© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 014/21 Folgen einer kommunalen Neugliederung für zugelassene kommunale Träger und Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Leistungsträgern im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Gemeinsame Einrichtungen gemäß § 44b SGB II 6 2.2. Zugelassene kommunale Träger gemäß §§ 6a, 6b SGB II (sog. Optionskommunen) 7 3. Folgen der kommunalen Neugliederung für Optionskommunen 8 3.1. Begrenzung der Anzahl zugelassener kommunaler Träger und weitere Zulassungsverfahren 8 3.2. Verfahren nach einer kommunalen Neugliederung 9 3.3. Aufspaltung einer Optionskommune in zwei zugelassene kommunale Träger 12 4. Möglichkeiten der Aufgabenübertragung im Rahmen des SGB II 13 4.1. Grundsatz „Leistungen aus einer Hand“ 13 4.2. Beauftragung von Dritten, § 6 Abs. 1 Satz 2 SGB II 14 4.3. Heranziehung von Einrichtungen und Diensten für Leistungen zur Eingliederung, § 17 SGB II 16 4.4. Beauftragung der Träger und anderer Leistungsträger durch gemeinsame Einrichtungen, § 44b SGB II 17 5. Fazit 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 4 1. Fragestellung Den Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden mehrere Fragen zu den Folgen kommunaler Neugliederungen für sog. Optionskommunen im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gestellt. Dabei sollte unter anderem geprüft werden, welche Auswirkungen die Vergrößerung oder Verkleinerung eines Kreisgebiets auf die Zulassung als Optionskommune haben sowie, ob im Falle der Auskreisung von Teilen eines Landkreises (ausgekreiste Gemeinde) aus einer Optionskommune auch die ausgekreiste Gemeinde eine Zulassung als alleiniger zugelassener kommunaler Träger beantragen kann. Ferner wurde um Auskunft gebeten, welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit, insbesondere der Aufgabenübertragung, es zwischen Optionskommunen untereinander sowie zwischen Optionskommunen und gemeinsamen Einrichtungen beziehungsweise deren Trägern gibt. Nachfolgend werden zunächst die Grundzüge der Leistungsträgerschaft im SGB II dargelegt. Sodann wird auf die Folgen einer kommunalen Neugliederung für die Trägerschaft nach dem SGB II mit Blick auf die Optionskommunen eingegangen. Abschließend werden Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Träger und gemeinsamen Einrichtungen sowohl bei geteilter Trägerschaft (Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Träger) als auch bei einheitlicher Trägerschaft (Optionskommunen) dargestellt. Die Ausführungen beziehen sich nur auf das Bundesrecht. Landesrechtliche Regelungen werden vorliegend nicht geprüft. 2. Grundzüge der Leistungsträgerschaft im SGB II Die Trägerschaft für Leistungen, das heißt, wer in verwaltungsorganisatorischer Hinsicht für die Durchführung des Gesetzes und die Gewährung der Leistungen sachlich zuständig ist, ist im SGB II nicht einheitlich bestimmt (geteilte Trägerschaft). Im Grundsatz wird ein Teil der Aufgaben von der Bundesagentur für Arbeit und ein Teil von den kreisfreien Städten und Kommunen wahrgenommen (§ 6 SGB II). Daneben kann im Falle der sogenannten Optionskommunen (zugelassene kommunale Träger - zkT) die Leistungsträgerschaft auch die Wahrnehmung sämtlicher Aufgaben nach dem SGB II durch einen zugelassenen kommunalen Träger (alleinige Trägerschaft) umfassen (§ 6a SGB II).1 1 Altmann in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 60. Edition, Stand: 1. März 2021, SGB II § 6, Rn. 2 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 5 2.1. Geteilte Trägerschaft als Regelfall Der vom SGB II vorgesehene Regelfall ist die geteilte Trägerschaft von Bundesagentur für Arbeit und kommunalem Träger. Die Wahrnehmung der Aufgaben erfolgt demgegenüber durch die von den Trägern zu bildende gemeinsame Einrichtung. 2.1.1. Zuständigkeiten der Träger Träger der Leistungen nach dem SGB II sind gemäß § 6 Abs. 1 SGB II „1. die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur), soweit Nummer 2 nichts Anderes bestimmt , 2. die kreisfreien Städte und Kreise für die Leistungen nach § 16a, das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld, soweit Arbeitslosengeld II und Sozialgeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, die Leistungen nach § 24 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 und 2 sowie für die Leistungen nach § 28, soweit durch Landesrecht nicht andere Träger bestimmt sind (kommunale Träger).“ § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II legt eine Regelzuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit fest; die kommunalen Träger sind lediglich in den abschließend geregelten Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zuständig.2 Die Bundesagentur für Arbeit ist folglich grundsätzlich zuständig für die Lebensunterhaltsleistungen in Form der Regelbedarfe und teilweise der Mehrbedarfe. Zudem umfasst die (Auffang-) Zuständigkeit der Bundesagentur die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach §§ 16, 16b bis 16i SGB II (zum Beispiel Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch [SGB III] wie etwa Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung und Leistungen zur beruflichen Weiterbildung, Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen sowie die berufliche Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen).3 Die Zuständigkeit für die Aufgaben in kommunaler Trägerschaft liegt bei den Kreisen und kreisfreien Städten (kommunale Träger). Das SGB II bezieht sich hierbei auf die grundsätzlich bereits bestehenden Organisationsstrukturen des Kommunalrechts in den Flächenstaaten.4 Zu den Leistungen in der Zuständigkeit der Kommunen gehören die kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II, das heißt die Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder , die häusliche Pflege von Angehörigen, die Schuldnerberatung, die psychosoziale Betreuung und die Suchtberatung. Ferner erstreckt sich die Leistungsträgerschaft der kommunalen Träger auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (§§ 22 ff. SGB II) und Leistungen zur Erstausstattung für die Wohnung und bei Schwangerschaft und Geburt (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 2 Luik in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 81. EL März 2021, SGB II § 6, Rn. 30. 3 Altmann in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 60. Edition, Stand: 1. März 2021, SGB II § 6, Rn. 4; Luik in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 81. EL März 2021, SGB II § 6, Rn. 30. 