© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 009/19 Sanktionsregelungen im Sozialrecht Gesetzliche Änderungen der Sanktionsregelungen im BSHG, SGB II und SGB XII Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 2 Sanktionsregelungen im Sozialrecht Gesetzliche Änderungen der Sanktionsregelungen im BSHG, SGB II und SGB XII Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 009/19 Abschluss der Arbeit: 8. April 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) 5 2.1. Einführung des Bundessozialhilfegesetzes 1962 5 2.1.1. Verweigerung zumutbarer Arbeit, § 25 Abs. 1 BSHG i.V.m. § 18 Abs. 3 BSHG 7 2.1.1.1. Pflichtverletzung 7 2.1.1.2. Rechtsfolge 8 2.1.2. Unwirtschaftliches Verhalten, § 25 Abs. 2 Satz 1 BSHG 9 2.1.2.1. Pflichtverletzung 9 2.1.2.2. Rechtsfolge 9 2.1.3. Weitere Formen unwirtschaftlichen Handelns, § 25 Abs. 2 Satz 2 BSHG 10 2.1.3.1. Pflichtverletzungen 10 2.1.3.2. Rechtsfolge 11 2.1.4. Rücksichtnahme auf Angehörige, § 25 Abs. 3 BSHG 11 2.1.5. Unterbringung in einer Arbeitseinrichtung, § 26 BSHG 11 2.1.6. Mitwirkungspflichten, § 115 BSHG 11 2.2. Zweites Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes 1969 12 2.3. Drittes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes 1974 13 2.4. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (SGB) 1976 13 2.5. Zweites Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur 1982 14 2.6. Gesetz zur Umsetzung des Förderalen Konsolidierungsprogramms 1993 15 2.7. Zweites Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms 1994 16 2.8. Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts 1996 16 2.9. Erstes Gesetz zur Änderung des Medizinproduktegesetzes 1998 17 3. Exkurs: Ruhen der Arbeitslosenhilfe bei Sperrzeit gemäß § 144 SGB III 17 4. Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) 18 4.1. Einführung des SGB II 2005 Fehler! Textmarke nicht definiert. 4.1.1. Pflichtverletzungen 19 4.1.1.1. Verweigerung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II 20 4.1.1.2. Verweigerung, Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung zu erfüllen, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b SGB II 20 4.1.1.3. Verweigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder fortzuführen, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. c und lit. d SGB II 20 4.1.1.4. Abbruch einer zumutbaren Eingliederungsmaßnahme, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 4 4.1.1.5. Verstoß gegen Melde- und Mitwirkungspflichten, § 31 Abs. 2 SGB II 22 4.1.1.6. Absichtliches Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit, § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II 22 4.1.1.7. Unwirtschaftliches Verhalten, § 31 Abs. 4 Nr. 2 SGB II 23 4.1.1.8. Ruhen oder Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I, § 31 Abs. 4 Nr. 3 SGB II 23 4.1.2. Belehrung und Fehlen eines wichtigen Grundes 23 4.1.3. Rechtsfolgen 23 4.1.4. Bezieher von Sozialgeld 24 4.2. Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende 2006 25 4.3. Zweites Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen – JobPerspektive 2007 26 4.4. Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente 2009 26 4.5. Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 2011 27 5. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) 28 5.1. Einschränkung der Leistung bei unwirtschaftlichem Verhalten 28 5.2. Einschränkung der Leistung wegen Ablehnung der Aufnahme einer Tätigkeit 29 5.2.1. Pflichtverletzung 29 5.2.2. Rechtsfolge 30 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 5 1. Einleitung Das 1962 in Kraft getretene Bundessozialhilfegesetz (BSHG) enthielt erstmals einen gesetzlich normierten Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe, vormals öffentliche Fürsorge. Diesem Rechtsanspruch standen Pflichten des Hilfesuchenden gegenüber, deren Verletzung Sanktionen nach sich ziehen konnten. Nachfolgend werden die Änderungen der gesetzlichen Sanktionsregelungen im Bundessozialhilfegesetz sowie im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) seit Einführung des Bundessozialhilfegesetzes 1962 dargestellt. Die Normen werden in ihrer jeweiligen Fassung der damaligen Gültigkeit, d.h. gegebenenfalls auch in entsprechender Rechtschreibung, wiedergegeben. Es wird zudem darauf verwiesen, dass auch die Terminologie der jeweiligen Zeit entspricht. Dargestellt werden nicht sämtliche Änderungen der einschlägigen Normen, sondern lediglich die wesentlichen Veränderungen des Sanktionssystems. 2. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) 2.1. Einführung des Bundessozialhilfegesetzes 1962 Mit dem am 30. Juni 1961 verkündeten1 und am 1. Juni 1962 in Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetz wurde das Recht der öffentlichen Fürsorge im Rahmen einer umfassenden Sozialleistungsreform neugeordnet.2 Grund für die Reform war unter anderem, dass die „bestehenden Fürsorgevorschriften der veränderten sozialen Wirklichkeit nicht mehr“ entsprächen.3 Das Bundessozialhilfegesetz übernahm den bereits zuvor im Fürsorgerecht geltenden Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (Subsidiarität), demzufolge die aus Mitteln der Allgemeinheit zu finanzierende Sozialhilfe nur dann gewährt wurde, wenn der Hilfesuchende nicht selbst in der Lage war, sich zu helfen, oder wenn er die Hilfe nicht von anderen Personen, insbesondere Angehörigen oder anderen Stellen erhielt.4 Dementsprechend bestimmte § 2 Abs. 1 BSHG, dass Sozialhilfe nicht erhielt, wer sich selbst helfen konnte oder die erforderliche Hilfe von anderen erhalten konnte. Zudem enthielt das BSHG nunmehr ausdrücklich den zuvor durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 5 aufgestellten Grundsatz, dass auf die Pflichtleistungen der Fürsorge ein 1 BGBl I 1961 S. 815. 2 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 31. 3 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 31. 4 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 32. 5 BVerwG, Urteil v. 24. Juni 1954 - Az. V C 78.54. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 6 Rechtsanspruch bestehe (§ 4 Abs. 1 BSHG).6 Der Rechtsanspruch bestand in der Regel jedoch nur darauf, dass der Hilfesuchende bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Hilfe erhielt, nicht jedoch in Hinblick auf Form und Maß der Hilfe; diese standen im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers (§ 4 Abs. 2 BSHG). Zur Begründung führte der Gesetzgeber aus, dass sich entsprechend dem fürsorgerischen Prinzip der Individualisierung Form und Maß der Hilfe nicht durch das Gesetz selbst, sondern nach der Lage des Einzelfalles zu bestimmen seien.7 Entsprechend richteten sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe gemäß § 3 Abs. 1 BSHG nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. Dabei sollte den Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richteten, entsprochen werden, soweit sie angemessen waren und keine unvertretbaren Mehrkosten erforderten, § 3 Abs. 2 BSHG. Dem Rechtsanspruch auf Sozialhilfe setzte der Gesetzgeber im BSHG „gewisse Verpflichtungen des Hilfesuchenden“ entgegen mit der Begründung, dass die Kosten der Hilfe aus Mitteln der Allgemeinheit aufgebracht würden.8 Zu den ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannten Verpflichtungen gehört die Pflicht zur Beschaffung des Lebensunterhaltes durch eigene Arbeitsleistung , ehe öffentliche Hilfe gewährt werde (vgl. § 18 BSHG) sowie die Mitwirkungspflichten des Hilfesuchenden bei der Feststellung seines Bedarfs (§ 115 BSHG) und bei dem Streben, ihn von der Sozialhilfe unabhängig zu machen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BSHG). Der Hilfesuchende könne sich nur dann auf den Willen der Allgemeinheit, ihm zu helfen, verlassen, wenn er seinerseits nach seinen Kräften dazu beitrage, seine soziale Notlage zu überwinden oder das mit der Hilfe erstrebte Ziel zu erreichen. Er könne sich daher auf seinen Rechtsanspruch auf Hilfe nur dann berufen, wenn er auch die ihm nach dem Gesetz obliegenden Pflichten erfülle.9 Ein weiteres Anliegen des Gesetzgebers war es, zwischen der grundsätzlichen Hilfe zum Lebensunterhalt und der Hilfe in besonderen Lebenslagen zu unterscheiden (§ 1 Abs. 1 BSHG). Hilfe zum Lebensunterhalt war dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen , beschaffen konnte, § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Der notwendige Lebensunterhalt umfasste insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie „in vertretbarem Umfange“ auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben, § 12 Abs. 1 BSHG. Unter Hilfe in besonderen Lebenslagen wurden alle Arten der Hilfe gefasst, die nicht für den notwendigen allgemeinen Lebensunterhalt gewährt wurden.10 Dazu gehörten gemäß § 27 Abs. 1 BSHG unter anderem Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage, Ausbildungs- 6 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 32. 