Deutscher Bundestag Arbeitnehmerrechte in der Insolvenz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2012 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000 - 011/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 2 Arbeitnehmerrechte in der Insolvenz Aktenzeichen: WD 6 – 3000 - 011/12 Abschluss der Arbeit: 21. Februar 2012 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Abschnitt 1 der Arbeit (S. 5 - 9) wurde zur Verfügung gestellt von: Aktenzeichen: WD 7 - 3000-028/12 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung) Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Das Insolvenzverfahren 5 1.1. Ziele des Insolvenzverfahren 5 1.2. Unterscheidung zwischen Regelinsolvenz und Verbraucherinsolvenz 5 1.3. Verschiedene Arten der Unternehmensinsolvenz 6 1.3.1. Regel-Insolvenzverfahren 6 1.3.2. Insolvenzplanverfahren 7 1.3.3. Eigenverantwortungs-Insolvenzverfahren 8 1.4. Auswirkungen der Rechtsreform 1999 8 2. Arbeitnehmeransprüche in der Insolvenz 9 2.1. Lohnforderungen 9 2.2. Abfindungen 10 2.3. Insolvenzgeld 10 3. Betriebsrenten und Altersteilzeit 11 3.1. Betriebsrenten 11 3.2. Altersteilzeit 11 4. Tarifvertragliche Regelungen 12 5. Kündigungsschutz in der Insolvenz 13 5.1. Kündigungsfristen 13 5.2. Betriebsbedingte Kündigung 14 5.3. Soziale Auswahl 14 5.4. Besonderer Kündigungsschutz und fehlende ordentliche Kündbarkeit 14 5.4.1. Sonderkündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer 14 5.4.2. Befristete Arbeitsverhältnisse 15 5.4.3. Sonderkündigungsschutz aus Sanierungstarifverträgen 15 5.4.4. Betriebsratsmitglieder und sonstige Interessenvertreter 15 5.4.5. Mutterschutz 16 5.4.6. Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 16 5.5. Änderungskündigung 16 5.6. Außerordentliche Kündigung 17 6. Tätigkeit des Betriebsrates in der Insolvenz 17 6.1. Stellung des Betriebsrates in der Insolvenz 17 6.2. Kosten des Betriebsrates 17 6.3. Beteiligung am Insolvenzverfahren 17 6.4. Betriebsvereinbarungen 18 6.4.1. Beratung über bestehende Betriebsvereinbarungen 18 6.4.2. Sonderkündigungsrecht 18 6.4.3. Außerordentliche Kündigung 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 4 6.5. Betriebsänderungen in der Insolvenz 19 6.5.1. Unterrichtung des Betriebsrates 19 6.5.2. Interessenausgleich 20 6.5.3. Sozialplan 21 6.5.3.1. Aufstellung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens 21 6.5.3.2. Aufstellung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 5 1. Das Insolvenzverfahren 1.1. Ziele des Insolvenzverfahren Die Ziele des Insolvenzverfahrens sind in § 1 Insolvenzordnung (InsO)1 festgelegt. Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Forderungen der Gläubiger durch Verwertung des Schuldnervermögens , die so genannte Insolvenzmasse, zu erfüllen. Gemäß § 1 Satz 1 InsO besteht der einheitliche Hauptzweck des eröffneten Insolvenzverfahrens in der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung . Der Erhalt des Unternehmens des Schuldners – mit seinen Arbeitsplätzen – ist hierbei nur als zulässiges und erwünschtes Mittel zur Erreichung des Hauptziels, nicht jedoch Selbstzweck 2. 1.2. Unterscheidung zwischen Regelinsolvenz und Verbraucherinsolvenz Es ist zwischen der Unternehmensinsolvenz als Regelinsolvenz einerseits und der Verbraucherinsolvenz als Kleinverfahren andererseits zu unterscheiden. Mit dem Verbraucherinsolvenzverfahren wird ein gesondert geregeltes vereinfachtes Insolvenzverfahren bezeichnet, in dem eine zahlungsunfähige natürliche Person die Möglichkeit erhält, sich von ihren Schulden zu befreien. Es steht neben dem Verbraucher auch Kleingewerbetreibenden i.S.d. § 304 Abs. 1 Satz InsO offen 3. Es wird hierbei zunächst versucht, mit den Gläubigern eine außergerichtliche einvernehmliche Schuldenbereinigung zu erzielen. Falls die Gläubiger nicht bereit sind, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten, legt der Schuldner dem Gericht einen so genannten Schuldenbereinigungsplan vor. Dieser bildet die Grundlage für die von dem Gericht herbeizuführende Einigung mit den Gläubigern. Wenn auch diese gerichtliche Einigung scheitert, kommt es zu einem vereinfachten Insolvenzverfahren, dem sich in der Regel das Verfahren zur Restschuldbefreiung anschließt 4. Das Unternehmensinsolvenzverfahren ist als Regelverfahren in der InsO verankert. Es ist auf juristische und natürliche Personen anzuwenden, die aktuell selbständig sind oder die selbständig waren und deren Verhältnisse als nicht überschaubar gelten. Dies ist der Fall, wenn der Schuldner zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wird, wenigstens 20 Gläubiger hat, vgl. § 304 Abs. 2 InsO. 1 Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2866), die zuletzt durch Art. 19 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist. 2 Kirchhof , in: Kommentar zur Insolvenzordnung, 5. Auflage, Stand: 2008, § 1 InsO, S. 7 Rn. 3. 3 Schmidt, Privatinsolvenz, § 1: Privatinsolvenz als Weg in ein schuldenfreies Leben, Rn. 5. 4 S. o. Fn. 3, Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 6 1.3. Verschiedene Arten der Unternehmensinsolvenz 1.3.1. Regel-Insolvenzverfahren Das Insolvenzgericht hat bei Vorliegen eines Insolvenzantrages, welcher gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO vom Gläubiger oder vom Schuldner selbst gestellt werden kann, von Amts wegen zu ermitteln , ob einer der drei Eröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO, der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO oder der Überschuldung vorliegt, § 5 InsO. Um über den Insolvenzantrag entscheiden zu können, kann das Gericht einen Gutachter beauftragen, im Rahmen eines umfassenden Gutachtens vor Ort zu prüfen, ob Gründe vorliegen, die die Einleitung eines Insolvenzverfahrens notwendig machen. Dieser prüft auch, ob Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO zum Schutz der künftigen Insolvenzmasse (Ernennung eines vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 22 InsO, ggf. Verfügungsverbot des Schuldners,) erforderlich sind. Sodann ergeht der Beschluss des Gerichts über die Eröffnung des Verfahrens