© 2018 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 010/18 Vorschriften für Alleinerziehende im Rechtskreis des SGB II Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 010/18 Seite 2 Vorschriften für Alleinerziehende im Rechtskreis des SGB II Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 010/18 Abschluss der Arbeit: 29. Januar 2018 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 010/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Mehrbedarf 4 3. Temporäre Bedarfsgemeinschaft 4 4. Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme 6 5. Exkurs: „Stiefkind-Regelung“ 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 010/18 Seite 4 1. Einleitung Der Sachstand geht der Frage nach, ob es im Rechtskreis der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) spezielle Vorschriften für Alleinerziehende gibt. Im Rahmen des SGB II wird lediglich ein sogenannter Mehrbedarf für Alleinerziehende als spezielle finanzielle Unterstützung gewährt. Durch die Regelungen zur temporären Bedarfsgemeinschaft bei getrennt lebenden Eltern soll sichergestellt werden, dass der Lebensunterhalt des minderjährigen Kindes in beiden Bedarfsgemeinschaften gesichert ist. Die Regelung zur Zumutbarkeit einer Arbeitsaufnahme richtet sich an alle Leistungsbezieher. Sie ist für Alleinerziehende mit kleinen Kindern unter Umständen besonders wichtig. Die „Stiefkind -Regelung“ betrifft Bedarfsgemeinschaften, in denen ein Elternteil wieder mit einem neuen Partner zusammenlebt. 2. Mehrbedarf Nach § 21 Abs. 3 Nummern 1 und 2 SGB II wird für Alleinerziehende ein Mehrbedarf in Höhe von 12, 24, 36, 48 oder (höchstens) 60 Prozent des Regelbedarfs für Alleinstehende/Alleinerziehende (seit 1. Januar 2018 416 Euro) anerkannt:1 „(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen 1. in Höhe von 36 vom Hundert des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammen leben, oder 2. in Höhe von 12 vom Hundert des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Vomhundertsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs .“ 3. Temporäre Bedarfsgemeinschaft Kinder getrennt lebender Eltern leben normalerweise überwiegend beim sorgeberechtigten Elternteil und temporär beim umgangsberechtigten Elternteil. Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen (§ 1626 Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Ein Regelungsbedarf kann entstehen, wenn beide Elternteile und Kinder Leistungen nach dem 1 Die Regelung wurde durch den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (Beschlussempfehlung, BT-Drs. 15/1728, S. 181) als Änderung zum „Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 15/1516) eingefügt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 010/18 Seite 5 SGB II beziehen und der finanzielle „Umgangsbedarf“ für die betroffenen Kinder nicht einvernehmlich zwischen den Eltern festgelegt werden kann. Bei Vorliegen dieser sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaften werden die Ansprüche des Kindes (Regel- und ggf. Mehrbedarfe) in den verschiedenen Bedarfsgemeinschaften tageweise berechnet. Mit dem Problem des Leistungsbezugs für Kinder, die sich sowohl bei dem sorgeberechtigten Elternteil , als auch temporär beim umgangsberechtigten Elternteil aufhalten, hat sich das Bundessozialgericht (BSG) im November 2006 beschäftigt. Seinen Ausführungen zufolge entsteht eine temporäre Bedarfsgemeinschaft für die Dauer des Umgangs mit dem umgangsberechtigten Elternteil .2 Der Gesetzgeber hat Vorschriften im SGB II entsprechend der Rechtsprechung des BSG angepasst. Nach § 36 Satz 1 SGB II – Örtliche Zuständigkeit – ist für die Leistungen der Grundsicherung die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.3 Durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 ist § 36 SGB II mit Wirkung zum 1. Januar 2011 neu gefasst worden. „Der neue Satz 3 setzt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur örtlichen Zuständigkeit bei der Ausübung des Umgangsrechts um. Sie ist dann relevant, wenn die umgangsberechtigte Person und die dazugehörigen Kinder nicht an einem Ort wohnen und unterschiedliche Jobcenter zuständig sind.