4 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 6 SGB II) sowie auf Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II. In § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ist eine landesrechtliche Öffnungsklausel vorgesehen. So können durch Landesrecht anstelle der Kreise und kreisfreien Städte auch andere Träger bestimmt werden . Welche kommunale Einheit wie lange und in welcher territorialen Zusammensetzung Kreis beziehungsweise kreisfreie Stadt ist, unterliegt allein der Organisationsgewalt der Bundesländer. Gleiches gilt für die Festlegung, welches Organ innerhalb der jeweiligen Gebietskörperschaft für die Entscheidungen nach dem SGB II zuständig ist. Diesbezügliche vom Landesgesetzgeber getätigte oder gestattete Änderungen wirken sich indirekt auch auf die Zuständigkeit nach dem SGB II aus.5 2.1.2. Gemeinsame Einrichtungen gemäß § 44b SGB II Um die einheitliche Durchführung ihrer jeweiligen Aufgaben trotz geteilter Trägerschaft zu gewährleisten , sieht § 44b SGB II vor, dass die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers eine gemeinsame Einrichtung bilden, die gemäß § 6d SGB II die Bezeichnung Jobcenter führt. Ermöglicht wird diese Form der Mischverwaltung auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch Art. 91e Abs. 1 Grundgesetz (GG).6 Die gemeinsame Einrichtung entsteht kraft Gesetzes ; ein Gründungsakt der Träger in Form einer öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vereinbarung ist nicht erforderlich.7 Die gemeinsame Einrichtung (Jobcenter) nimmt die Aufgaben der Träger nach dem SGB II wahr, wobei die Trägerschaft nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB II unberührt bleibt, § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II. Das SGB II unterscheidet mithin zwischen Leistungsträgerschaft und Wahrnehmungsträgerschaft .8 Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben ist die gemeinsame Einrichtung befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen, § 44b Abs. Satz 3 SGB II. Sie ist damit gegenüber den Leistungsberechtigten mit Hoheitsrechten ausgestattet.9 Gemäß § 44b Abs. 3 Satz 1 SGB II obliegt den Trägern, also der Bundesagentur für Arbeit und dem kommunalen Träger, die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie sind in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich gegenüber der gemeinsamen Ein- 5 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6, Rn. 14. 6 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e), Bundestagsdrucksache 17/1554 vom 4. Mai 2021, S. 4. 7 Mushoff in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 60. Edition, Stand: 1. März 2021, SGB II § 44b, Rn. 3; Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 44b, Rn. 9. 8 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6, Rn. 5. 9 Korte in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 44b, Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 7 richtung grundsätzlich weisungsbefugt, § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II. Die Reichweite des Weisungsrechts ist dabei nicht auf die rechtmäßige und zweckmäßige Leistungserbringung beschränkt, sondern kann sich auf sämtliche Fragen im Verantwortungsbereich des Trägers beziehen.10 Jede gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung, in der Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten sind, § 44c Abs. 1 SGB II. Aufgabe der Trägerversammlung ist es unter anderem, über organisatorische, personalwirtschaftliche , personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung zu entscheiden, § 44c Abs. 2 SGB II. Im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung gilt das Weisungsrecht der Träger gegenüber der gemeinsamen Einrichtung nicht, § 44c Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 SGB II. 2.2. Zugelassene kommunale Träger gemäß §§ 6a, 6b SGB II (sog. Optionskommunen) Abweichend von der als Grundsatz im SGB II verankerten Aufteilung der Trägerschaft zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Trägern besteht nach § 6a SGB II die Möglichkeit , dass kommunale Träger anstelle der Bundesagentur für Arbeit als Träger der Leistungen nach § 6 Abs. 1 Abs. 1 SGB II zugelassen werden (zugelassene kommunale Träger [zkT] oder Optionskommunen ). Die Optionskommunen sind grundsätzlich originär für die Aufgabenerfüllung nach dem SGB II zuständig (mit Ausnahme einiger in § 6b Abs. 1 Satz 1 SGB II aufgeführten Aufgaben beziehungsweise Verpflichtungen). Die kommunalen Träger treten insoweit an die Stelle der für ihr Gebiet jeweils zuständigen Agentur für Arbeit.11 Antragsverfahren und Zulassungsvoraussetzungen sind in den § 6a Abs. 2 und 3 SGB II sowie der Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Eignungsfeststellungsverordnung - KtEfV) geregelt.12 Hauptkriterium für die Zulassung ist das Kriterium der Eignung des Trägers hinsichtlich der Aufgabenerfüllung, § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Die Voraussetzungen für die Eignungsfeststellung und Eignungskriterien werden in §§ 2 und 3 KtEfV näher konkretisiert.13 Die Optionskommunen sind verpflichtet, zur Wahrnehmung der Aufgaben anstelle der Bundesagentur für Arbeit besondere Einrichtungen für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB II zu 10 Mushoff in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 60. Edition, Stand: 1. März 2021, SGB II § 44b, Rn. 8. 11 § 1 Abs. 1 Satz 2 Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Eignungsfeststellungsverordnung - KtEfV). 12 Ergänzend wird darauf verwiesen, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Regelung des § 6a Abs. 2 Satz 3 Hs. 1 SGB II („Der Antrag bedarf in den dafür zuständigen Vertretungskörperschaften der kommunalen Träger einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder […]“) für unvereinbar mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 i.V.m. Art. 70 Abs. 1 GG erklärt hat; die Vorschrift darf daher für neue Zulassungsverfahren nicht mehr angewandt werden (BVerfG, Urteil vom 7. Oktober 2014 - 2 BvR 1641/11, NJW 2015, S. 136, 147). 