gemäß § 27 InsO. Mit der Eröffnung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse auf den Insolvenzverwalter über, gemäß § 80 Abs. 1 InsO5. In der Regel nimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Stellung des endgültigen ein. Dieser nimmt das gesamte noch verbliebende Vermögen des Schuldners sofort in Besitz, § 148 Abs. 1 InsO. Zur Vermeidung von Sondervorteilen zugunsten einzelner Gläubiger werden Einzelvollstreckungsmaßnahmen nach § 89 Abs. 1 InsO untersagt; Der Gläubigerwettlauf wird hierdurch beendet. Im Berichtstermin berichtet der Insolvenzverwalter der Gläubigerversammlung (§ 74 InsO) über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und erläutert die Möglichkeit eines Unternehmenserhalts und eines Insolvenzplans gemäß § 156 InsO. Die Gläubigerversammlung entscheidet hiernach über den Fortgang des Insolvenzverfahrens – insbesondere über die Stilllegung oder Fortführung des Schuldnerunternehmens6 gemäß § 157 InsO. Nach dem Berichtstermin setzt die Verwertung der Masse ein, § 159 InsO. Die Verwertung kann auf drei verschiedenen Wegen erfolgen: Bei der Liquidierung wird das gesamte Schuldnervermögen verwertet und die Gläubiger aus dem Erlös befriedigt. Nach der Sanierung fallen die erwirtschafteten Gewinne den Gläubigern zu. Bei dem Verkauf des Unternehmens an ein anderes wird der Kaufpreis für die Gläubiger verwendet. Bevor die Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger verteilt werden kann, müssen jedoch die sogenannten Massekosten – Gerichtskosten und Verwaltervergütung gemäß §§ 54, 55 InsO – befriedigt worden sein. Sodann sind die sogenannten absonderungsberechtigten Gläubiger i.S.d. §§ 49 bis 51 InsO zu befriedigen, soweit die Erlöse aus deren Sicherungsgut hierfür ausreichen7. Von der verbleibenden Insolvenzmasse sind schließlich die Gläubiger des Insolvenzschuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem der Erlös gleichmäßig verteilt wird. Die Forderungen der Gläubiger werden nur quotal befriedigt, wobei die Forderungen zuvor zur so genannten Insolvenztabelle festgestellt sein müssen (indem entweder der Gläubiger seine For- 5 Leithaus, in: Andres/Leithaus, Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Auflage Stand: 2011, § 80 Rn. 2. 6 Balthasar, in: Nerlich/Römermann, Kommentar zur Insolvenzordnung, 21. Ergänzungslieferung 2011, § 157 Rn. 6. 7 Bäuerle, in: Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage Stand: 2010, § 49 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 7 derung beim Insolvenzverwalter anmeldet oder sie bei Widerspruch durch Gerichtsurteil feststellen lässt). Es kann zunächst eine Abschlagzahlung erfolgen, bevor die Verteilung mit der Schlussverteilung endet. Das Insolvenzverfahren wird schließlich auf Antrag des Schuldners aufgehoben , wenn dieser das sich anschließende Verfahren zur Restschuldbefreiung (Schuldner überlässt den Gläubigern für die Dauer von sechs Jahren seine pfändbaren Einkünfte) erstrebt. Durch die gerichtliche Restschuldbefreiung gehen die Forderungen der Gläubiger, die nach Abschluss des Insolvenzverfahrens insoweit fortbestehen, als sie durch die Ausschüttung in Höhe der Insolvenzquote nicht befriedigt wurden, unter. 1.3.2. Insolvenzplanverfahren Die InsO sieht innerhalb des Regelverfahrens das in §§ 217 ff. InsO verankerte Instrument des Insolvenzplans vor. In diesem Plan können die Beteiligten vom Regelverfahren abweichende Regelungen, beispielsweise über den Erhalt des Unternehmens, treffen, vgl. § 1 InsO. Der Insolvenzplan kann vom Schuldner selbst oder vom Insolvenzverwalter (der auch von der Gläubigerversammlung mit der Planerstellung beauftragt werden kann gemäß § 157 InsO) vorgelegt werden 8, § 218 InsO. Das Insolvenzgericht bestätigt den Plan, nachdem die Gläubiger diesen angenommen haben, § 248 InsO. Nachdem dessen Wirkungen für und gegen alle Beteiligten eingetreten sind gemäß § 254 InsO, wird das Verfahren durch das Gericht aufgehoben, § 257 InsO. Der Insolvenzplan besteht nach § 219 InsO aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil. Im darstellenden Teil erfolgt die Darstellung des Ziels des Plans und des Weges zu dessen Erreichung , worüber die Gläubiger und das Insolvenzgericht unterrichtet werden sollen. Ziele können beispielsweise die Eigensanierung oder die Liquidation sein. Im gestaltenden Teil wird die Rechtsstellung der Beteiligten geregelt, die durch den Plan verändert wird, § 221 InsO. Die Gläubiger werden durch den Plan in Gruppen eingeteilt, vgl. § 222 InsO. Dies hat zur Folge, dass eine Gleichbehandlung der Gläubiger im Unterschied zum Regelverfahren nur noch innerhalb der jeweiligen Gruppe stattfindet. Nach § 227 InsO wird der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit. Damit kann im Insolvenzplan auch eine Restschuldbefreiung für juristische Personen eintreten9. Das Insolvenzverfahren kann folglich vom Regelverfahren hinsichtlich der Verwertung der Insolvenzmasse – Regelung zum Erhalt des Unternehmens – sowie der Verteilung unter den Gläubigern abweichen. 8 Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, 3. Auflage 2011, § 2 – Das Insolvenzverfahrensrecht, Rn. 477. 9 S. o. Fn. 8, § 2 Rn. 509. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 8 1.3.3. Eigenverantwortungs-Insolvenzverfahren Anstelle des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters kann das Regelinsolvenzverfahren auch vom Schuldner in Eigenverantwortung geführt werden, gemäß §§ 270 ff. InsO. Hierbei behält der Schuldner – im Unterschied zum Regelverfahren – die Verfügungsbefugnis, was sich auf die Abwicklung der Schuldverhältnisse zwischen Insolvenzschuldner und Gläubigern auswirkt: Sie können beispielsweise nach Eröffnung des Eigenverwaltungs-Insolvenzverfahrens ungeachtet der §§ 94 – 96 InsO bei Entstehung von Guthabenforderungen aufrechnen. Dieses Verfahren ist insbesondere vorteilhaft bei der zusammenhängenden Abwicklung von Konzerninsolvenzen mit einer Mehrzahl verbundener, insolventer Unternehmen. 