7 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 32 f. 8 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 33. 9 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 33. 10 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 34. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 7 hilfe, vorbeugende Gesundheitshilfe, Krankenhilfe, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen , Eingliederungshilfe für Behinderte, Blindenhilfe, Hilfe zur Pflege und zur Weiterführung des Haushalts. Die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Hilfe in besonderen Lebenslagen wurden in zwei getrennten Abschnitten des BSHG geregelt, da sie unterschiedliche Voraussetzungen hatten und um die Bedeutung der Hilfe in besonderen Lebenslagen zu unterstreichen.11 Die bis dahin in den geltenden Bestimmungen des Fürsorgerechts verwendete Bezeichnung „öffentliche Fürsorge“ wurde durch den Begriff „Sozialhilfe“ ersetzt. Der Begriff „öffentliche Fürsorge “ wäre in der Öffentlichkeit noch nicht losgelöst von der Vorstellung der Armenfürsorge früherer Zeiten. Zudem würde damit überwiegend die richtsatzmäßige Unterstützung für den Lebensunterhalt gemeint, während die eigentliche Bedeutung des neuen Gesetzes auf dem Gebiet der Hilfe in besonderen Lebenslagen liege und deren Leistungen im damaligen Fürsorgerecht häufig noch nicht ausdrücklich aufgeführt gewesen seien.12 2.1.1. Verweigerung zumutbarer Arbeit, § 25 Abs. 1 BSHG i.V.m. § 18 Abs. 3 BSHG Gemäß § 25 Abs. 1 BSHG hatte, wer sich weigerte, zumutbare Arbeit zu leisten, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. 2.1.1.1. Pflichtverletzung Ob eine Arbeit zumutbar war, richtete sich nach den Bestimmungen des § 18 Abs. 3 BSHG.13 Die Norm entsprach im Wesentlichen der bisherigen Rechtslage.14 Grundsätzlich war jeder Hilfesuchende verpflichtet, seine Arbeitskraft für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen einzusetzen, § 18 Abs. 1 BSHG. Dem Hilfesuchenden durfte jedoch gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 BSHG eine Arbeit nicht zugemutet werden, wenn er körperlich und geistig hierzu nicht in der Lage war oder wenn ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit dadurch wesentlich erschwert würde. Bei einer teilweisen Arbeitsunfähigkeit war der Hilfesuchende verpflichtet, die noch vorhandene Arbeitskraft zu verwerten.15 Für die Zumutbarkeit war jeweils die Entscheidung im Einzelfall maßgebend. So galt beispielsweise eine körperliche Arbeit als unzumutbar, wenn durch ihre Ausübung dem Hilfesuchenden die Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit, die eine besondere Fingerfertigkeit erfordere (z. B. Musiker oder Uhrmacher) wesentlich erschwert würde.16 Grundsätzlich war die Norm eng auszulegen ; zur Überwindung einer augenblicklichen Notlage sei es für den Hilfesuchenden angezeigt, 11 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 37. 12 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 37. 13 Gottschick, Das Bundessozialhilfegesetz, 1962, § 25 Nr. 2. 14 Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), BT-Drs. 03/1799, S. 41. 15 Knopp-Biederbick, Bundessozialhilfegesetz, 1962, § 18, Rn. 3. 16 Gottschick, Bundessozialhilfegesetz, 1962, § 18, Nr. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 8 jede mögliche Arbeit anzunehmen.17 Strittig war, ob bei Personen über 65 Jahren eine Arbeit in der Regel als unzumutbar zu gelten hatte.18 Sonderregelungen galten für Frauen. Ihnen durfte eine Arbeit zudem nicht zugemutet werden, soweit dadurch die geordnete Erziehung ihrer Kinder gefährdet würde. Auch sonst waren bei Frauen die Pflichten zu berücksichtigen, die ihnen die Führung eines Haushalts oder die Pflege von Angehörigen auferlegte, § 18 Abs. 3 Satz 2 BSHG. Im Übrigen verwies § 18 Abs. 3 Satz 3 BSHG auf die in § 78 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aufgezählten Gründe, die den Hilfesuchenden beziehungsweise Hilfeempfänger zur Verweigerung einer zugeteilten oder vermittelten Arbeit berechtigten .19 Demnach lag ein berechtigter Grund nur vor, wenn 1. für die Arbeit nicht das tarifliche oder, soweit eine tarifliche Regelung nicht bestand, das im Berufe ortsübliche Arbeitsentgelt gezahlt wurde oder bindende Bestimmungen über sonstige Arbeitsbedingungen oder Arbeitsschutzvorschriften nicht eingehalten wurden oder 2. die Arbeit dem Arbeitslosen nach seinem körperlichen oder geistigen Leistungsvermögen nicht zugemutet werden konnte oder ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlich erschweren würde oder 3. die Arbeit durch Streik oder Aussperrung frei geworden war, für die Dauer des Streikes oder der Aussperrung, oder 4. die Unterkunft gesundheitlich oder sittlich bedenklich war oder 5. der Arbeitslose sich zur Verrichtung der Arbeit an einem anderen Wohn- oder Aufenthaltsorte als seine Angehörigen aufhalten musste und infolgedessen deren weitere Versorgung wirtschaftlich nicht hinreichend gesichert oder in anderer Hinsicht besonders gefährdet war oder 6. die Arbeit gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstieß. 2.1.1.2. Rechtsfolge Rechtsfolge bei Vorliegen der Voraussetzungen war, dass der Hilfesuchende grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hatte. Die Gewährung von Hilfe war jedoch nicht 17 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 18, S. 80 f. 18 So Knopp-Biederbick, Bundessozialhilfegesetz, 1962, § 18, Rn. 3; a. A.: Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz , 5. Auflage 1968, § 18, S. 80: auch mit über 65 Jahren sei eine Person in der Regel noch arbeitsfähig . 19 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 18, S. 81 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 9 schlechthin ausgeschlossen; es war dem Träger der Sozialhilfe nicht verwehrt, Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Vielmehr konnte er nach seinem Ermessen entscheiden, ob die Hilfe, gegebenenfalls gekürzt, vorübergehend oder in bestimmter Form, aus besonderen Gründen des Einzelfalls gewährt wurde, z. B. wenn zu erwarten war, dass die Bemühungen des Trägers den Hilfesuchenden zur Arbeit anzuhalten, kurzfristig Erfolg haben würden.20 Im Übrigen durfte der Sozialhilfeträger auch bei der Anwendung des § 25 BSHG den Hilfesuchenden nicht vollständig aus seiner Obhut entlassen.21 Der Rechtsanspruch auf Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 27 BSHG) blieb hingegen grundsätzlich unberührt.22 Hier galten besondere Bestimmungen, beispielsweise die Versagung der Eingliederungshilfe für Behinderte bei schuldhafter Gefährdung des Erfolgs, § 45 BSHG. 2.1.2. Unwirtschaftliches Verhalten, § 25 Abs. 2 Satz 1 BSHG Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 BSHG konnte bei einem Hilfeempfänger, der trotz Belehrung sein unwirtschaftliches Verhalten fortsetzte, die Hilfe bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt oder auf Hilfe in einer Anstalt oder in einem Heim beschränkt werden. 2.1.2.1. Pflichtverletzung Unwirtschaftlich handelte, wer unter Berücksichtigung der ihm durch die Allgemeinheit gewährten Hilfe bei allen oder einzelnen seiner Handlungen jede wirtschaftlich vernünftige Betrachtungsweise vermissen ließ. Erforderlich war dabei eine wesentliche Abweichung vom durchschnittlichen Verhalten sowie dass der Hilfeempfänger nach seinen geistigen Fähigkeiten in der Lage war, die Unwirtschaftlichkeit seines Verhaltens nach Belehrung einzusehen.23 Weitere Voraussetzung war, dass der Hilfeempfänger mündlich oder schriftlich dahingehend belehrt wurde, dass und wie er sein unwirtschaftliches Verhalten unterlassen sollte. Der Hilfeempfänger musste also nach der Belehrung bewusst unwirtschaftlich gehandelt haben.24 2.1.2.2. Rechtsfolge Als Folge des unwirtschaftlichen Verhaltens trotz Belehrung konnte die Hilfe auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden. Das zum Lebensunterhalt Unerlässliche betrug bei laufenden Leistungen regelmäßig etwa 80 Prozent der regelsatzmäßigen Unterstützung.25 Es handelte sich um eine Ermessensscheidung; ob und inwieweit der Träger von der Möglichkeit 20 Gottschick, Das Bundessozialhilfegesetz, 1962, § 25 Nr. 3. 21 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 99. 22 Mergler, Bundessozialhilfegesetz, 1963, § 25, S. 82. 23 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 99. 24 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 99. 