13 Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 6a (Stand: 8. Dezember 2020), Rn. 31; Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6a, Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 8 errichten und zu unterhalten, § 6a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 SGB II. Diese führen gleichfalls die Bezeichnung Jobcenter, § 6d SGB II. Die Aufsicht, das heißt die Rechts- und Fachaufsicht14, über die Optionskommunen obliegt den zuständigen Landesbehörden, § 48 Abs. 1 SGB II. Soweit die zugelassenen kommunalen Träger Aufgaben anstelle der Bundesagentur für Arbeit, also Aufgaben i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, erfüllen, übt die Bundesregierung die Rechtsaufsicht über die obersten Landesbehörden aus und kann zu diesem Zweck mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen, § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II. 3. Folgen der kommunalen Neugliederung für Optionskommunen 3.1. Begrenzung der Anzahl zugelassener kommunaler Träger und weitere Zulassungsverfahren Verfassungsrechtliche Grundlage für die Option der alleinigen kommunalen Trägerschaft ist Art. 91e Abs. 2 GG. Danach kann der Bund zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde die Aufgaben nach dem SGB II allein wahrnehmen. Der verfassungsrechtliche Regelfall ist folglich die Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen gemäß § 44b SGB II; das Optionsmodell wurde als Ausnahmefall normiert. Art. 91e Abs. 2 GG räumt den Kommunen dabei lediglich eine Chance, aber keinen Anspruch auf Zulassung als kommunaler Träger ein.15 Nach Willen des Verfassungsgesetzgebers soll die begrenzte Anzahl der Optionskommunen auf höchstens ein Viertel der Aufgabenträger festgesetzt werden.16 Diese Vorgabe setzt § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II um. Danach beträgt die Anzahl der zugelassenen kommunalen Träger höchstens 25 Prozent der zum 31. Dezember 2010 bestehenden Aufgabenträger.17 Zum Stichtag betrug das Kontingent 110 potentiell zugelassene kommunale Träger.18 Mit Wirkung zum 1. Januar 2005 waren zunächst 69 14 Luik in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 80. EL Februar 2021, SGB II § 6b, Rn. 19. 15 Luik in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 80. EL Februar 2021, SGB II § 6a, Rn. 8. 16 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e), Bundestagsdrucksache 17/1554 vom 4. Mai 2021, S. 4. 17 Aufgabenträger laut § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II: Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.), zkT sowie die Kreise und kreisfreien Städte, in denen keine Arbeitsgemeinschaft nach § 44b SGB II (a.F.) errichtet wurde. 18 Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger- Eignungsfeststellungsverordnung - KtEfV), Bundesratsdrucksache 237/10 vom 22. April 2010, S. 4; Theuerkauf in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 6a (Stand: November 2017), Rn. 77, Henneke, DÖV 2012, S. 165, 167; Volkmann/Kaufhold in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 91e, Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 9 zkT zugelassen worden19; zum 1. Dezember 2012 erhielten weitere 41 Optionskommunen die Zulassung .20 § 6a Abs. 4 Satz 2 SGB II sieht die Möglichkeit eines weiteren Zulassungsverfahrens mit Wirkung zum 1. Januar 2017 vor, sofern die Anzahl der zugelassenen kommunalen Träger 25 Prozent der zum 1. Januar 2015 bestehenden Aufgabenträger unterschreitet. Der Antrag konnte bis zum 31. Dezember 2015 gestellt werden. Zum 1. Januar 2017 wurden keine neuen Optionskommunen zugelassen.21 Weitere Zulassungsverfahren sieht das SGB II nicht vor. Bundesweit gibt es derzeit 104 zugelassene kommunale Träger (Anlage zu § 1 Kommunalträger- Zulassungsverordnung - KomtrZV). 3.2. Verfahren nach einer kommunalen Neugliederung Bis 2010 enthielt das SGB II keine Regelung, wie nach einer kommunalen Gebietsreform mit den von einer Neugliederung betroffenen Optionskommunen zu verfahren war. Eine Anpassung des Gebiets einer Optionskommune an das neue Kreisgebiet war gesetzlich nicht vorgesehen.22 So konnte es nach Kreisgebietsreformen dazu kommen, dass sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch ein zugelassener kommunaler Träger jeweils für ein Teilgebiet eines Kreisgebiets zuständig waren.23 Dies widersprach der organisationsrechtlichen Konzeption des SGB II, die von einer territorialen Exklusivität des jeweils zuständigen Trägers ausgeht, war jedoch mangels gesetzlicher Regelung nach einer Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts hinzunehmen.24 19 Henneke, Der Landkreis 2012, S. 3, 5: Da in je einem Landkreis in Sachsen und Sachsen-Anhalt zwei bisherige Optionskommunen zusammengeführt worden waren, sank die Zahl der seit 2005 zugelassenen zkT auf 67. 20 Siehe Zweite Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 14. April 2011, BGBl. I 2011, S 645. 21 Theuerkauf in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 6a (Stand: November 2017), Rn. 77; vgl. Anlage zu § 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Zulassungsverordnung - KomtrZV) in der Fassung vom 14. August 2013, gültig bis zum 31. Dezember 2017 (juris). 22 Henneke, Der Landkreis 2012, S. 3, 5. 23 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6a, Rn. 37. Theuerkauf in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 6a (Stand: November 2017), Rn. 93 ff. mit Beispielen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. 24 Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. September 2008 - L 3 AS 40/08 -, Rn. 43 (juris); Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6a, Rn. 3; Theuerkauf in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 6a (Stand: November 2017), Rn. 93. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 10 Um kommunalen Neugliederungen Rechnung tragen zu können, hat der Gesetzgeber daher § 6a Abs. 7 SGB II25 aufgenommen.26 Auf Antrag der Optionskommune widerruft, beschränkt oder erweitert danach das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Zulassung als kommunaler Träger durch Rechtsverordnung, wenn und soweit die Zulassung aufgrund einer kommunalen Neugliederung nicht mehr dem Gebiet der Optionskommune entspricht. Der Antrag bedarf der Zustimmung der obersten Landesbehörde und kann jeweils bis zum 1. Juli eines Kalenderjahres mit Wirkung zum 1. Januar des folgenden Kalenderjahres gestellt werden. Weitere Voraussetzungen für die Anpassung des Gebiets der Optionskommune beziehungsweise den Widerruf der Zulassung benennt § 6a Abs. 7 SGB II nur für einen Antrag auf Erweiterung der Zulassung; in diesem Fall müssen zudem die Zulassungsvoraussetzungen nach § 6a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 SGB II vorliegen. Dazu gehören die Verpflichtung, eine besondere Einrichtung i.S.d. § 6a Abs. 5 SGB II zu schaffen, mindestens 90 Prozent des Personals der Bundesagentur für Arbeit , das bisher im Bereich des SGB II tätig war, zu