1.4. Auswirkungen der Rechtsreform 1999 Die Insolvenzordnung wurde in Deutschland zum 1. Januar 1999 eingeführt. Hiermit wurden die in Westdeutschland geltende Konkursordnung aus dem Jahr 1987, die Vergleichsordnung von 1935 und die aus dem DDR-Recht stammende Gesamtvollstreckungsordnung aus dem Jahr 1990 vereinigt und modernisiert. Während bei den früheren Verfahren die Verwertung des Schuldnervermögens das vorrangige Ziel darstellte, steht beim heutigen Insolvenzverfahren auch die Fortführung des Unternehmens im Vordergrund. Die Insolvenzordnung behandelt sämtliche Verwertungsarten gleichrangig. Der Gesetzgeber sah wirtschaftspolitisch keine Gründe „die Sanierung des Schuldners generell vor der übertragenen Sanierung des Unternehmens zu bevorzugen oder auch nur irgendeine Art der Sanierung stets und überall der Zerschlagungsliquidation vorzuziehen“10. Unter den drei Elementen der Sanierung Fortführung, Insolvenzplan und Eigenverwaltung ist vor allem der Insolvenzplan (s. o. 3.2.) von Bedeutung. Dadurch, dass mit der Insolvenzordnung von 1999 die Sanierung des Unternehmens in den Vordergrund gerückt ist, wird indirekt auch der Erhalt von Arbeitsplätzen gefördert. Dem Arbeitnehmer steht bei der Insolvenz des Arbeitgebers gemäß §§ 183 - 189a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) ein Anspruch auf Insolvenzgeld für die letzten drei Monate seines Arbeitsverhältnisses bis zur Eröffnung des Verfahrens bzw. zur Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse zu11. Bei der Verwertung der Insolvenzmasse ist zu beachten, dass die Gläubigerinteressen gegenüber den Arbeitnehmerinteressen vorrangig sind12. Die Interessen der Arbeitnehmer sind jedoch dadurch ausreichend gewahrt, dass der Insolvenzverwalter im Rahmen der Umsetzung der Gläubigerversammlungsbeschlüsse die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte nach den §§ 120 ff InsO, 111 ff BetrVG einzuhalten hat. 10 Uhlenbruck, Fünf Jahre Insolvenzordnung – Meilensteine in der Praxis, in: Betriebsberater (BB) 2004, Nr. 14, S. 3. 11 Braun/Wierzioch, in: Beck/Depré, Handbuch zur Praxis der Insolvenz, 2. Auflage Stand: 2010, § 29 Rn. 11. 12 Uhlenbruck, in Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, 13. Auflage Stand: 2010, § 159 Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 9 Weiterhin wurde mit der Rechtsreform erstmals ein spezielles Verfahren für Verbraucher und sogenannte Kleingewerbetreibende eingeführt (s. o. 2. Verbraucherinsolvenzverfahren), das nun auch die Möglichkeit zur Restschuldbefreiung natürlicher Personen vorsieht13. Zu Zeiten der Konkursordnung hatte die Zahlungsunfähigkeit für natürlich Personen hingegen keine Bedeutung . Bezüglich der Arbeitnehmerrechte unter Geltung der Konkursordnung vor der Insolvenzreform wird im Übrigen auf die umfassende Darstellung von Knickenberg verwiesen.14 2. Arbeitnehmeransprüche in der Insolvenz 2.1. Lohnforderungen Ansprüche auf Arbeitsentgelt stellen eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Sind die Lohnforderungen dagegen erst nach der Insolvenzeröffnung entstanden, sind sie als Masseforderung (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) zu qualifizieren. Die Ansprüche auf Arbeitsentgelt werden also zeitanteilig in eine Insolvenzforderung für die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung und eine Masseforderung für die Zeit danach zerlegt . Während Massegläubiger nach § 53 InsO vorweg zu befriedigen sind, müssen Insolvenzforderungen nach § 174 InsO zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Erst wenn die Masse verwertet, also vom Verwalter zu Geld gemacht worden ist, erfolgt eine anteilige Zahlung. Dabei werden alle einfachen Insolvenzgläubiger zu gleichen Teilen mit einer Quote berücksichtigt.15 Diese liegt bei ungesicherten Forderungen zumeist zwischen 2 und 25 %.16 Wird das Verfahren mangels Masse eingestellt, gehen die Insolvenzgläubiger leer aus. Darüber hinaus haftet nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz der Erwerber nicht für Altschulden aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung . Der Erwerber haftet also nur für Masseverbindlichkeiten, nicht aber für Insolvenzforderungen .17 Für die Durchsetzbarkeit von Arbeitnehmeransprüchen in der Insolvenz kommt es daher entscheidend auf deren insolvenzrechtliche Zuordnung an. Da insbesondere die Geltendmachung 13 Graf-Schlicker, Analysen und Änderungsvorschläge zum neuen Insolvenzrecht – eine zusammenfassende Darstellung des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur 71. Konferenz der Justizministerinnen und – minster in Potsdam, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM) 2000, 1984. 14 Knickenberg, Die Sicherung der Arbeitnehmerrechte in der Insolvenz des Arbeitgebers, 1. Auflage 2000, S. 68 ff., 125 ff. 15 Leithaus (Fn. 5), § 38 Rn. 5. 16 Wroblewski, in: Bichlmeier/Wroblewski, Das Insolvenzhandbuch für die Praxis, 3. Auflage 2010, S. 133 ff. 17 BAG, Urteil vom 19. Dezember 2006 – 9 AZR 230/06. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 10 von Insolvenzforderungen sehr langwierig und mit einem hohen Risiko verbunden sein kann, haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Regel einen Anspruch auf Insolvenzgeld.18 2.2. Abfindungen Auch Abfindungsansprüche sind lediglich Insolvenzforderungen, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Arbeitgeber vereinbart worden sind.19 Dies gilt auch, wenn die Abfindung auf einem gerichtlichen Vergleich oder einem Urteil beruht.20 Ebenfalls um eine Insolvenzforderung handelt es sich, wenn die Abfindung bereits in einem vor der Insolvenzeröffnung geschlossenen Arbeitsvertrag für den Fall der Insolvenz oder einer betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehen ist.21 Gleiches gilt für Abfindungsansprüche aus einem vor der Insolvenz abgeschlossenen Tarifvertrag, auch wenn die Ansprüche erst durch die Kündigung durch den Verwalter nach Insolvenzeröffnung entstanden sind.22 Dagegen stellen Abfindungen Masseverbindlichkeiten dar, wenn sie erst nach Insolvenzeröffnung mit dem Verwalter vereinbart worden sind. Dies gilt auch, wenn die anspruchsauslösende Kündigung bereits vor Insolvenzeröffnung ausgesprochen wurde.23 2.3. Insolvenzgeld Das Insolvenzgeld nach den §§ 183 - 189a SGB III ist eine Lohnersatzleistung der Bundesagentur für Arbeit. Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung. Das Insolvenzgeld tritt an die Stelle ausstehender Ansprüche auf Arbeitsentgelt. Erfasst sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) alle Ansprüche der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers, die als Gegenwert für geleistete Arbeit oder für das Zur- Verfügung-Stellen der Arbeitskraft anzusehen sind.24 Bei der zeitlichen Zuordnung folgt die Rechtsprechung dem Grundsatz, dass es beim Anspruch auf Lohn oder ähnlichen Leistungen in erster Linie auf den Zeitraum ankommt, in dem die Ansprüche erarbeitet wurden. Bei Krankheit und Urlaub ist derjenige Zeitraum maßgeblich, für den das Entgelt fortzuzahlen ist.25 Unter be- 18 Vgl. 2.3. 19 BAG, Urteil vom 27. September 2007 – 6 AZR 975/06. 20 Wroblewski (Fn. 16), S. 138. 21 BAG, Urteil vom 25. Februar 1981 – 5 AZR 922/78. 22 BAG, Urteil vom 27. April 2006 – 6 AZR 364/05. 23 Wroblewski (Fn. 16), S. 140 f. 24 BSG, Urteil vom 30. November 1977 - 12 RAr 99/76. 25 BSG, Urteil vom 1. Dezember 1976 – 7 RAr 136/75. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 11 stimmten Voraussetzungen können auch Abfindungen als Insolvenzgeld geltend gemacht werden .26 Nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen. Daher können Abfindungen, die den Verlust des sozialen Besitzstandes abgelten sollen, nicht als Insolvenzgeld gefordert werden. Umfasst die Abfindung hingegen offene Arbeitsentgeltansprüche, so sind diese insolvenzgeldfähig. Gleiches gilt für Abfindungen, die für den Verlust von Rechtspositionen , wie etwa die Verringerung der Wochenarbeitszeit oder einer tariflichen Rückstufung, innerhalb eines weiterbestehenden Beschäftigungsverhältnisses gezahlt werden.27 Die Höhe des Insolvenzgeldes orientiert sich nach § 185 SGB III am Nettoarbeitsentgelt, das sich aus dem zu beanspruchenden Bruttoentgelt abzüglich der zu berücksichtigenden gesetzlichen Abzüge ermittelt. Das Bruttoentgelt ist jedoch auf die Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung begrenzt. Nach § 187 SGB III gehen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur über. Auf Antrag kann die Agentur für Arbeit einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld zahlen (§ 186 SGB III). Dazu muss der Arbeitnehmer nachweisen, in welcher Höhe sein ehemaliger Arbeitgeber ihm noch Arbeitsentgelt schuldet. 3. Betriebsrenten und Altersteilzeit 3.1. Betriebsrenten Betriebsrenten sind nach § 7 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge (BetrAVG) geschützt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Anwartschaft unverfallbar ist. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, ergibt sich aus §§ 1b, 2 BetrAVG. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die umfassenden Ausführungen von Bichlmeier verwiesen.28 3.2. Altersteilzeit Altersteilzeit wird in der Praxis zumeist in Form des so genannten Blockmodells praktiziert. Dies bedeutet, dass sich an eine vollschichtige Arbeitsphase in der Regel eine gleich lange Freistellungsphase bis zum Übergang in die Rente anschließt. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bilden in der Arbeitsphase also ein Wertguthaben, das in der Freistellungsphase ausgezahlt wird. 26 Vgl. 2.3. 27 Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 183 Rn. 86. 28 Bichlmeier, in: Bichlmeier/Wroblewski, Das Insolvenzhandbuch für die Praxis, 3. Auflage 2010, S. 225 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 12 Altersteilzeit im kontinuierlichen Modell, z.B. durch durchgehende Halbierung der Arbeitszeit, spielt in der Praxis eine untergeordnete Rolle und wirft in der Insolvenz keine besonderen rechtlichen Probleme auf.29 Daher beziehen sich die folgenden Ausführungen nur auf Altersteilzeit im Blockmodell. Die Eröffnung der Insolvenz lässt das Arbeitsverhältnis grundsätzlich unberührt. Eine Kündigung ist in der Arbeitsphase allerdings möglich.30 Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wird während der Arbeitsphase auch das gesamte Entgelt für die Freistellungsphase erarbeitet. Dies bedeutet, dass es sich auch bei Entgeltansprüchen in der Freistellungsphase nur um Insolvenzforderungen handelt, wenn die ihnen zugrunde liegenden Monate der Arbeitsphase vor der Insolvenzeröffnung lagen.31 Auch eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarte oder im Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung geregelte Abfindung stellt nach der Rechtsprechung des BAG eine Insolvenzforderung dar, auch wenn sie erst nach Insolvenzeröffnung mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht.32 Für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung kommt ein Anspruch auf Insolvenzgeld in Betracht. Zudem begründet § 8a Altersteilzeitgesetz (AltTZG) eine Sicherungspflicht für die in der Arbeitsphase gebildeten Wertguthaben für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. § 8a AltTZG enthält keine Positivliste zulässiger Sicherungsmittel. Der Arbeitgeber kann daher zwischen mehreren geeigneten Sicherungsmitteln wählen. Als geeignete Sicherungsmittel kommen eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft, die Verpfändung von Wertpapieren an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Versicherungsmodelle in Betracht.33 Der Arbeitgeber hat bei der ersten Gutschrift und dann im Abstand von sechs Monaten gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nachzuweisen, dass er geeignete Sicherungsmittel ergriffen hat. Auch der Betriebsrat hat diesbezüglich ein Auskunftsrecht. Verletzt der Arbeitgeber seine Sicherungspflicht , können geeignete Sicherungsmaßnahmen eingeklagt werden. Problematisch ist allerdings , wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig wird, ohne seiner Sicherungspflicht nachgekommen zu sein. In diesem Fall steht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur ein Schadensersatzanspruch zu, der als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet werden muss.34 4. Tarifvertragliche Regelungen Allein die Insolvenz führt nicht dazu, dass Tarifverträge außer Kraft treten. Ist durch Satzung des Arbeitgeberverbandes bestimmt, dass der Arbeitgeber bei Eintritt der Insolvenz aus dem Arbeitgeberverband ausscheidet, bleibt die Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 des Tarifvertragsgesetz 29 Wroblewski (Fn. 16), S. 198. 