25 Schellhorn/Jirsasek/Seipp, Das Bundesozialhilfegesetz, 8. Auflage 1974, § 25 Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 10 Gebrauch machte, lag in seinem Ermessen unter Berücksichtigung des Einzelfalles. Eine Verpflichtung zur Kürzung der Leistung bestand nicht. Insbesondere die Rücksichtnahme auf Familienangehörige , vor allem auf noch schulpflichtige Kinder, konnte dazu führen, auf eine Kürzung zu verzichten.26 Der Träger konnte darüber hinaus die Hilfe den besonderen Umständen des Einzelfalles anpassen, z. B. Sach- statt Geldleistungen gewähren.27 Ferner konnte der Träger bei unwirtschaftlichem Verhalten seine Hilfeleistung auf eine Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Anstalt beschränken.28 2.1.3. Weitere Formen unwirtschaftlichen Handelns, § 25 Abs. 2 Satz 2 BSHG § 25 Abs. 2 Satz 2 BSHG zählte weitere Fälle unwirtschaftlichen Verhaltens auf, in denen die Hilfe auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche beschränkt werden konnte. 2.1.3.1. Pflichtverletzungen Ein Hilfesuchender verhielt sich zudem unwirtschaftlich, wenn er sich ohne berechtigten Grund weigerte, sich einer beruflichen Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung zu unterziehen, oder seine Arbeitsstelle ohne wichtigen oder ohne berechtigten Grund aufgegeben hatte oder auf den die übrigen Voraussetzungen des § 79 oder des § 80 Abs. 1 AVAVG zutrafen. Durch den Hinweis auf die §§ 79, 80 Abs. 1 AVAVG wurden noch folgende Einzeltatbestände einbezogen:29 – Nicht regelmäßige Teilnahme an einer beruflichen Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung oder Gefährdung der Durchführung durch sein Verhalten; – wenn der Hilfeempfänger seine Arbeitsstelle durch ein Verhalten verloren hatte, das zur fristlosen Kündigung berechtigte; – wenn der Hilfeempfänger den Verlust seiner Arbeitsstelle vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hatte; – wenn der Hilfeempfänger seine Arbeitsstelle aus einem berechtigten Grunde aufgegeben hatte, ohne zuvor zu dessen Beseitigung einen zumutbaren Versuch unternommen zu haben . 26 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 99 f. 27 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 99. 28 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 99. 29 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 100. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 11 2.1.3.2. Rechtsfolge Bei Vorliegen einer dieser Tatbestände konnte die Hilfe ebenfalls auf das für den Lebensunterhalt Unerlässliche beschränkt werden. Die Beschränkung auf Hilfe in einem Heim oder in einer Anstalt war hingegen nicht vorgesehen. 2.1.4. Rücksichtnahme auf Angehörige, § 25 Abs. 3 BSHG In Bezug auf sämtliche Sanktionstatbestände gemäß § 25 Abs. 1 und 2 BSHG hatte es der Sozialhilfeträger im Rahmen seiner Ermessensentscheidung soweit wie möglich zu verhüten, dass die unterhaltsberechtigten Angehörigen durch die Versagung oder die Einschränkung der Hilfe mitbetroffen wurden. Denn nur der unwirtschaftlich Handelnde selbst, nicht jedoch seine Familienangehörigen sollten durch die Einschränkung der Hilfe getroffen werden.30 2.1.5. Unterbringung in einer Arbeitseinrichtung, § 26 BSHG Weigerte sich jemand trotz wiederholter Aufforderung beharrlich, zumutbare Arbeit zu leisten und war es deshalb notwendig, ihm oder einem Unterhaltsberechtigten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, sah § 26 BSHG die Möglichkeit der Unterbringung in einer abgeschlossenen Anstalt vor. Das entsprechende (gerichtliche) Verfahren richtete sich nach dem damaligen Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen. Ausgeschlossen war die Unterbringung bei Personen unter 18 Jahren oder wenn die Unterbringung eine außergewöhnliche Härte darstellte, § 26 Abs. 2 BSHG. Primäres Ziel der Anstaltsunterbringung war es, auf die Bereitschaft des Untergebrachten hinzuwirken , den Lebensunterhalt für sich und seine Unterhaltsberechtigten durch Arbeit zu beschaffen , § 26 Abs. 3 BSHG. Der Untergebrachte sollte an Arbeit herangeführt und gewöhnt werden sowie in die Lage versetzt werden, für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen zu sorgen . Dazu konnte auch ein Beruf in der Anstalt erlernt werden.31 2.1.6. Mitwirkungspflichten, § 115 BSHG Zu den Pflichten des Hilfesuchenden gehörte auch die Pflicht, bei der Feststellung seines Bedarfs mitzuwirken, soweit ihm dies zuzumuten war, § 115 Abs. 1 BSHG. Der Hilfesuchende hatte insbesondere die erforderlichen Auskünfte zu geben, Bescheinigungen vorzulegen und sich der Begutachtung durch Sachverständige zur Verfügung zu stellen (zum Beispiel zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit).32 Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Pflichten sah die Norm nicht vor. Eine Versagung oder Einstellung der Hilfe war daher nur möglich, wenn sich aus den sonst vorliegenden Informationen keine Aufklärung erreichen ließ. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts ging 30 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 25, S. 100. 31 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 26, S. 105. 32 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 115, S. 373. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 12 jedoch grundsätzlich zu Lasten des Hilfesuchenden, sodass in diesem Fall regelmäßig kein Anspruch auf Sozialhilfe bestand.33 Der Hilfeempfänger war ferner verpflichtet, dem Träger Änderungen der für den Erhalt von Sozialhilfe maßgebenden Tatsachen unverzüglich mitzuteilen, § 115 Abs. 2 BSHG. Auch hier normierte das Gesetz nicht die Folgen einer Pflichtverletzung. In Betracht kamen in der Regel eine Verwarnung und bei wiederholtem Verstoß eine entsprechende Kürzung oder Einschränkung der Hilfe. Eine völlige Einstellung der Hilfe wäre jedoch regelmäßig nicht zu rechtfertigen gewesen.34 2.2. Zweites Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes 1969 Am 1. Oktober 1969 trat das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 14. August 1969 in Kraft.35 In Folge der Aufhebung des AVAVG durch das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wurde in § 18 Abs. 3 Satz 3 BSHG der entsprechende Hinweis gestrichen. Stattdessen wurde § 18 Abs. 3 Satz 1 BSHG dergestalt ergänzt, dass eine Arbeit auch unzumutbar war, wenn ihr ein sonstiger wichtiger Grund entgegenstand. Eine sachliche Änderung ging mit der Neufassung nicht einher; es war im Einzelfall zu prüfen, ob ein solcher Grund vorlag.36 Insbesondere zählte als wichtiger Grund das Angebot einer Arbeit, bei der bindende Bestimmungen über Arbeitsbedingungen oder Arbeitsschutzvorschriften nicht eingehalten wurden oder einer Arbeit, die gegen Gesetze oder die guten Sitten verstieß.37 Zudem wurden die Tatbestände in Bezug auf unwirtschaftliches Verhalten nach § 25 Abs. 2 BSHG ausgedehnt. Die Hilfe konnte nunmehr auch bei einem Hilfesuchenden, der sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert hatte, Leistungen der Sozialhilfe zu beziehen beziehungsweise diese zu erhöhen, auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden , § 25 Abs. 2 Nr. 1 BSHG. In § 25 Abs. 2 Nr. 3 BSHG wurde ebenfalls der Hinweis auf das AVAVG gestrichen und stattdessen die entsprechenden Tatbestände aufgeführt. Ferner wurde § 29a BSHG eingeführt, der die Möglichkeit eröffnete, auch die Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 27 BSHG) unter den Voraussetzungen des neu eingeführten § 25 Abs. 2 Nr. 1 BSHG (vorsätzliche Verminderung des Einkommens oder Vermögens mit dem Ziel, Sozialhilfe zu erhalten) einzuschränken. Voraussetzung war jedoch, dass der Erfolg der Hilfe durch die Einschränkung nicht gefährdet wurde. 33 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 115, S. 374. 34 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 1968, § 115, S. 374. 35 BGBl. I 1969 S. 1153. 36 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 8. Auflage 1974, § 18 Rn. 11, 14 37 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 15. Auflage, § 18 Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 13 2.3. Drittes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes 1974 Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes38, in Kraft getreten am 1. April 1974, wurde § 26 BSHG, der bei wiederholter Arbeitsverweigerung die Unterbringung in einer Anstalt ermöglichte, gestrichen, da in den Ländern keine geeigneten Einrichtungen vorhanden waren und deren Schaffung aufgrund des seltenen Greifens des § 26 BSHG dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht entsprechen würde.39 Zudem wurde die Unzumutbarkeitsregelung des § 18 Abs. 3 Satz 3 BSHG (Erziehung von Kindern , Pflege von Angehörigen, Haushaltsführung) aufgrund der gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen und den tatsächlichen Verhältnissen auch auf Männer ausgedehnt.40 Zuvor war die Regelung auf Frauen beschränkt gewesen. 2.4. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (SGB) 1976 Am 1. Januar 1976 trat das Sozialgesetzbuch Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (SGB) vom 11. Dezember 1975 in Kraft41, das unter anderem gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche , und damit auch für das BSHG, enthielt. Gleichzeitig wurde § 115 BSHG (Mitwirkungspflichten ) gestrichen. Das SGB normierte in den §§ 60 bis 67 SGB die Mitwirkungspflichten der Leistungsberechtigten. Zu den Mitwirkungspflichten zählten die Angabe der für die jeweilige Sozialleistung erheblichen Tatsachen, die Mitteilung von Änderungen der für die Leistung erheblichen Verhältnisse, die Zustimmung zur Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte (§ 60 SGB) sowie die Pflicht, sich den erforderlichen ärztlichen oder psychologischen Untersuchungen zu unterziehen (§ 62 SGB). Die Mitwirkungspflichten unterlagen den in § 65 SGB festgelegten Grenzen. Die Pflichten bestanden beispielsweise nicht, wenn sie in einem unangemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung standen oder die Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden konnte. Zudem sollten sich Leistungsberechtigte auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen (§ 63 SGB) oder an berufsfördernden Maßnahmen teilnehmen (§ 64 SGB). Anders als die Regelung des § 115 BSHG, die, wie unter 2.1.6 ausgeführt, lediglich unselbständige Pflichten zur Mitwirkung enthielt, deren Verletzung allein keine Konsequenzen rechtfertigte , wurden die Folgen einer Verletzung der Mitwirkungspflichten in § 66 SGB eingehend und als eigenständige Maßnahme geregelt.42 38 BGBl. I 1974 S. 777. 39 Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, BT-Drs. 7/308, S. 11 f. 40 Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, BT-Drs. 7/308, S. 10. 41 BGBl. I 1975 S. 3015. 42 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 15. Auflage 1997, § 115, Rn. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 14 Gemäß § 66 Abs. 1 SGB konnte der Leistungsträger bei einer Verletzung der Auskunfts- oder Untersuchungspflichten , die die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwerte, ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen waren. Es handelte sich um eine Ermessensentscheidung, die es erlaubte und verlangte, den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen.43 Kam ein Leistungsberechtigter, der eine Sozialleistung wegen Arbeitsunfähigkeit , wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit oder wegen Arbeitslosigkeit beantragte oder erhielt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 (Untersuchungen), 63 (Heilbehandlung) oder 64 (berufsfördernde Maßnahmen) SGB nicht nach, und war wahrscheinlich , dass deshalb die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wurde, konnte der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, § 66 Abs. 2 SGB. Voraussetzung für die Versagung oder Entziehung von Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung war, dass der Leistungsberechtigte schriftlich auf die Rechtsfolge hingewiesen worden war und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen war, § 67 SGB. 2.5. Zweites Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur 1982 Durch das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22. Dezember 198144, in Kraft getreten am 1. Januar 1982, wurden die Zumutbarkeitsregelungen des § 18 Abs. 3 BSHG geändert . Nach dem neu eingeführten § 18 Abs. 3 Satz 3 BSHG war eine Arbeit nicht allein deshalb unzumutbar, weil 1. sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit des Hilfeempfängers entsprach, 2. sie im Hinblick auf die Ausbildung des Hilfeempfängers als geringerwertig anzusehen war, 3. der Beschäftigungsort vom Wohnort des Hilfeempfängers weiter entfernt war als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort oder 4. die Arbeitsbedingungen ungünstiger waren als bei den bisherigen Beschäftigungen des Hilfeempfängers . Mit den Änderungen sollten die Tatbestände, die es einem Hilfeempfänger ermöglichten, eine Arbeit als unzumutbar abzulehnen, im Gesetz näher beschrieben werden, um Missbräuchen bei der Inanspruchnahme von Sozialhilfe besser wirksam begegnen zu können. Die Regelungen in § 18 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1, 3 und 4 BSHG entsprachen dabei im Wesentlichen den entsprechenden Bestimmungen des § 103 AFG. Darüber hinaus sollte durch die Vorschrift in § 18 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 BSHG klargestellt werden, dass eine Arbeit für den Hilfeempfänger insbesondere auch nicht 43 Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 2. Februar 1978 – VI S 80.77 –, Rn. 17 (zit. nach juris). 44 BGBl. I 1981 S. 1523. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 15 deshalb unzumutbar sei, weil seine Ausbildung ihn zu einer höherwertigeren Beschäftigung berechtigt .45 2.6. Gesetz zur Umsetzung des Förderalen Konsolidierungsprogramms 1993 Das Gesetz über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG)46 vom 23. Juni 1993, in Kraft getreten am 27. Juni 1993, sah auch zahlreiche Änderungen des BSHG vor. In § 18 Abs. 3 Satz 3 BSHG wurde festgelegt, dass die geordnete Erziehung eines Kindes in der Regel nicht gefährdet war, wenn eine Tagesbetreuung des Kindes vom vollendeten 3. Lebensjahr an während der erwerbsbedingten Abwesenheit der Eltern sichergestellt war. Die Sozialhilfeträger hatten darauf hinzuwirken, dass Alleinerziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wurde. Die Folge der Verweigerung zumutbarer Arbeit wurde zudem auch auf zumutbare Arbeitsgelegenheiten gemäß der §§ 19, 20 BSHG erstreckt. Den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt verlor nunmehr gemäß § 25 Abs. 1 BSHG auch, wer sich weigerte, eine zumutbare Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Arbeitsgelegenheiten sollten gemäß § 19 Abs. 1 BSHG für Hilfesuchende, insbesondere für junge Menschen, geschaffen werden, die keine Arbeit finden konnten. Nach § 20 Abs. 1 BSHG sollte, sofern es im Einzelfall erforderlich war, dem Hilfesuchenden zur Förderung seiner Gewöhnung an eine berufliche Tätigkeit oder zur Prüfung seiner Arbeitsbereitschaft für eine notwendige Dauer eine hierfür geeignete Tätigkeit oder Maßnahme angeboten werden. Auch § 25 Abs. 2 BSHG wurde geändert. Stand die Einschränkung der Hilfe bei fortgesetztem unwirtschaftlichen Verhalten oder absichtlicher Minderung des Einkommens oder Vermögens auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche bislang im Ermessen des Trägers („kann“), so „soll“ nunmehr die Hilfe bei Vorliegen der Voraussetzungen eingeschränkt werden. Damit sollte die Zielrichtung der Vorschrift, den Hilfeempfänger zur Aufgabe seines vorwerfbaren Verhaltens zu veranlassen , verstärkt werden.47 Ferner sollte die Hilfe zum Lebensunterhalt eingeschränkt werden für Hilfeempfänger, denen gegenüber das Arbeitsamt eine Sperrzeit verhängt hatte und deren Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG ruhten oder erloschen waren. Die Einschränkung war auf maximal zwölf Wochen begrenzt. 45 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz - 2. HStruktG), BT-Drs 9/842, S. 86. 46 BGBl. I 1993 S. 944. 47 Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms — FKPG —), BT-Drs. 12/4401, S. 81. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 16 2.7. Zweites Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms 1994 Mit dem Zweiten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (2. SKWPG)48 vom 21. Dezember 1993, in Kraft getreten am 1. Januar 1994, wurde in § 18 Abs. 2 Satz 2 BSHG klargestellt, dass Hilfesuchende, die keine Arbeit finden konnten, zur Annahme einer für sie zumutbaren Arbeitsgelegenheit nach §§ 19 oder 20 BSHG verpflichtet waren. Kamen sie dieser Pflicht nicht nach, griffen die Sanktionsmöglichkeiten nach § 25 BSHG. Voraussetzung war jedoch, dass der Träger der Sozialhilfe beziehungsweise die von ihm beauftragte Stelle dem Hilfesuchenden eine zumutbare Arbeitsgelegenheit angeboten hatte.49 2.8. Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts 1996 Das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts50 vom 23. Juli 1996, in Kraft getreten am 1. August 1996, schrieb erstmalig eine Pflicht zur Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt verbindlich für den Fall vor, dass sich der Hilfesuchende weigerte, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbare Arbeitsgelegenheiten nach den §§ 19, 20 BSHG wahrzunehmen. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG war die Hilfe in einer ersten Stufe um mindestens 25 Prozent des maßgebenden Regelsatzes zu kürzen. Der Hilfeempfänger war vorher über die Folgen zu belehren, insbesondere um ihm Gelegenheit zu geben, seine Haltung aufzugeben.51 Laut der Gesetzesbegründung trage der nunmehr vorgeschriebene Umfang der Leistungskürzung dem Umstand Rechnung, dass die Chancen des Hilfeempfängers, seine Bedürftigkeit zu überwinden , deutlich verbessert wurden. Seinen Bedürfnissen könne folglich differenzierter entsprochen werden. In der Praxis sei bislang eine Kürzung in Höhe von 15 bis 25 Prozent des Regelsatzes vorgenommen worden; es sei daher konsequent bei Verweigerung den Regelsatz um mindestens 25 Prozent zu kürzen. Ziel wäre es jedoch auch, die Akzeptanz in der Gesellschaft für soziale Leistungen aufrechtzuerhalten. Weiter wird ausgeführt: „Die Akzeptanz schwindet, wenn die Menschen, die mit ihrer Arbeit soziale Leistungen erst möglich machen, das Gefühl haben, daß sich andere auf ihre Kosten ausruhen. Soziale Leistungen dürfen nicht zu einer falschen Bequemlichkeit führen. Das zerstört Leistungsbereitschaft und höhlt das notwendige Arbeitsethos in der Gesellschaft aus.“52 Je nach Dauer der Verweigerung waren weitere Kürzungen möglich. Die Entscheidung hierüber hatte der Träger der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Er konnte deshalb wie zuvor, soweit dies geboten schien, die Sozialhilfe als Sachleistung erbringen 48 BGBl. I 1993 S. 2374. 49 Schellhorn/Jirasek/Seipp, Bundessozialhilfegesetz 15. Auflage 1997, § 18, Rn. 11a. 50 BGBl. I 1996 S. 1088. 51 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts, BT-Drs. 13/2440, S. 25. 52 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts, BT-Drs. 13/2440, S. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 17 oder ganz streichen. Dies ermögliche nach Ansicht des Gesetzgebers eine sachgerechte und flexible Reaktion unter Beachtung des nötigen Schutzes der unterhaltsberechtigten Angehörigen (§ 25 Abs. 3 BSHG) im Einzelfall.53 Gleichzeitig wurden die Regelungen in § 18 BSHG ergänzt. Nach § 18 Abs. 4 BSHG konnte, soweit es im Einzelfall geboten war, auch durch Zuschüsse an den Arbeitgeber sowie durch sonstige geeignete Maßnahmen darauf hingewirkt werden, dass der Hilfeempfänger Arbeit fand. Laut § 18 Abs. 5 BSHG konnte einem Hilfeempfänger, der eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufnahm, bis zur Dauer von sechs Monaten ein monatlicher Zuschuss gewährt werden. 2.9. Erstes Gesetz zur Änderung des Medizinproduktegesetzes 1998 Im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes54 vom 6. August 1998, in Kraft getreten am 12. August 1998, sollte die Förderung von Hilfeempfängern zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu einem vorrangigen Ziel der Träger der Sozialhilfe werden, § 18 Abs. 5 Satz 1 BSHG. Den Trägern wurde dabei eine aktive Rolle auferlegt und die Regelung als Soll-Regelung ausgestattet, um eine weitgehende Verbindlichkeit für die Träger der Sozialhilfe zu erreichen. Der Gesetzgeber ließ ausdrücklich offen, auf welche Art die Förderung erfolgen sollte, um eine angemessene Berücksichtigung des Einzelfalls zu ermöglichen; einzusetzen war jedoch das gesamte Instrumentarium, vor allem auch die intensive Beratung des Hilfeempfängers .55 Die Höchstdauer der Gewährung eines Zuschusses wurde von sechs auf zwölf Monate verlängert, § 18 Abs. 5 Satz 2 BSHG. 3. Exkurs: Ruhen der Arbeitslosenhilfe bei Sperrzeit gemäß § 144 SGB III Vor Einführung des SGB II war die Arbeitslosenhilfe im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) geregelt. §§ 144, 198 Satz 2 Nr. 6 SGB III56 regelte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe während einer Sperrzeit. Sinn der Sperrzeitregelung war es, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schützen, deren Eintritt der Arbeitslosenversicherte selbst zu vertreten hatte oder zu deren Behebung er unbegründet nicht mithalf.57 § 144 Abs. 1 SGB III enthielt eine Reihe von Tatbeständen, die zu einer Sperrzeit führten. Eine Sperrzeit trat demnach ein, wenn der Arbeitslose 53 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts, BT-Drs. 13/2440, S. 25. 54 BGBl. I 1998 S. 2005. 55 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 13/10422, 1 3/1 0868 - Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes , (1. MPG-ÄndG), BT-Drs. 13/11021, S. 10. 56 § 144 SGB III in der Fassung vom 30. Juli 2004, gültig ab dem 6. August 2004 bis zum 31. Dezember 2004 (außer Kraft); § 198 SGB III in der Fassung vom 23. Dezember 2002, gültig ab dem 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 (außer Kraft). 57 Niesel in: Niesel, SGB III, 2. Auflage 2002, § 144, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 18 1. das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat und er dadurch vorsätzlich oder grobfahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hatte (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe ), 2. trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindert hatte (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung), 3. sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert hatte, an einer Maßnahme der Eignungsfeststellung , einer Trainingsmaßnahme oder einer Maßnahme zur beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung oder einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen (Sperrzeit wegen Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme), oder 4. die Teilnahme an einer in Nummer 3 genannten Maßnahme abgebrochen oder durch maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus einer dieser Maßnahmen gegeben hatte (Sperrzeit wegen Abbruchs einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Der Arbeitslose hatte die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich lagen. Zu den Beschäftigungen zählten auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Dauer der Sperrzeit betrug in der Regel zwölf Wochen, in bestimmten Fällen war die Dauer auf drei beziehungsweise sechs Wochen verkürzt, § 144 Abs. 3 und 4 SGB III. 4. Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) 4.1. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt 2005 Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt58 vom 24. Dezember 2003, in Kraft getreten am 1. Januar 2005, wurde für erwerbsfähige Personen die zuvor im SGB III normierte Arbeitslosenhilfe mit der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) in einem neuen SGB II auf dem Niveau der Sozialhilfe zusammengefasst. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, hatten Anspruch auf Sozialgeld nach dem SGB II. Ein zentrales Anliegen des SGB II ist der Grundsatz „Fördern und Fordern“. Laut Gesetzesbegründung baute das Gesetz auf dem Grundgedanken auf, dass jeder Mensch grundsätzlich selbst dafür verantwortlich sei, seinen Bedarf zum Lebensunterhalt und den seiner Angehörigen zu si- 58 BGBl. I 2003 S. 2954. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 19 chern. Nur soweit er dazu nicht in der Lage sei, habe der Staat die entsprechende Verantwortung .59 Gleichzeitig sollte die Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigeninitiative von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen durch schnelle und passgenaue Eingliederung in Arbeit unterstützen .60 Der Grundsatz des Forderns wurde in § 2 SGB II gesetzlich definiert; demgemäß müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Jeder Leistungsberechtigte muss aktiv an allen Maßnahmen zu seiner Eingliederung in Arbeit mitwirken . Wenn eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht möglich ist, hat die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person eine ihr angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit zu übernehmen. Zudem haben erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sollte nicht nur über Anreize gefördert, sondern auch mit Hilfe von Sanktionen gefordert werden.61 Das Sanktionsrecht des SGB II war ursprünglich vollständig in § 31 SGB II geregelt. Vorläufer des § 31 SGB II waren die Sanktionsbestimmungen des § 25 BSHG und die Sperrzeitregelungen des § 144 SGB III.62 Diese Regelungen wurden in § 31 SGB II für erwerbsfähige Leistungsberechtigte kombiniert.63 § 31 SGB II enthielt ursprünglich neun Tatbestandsvarianten (Pflichtverletzungen). Für eine Sanktionierung eines entsprechenden Verhaltens waren jeweils als weitere Tatbestandsvoraussetzungen das Fehlen eines wichtigen Grundes sowie eine zuvor erfolgte Rechtsfolgenbelehrung erforderlich .64 4.1.1. Pflichtverletzungen § 31 SGB II normierte folgende Pflichtverletzungen: 59 Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs. 15/1516, S. 44. 60 Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs. 15/1516, S. 2. 61 Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs. 15/1516, S. 47. 62 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 2; Hohner, Sanktionen im SGB II, 2017, S. 36; Lauterbach in: Gagel, SGB II / SGB III, 71. EL September 2018, SGB II § 31, Rn. 3. 