gesichert abgestellt hat. Der Umfang des Anspruchs besteht gemäß § 115 Absatz 1 Satz 2 VVG im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis. Es bleibt dabei den Parteien des Versicherungsvertrages überlassen, ob sie lediglich die Absicherung der gesetzlich vorgeschriebenen 46 BGH, Urteil vom 18.12.2012, Az. VI ZR 55/12. 47 Vgl. auch UE – Unfallregulierung effektiv, Ausgabe 12/2009, S. 15 (abrufbar unter http://www.iww.de/ue/archiv /vorsatz-statt-fahrlaessigkeit-keine-eintrittspflicht-des-kfz-versicherers-bei-suizid-des-unfallverursachersf 18848). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 25 Mindestversicherungssumme oder einen darüber hinausgehenden Versicherungsschutz vereinbaren .48 12.3. Ansprüche gegen Veranstalter Schadensersatzansprüche gegen Veranstalter wegen auf der Veranstaltung erlittener Verletzungen von Leib und Leben können sich grundsätzlich aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters aus § 823 Absatz 1 BGB ergeben. Voraussetzung für eine Haftung des Veranstalters ist danach, dass er durch Unterlassen vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt hat. Die Bestimmung der jeweiligen Verkehrssicherungspflichten eines Veranstalters als Unterfall der Verkehrspflichten kann nur konkret im jeweiligen Einzelfall unter Einbeziehung sämtlicher relevanter Umstände erfolgen.49 Als maßgeblich für die Abgrenzung von allgemeinem Lebensrisiko und vorwerfbarem Unterlassen werden folgende Feststellungen getroffen: „Verkehrspflichten werden von einer bestimmten Gefahr ausgelöst. Größe und Ausmaß der Gefahr bestimmen den Umfang und die Intensität der Verkehrspflichten. Da das Leben bereits als solches gefährlich ist, wäre es eine utopische Forderung, die Verkehrspflichten etwa so zu verstehen, dass jedermann verpflichtet wäre, für eine absolute Gefahrlosigkeit einzustehen. Andererseits setzen die Verkehrspflichten nicht etwa erst dann ein, wenn ein Rechtsgut von einer konkreten Gefahr bedroht wird. Schon eine abstrakte Gefahrenlage begründet Verkehrspflichten , sobald ein verständiger und umsichtiger Mensch davon ausgehen muss, dass ein bestimmter Gefahrenherd von Dritten nicht mehr gemeistert werden kann, die normale Gefährlichkeit , mit der jeder rechnen muss, sich gesteigert hat und damit die Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung in einen nahe liegenden und greifbaren Bereich gerückt ist (vgl. grundlegend bereits v. Bar aaO S. 112 ff.).“50 „Erst solche Gefährdungen lösen eine Haftung aus, die die Möglichkeit einer Verletzung für den Sachkundigen nahe legen. Dabei liegt der Zeitpunkt, zu dem Abwehrmaßnahmen zum Schutze von Rechtsgütern dritter Personen verlangt werden, bei der Gefährdung von Leib und Leben früher als bei einer Gefährdung von Sachwerten (vgl. BGHZ 58, 149, 156). Das Haftpflichtrecht soll Unrechtschäden ausgleichen, nicht bloße Unglücksfälle . Verwirklicht sich das allgemeine Lebensrisiko, so kann dies nicht über die Deliktshaftung auf Dritte abgewälzt werden. Das allgemeine Lebensrisiko ist deshalb ein ebenso wichtiges Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer Haftung wegen Verletzung von Verkehrspflichten wie gegenüber einer Gefährdungshaftung wegen der Betriebsgefahr eines Kfz (vgl. BGH Urt. v. 26.2.2013 – VI ZR 116/12, NJW 2013, 1679). Dementsprechend kann der Grund- 48 Schneider, W.-T., in: Langheid/Wandt (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Band 2, 2. Auflage 2017, § 117 Rn. 28. 49 Wellner, in: Geigel (Hrsg.), Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 14. Kapitel Rn. 3, 17. 