30 Vgl. hierzu 5.4.2. 31 BAG, Urteil vom 30. Oktober 2008 – 8 AZR 54/07; Urteil vom 23. Februar 2005 – 10 AZR 672/03. 32 BAG, Urteil vom 27. September 2007 – 6 AZR 981/06. 33 Wroblewski (Fn. 16), S. 205. 34 Wroblewski (Fn. 16), S. 207. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 13 (TVG) bis zum Ende des Tarifvertrages bestehen (Nachbindung). Allerdings werden einzelne Klauseln – beispielsweise bezüglich eines besonderen Kündigungsschutzes – durch insolvenzrechtliche Regelungen verdrängt.35 Im Übrigen ist durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln, ob der Tarifvertrag auch in der Insolvenz gelten soll. Kommt es zu einem Betriebsübergang, ist bezüglich der Weitergeltung von Tarifverträgen zu differenzieren : Ist der Erwerber Mitglied im gleichen Arbeitgeberverband wie der Veräußerer, besteht wieder beiderseitige Tarifgebundenheit. Ist der Erwerber Mitglied eines anderen Arbeitgeberverbands, der aber mit derselben Gewerkschaft, in der die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer Mitglied ist, Tarifverträge abgeschlossen hat, wird der bisherige Tarifvertrag durch das andere Vertragswerk abgelöst.36 Ist der Erwerber nicht tarifgebunden, werden die normativen Bestimmungen des Tarifvertrages in die individualvertraglichen Regelungen transformiert. Sie dürfen innerhalb eines Jahres nicht zuungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verändert werden. Gilt bei dem Erwerber allerdings kraft beiderseitiger Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeit ein anderer Tarifvertrag , verdrängt dieser nach § 613a Abs. 1 Satz 3 TVG auch günstigere transformierte Regelungen . 5. Kündigungsschutz in der Insolvenz Das Arbeitsverhältnis wird durch die Insolvenz nicht beendet. Die Arbeitgeberfunktion übernimmt der Insolvenzverwalter. Entschließt sich dieser zu einer Kündigung, muss er grundsätzlich das geltende Arbeitsrecht beachten. So ist das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) auch in der Insolvenz zu beachten. Zudem muss auch der Insolvenzverwalter den Betriebsrat nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ordnungsgemäß anhören. Bei Massenentlassungen sind §§ 17, 18 KSchG einzuhalten. Allerdings wird der Kündigungsschutz durch § 113 InsO sowie §§ 125 bis 128 InsO modifiziert. 5.1. Kündigungsfristen Nach § 113 Satz 2 InsO beträgt die Höchstkündigungsfrist für den Insolvenzverwalter drei Monate . Dies gilt auch, wenn die arbeits- oder tarifvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist länger ist.37 Ist eine kürzere Frist vereinbart worden, kommt diese zur Anwendung. Auch die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 BGB werden durch § 113 Satz 2 InsO auf längstens drei Monate beschränkt. Erfolgt die Kündigung unter Abkürzung der Kündigungsfrist oder kündigt der Ver- 35 Vgl. hierzu 5. 36 Wroblewski (Fn. 16), S. 286. 37 BAG, Urteil vom 3. Dezember 1998 – 2 AZR 425/98; Urteil vom 16. Juni 1999 – 4 AZR 191/98. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 14 walter vorzeitig ein befristetes Arbeitsverhältnis, kann die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer nach § 113 Satz 3 InsO Schadensersatz für die weggefallene längere Kündigungsfrist verlangen . Der Schadensersatzanspruch stellt eine Insolvenzforderung dar, die zur Tabelle angemeldet werden muss. 5.2. Betriebsbedingte Kündigung Bei einer betriebsbedingten Kündigung müssen auch in der Insolvenz „dringende betriebliche Erfordernisse“ vorliegen. Die Insolvenz allein stellt kein solches Erfordernis dar.38 In Betracht kommen allerdings eine mit der Insolvenz verbundene (teilweise) Betriebsstilllegung oder Einschränkungen des Arbeitsbedarfs wegen Auftrag- oder Absatzmangel. Eine Besonderheit gilt, wenn zwischen Verwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich nach § 125 InsO vereinbart worden ist, in dem die zu entlassenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer namentlich genannt sind.39 In diesem Fall wird nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung der im Interessenausgleich namentlich aufgeführten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. 5.3. Soziale Auswahl Auch in der Insolvenz ist grundsätzlich eine soziale Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführen.40 Besonderheiten ergeben sich allerdings aus § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO. So kann bei Vorliegen eines rechtswirksamen Interessenausgleichs mit Namensliste die soziale Auswahl nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit , das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. 5.4. Besonderer Kündigungsschutz und fehlende ordentliche Kündbarkeit 5.4.1. Sonderkündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer In Tarifverträgen wird für ältere Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit die ordentliche Kündigung oftmals ausgeschlossen oder nur unter bestimmten Voraussetzungen – wie etwa dem Abschluss eines Sozialplans - gestattet.41 Nach der Rechtsprechung des BAG wird ein derartiger 38 BAG, Urteil vom 20. Februar 1986 – 2 AZR 212/85. 39 Vgl. hierzu 6.5.2. 40 BAG, Urteil vom 16. September 1982 – 2 AZR 271/80. 41 Wroblewski (Fn. 16), S. 307. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 15 tariflicher Kündigungsschutz durch § 113 Satz 1 InsO verdrängt, sodass das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden kann.42 5.4.2. Befristete Arbeitsverhältnisse Befristete Arbeitsverhältnisse können nach § 15 Abs. 3 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) eigentlich nur gekündigt werden, wenn dies einzel- oder tarifvertraglich vereinbart worden ist. Aufgrund des § 113 InsO kann der Insolvenzverwalter aber auch befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Frist von drei Monaten kündigen. Dies gilt grundsätzlich auch für ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis . Allerdings ist eine Kündigung aus Gründen der Sozialauswahl (hohes Lebensalter, lange Betriebszugehörigkeit) oftmals sozialwidrig und daher unwirksam.43 Zudem kann eine betriebsbedingte Kündigung im Blockmodell in der Regel nur in der Arbeitsphase erfolgen , da in der Freistellungsphase kein dringendes betriebliches Erfordernis vorliegt.44 5.4.3. Sonderkündigungsschutz aus Sanierungstarifverträgen Wird in einem Tarifvertrag als Gegenleistung für den Verzicht auf einen Teil der Vergütung der Ausschluss der ordentlichen Kündigung vereinbart, wird diese Regelung durch § 113 Satz 1 InsO verdrängt, sodass eine ordentliche Kündigung erfolgen kann.45 Die Kündigung kann durch Tarifvertrag allerdings auf andere Weise als durch Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit oder durch längere Kündigungsfristen beschränkt werden, etwa durch ein Zustimmungserfordernis des Betriebsrates.46 5.4.4. Betriebsratsmitglieder und sonstige Interessenvertreter Der besondere Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder und sonstige Interessenvertreter bleibt auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen. Er wird nicht durch § 113 InsO eingeschränkt. Allerdings ist – wie auch außerhalb der Insolvenz – eine Kündigung bei Stilllegung des Betriebs möglich (§ 15 Abs. 4 und 5 KSchG). Das Arbeitsverhältnis endet in diesem Fall 42 BAG, Urteil vom 19. Januar 2000 – 4 AZR 70/99. 43 Wroblewski (Fn. 16), S. 310. 44 BAG, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 2 AZR 571/01. 45 BAG, Urteil vom 17. November 2005 – 6 AZR 107/05. 46 Wroblewski (Fn. 16), S. 308. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 16 erst mit der endgültigen Silllegung des Betriebes. 47 Betriebsratsmitglieder gehören daher der letzten zu kündigenden Gruppe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an.48 5.4.5. Mutterschutz Die speziellen Vorschriften des Mutterschutzgesetzes (MuSchG), insbesondere das Kündigungsverbot nach § 9 MuSchG, gelten auch in der Insolvenz. Besonderheiten ergeben sich daher nicht.49 5.4.6. Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Der Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen richtet sich auch in der Insolvenz nach §§ 85 ff. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sowie dem KSchG. So ist für eine Kündigung insbesondere die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich. Eine besondere Regelung für den Insolvenzfall stellt § 89 Abs. 3 SGB IX dar. Danach soll die Zustimmung des Integrationsamtes in der Regel u.a. dann erfolgen, wenn ein Interessensausgleich nach § 125 InsO vereinbart worden ist.50 5.5. Änderungskündigung Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechtigt als solche nicht zu einer Änderungskündigung. Ist eine Versetzung im Wege des Direktionsrecht nicht möglich, kann eine Änderungskündigung nur unter Beachtung des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz sowie der Mitbestimmung des Betriebsrates (§§ 99 bis 102 BetrVG) erfolgen.51 47 BAG, Urteil vom 29. März 1977 – 1 AZR 46/75. 48 Wroblewski (Fn. 16), S. 308. 49 Wroblewski (Fn. 16), S. 309. 50 Vgl. hierzu 6.5.2. 51 Wroblewski (Fn. 16), S. 311. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 17 5.6. Außerordentliche Kündigung Die Insolvenzeröffnung oder Geldmangel stellen für den Insolvenzverwalter keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB dar. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann dies allerdings der Fall sein, etwa wenn eine Vergütung nicht erfolgt.52 6. Tätigkeit des Betriebsrates in der Insolvenz 6.1. Stellung des Betriebsrates in der Insolvenz Der Betriebsrat bleibt auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiter im Amt. Im Falle einer Betriebsstilllegung behält der Betriebsrat, auch nachdem die Betriebstätigkeiten eingestellt worden sind, ein Restmandat. Er bleibt so lange im Amt, bis alle betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten erfüllt sind. Die Ausübung der Mitwirkungsrechte kann auch in der Insolvenz nur durch den Betriebsrat insgesamt und nicht allein durch den Vorsitzenden erfolgen.53 6.2. Kosten des Betriebsrates Kosten für die Betriebsratstätigkeit sind nach §§ 38, 174 InsO als Insolvenzforderungen beim Insolvenzverwalter anzumelden, wenn sie vor der Eröffnung der Insolvenz entstanden sind. Entsteht der Kostenerstattungsanspruch erst nach Insolvenzeröffnung, handelt es sich in der Regel um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.54 6.3. Beteiligung am Insolvenzverfahren Der Betriebsrat ist am Insolvenzverfahren zu beteiligen. Nach der Insolvenzeröffnung findet der sogenannte Berichtstermin statt. Im Rahmen dieser ersten Gläubigerversammlung berichtet der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Nach § 156 Abs. 2 Satz 1 InsO ist dem Betriebsrat in diesem Berichtstermin Gelegenheit zu geben, zu dem Bericht des Insolvenzverwalters Stellung zu nehmen. Zudem kann in der Gläubigerversammlung auch ein Betriebsratsmitglied als Mitglied des Gläubigerausschusses gewählt werden. Auch bei der Aufstellung des Insolvenzplans nach §§ 217 ff. InsO hat der Betriebsrat ein Mitwirkungsrecht. Dieses besteht darin, dass er den Verwalter bei Aufstellung des Plans berät (§ 218 Abs. 3 InsO). 52 Wroblewski (Fn. 16), S. 311. 53 BAG, Beschluss vom 14. November 1978 - 6 ABR 85/75. 