übernehmen, mit der zuständigen Landesbehörde eine Zielvereinbarung abzuschließen sowie bestimmte Daten zu erheben und an die Bundesagentur für Arbeit zu übermitteln. Eine Prüfung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger im Sinne des § 6a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist hingegen vom Gesetz nicht vorgesehen. Die Eignung werde vom Gesetzgeber unterstellt , da sie bereits Gegenstand der Erstzulassung gewesen beziehungsweise aufgrund der seit 2005 ausgeübten Trägerschaft anzunehmen sei, so Sauer.27 Liegen Antrag der Optionskommune und Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde vor, hat das BMAS dem Antrag durch Erlass einer Rechtsverordnung zu entsprechen. Ein eigenes Ermessen steht dem BMAS nicht zu.28 Allein die Voraussetzung, ob und inwieweit die Zulassung aufgrund der kommunalen Neuordnung nicht mehr dem Gebiet des kommunalen Trägers entspreche, könne das BMAS prüfen.29 Sauer sieht weitergehend im Grundsatz kein eigenes Prüfrecht des BMAS.30 Dementsprechend könnte im Fall der Auskreisung eines Teils des Kreisgebiets die bisherige Optionskommune mit Zustimmung der obersten Landesbehörde einen Antrag auf Beschränkung der Zulassung auf das verbleibende Gebiet gemäß § 6a Abs. 7 SGB II stellen. Die ausgekreiste Gemeinde würde im Regelfall für ihr Gebiet als kommunaler Träger mit der Bundesagentur für Ar- 25 Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010, BGBl. I 2010, S. 1112. 26 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Bundestagsdrucksache 17/1555 vom 4. Mai 2010, S. 15. 27 Sauer in: Sauer, SGB II, § 6a (Stand: 14. August 2017), Rn. 65. Ebenso Münder in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 6a, Rn. 15. 28 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6a, Rn. 37; Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 6a (Stand: 8. Dezember 2020), Rn. 56; Sauer in: Sauer, SGB II, § 6a (Stand: 14. August 2017), Rn. 66. 29 Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 6a (Stand: 8. Dezember 2020), Rn. 56. 30 Sauer in: Sauer, SGB II, § 6a (Stand: 14. August 2017), Rn. 66. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 11 beit eine gemeinsame Einrichtung im Sinne des § 44b SGB II zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden. Die örtliche Zuständigkeit der jeweiligen Träger ergibt sich aus § 36 Abs. 1 SGB II. Danach sind jeweils die Agentur für Arbeit beziehungsweise der kommunale Träger für die Leistungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB II zuständig, in deren Bezirk beziehungsweise Gebiet die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nicht im SGB II geregelt ist hingegen der Fall, wenn sich zwar das Gebiet einer Optionskommune infolge einer Neugliederung ändert, die Kommune aber keinen Antrag nach § 6a Abs. 7 SGB II stellt. Eine Pflicht des zugelassenen kommunalen Trägers zur Antragstellung normiert das SGB II nach soweit ersichtlich einhelliger Auffassung in der Literatur nicht.31 Im Gesetzesentwurf heißt es lediglich bei den Ausführungen zu den Bürokratiekosten, dass die Kommunen nach einer kommunalen Neugliederung einen Antrag stellen müssen. Jedoch finden sich weder im Gesetzestext selbst noch in der Begründung zu § 6a Abs. 7 SGB II Hinweise auf eine solche Pflicht zur Antragstellung.32 In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage heißt es ebenfalls, dass der zugelassene kommunale Träger nach einer sein Gebiet betreffenden Kreisgebietsreform einen Antrag auf Änderung oder Widerruf der Zulassung gemäß § 6a Abs. 7 SGB II stellen „kann“.33 Nach Ansicht von Henneke haben Optionskommunen bei einer Vergrößerung des Kreisgebiets grundsätzlich die Wahl, es im Falle einer fortgesetzten Optionsausübung bei dem bisherigen Kreisgebiet zu belassen, also keine Erweiterung zu beantragen.34 Aussagen, welche Auswirkungen eine unterlassende Antragstellung nach einer Gebietsreform hat, bei der sich das Gebiet einer Optionskommune verringert, trifft Henneke nicht. Laut Auffassung des BMAS hat im Falle einer Beschränkung des Gebiets des zkT der Antrag nach § 6a Abs. 7 SGB II jedoch lediglich deklaratorischen Charakter. Die örtliche Zuständigkeit der Jobcenter nach § 36 Abs. 1 SGB II knüpfe an das Gebiet des kommunalen Trägers an, das sich allein nach dem Organisationsrecht des Landes bestimme. Im Falle der Auskreisung einer Gemeinde sei daher ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens die ausgekreiste Gemeinde als kommunaler Träger örtlich zuständig, die, mangels Zulassung als zkT, dem Regelfall entsprechend mit 31 Altmann in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 60. Edition, Stand: 1. März 2021, SGB II § 6a, Rn. 9; Sauer in: Sauer, SGB II, § 6a (Stand: 14. August 2017), Rn. 71; Henneke, Der Landkreistag 2012, S. 3, 5; siehe auch Henneke a.a.O. zur landesgesetzlichen Regelung in Mecklenburg-Vorpommern , nach der für den Fall, dass nach einer Kreisstrukturreform in dem Gebiet eines kommunalen Trägers die gemeinsame Einrichtung neben der Option besteht, sich der neue kommunale Träger nach der Kreisstrukturreform auf eine der Organisationsformen für das gesamte Kreisgebiet festzulegen hat. Fehlt es an der dazu erforderlichen Zustimmung der zuständigen Landesministerien, stellt das Ministerium für Inneres und Europa im Wege einer rechtsaufsichtlichen Ersatzvornahme gegenüber dem BMAS einen Antrag auf Widerruf der Zulassung [§ 4 Abs. 2 Landesausführungsgesetz SGB II - AG-SGB II]). 32 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Bundestagsdrucksache 17/1555 vom 4. Mai 2010, S. 2. 33 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Matthias Nölke, Michael Theurer, Jens Beek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP - Drucksache 19/27163 -, BT-Drucksache vom 17. März 2021, S. 3. 