“4 Nach § 36 Satz 3 SGB II ist seitdem für Leistungen an Minderjährige, die Leistungen für die Zeit der Ausübung des Umgangsrechts nur für einen kurzen Zeitraum beanspruchen, der jeweilige Träger an dem Ort zuständig, an dem die umgangsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden grundsätzlich nur auf Antrag erbracht (§ 37 SGB II – Antragserfordernis). Mit einer Änderung von § 38 SGB II - Vertretung der Bedarfsgemeinschaft - hat seit der Neufassung die umgangsberechtigte Person die Befugnis, die Leistungen nach dem SGB II für Kinder im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts zu beantragen und entgegenzunehmen, soweit das Kind dem Haushalt angehört (§ 38 Abs. 2 SGB II). Die ebenfalls zum 1. Januar 2011 eingeführte Vertretungsbefugnis des umgangsberechtigten Elternteils schließt eine Regelungslücke, die durch das richterrechtlich entwickelte Konstrukt einer temporären Bedarfsgemeinschaft entstanden war.5 Der umgangsberechtigte Elternteil kann bei existierender Hilfebedürftigkeit des Kindes dessen Anspruch auf zeitlich anteilige Leistungen nach dem SGB II für die Dauer der Wahrnehmung des Umgangsrechts realisieren. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 18/8041) für ein Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ‒ Rechtsvereinfachung hatte ursprünglich vorgesehen, dass 2 BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az. B 7b AS 14/06. 3 Siehe hierzu auch BSG, Urteil vom 12. Juni 2016, Az. B 14 AS 50/12 R. 4 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404, S. 114. 5 BT-Drs. 17/3404, S. 114. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 010/18 Seite 6 bei allen Elternpaaren, in denen ein Teil SGB II-Leistungen bezieht, der Regelsatz des minderjährigen Kindes, das sich wechselweise in beiden Haushalten der getrennt lebenden Eltern aufhält, entsprechend der Anwesenheitstage aufgeteilt wird. Bisher gilt die Regel nur, wenn beide Elternteile diese Leistungen beziehen. Die geplanten Änderungen wurden zurückgenommen. 4. Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II steht die Erziehung eines Kindes der Zumutbarkeit einer Arbeitsaufnahme nicht entgegen, solange die Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes nicht gefährdet . In einer Familie mit einem Kind, welches das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, kann sich die leistungsberechtigte Person – so auch der Alleinerziehende - wegen der Kinderbetreuung auf die Unzumutbarkeit der Arbeitsaufnahme berufen. Bei Kindern, die das 3. Lebensjahr vollendet haben, ist die Arbeitsaufnahme zumutbar, soweit die Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch oder auf sonstige Weise sichergestellt ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die zuständigen kommunalen Träger darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird.6 5. Exkurs: „Stiefkind-Regelung“ Durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 wird seit dem 1. August 2006 durch § 9 Abs. 2 SGB II auch bei nicht miteinander verheirateten Partnern das Einkommen des Partners auf den Bedarf eines nicht leiblichen Kindes angerechnet.7 Die sozialrechtliche Einstandspflicht übersteigt die zivilrechtliche mit der Folge, dass dem Kind SGB II-Leistungen versagt werden können, wenn der nicht eheliche Partner oder der neue Ehepartner über ausreichendes Einkommen verfügt. Die gesetzliche Regelung entspricht möglicherweise der lebenspraktischen Situation. Sie ist insoweit problematisch, da neue Partner automatisch zum Regelungskreis der Grundsicherung gehören und unter Umständen anteilig hilfebedürftig werden, obwohl das Einkommen für den eigenen Lebensunterhalt ausreicht. Das Bundessozialgericht (BSG) ist der Auffassung, dass es verfassungsgemäß ist, dass bei der Feststellung des Hilfebedarfs eines Kindes, das mit einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, auch das Einkommen und Vermögen dessen Partners zu berücksichtigen ist.8 *** 6 Die Regelung wurde durch den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (Beschlussempfehlung, BT-Drs. 15/1728, S. 174) als Änderung zum „Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 15/1516) präzisiert. 7 Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 16/1410) wurde von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebracht. 8 BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 2/08 R –, BSGE 102, 76-90, SozR 4-4200 § 9 Nr. 7.