54 Thüsing, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 13. Auflage 2012, § 40 Rn. 60 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 18 Außerdem leitet das Insolvenzgericht den ihm vorgelegten Insolvenzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem Betriebsrat zur Stellungnahme zu. Nach § 232 Abs. 3 InsO bestimmt das Gericht eine Frist, in der die Stellungnahme des Betriebsrats zu erfolgen hat. Mit Wirkung zum 1. März 2012 ist die Regelung dahingehend geändert worden, dass die Frist zur Stellungnahme zwei Wochen nicht überschreiten soll. 6.4. Betriebsvereinbarungen 6.4.1. Beratung über bestehende Betriebsvereinbarungen Auch in der Insolvenz gelten Betriebsvereinbarungen grundsätzlich fort.55 Sind darin allerdings Leistungen vorgesehen, welche die Insolvenzmasse belasten, sollen nach § 120 Abs. 1 Satz 1 Ins O Insolvenzverwalter und Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten. Da es sich lediglich um eine „Soll“-Vorschrift handelt, begründet die Regelung keine Beratungspflicht.56 Teilweise wird allerdings vertreten, dass die Ausübung des Sonderkündigungsrechts 57 erst nach der Beratung erfolgen darf.58 6.4.2. Sonderkündigungsrecht § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO räumt für Betriebsvereinbarungen, die die Insolvenzmasse belasten, ein Sonderkündigungsrecht ein. So können diese Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Ist bei Abschluss der Betriebsvereinbarung eine kürzere Kündigungsfrist vereinbart worden, gilt diese. Dabei ist unerheblich, ob der Betrieb fortgeführt, stillgelegt oder veräußert wird.59 Das Sonderkündigungsrecht steht nicht nur dem Insolvenzverwalter, sondern auch dem Betriebsrat zu. Dieser kann an der Kündigung ein Interesse haben, wenn er einer selektiven Kündigung von Betriebsvereinbarungen durch den Insolvenzverwalter entgegenwirken will, etwa weil er diese als eine unangemessene Lastenverteilung ansieht.60 Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist zwischen freiwilligen und erzwingbaren Betriebsvereinbarungen zu differenzieren. Eine erzwingbare Betriebsvereinbarung liegt vor, wenn die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden kann. Bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen ist dies hingegen nicht möglich. Während freiwillige Betriebsvereinbarungen sofort mit Ablauf der Kündigungsfrist enden, unterliegen erzwingbare 55 Wolf, in: Braun, Insolvenzordnung, 4. Auflage 2010, § 120 Rn. 3. 56 Wolf (Fn. 55), § 120 Rn. 7. 57 Vgl. hierzu 6.4.2. 58 Löwisch/Kaspers, in : Münchener Kommentar Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, § 120 Rn. 21. 59 Löwisch/Kaspers (Fn. 58), § 120 Rn. 22. 60 Löwisch/Kaspers (Fn. 58), § 120 Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 19 Betriebsvereinbarungen der Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG. Dies bedeutet, dass die Betriebsvereinbarung nicht allein durch die Kündigung beseitigt wird. Vielmehr bedarf es einer neuen Vereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat, die an die Stelle der gekündigten tritt. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt die gekündigte Betriebsvereinbarung fort.61 6.4.3. Außerordentliche Kündigung § 120 Abs. 2 InsO stellt klar, dass das Recht zu einer außerordentlichen Kündigung von Betriebsvereinbarungen unberührt bleibt. Ein außerordentliches Kündigungsrecht besteht allerdings nur, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher ist gegeben, wenn einer Partei nicht zugemutet werden kann, an der Betriebsvereinbarung festzuhalten und die Kündigungsfrist einzuhalten. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und eine Interessenabwägung vorzunehmen. Weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch ein Mangel an Geld reichen für sich allein für die Annahme eines wichtigen Grundes aus.62 Auch bei einer außerordentlichen Kündigung entfällt die Nachwirkung nach der Rechtsprechung des BAG nicht.63 6.5. Betriebsänderungen in der Insolvenz 6.5.1. Unterrichtung des Betriebsrates Die Insolvenz geht regelmäßig mit Betriebsänderungen einher. So kommt es oftmals zu Betriebsstillegungen oder Betriebseinschränkungen im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG. Auch der Abbau von Personal kann eine Betriebsänderung in diesem Sinne darstellen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Personalabbau erhebliche Teile der Belegschaft betrifft. Die Rechtsprechung orientiert sich hierbei an § 17 Abs. 1 KSchG, der die Anzeigepflicht für die Massenentlassung von Beschäftigten regelt.64 Bei Betrieben mit mehr als 600 Mitarbeitern ist die Personalreduzierung allerdings nur erheblich, wenn sie mindestens fünf Prozent der Gesamtbelegschaft ausmacht.65 Sollen Betriebsänderungen vorgenommen werden, muss in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplanten Betriebsänderungen unterrichtet werden. Diese Pflicht gilt grundsätzlich auch im Insolvenzverfahren und trifft den Insolvenzverwalter. 61 Wolf (Fn. 55), § 120 Rn. 11. 62 Wolf (Fn. 55), §120 Rn. 12. 63 BAG, Urteil vom 10. August 1994 – 10 ABR 61/93. 64 Annuß, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 13. Auflage 2012, § 111 Rn. 73 m.w.N. 65 BAG, Beschluss vom 22. Januar 1988 - 5 AS 1/88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 20 6.5.2. Interessenausgleich Eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG darf erst vorgenommen werden, wenn ein Interessenausgleich zustande gekommen oder erfolglos der Versuch einer Einigung unternommen worden ist. Dies gilt grundsätzlich auch in der Insolvenz. Diese Verpflichtung entfällt auch dann nicht, wenn die Stilllegung eines Betriebes die unausweichliche Folge der wirtschaftlichen Zwangslage ist und es zu ihr keine sinnvolle Alternative gibt. Findet der Versuch eines Interessenausgleichs nicht statt, entstehen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – auch in der Insolvenz - nach § 113 Abs. 3 BetrVG Ansprüche auf Nachteilsausgleich.66 Das Verfahren zur Erreichung eines Interessensausgleichs ist in der Insolvenz allerdings stark beschleunigt. Abweichend von § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG findet ein Vermittlungsversuch des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit nur dann statt, wenn Insolvenzverwalter und Betriebsrat gemeinsam um eine solche Vermittlung ersuchen. Ansonsten können beide Parteien sofort die Einigungsstelle anrufen.67 Ist dem Insolvenzverwalter auch dieses Verfahren zu langwierig, kann er nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO die Zustimmung des Arbeitsgerichts zur Durchführung der Betriebsänderung beantragen . Voraussetzung hierfür ist, dass