34 Henneke, Der Landkreistag 2012, S. 3, 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 12 der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit kraft Gesetzes eine gemeinsame Einrichtung (§ 44b SGB II) bilde (siehe oben unter 2.1.2.). Soweit die Zulassung des verbleibenden Kreises das Gebiet der ausgekreisten Gemeinde betreffe, sei es ab Rechtswirksamkeit der Auskreisung eine „leere“ Zulassung, da sie nicht mehr mit einer tatsächlichen Verwaltungszuständigkeit einhergehe . Unabhängig von dem Verfahren in § 6a Abs. 7 SGB II ermöglicht es § 6a Abs. 6 Satz 1 SGB II dem BMAS, mit Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde die Zulassung durch Rechtsverordnung von Amts wegen zu widerrufen. Voraussetzungen für den Widerruf nennt § 6a Abs. 6 SGB II nicht. In der Kommentarliteratur35 wird diesbezüglich auf den ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung verwiesen, demgemäß der Widerruf nur aus wichtigem Grund erfolgen konnte, zum Beispiel wenn eine den Vorgaben des SGB II entsprechende Aufgabenwahrnehmung auf Dauer gefährdet sei.36 Ferner wird ein wichtiger Grund angenommen, wenn die ursprünglichen Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr gegeben seien oder davon ausgegangen werden muss, dass der kommunale Träger zur sachgerechten Aufgabenerfüllung nicht mehr in der Lage sei.37 Der Widerruf von Amts wegen steht im Ermessen des BMAS, jedoch ist - wie ausgeführt - das Einverständnis der zuständigen obersten Landesbehörde erforderlich. Die Ermessensregelung ermöglicht jedoch dem BMAS jederzeit die Prüfung, ob gegebenenfalls ein Widerruf angezeigt ist.38 Die Zulassung kann auch auf Antrag des kommunalen Trägers, der ebenfalls der Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde bedarf, widerrufen werden, § 6a Abs. 6 Satz 2 SGB II. 3.3. Aufspaltung einer Optionskommune in zwei zugelassene kommunale Träger Wie oben dargelegt, sieht das SGB II derzeit kein weiteres Zulassungsverfahren für zugelassene kommunale Träger vor. Das BMAS teilte jedoch auf Anfrage mit, dass der Fall einer Aufspaltung einer Optionskommune in zwei Kommunen, die beide eine Zulassung begehrten, gesetzlich nicht geregelt sei. Es sei jedoch die Intention des Gesetzgebers gewesen, kommunale Neugliederungen nachzeichnen zu können. Da sich im Falle einer Aufspaltung weder das durch eine zkT zu verantwortende Gebiet noch die Zahl der durch einen zkT betreuten Personen verändern würde, dürfte, so das BMAS, in diesem Fall eine Zulassung als Optionskommune möglich sein. Dies sei im Einzelfall zu prüfen. 35 Altmann in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 60. Edition, Stand: 1. März 2021, SGB II § 6a, Rn. 7; Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6a, Rn. 35. 36 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz), Bundestagsdrucksache 15/2816 vom 30. März 2004, S. 4, 11. 37 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6a, Rn. 35; Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 6a (Stand: 8. Dezember 2020), Rn. 52. 38 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6a, Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 13 4. Möglichkeiten der Aufgabenübertragung im Rahmen des SGB II Das SGB II sieht sowohl für die Träger als auch für die gemeinsame Einrichtung Möglichkeiten vor, Aufgaben auf andere zu übertragen und Kooperationen mit anderen Leistungsträgern einzugehen . So können etwa die Träger Dritte zur Unterstützung bei der Aufgabenwahrnehmung heranziehen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 SGB II). Dies gilt insbesondere bei der Erbringung von Eingliederungsleistungen (§ 17 SGB II). Auch die gemeinsamen Einrichtungen können einzelne Aufgaben durch ihre Träger oder andere Sozialleistungsträger wahrnehmen lassen (§ 44b Abs. 4 SGB II). Bei der Aufgabenübertragung ist jedoch der im SGB II geltende Grundsatz der „Leistungen aus einer Hand“ zu beachten. 4.1. Grundsatz „Leistungen aus einer Hand“ Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird die Möglichkeit zur Aufgabenübertragung insbesondere durch den dem organisationsrechtlichem Konzept des SGB II zugrundeliegenden Grundsatz der „Leistungen aus einer Hand“ beschränkt. Dieser Grundsatz sei zwar so nicht im SGB II ausdrücklich formuliert, sei aber eines der zentralen Motive für die Einführung des SGB II gewesen, weil das zuvor bestehende Nebeneinander zweier Fürsorgesysteme - Arbeitslosenhilfe durch die Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Sozialhilfe auch für Erwerbsfähige - als „ineffizient, intransparent und wenig bürgerfreundlich“ empfunden wurde.39 Dieser Grundsatz werde auch systematisch durch die organisationsrechtlichen Regelungen im SGB II gestützt.40 Dem Bürger solle trotz geteilter Trägerschaft nur eine Behörde als Ansprechpartner gegenüberstehen, so wie dies heute durch die Jobcenter für beide Formen der Trägerschaft (gemeinsame Einrichtungen und zugelassen kommunale Träger) gewährleistet ist.41 Dementsprechend ist es beispielweise grundsätzlich nicht zulässig, wenn ein zugelassener kommunaler Träger die beiden zentralen Aufgaben des SGB II - Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (Kapitel 3 Abschnitt 1 SGB II) und Leistungen zur Sicherheit des Lebensunterhaltes (Kapitel 3 Abschnitt 2 SGB II) - auf zwei verschiedene Stellen aufteilt. Es verstoße gegen den Grundsatz „Leistungen aus einer Hand“ wenn etwa eine Optionskommune sämtliche Leistungen zur 39 BSG, Urteil vom 3. September 2020 - B 14 AS 24/17 R -, Rn. 33 (juris) mit Hinweis auf: Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Bundestagsdrucksache 15/1516 vom 5. September 2003, S. 1; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz), Bundestagsdrucksache 15/2816 vom 30. März 2003, S. 10; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Bundestagsdrucksache 17/1555 vom 4. Mai 2010, S. 1, 15. 40 BSG, Urteil vom 3. September 2020 - B 14 AS 24/17 R -, Rn. 35 (juris). 41 Schmidt in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Auflage 2019, §§ 6 bis 6d SGB II, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 14 Eingliederung in Arbeit auf eine von ihr gegründete kommunale Anstalt öffentlichen Rechts übertrage und die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts selbst erbringe.42 Der Grundsatz gilt sowohl für gemeinsame Einrichtungen als auch zugelassene kommunale Träger .43 Er kann nicht durch Landesrecht abgeändert werden, Art. 31 GG.44 Auch das kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG lässt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Abweichung vom Grundsatz „Leistungen aus einer Hand“ zu. Nach Art. 28 Abs. 2 GG haben Gemeinden und Gemeindeverbände das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Dazu gehört die Festlegung der Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten für die Wahrnehmung der Aufgaben, einschließlich der Errichtung von Behörden, Dienststellen und Einrichtungen. Die Organisation der Gemeinden und Gemeindeverbände regele sich aber erst aus dem Ineinandergreifen von staatlicher Vorgabe und kommunaler Ausfüllung, so das Bundessozialgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), weil die Gemeindeverbände das Recht der Selbstverwaltung im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze haben. Ihre Organisationshoheit sei daher nur relativ gewährleistet. Inhaltliche Vorgaben bedürften dabei eines gemeinwohlorientierten rechtfertigenden Grundes, insbesondere etwa das Ziel, eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen. Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen würden durch den Grundsatz der Leistungen aus einer Hand als bundesgesetzliche Regelung im SGB II nicht verletzt. Denn der Grundsatz der Leistungen aus einer Hand ist ein vom Bundesverfassungsgericht45 gebilligtes Regelungsziel bei der Schaffung des SGB II, das allgemein als sinnvoll und notwendig angesehen werde, um die historisch bedingte Aufteilung des Sachverstands auf den Gebieten der Fürsorge und der Arbeitsvermittlung auf die Kommunen als öffentliche Träger der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz einerseits und die Bundesarbeitsverwaltung andererseits einer einheitlichen Aufgabenwahrnehmung zuzuführen.46 4.2. Beauftragung von Dritten, § 6 Abs. 1 Satz 2 SGB II Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 SGB II können sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch der kommunale Träger zu ihrer Unterstützung Dritte mit der Wahrnehmung von Aufgaben beauftragen. Dritter kann grundsätzlich jeder Private (natürliche oder juristische Personen) oder jeder öffentlich -rechtlich verfasste Rechtsträger sein, sofern er die Gewähr für eine sachgerechte, die Rechte und Interessen des Betroffenen wahrende Erfüllung der in Frage kommenden Aufgaben bietet (vgl. § 97 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - 42 BSG, Urteil vom 3. September 2020 - B 14 AS 24/17 R -, Rn. 32 (juris). 43 BSG, Urteil vom 3. September 2020 - B 14 AS 24/17 R -, Rn. 36 (juris). 44 Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Mai 2021, § 6 SGB II, Rn. 8. 45 BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 2433/04 -, Rn. 172 (juris). 46 BSG, Urteil vom 3. September 2020 - B 14 AS 24/17 R -, Rn. 46 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 15 [SGB X]).47 Auch andere Sozialleistungsträger können mit der Aufgabenwahrnehmung betraut werden.48 Dementsprechend können auch andere, nicht örtlich zuständige kommunale Träger und Optionskommunen beziehungsweise deren kommunale Gesellschaften, Einrichtungen und Dienste von den Trägern mit der Wahrnehmung von Aufgaben beauftragt werden. Durch eine Beauftragung Dritter wird der zuständige Leistungsträger nicht von seiner Verantwortung entbunden; der Dritte hat nur Unterstützungsfunktion.49 Da die Aufgabenübertragung nur zur Unterstützung möglich ist, sind Aufgaben des Kernbereichs hoheitlichen Handelns, insbesondere solche, die mit dem Erlass von Verwaltungsakten verbunden sind, nicht eingeschlossen. Eine solche Übertragung hoheitlicher Befugnisse sieht § 6 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht vor.50 Der Gesetzgeber hatte mit der Regelung insbesondere die Beauftragung Dritter mit dem Erbringen von Eingliederungsleistungen (§ 17 SGB II) im Blick.51 Die Beauftragung Dritter nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 SGB II ist nur den Trägern möglich. Sollen Aufgaben auf Dritte übertragen werden, deren Wahrnehmung der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b SGB II obliegt, liegt die Entscheidungsbefugnis dementsprechend bei der Trägerversammlung , § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB II.52 Da die Entscheidung der Trägerversammlung, ob einzelne Aufgaben aus der gemeinsamen Einrichtung ausgegliedert werden sollen, deren Kern, nämlich ihren Aufgabenbestand, betrifft, muss die Entscheidung zwischen den Trägern einvernehmlich erfolgen. Die Regelung, dass der Vorsitzende über das doppelte Stimmrecht verfügt, gilt daher hier nicht, § 44c Abs. 1 Satz 8 SGB II.53 Die Möglichkeit, zu ihrer Unterstützung Dritte mit der Wahrnehmung von Aufgaben zu beauftragen , besteht nach hiesiger Auffassung sowohl für die Träger bei geteilter Trägerschaft als auch für Optionskommunen. Zwar bezieht sich § 6 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 SGB II dem Wortlaut nach unmittelbar nur auf die Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Träger und trifft keine Aussage in Hinblick auf zugelassene kommunale Träger. Das Bundessozialgericht prüfte die Norm jedoch 47 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6, Rn. 24; Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 6 (Stand: 8. Dezember 2020), Rn. 28. 48 Münder in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 6, Rn. 11; Sauer in: Sauer, SGB II, § 6, Rn. 7 (Stand: 1. März 2021). 49 Sauer in: Sauer, SGB II, § 6, Rn. 7 (Stand: 1. März 2021). 50 Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 6 (Stand: 8. Dezember 2020), Rn. 28; Münder in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 6, Rn. 11. 51 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Bundestagsdrucksache 15/1516 vom 5. September 2003, S. 52. 52 Sauer in: Sauer, SGB II, § 6, Rn. 7a (Stand: 1. März 2021). 53 Luik in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 81. EL März 2021, SGB II § 6, Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 16 ausdrücklich auch als mögliche Rechtsgrundlage für die zkT. Aussagen, diese sei auf Optionskommunen nicht anwendbar, trifft das Bundessozialgericht jedenfalls nicht.54 Bei § 6 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 SGB II handelt es sich um eine Ermessensnorm; grundsätzlich sind das Vergaberecht sowie gegenüber Privaten die Grundrechte, insbesondere der Gleichheitsgrundsatz , zu beachten.55 Wird ein anderer Leistungsträger eingebunden, sind die Bestimmungen zur Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander gemäß §§ 87 ff. SGB X anwendbar. Handelt es sich bei dem Dritten um einen Privaten, gelten die Voraussetzungen zur Durchführung von Aufgaben durch Dritte, § 97 SGB X.56 Bei der Beauftragung von Dritten im Rahmen der Erbringung von Eingliederungsleistungen ist § 17 SGB II zu beachten. 4.3. Heranziehung von Einrichtungen und Diensten für Leistungen zur Eingliederung, § 17 SGB II Die beiden zentralen Aufgaben des SGB II sind die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff. SGB II) und die Leistungen zur Sicherheit des Lebensunterhaltes (§§ 19 ff. SGB II). Die Sozialleistungsträger tragen grundsätzlich die Verantwortung dafür, dass die für die Leistungserbringung erforderlichen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen, § 17 Abs. 