63 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 2. 64 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 20 4.1.1.1. Verweigerung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II Der erwerbsfähige Hilfebedürftige verletzte seine Pflichten, wenn er sich trotz Belehrung weigerte , eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II. Gemäß § 15 Abs. 1 SGB II sollte die Agentur für Arbeit mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Eingliederungsvereinbarung schließen, die insbesondere bestimmen sollte, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhielt, welche Bemühungen der Hilfebedürftige in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen musste und in welcher Form er die Bemühungen nachzuweisen hatte. Sofern eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kam, waren die entsprechenden Leistungen und Pflichten durch Verwaltungsakt zu bestimmen. Unter das Tatbestandsmerkmal „sich weigern“ fiel jedes vorsätzliche, ausdrückliche oder stillschweigende , schriftliche, mündliche oder in anderer Form erfolgende Verhalten, mit dem der erwerbfähige Hilfebedürftige seine endgültige fehlende Bereitschaft zum Abschluss der Vereinbarung erklärt.65 4.1.1.2. Verweigerung, Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung zu erfüllen, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b SGB II Gleichermaßen eine Pflichtverletzung war die Weigerung, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b SGB II. Die Verweigerung konnte auch gegenüber Dritten erfolgen, z. B. wenn ein Bewerbungsschreiben an einen potentiellen Arbeitgeber so gefasst wurde, dass es einer Nichtbewerbung gleichkam.66 4.1.1.3. Verweigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder fortzuführen, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. c und lit. d SGB II Sanktionen waren ebenfalls möglich, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich weigerte, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder fortzuführen, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. c SGB II. Die Arbeitsgelegenheiten waren in § 16 Abs. 3 Satz 1 SGB II geregelt. Diese wurden für erwerbsfähige Hilfebedürftige geschaffen, die keine Arbeit finden konnten. Dazu gehörten insbesondere die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gemäß §§ 260 ff. SGB III sowie Arbeitsgelegenheiten, die mit Hilfe von Eingliederungszuschüssen nach §§ 217 ff. SGB III geschaffen wurden.67 65 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 12. 66 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 14. 67 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 21 Die Zumutbarkeit war in § 10 SGB II geregelt. Grundsätzlich war jede Arbeit zumutbar, es sei denn, es lag einer der gesetzlich anerkannten Unzumutbarkeitsgründe vor. Gemäß § 10 Abs. 1 SGB II war eine Arbeit unzumutbar, wenn 1. der Hilfebedürftige zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage war, 2. die Ausübung der Arbeit dem Hilfebedürftigen die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Arbeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellte, 3. die Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes des Hilfebedürftigen oder des Kindes seines Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, war in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung sichergestellt war; die zuständigen kommunalen Träger sollten darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wurde, 4. die Ausübung der Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden konnte, 5. der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegenstand. Laut der Gesetzesbegründung war der Auffangtatbestand der „sonstiger wichtiger Grund“ restriktiv anzuwenden. Der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehende individuelle Grund des Erwerbsfähigen müsste im Verhältnis zu den Interessen der Allgemeinheit, die die Leistungen an den Erwerbsfähigen und die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aus Steuermitteln erbringe , besonderes Gewicht haben. Grundsätzlich müssten die persönlichen Interessen der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zurückstehen.68 Wie § 18 BSHG zählte auch § 10 Abs. 2 SBG II solche Gründe auf, die eine Unzumutbarkeit jedenfalls nicht begründen konnten. Demnach war eine Arbeit nicht allein deshalb unzumutbar, weil 1. sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entsprach , für die er ausgebildet war oder die er ausgeübt hatte, 2. sie im Hinblick auf die Ausbildung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als geringerwertig anzusehen war, 3. der Beschäftigungsort vom Wohnort des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen weiter entfernt war als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort, 68 Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs. 15/1516, S. 53. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 22 4. die Arbeitsbedingungen ungünstiger waren als bei den bisherigen Beschäftigungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Die gleichen Maßstäbe galten für die Zumutbarkeit der Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. §§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB III)69 entsprechend, § 10 Abs. 3 SGB II. Ebenfalls sanktioniert war die Weigerung, eine zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II auszuführen. Darunter fielen Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten, die nicht als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert wurden und für die der erwerbsfähige Hilfebedürftige zuzüglich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen erhielt. 4.1.1.4. Abbruch einer zumutbaren Eingliederungsmaßnahme, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II Eine Pflichtverletzung war es auch, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hatte, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Abbruch meinte die vorsätzliche, ausdrückliche oder konkludente, gleich in welcher Form erfolgende Beendigung einer begonnenen Eingliederungsmaßnahme.70 Anlass für den Abbruch gab, wer durch sein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten dem Leistungs - oder Maßnahmenträger Grund gab, die Eingliederungsmaßnahme zu beenden, zum Beispiel durch gezielte Obstruktion oder bewusst bekundetes Desinteresse.71 4.1.1.5. Verstoß gegen Melde- und Mitwirkungspflichten, § 31 Abs. 2 SGB II Sanktioniert wurde auch, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen der Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkam und keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweisen konnte, § 31 Abs. 2 SGB II. 4.1.1.6. Absichtliches Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit, § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II Eine Pflichtverletzung lag auch vor, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger nach Vollendung des 18. Lebensjahres sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert hatte, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen, § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II. 69 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 10, Rn. 27. 70 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 21. 71 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 23 4.1.1.7. Unwirtschaftliches Verhalten, § 31 Abs. 4 Nr. 2 SGB II Ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen sein unwirtschaftliches Verhalten fortsetzte, wurde gleichfalls sanktioniert, § 31 Abs. 4 Nr. 2 SGB II. Laut der Gesetzesbegründung verhielt sich ein hilfebedürftiger Erwerbsfähiger unwirtschaftlich, wenn er unter Berücksichtigung der ihm durch die Allgemeinheit gewährten Hilfe bei allen oder einzelnen seiner Handlungen jede wirtschaftlich vernünftige Betrachtungsweise vermissen ließ und hierbei ein Verhalten zeigte, das vom Durchschnitt wesentlich abwich. 4.1.1.8. Ruhen oder Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I, § 31 Abs. 4 Nr. 3 SGB II Sanktionen traten ferner ein, wenn der Anspruch des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ruhte oder erloschen war, weil die Agentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach dem SGB III festgestellt hatte oder die Voraussetzungen nach dem SGB III für den Eintritt einer Sperrzeit, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründeten, erfüllt waren, § 31 Abs. 4 Nr. 3 lit. a und lit. b SGB II. Diese, auch in § 25 BSHG enthaltene Regelung sollte sicherstellen, dass ein nach dem SGB III Nicht-Berechtigter seinen Bedarf nicht über das SGB II deckte; so sollten die Wirkungen des Sperrzeitrechts gegen Umgehungen geschützt werden.72 4.1.2. Belehrung und Fehlen eines wichtigen Grundes Weitere Tatbestandsvoraussetzungen der § 31 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGB II war jeweils die vorherige Belehrung über die Rechtsfolgen sowie das Fehlen eines wichtigen Grundes für das sanktionierte Verhalten. Ob ein wichtiger Grund vorlag war unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu bestimmen.73 4.1.3. Rechtsfolgen Hinsichtlich der Rechtsfolgen wurde zwischen zwei Altersgruppen unterschieden. Für Leistungsempfänger ab 25 Jahren gab es zwei Sanktionsstufen: Bei Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGB II wurde in einer ersten Stufe der nach § 20 SGB II maßgebliche Regelsatz um 30 Prozent gekürzt. Gleichzeitig entfiel der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II (diesen monatlichen Zuschlag erhielten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die Arbeitslosengeld II innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld bezogen). 