der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet wurde und ein Interessenausgleich nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn bzw. drei Wochen nach schriftlicher Aufforderung zur Verhandlungsaufnahme zustande gekommen ist. Nach § 122 Abs. 2 InsO erteilt das Gericht die Zustimmung, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens dies unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfordert. Eine Besonderheit stellt der Interessenausgleich nach § 125 InsO dar, der dem Insolvenzverwalter ermöglichen soll, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu kündigen, ohne dass es zu langwierigen Kündigungsprozessen kommt.68 Erforderlich für einen Interessenausgleich nach § 125 InsO ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich erfasst werden. Kommt der Interessenausgleich nicht zustande, kann die Einigung zwischen Verwalter und Betriebsrat nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden. Der Verwalter kann allerdings nach § 126 InsO beim Arbeitsgericht die Feststellung beantragen, dass die Kündigungen bestimmter, namentlich bezeichneter Arbeitnehmer betrieblich bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Anders als im Rahmen des § 125 InsO ist die Überprüfung nicht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt.69 66 BAG, Urteil vom 22. Juli.2003 - 1 AZR 541/02. 67 Kania, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Auflage 2012, BetrVG § 112a Rn. 10. 68 Wolf (Fn. 55), § 125 Rn. 1. 69 Deneke, Die betriebsbedingte Kündigung im Rahmen der übertragenden Sanierung, 1. Auflage 2009, S. 140. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 21 6.5.3. Sozialplan Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient der Sozialplan dem Ausgleich bzw. der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung entstehen. Nicht ausgleichsfähig sind immaterielle Nachteile, wie etwa der Verlust sozialer Beziehungen oder die Entwertung speziellen Wissens.70 Auch in der Insolvenz ist ein Sozialplan aufzustellen. Anders als beim Interessenausgleich ist das Verfahren zur Aufstellung des Sozialplans in der Insolvenz grundsätzlich nicht modifiziert. Besonderheiten ergeben sich allerdings hinsichtlich des Volumens und der insolvenzrechtlichen Behandlung der Leistungen.71 6.5.3.1. Aufstellung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Wird der Sozialplan nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt, ist dessen Volumen nach § 123 Abs. 1 InsO auf einen Gesamtbetrag von 2 ½ Monatsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begrenzt. Dies bedeutet nicht, dass jede Arbeitnehmerin oder jeder Arbeitnehmer eine Abfindung in genau dieser Höhe erhält. Die Vorschrift regelt nur den zur Verfügung stehenden Gesamtbetrag. Bei der Verteilung dieses Gesamtvolumens auf die einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind vielmehr deren soziale Belange zu berücksichtigen.72 Bei den Verbindlichkeiten aus einem in der Insolvenz abgeschlossenen Sozialplan handelt es sich um Masseverbindlichkeiten. Nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO darf zur Erfüllung der Forderungen aus dem Sozialplan allerdings nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne den Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde. An die Sozialplanempfänger darf also nur ein Drittel der verteilungsfähigen Masse ausgekehrt werden. Übersteigt der Gesamtbetrag aller Sozialplanforderungen diese Grenze, werden die einzelnen Forderungen aus dem Sozialplan anteilig gekürzt.73 Da die Sozialplanforderungen stets erst nach allen übrigen Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind, werden sie auch als „Masseverbindlichkeiten zweiter Klasse“ bezeichnet.74 Da nur bei einer zeitnahen Auszahlung der Zweck des Sozialplans, nämlich die Milderung der Nachteile einer Entlassung, erreicht werden kann, soll der Insolvenzverwalter bei hinreichend vorhandenen Barmitteln mit Zustimmung des Insolvenzgerichts Abschlagszahlungen leisten. Eine Zwangsvollstreckung in die Insolvenzmasse ist nach § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO allerdings unzulässig. 70 Kania (Fn. 67), BetrVG § 112a Rn. 12. 71 R. Steffan, in: Düwell, Betriebsverfassungsgesetz, 3. Auflage 2010, § 112a Rn. 70. 72 R. Steffan (Fn. 71), § 112a Rn. 71. 73 R. Steffan (Fn. 71), § 112a Rn. 73. 74 Annuß (Fn. 64), Anh. zu § 113 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000 - 011/12 Seite 22 6.5.3.2. Aufstellung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Wird ein Sozialplan vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt, kann dieser sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden (§ 124 Abs. 1 InsO). Der Widerruf ist an keine Frist gebunden und bedarf keines sachlichen Grundes.75 Wird der Sozialplan widerrufen, ist ein neuer Sozialplan aufzustellen. Für diesen gelten die oben dargestellten Beschränkungen des § 123 InsO.76 Dabei können nach § 124 Abs. 2 InsO Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen Forderungen aus dem widerrufenen Sozialplan zustanden , erneut berücksichtigt werden.77 Bereits ausgezahlte Sozialplanleistungen dürfen nicht wegen des Widerrufs zurückgefordert werden. Sie sind allerdings bei Ermittlung des Gesamtvolumens nach § 123 Abs.1 InsO zu berücksichtigen (§ 124 Abs. 3 InsO). Kommt es zu keinem Widerruf, sind die aus dem Sozialplan stammenden Ansprüche in voller Höhe als Insolvenzforderungen zu berücksichtigen. Dasselbe gilt auch für Ansprüche aus Sozialplänen , die mehr als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden sind.78 Für den Betriebsrat kann es unter Umständen günstiger sein, von seinem Widerrufrecht Gebrauch zu machen und auf einen neuen Sozialplan hinzuwirken. Zwar ist dieser dann nach § 123 Abs. 1 InsO in seinem Gesamtvolumen limitiert. Die daraus resultierenden Ansprüche stellen jedoch keine Insolvenzforderungen, sondern vorweg zu befriedigende Masseverbindlichkeiten dar. 75 Annuß (Fn. 64), Anh. zu § 113 Rn. 11 76 Vgl. hierzu 6.5.3.1. 77 R. Steffan (Fn. 71), § 112a Rn. 75. 78 Annuß (Fn. 64), Anh. zu § 113 Rn. 12.