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I).57 In Hinblick auf die Erfüllung dieser Gewährleistungspflicht erlegt § 17 SGB II den Trägern des SGB II für die Erbringung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach §§ 14 ff. SGB II ein weitreichendes Zurückhaltungsgebot zugunsten von Diensten und Einrichtungen Dritter auf.58 Danach sollen die Leistungsträger zur Erbringung von Eingliederungsleistungen in Arbeit keine eigenen Einrichtungen und Dienste neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen und Dienste Dritter vorhanden sind, ausgebaut oder in Kürze geschaffen werden können, § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB II. § 17 SGB II ist Hauptanwendungsfall von beziehungsweise konkretisiert § 6 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 SGB II (siehe hierzu unter 4.2.), indem die Einbeziehung Dritter in die Erbringung von Eingliederungsleistungen näher geregelt werden.59 § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasst dem Grunde nach alle Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff. SGB II), ausgenommen der als reine Geldleistungen an den Leistungsberechtigten oder Dritte erbrachten Leistungen, für die es keiner gesonderten Einrichtungen oder Dienste bedarf. Es 54 BSG, Urteil vom 3. September 2020 - B 14 AS 24/17 R -, Rn. 37 ff. (juris); offen gelassen: Sozialgericht Osnabrück , Urteil vom 28. Juni 2016 - S 31 AS 440/12-, Rn. 37 (juris). 55 Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Mai 2021, § 6 SGB II, Rn. 9 f.; Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6, Rn. 27. 56 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6, Rn. 28. 57 von oetticher in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 17, Rn. 1. 58 Siehe Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Bundestagsdrucksache 15/1516 vom 5. September 2003, S. 55. 59 Hahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 17 (Stand: 1. März 2020), Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 17 handelt sich demzufolge um die entsprechend den Vorschriften des SGB III zu erbringenden Pflicht- und Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung (§ 16 SGB II), die ergänzenden kommunalen Eingliederungsleistungen (§ 16a SGB II), die Arbeitsgelegenheiten (§ 16d SGB II), die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen (§ 16e SGB II), die Leistungen der freien Förderung (§ 16f SGB II) sowie die Leistungen zur Förderung schwer zu erreichender junger Menschen (§ 16h SGB II).60 Dritte sind private oder öffentliche Träger, die nicht Leistungsträger nach dem SGB II sind, also weder die Bundesagentur für Arbeit noch die örtlich zuständigen kommunalen Träger oder Optionskommunen .61 Insofern können auch nicht örtlich zuständige kommunale Träger oder Optionskommunen Dritte sein. Geeignet ist ein Dritter, wenn er nach seiner Kompetenz und der vorhandenen Infrastruktur in der Lage ist, eine Maßnahme zu konzipieren und eine ordnungsgemäße Maßnahme auch durchzuführen.62 Die Begriffe Einrichtungen und Dienste sind weit auszulegen. Dienste sind fachlich abgegrenzte Organisationseinheiten für deren Tätigkeit kein bestimmter räumlicher Bezug (Gebäude, Räume) erforderlich ist; sie können ambulant ausgeführt werden. Eine Einrichtung ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter, einem sozialen Zweck dienender Zusammenschluss sachlicher und persönlicher Mittel unter verantwortlicher Leitung; sie haben regelmäßig einen gewissen baulichen Bezug und können stationär oder teilstationär sein.63 Da das Gesetz nicht zwischen Diensten und Einrichtungen differenziert, ist eine scharfe Abgrenzung nicht erforderlich.64 Einen Rechtsanspruch Dritter auf Übertragung von Aufgaben vermittelt § 17 SGB II hingegen nicht.65 Gegebenenfalls sind die vergaberechtlichen Vorgaben zu beachten.66 4.4. Beauftragung der Träger und anderer Leistungsträger durch gemeinsame Einrichtungen, § 44b SGB II Die gemeinsame Einrichtung ist selbst kein Träger, sondern nimmt die Aufgaben der Träger (Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Träger) nach dem SGB II wahr, § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II (siehe hierzu 2.1.2). 60 Hahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 17 (Stand: 1. März 2020), Rn. 11. 61 von Boetticher in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 17, Rn. 5. 62 von Boetticher in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 17, Rn. 5. 63 Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Januar 2020, § 17 SGB II, Rn. 26 f.; Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 6, Rn. 2. 64 Sauer in: Sauer, SGB II, § 17 (Stand: 3. Juli 2014), Rn. 6. 65 von Boetticher in: Münder/Geiger, Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 7. Auflage 2021, § 17, Rn. 8. 66 Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Januar 2020, § 17 SGB II, Rn. 62. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 18 Gemäß § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II kann die gemeinsame Einrichtung jedoch die Wahrnehmung einzelner Aufgaben auf ihre Träger rückübertragen, § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II. Laut Gesetzesbegründung habe die Praxis gezeigt, dass bestimmte Aufgaben (zum Beispiel Ausbildungsstellenvermittlung , Forderungseinzug, Ärztlicher Dienst, Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, Betreuung von Wohnungslosen) zweckmäßigerweise nicht von den gemeinsamen Einrichtungen selbst erfüllt werden, sondern ihre Übertragung auf die Bundesagentur beziehungsweise den kommunalen Träger sinnvoll sei.67 Die Möglichkeit der Rückübertragung der Aufgabenwahrnehmung ist bereits nach dem Gesetzeswortlaut auf einzelne Aufgaben begrenzt. Es ist damit nicht erlaubt, wesentliche Aufgaben der Grundsicherung auf die Träger zu übertragen.68 So hält beispielsweise ein Teil der Literatur die Übertragung sämtlicher kommunaler Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II für unzulässig.69 Der mit Wirkung zum 1. August 2016 in Kraft getretene § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II70 eröffnet den gemeinsamen Einrichtungen Zugang zu weiteren Kooperationsmöglichkeiten, indem er den Anwendungsbereich der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger nach den §§ 88 bis 92 SGB X auf die Aufgabenwahrnehmung durch die gemeinsamen Einrichtungen erstreckt. Mangels eigener Trägereigenschaft waren ihr Kooperationen mit anderen Leistungsträgern - anders als den zugelassenen kommunalen Trägern - zuvor nicht möglich. Die §§ 88 ff. SGB X regeln die Beauftragung zur Aufgabenwahrnehmung von Sozialleistungsträgern untereinander. Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen. Als Beauftragte kommen die Träger der gemeinsamen Einrichtung, andere, also nicht örtlich zuständige, kommunale Träger und Optionskommunen , andere gemeinsame Einrichtungen sowie andere Sozialleistungsträger in Betracht. Auch die gemeinsame Einrichtung kann Beauftragte eines anderen Leistungsträgers sein.71 Voraussetzung für die Beauftragung ist, dass diese wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten, zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist, § 88 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB X. 67 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Bundestagsdrucksache 17/1555 vom 4. Mai 2010, S. 24. 68 Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Mai 2015 - L 12 AS 1955/14, BeckRS 2015, 68857; Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 44b (Stand: 29. April 2021), Rn. 109; Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 44b, Rn. 27. 69 Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 44b (Stand: 29. April 2021), Rn. 109; Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 44b, Rn. 27; offen gelassen: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Mai 2015 - L 12 AS 1955/14, BeckRS 2015, 68857; a.A. wohl Wendtland in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand : 81. EL März 2021, SGB II § 44b, Rn. 45. 70 Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl. I 2016, S. 1824. 71 Mushoff in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 60. Edition, Stand:1. März 2021, SGB II § 44b, Rn. 11b. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 19 Zulässiger Gegenstand des Auftrags sind ausschließlich Aufgaben nach dem SGB II. Angelegenheiten aus anderen Sozialleistungsbereichen scheiden aus.72 Laut Gesetzesbegründung ist eine Zusammenarbeit der gemeinsamen Einrichtungen mit anderen Leistungsträgern außerhalb des SGB II, insbesondere eine Beauftragung gemeinsamer Einrichtungen mit der Erfüllung von Aufgaben anderer Leistungsträger, weiterhin ausgeschlossen. Die verfassungsrechtliche Absicherung der gemeinsamen Einrichtungen durch Art. 91e Absatz 1 GG umfasse lediglich die Aufgabenwahrnehmung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Demzufolge müsse auch die Möglichkeit zur Kooperation strikt auf die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II beschränkt bleiben.73 Der Auftrag kann für Einzelfälle sowie für gleichartige Fälle erteilt werden, § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Einem Einzelfallauftrag liegt eine konkret zu erledigende Einzelaufgabe zugrunde. Ein Auftrag für gleichartige Fälle (sog. Fallgruppenauftrag) wird erteilt, wenn die Sachverhalte, bei deren Vorliegen der Auftragnehmer verpflichtet ist, tätig zu werden, für eine Vielzahl von Fällen vereinbart wird, wobei die Anzahl der Fälle festgelegt oder unbestimmt sein kann.74 Jedoch ist auch hier der Grundsatz „Leistungen aus einer Hand“ zu berücksichtigen. So kann etwa auch aus § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II und dem dortigen Verweis auf die §§ 88 bis 92 SGB X keine Rechtfertigung für eine Aufteilung der beiden zentralen Aufgaben des SGB II - der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und der zur Sicherung des Lebensunterhalts - auf zwei verschiedene Stellen abgeleitet werden.75 Zudem muss auch nach § 88 Abs. 2 Satz 2 SGB X ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben. Über die Wahrnehmung einzelner Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte nach § 44b Abs. 4 SGB II entscheidet die Trägerversammlung, § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB II. Wie auch bei Entscheidungen über eine Aufgabenübertragung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 SGB II steht dem Vorsitzenden der Trägerversammlung auch bei Entscheidungen gemäß § 44b Abs. 4 SGB II kein doppeltes Stimmrecht zu, § 44c Abs. 1 Satz 8 SGB II. 5. Fazit Die Anzahl der Optionskommunen ist verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich beschränkt. Die Zulassung erfolgte in gesetzlich festgelegten Verfahren zu bestimmten Fristen. Das SGB II sieht derzeit keine weiteren Verfahren für die Zulassung als alleiniger kommunaler Träger (Optionskommune ) vor. Jedoch ist nach Auffassung des BMAS der Fall einer Aufspaltung einer Optionskommune in zwei Kommunen, die beide eine Zulassung begehrten, gesetzlich nicht geregelt. 72 Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 44b (Stand: 29. April 2021), Rn. 130. 73 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ‒ Rechtsvereinfachung, Bundestagsdrucksache 18/8041 vom 6. April 2016, S. 58. 74 Mutschler in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 113. EL März 2021, SGB X § 88, Rn. 29; Dietmair in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, § 88 SGB X (Stand: 13. Dezember 2018), Rn. 45; Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 44b (Stand: 29. April 2021), Rn. 131. 75 BSG, Urteil vom 3. September 2020 - B 14 AS 24/17 R -, Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 014/21 Seite 20 Da sich im Falle einer Aufspaltung weder das durch einen zugelassenen kommunalen Träger zu verantwortende Gebiet noch die Zahl der durch einen zugelassenen kommunalen Träger betreuten Personen verändern würde, dürfte in diesem Fall eine Zulassung als Optionskommune grundsätzlich möglich sein. Dies sei im Einzelfall zu prüfen. Sofern die ausgekreiste Gemeinde keine Zulassung begehrt, bildet sie ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Auskreisung eine gemeinsame Einrichtung (§ 44b SGB II) mit der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit. Der verbleibende Kreis kann in beiden Fällen einen Antrag auf Beschränkung der Zulassung entsprechend dem neuen Kreisgebiet stellen. Das SGB II bietet sowohl den Leistungsträgern (Bundesagentur für Arbeit, kommunaler Träger und zugelassener kommunaler Träger) als auch den gemeinsamen Einrichtungen verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit beziehungsweise der Aufgabenübertragung auf Dritte, insbesondere im Rahmen der Eingliederungsleistungen in Arbeit. Beschränkt sind diese Möglichkeiten jedoch durch den der Konzeption des SGB II zugrundeliegenden Grundsatz der „Leistungen aus einer Hand“. Dritte dürfen daher nur mit der Wahrnehmung von Aufgaben zur Unterstützung beauftragt werden beziehungsweise es dürfen ihnen nur einzelne Aufgaben übertragen werden. ***