50 Wellner, in: Geigel (Hrsg.), Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 14. Kapitel Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 26 stückseigentümer nicht für Schäden haftbar gemacht werden, die durch Naturereignisse entstehen , sich zwar über das Grundstück vollziehen, aber gerade nicht darauf zurückzuführen sind, dass er durch irgendwelche Eingriffe die Gefahr erhöht oder kanalisiert hätte (BGH NJW 1985, 1773; VersR 1989, 207).“51 Speziell im Falle vorsätzlich rechtsbrecherisch handelnder Dritter wird ausgeführt: „Handelt es sich bei dem Dritten im Einzelfall (…) um einen vorsätzlich handelnden Rechtsbrecher , so kann die Haftung des in Anspruch genommenen Schädigers trotzdem gegeben sein, wenn dieser mit solchen Rechtsbrüchen rechnen muss. Das gilt insbesondere für jemanden , der beispielsweise einen Massenverkehr organisiert und beherrscht oder sonst wie ohne weiteres Gegenmaßnahmen treffen kann (BGH VersR 1980, 87). Maßgeblich sind insoweit die Möglichkeiten und Erwartungen der Gefahrbewältigung (vgl. Steffen RWS-Skript Nr. 54 S. 6; RGRK-Steffen § 823 Rn. 148 ff., BGH VersR 1990, 211 mAnm Gaisbauer VersR 1990, 756 sowie LG Hamburg NJW 1998, 1411 zur Haftung des Organisators einer Rave-Party für Verletzung von Rechtsgütern Dritter durch Teilnehmer).“52 Vor diesem Hintergrund erscheint es – unbeschadet der Tatsache, dass eine Beurteilung wie gesehen valide nur im Einzelfall möglich ist – grundsätzlich fraglich, einen Veranstalter wegen einer seitens eines Dritten durchgeführten Rammattacke unter Annahme eines sorgfaltswidrigen Verstoßes gegen Verkehrs(sicherungs)pflichten in Haftung zu nehmen. Es ist Rammattacken gerade immanent, dass sie zu nahezu jeder Zeit und an nahezu jedem mit Kfz erreichbaren Ort ohne spezielle Vorbereitungen und Kenntnisse durchgeführt werden können, ohne dass sich dies eine nennenswerte Zeit zuvor nach außen hin absehbar manifestierte. Opfer von entsprechenden terroristischen Angriffen zu werden, dürfte mithin grundsätzlich eher zum – wenn auch wenig wahrscheinlichen – allgemeinen Lebensrisiko zählen. Etwas anderes könnte etwa dann gelten, wenn konkret in Bezug auf eine Veranstaltung oder einen Ort eine direkte Bedrohung absehbar ist, etwa durch eine individuelle Bombendrohung oder aufgrund konkreter Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden. In einem solchen Fall könnten sich die Sorgfaltspflichten eines Veranstalters gegebenenfalls dahingehend erhöhen, dass spezielle, über das im allgemeinen notwendige Maß hinausgehende Sicherungsmaßnahmen indiziert sind oder dass im Extremfall etwa eine Veranstaltung abzusagen und/oder eine Örtlichkeit zu räumen ist. Maßgeblich gegen eine haftungsbegründende Übertragbarkeit der o.g. Rechtsprechung53 zur Haftung eines Veranstalters für rechtswidrige Taten Dritter spricht schließlich, dass in den der Judikatur zugrundeliegenden Konstellationen die Taten gerade von Veranstaltungsteilnehmern selbst ausgingen und Dritten außerhalb der Veranstaltung Schäden zugefügt wurden, wodurch sich ein 51 Wellner, in: Geigel (Hrsg.), Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 14. Kapitel Rn. 19. 52 Wellner, in: Geigel (Hrsg.), Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 14. Kapitel Rn. 26. 53 Siehe oben bei Fn. 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 017/17 Seite 27 vom Veranstalter mit der Veranstaltung geschaffenes Risiko realisierte – während dies bei Rammattacken von außen auf eine Veranstaltung gerade nicht der Fall ist. ***