72 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 30. 73 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 34 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 24 Bei der Verletzung von Melde- und Mitwirkungspflichten (§ 31 Abs. 2 SGB II) wurde in der ersten Stufe der nach § 20 SGB II maßgebliche Regelsatz um zehn Prozent gekürzt; der Zuschlag nach § 24 SGB II wurde gleichfalls gestrichen. Eine zweite Sanktionsstufe war bei wiederholten Pflichtverletzungen vorgesehen, § 31 Abs. 3 SGB II. Das Arbeitslosengeld wurde in den Fällen der § 31 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGB II um weitere 30 Prozent und in den Fällen des § 31 Abs. 2 SGB II um weitere zehn Prozent gekürzt. Dabei konnten auch die Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt (§ 21 SGB II), für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) und für besondere Bedarfe (§ 23 SGB II) betroffen sein. Wurde der Regelsatz um mehr als 30 Prozent gemindert, konnte der Träger in angemessenen Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Dies galt insbesondere, wenn der Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft lebte. Eine Sanktionierung wegen einer wiederholten Pflichtverletzung war nur möglich, wenn die zweite Pflichtverletzung und die daraus resultierende Absenkung des Arbeitslosengeldes II innerhalb des bereits bestehenden Sanktionszeitraums von drei Monaten lagen.74 Für erwerbsfähige Hilfebedürftige unter 25 Jahren enthielt § 31 Abs. 5 SGB II Sonderregelungen, die schärfere Sanktionen vorsahen. Bei Pflichtverletzungen gemäß § 31 Abs. 1 und 4 SGB II wurde das Arbeitslosengeld auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) beschränkt , wobei die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zudem direkt an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden sollten. Der Träger sollte Sach- und geldwerte Leistungen erbringen, um insbesondere eine angemessene (Lebensmittel-) Versorgung zu gewährleisten.75 Ziel dieser Sonderregelungen war es, der Langzeitarbeitslosigkeit bei jungen Menschen von vornherein entgegenzuwirken.76 Absenkung und Wegfall der Leistungen erfolgten zunächst für jeweils drei Monate, § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II. Die Möglichkeiten des § 25 BSHG, nach (zum Teil gesetzlich eingegrenztem) behördlichen Ermessen die Dauer der Leistungskürzung zu bestimmen beziehungsweise die Leistungskürzung bei Untauglichkeit aufzuheben, sah § 31 SGB II nicht mehr vor.77 4.1.4. Bezieher von Sozialgeld Die Sanktionsregelungen der § 31 Abs. 1 bis 3 und Abs. 6 SGB II galten entsprechend für die Bezieher von Sozialgeld, wenn bei diesen die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2 SGB II (Verletzung von Melde- und Mitwirkungspflichten) oder nach § 31 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SGB II (absichtliches Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit und unwirtschaftliches Verhalten) vorlagen, § 32 SGB II. 74 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BT-Drs. 16/1410, S. 25. 75 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drs. 15/1749, S. 33. 76 Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs. 15/1516, S. 61. 77 Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 31, Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 25 4.2. Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende 2006 Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende78 vom 20. Juli 2006, in Kraft getreten am 1. August 2006, erfolgte eine weitere Änderung der Sanktionstatbestände. § 31 Abs. 1 SGB II wurde auf die in § 15a SGB II neu geschaffenen Sofortangebote erweitert. Gemäß § 15a SGB II sollten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sofort Leistungen zur Eingliederung in Arbeit angeboten werden, sofern sie in den zwei Jahren zuvor keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB III erhalten hatten. Ferner wurden die Sanktionen bei wiederholten Pflichtverletzungen verschärft. Wie ausgeführt, war nach der bis dahin geltenden Gesetzeslage eine Sanktionierung wegen wiederholter Pflichtverletzungen nur möglich, wenn der Verstoß innerhalb des Sanktionszeitraumes von drei Monaten erfolgte. Laut der Gesetzesbegründung habe dies in der Praxis dazu geführt, dass kaum erhöhte Sanktionen eingetreten seien, da eine zweite Pflichtverletzung nach Ablauf von drei Monaten wieder wie eine erste Pflichtverletzung behandelt wurde. Die Sanktionen seien daher nicht in der erforderlichen Intensität zur Geltung gekommen.79 Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB II wurde nunmehr bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung gemindert. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung wurde das Arbeitslosengeld II um 100 Prozent gemindert, § 31 Abs. 3 Satz 2 SGB II. Bei Verletzungen von Melde- und Mitwirkungspflichten (§ 31 Abs. 2 SGB II) wurde das Arbeitslosengeld II um jeweils weitere 10 Prozent gemindert, § 31 Abs. 3 Satz 3. Voraussetzung für eine wiederholte Pflichtverletzung war, dass diese innerhalb eines Jahres seit Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraumes erfolgte, § 31 Abs. 3 Satz 4 SGB II. Lagen die Voraussetzungen für eine Minderung um 100 Prozent vor, konnte der Träger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Minderung auf 60 Prozent der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung begrenzen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich nachträglich bereit erklärte, seinen Pflichten nachzukommen. Auch für Hilfebedürftige unter 25 Jahren war bei einer wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 und 4 SGB II eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um 100 Prozent vorgesehen, § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Der Träger konnte jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls Leistungen für Unterkunft und Heizung erbringen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich nachträglich bereit erklärte, seinen Pflichten nachzukommen, § 31 Abs. 5 Satz 5 SGB II. Zudem konnte der Träger bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren die Absenkung 78 BGBl. I 2006 S. 1706. 79 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BT-Drs. 16/1410, S. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 26 und den Wegfall der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzen, § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II. 4.3. Zweites Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen – JobPerspektive 2007 Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen - JobPerspektive80 vom 10. Oktober 2007, in Kraft getreten am 1. Oktober 2007, wurden weitere Leistungen zur Beschäftigungsförderung geschaffen, die es ermöglichen sollten, für arbeitsmarktferne Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu fördern.81 Gemäß dem neu eingeführten § 16a Abs. 1 SGB II konnten Arbeitgeber zur Eingliederung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit Vermittlungshemmnissen in Arbeit einen Beschäftigungszuschuss als Ausgleich der zu erwartenden Minderleistungen des Arbeitnehmers und einen Zuschuss zu sonstigen Kosten erhalten. Die Sanktionsregelungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. c SGB II wurden auf die mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16a SGB II geförderte Arbeit nach § 16a SGB II ausgedehnt. 4.4. Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente 2009 Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente82 vom 21. Dezember 2008, in Kraft getreten am 1. Januar 2009, wurde § 10 Abs. 2 Nr. 5 SGB II eingeführt. Demgemäß war eine Arbeit nicht allein deshalb unzumutbar, weil sie mit der Beendigung einer Erwerbstätigkeit verbunden war, es sei denn, es lagen begründete Anhaltspunkte vor, dass durch die bisherige Tätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden konnte. Nach der Gesetzesbegründung sollte so dem Grundsatz des Forderns weiter Rechnung getragen werden. Um dem Ziel einer vollständigen und nachhaltigen Beseitigung der Hilfebedürftigkeit gerecht zu werden, müsste abgewogen werden, welche Tätigkeit hierzu geeignet war. Daher könnte der zuständige Träger einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der bereits eine abhängige Beschäftigung (z. B. Minijob) oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübte, auf eine andere Tätigkeit verweisen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit führte. Das persönliche Interesse an der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit müsste gegenüber den Interessen der Allgemeinheit, die die Leistungen an den Erwerbsfähigen und die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aus Steuermitteln erbringe, grundsätzlich zurückstehen. Bei der im Einzelfall notwendigen Abwägung sollte jedoch berücksichtigt werden, dass eine bereits ausgeübte Beschäftigung die Vorstufe zu einer den Bedarf deckenden Beschäftigung sein konnte oder eine 80 BGBl. I 2007 S. 2326. 81 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Verbesserung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen, BT-Drs. 16/5715, S. 7. 82 BGBl. I 2008 S. 2917. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 27 ausgeübte selbständige Tätigkeit nach einem nachvollziehbaren Geschäftsplan künftig einen ausreichenden Überschuss erbringen konnte.83 4.5. Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 2011 Die Sanktionsregelungen des SGB II wurden durch Artikel 2 Nr. 31 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch84 vom 24. März 2011, in Kraft getreten am 1. April 2011, neu gefasst. Für eine bessere Übersichtlichkeit wurde § 31 SGB II auf die Tatbestände der Pflichtverletzungen beschränkt. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzungen wurden in § 31a SGB II normiert; Beginn und Dauer der Minderung legte § 31b SGB II fest. Die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen in Bezug auf Meldeversäumnisse wurden in § 32 SGB II separat geregelt. Neben der schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen war nunmehr auch ausreichend, dass der Leistungsberechtigte Kenntnis davon hatte, §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der Sanktionstatbestand des bisherigen § 31 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB II (Verweigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen) wurde gestrichen. Bereits nach geltendem Recht sollte die Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ersetzt werden, wenn sie nicht zustande kam. Mit der Möglichkeit, einen Verwaltungsakt zu erlassen, stand den Grundsicherungsstellen nach Auffassung des Gesetzgebers ein milderes Mittel zur Verfügung , um verbindliche Pflichten für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu regeln.85 Gleichzeitig wurde klargestellt, dass bei einem Verstoß gegen die in dem Verwaltungsakt festgelegten Pflichten die gleichen Rechtsfolgen wie bei einem Verstoß gegen die in einer Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten eintreten, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Die Sanktionstatbestände des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II wurden auf die Verweigerung, eine mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II geförderte Arbeit anzunehmen, ausgeweitet. Zudem wurde ebenfalls sanktioniert, wer eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antrat, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Mit den in § 31a SGB II geregelten Rechtsfolgen wurden die bisherigen Regelungen weitgehend unverändert übernommen. In Hinblick auf die Gewährung von Sachleistungen an Bedarfsgemeinschaften mit minderjährigen Kindern wurde die bisherige Sollvorschrift zur Verpflichtung der 83 Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, BT-Drs. 16/10810, S. 46. 84 BGBl. I 2011 S. 453. 85 Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404, S. 111. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 28 Leistungsgewährung ausgestaltet, um das Existenzminimum von minderjährigen Kindern besonders zu sichern.86 Die Regelung zu den Meldeversäumnissen nach § 32 SGB II galt wie auch bisher für alle Leistungsberechtigten nach dem SGB II. Die laut Gesetzesbegründung bei Meldeversäumnissen schwierig anzuwendende Vorschrift der wiederholten Pflichtverletzung wurde gestrichen.87 5. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Im Rahmen der Neuordnung der Sozialhilfe wurde das Recht der Sozialhilfe für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch 88 vom 27. Dezember 2003, in Kraft getreten am 1. Januar 2005, im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch normiert. Auch für die Sozialhilfe galt der Grundsatz „Fördern und Fordern“. Für die in der Sozialhilfe verbleibenden Leistungsberechtigten sollten daher die Instrumente zur Förderung eines aktiven Lebens und zur Überwindung der Bedürftigkeit ausgebaut werden. Dabei sollten die Leistungsberechtigten eine größere Verantwortung übernehmen beziehungsweise andernfalls auch Nachteile in Kauf nehmen müssen.89 Das SGB XII sah bei bestimmten Verhaltensweisen des Leistungsberechtigten Einschränkungen der Leistungen vor. Es knüpfte dabei eng an die Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes an. Die entsprechenden Normen haben seit der Einführung des SGB XII keine wesentlichen inhaltlichen Veränderungen erfahren. 5.1. Einschränkung der Leistung bei unwirtschaftlichem Verhalten Gemäß § 26 Abs. 1 SGB XII soll die Leistung bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden bei Leistungsberechtigten, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen, sowie bei Leistungsberechtigten, die trotz Belehrung ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen. Dabei war so weit wie möglich zu verhüten, dass die unterhaltsberechtigten Angehörigen oder andere mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebende Leistungsberechtigte durch die Einschränkung der Leistung mitbetroffen wurden. 86 Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404, S. 112. 87 Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404, S. 112. 88 BGBl. I 2003 S. 3022. 89 Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 15/1636, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 29 Das zum Lebensunterhalt Unerlässliche war nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen .90 In der Regel wurde der Anteil des Regelsatzes, der für die Sicherung des absoluten Existenzminimums unerlässlich war, auf 70 bis 80 Prozent beziffert.91 Es handelte sich um eine Sollvorschrift; der Leistungsträger sollte folglich im Regelfall die Einschränkungen vornehmen, konnte jedoch in atypischen Fällen davon absehen.92 Die Dauer der Einschränkungen stand grundsätzlich im Ermessen des Trägers, die Vorschrift traf diesbezüglich keine Aussage. Der Träger hatte regelmäßig unter Berücksichtigung des Ziels der Regelung, eine Verhaltensänderung herbeizuführen, und der Besonderheiten des Einzelfalles zu prüfen, ob die Kürzung fortgesetzt, andere Maßnahmen in Betracht kämen oder – und sei es nur vorübergehend – die Leistung wieder ohne Kürzung gewährt werden sollte.93 5.2. Einschränkung der Leistung wegen Ablehnung der Aufnahme einer Tätigkeit § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB XII94 sah eine Einschränkung der Leistung vor, wenn Leistungsberechtigte entgegen ihrer Verpflichtung die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung ablehnten. Eine solche Verpflichtung konnte sich aus § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB XII ergeben. 5.2.1. Pflichtverletzung § 11 SGB XII regelte die Beratung und Unterstützung des Leistungsberechtigten durch Sozialhilfeträger und Dritte, die auch die Aktivierung des Leistungsberechtigten zu nachhaltiger Selbsthilfe umfassten. Im Rahmen dessen war Leistungsberechtigten, die zumutbar einer Tätigkeit nachgehen konnten, auch das Angebot einer Tätigkeit zu unterbreiten, § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB XII. Nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB XII waren Leistungsberechtigte, die durch Aufnahme einer zumutbaren Tätigkeit Einkommen erzielen konnten, hierzu sowie zur Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung auch verpflichtet. Wann eine Tätigkeit zumutbar war, regelte § 11 Abs. 4 SGB XII. So war eine Tätigkeit unzumutbar , wenn Leistungsberechtigte 1. wegen Erwerbsminderung, Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit hierzu nicht in der Lage waren oder 90 Streichsbier in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 26, Rn. 4. 91 Groth in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. September 2018, SGB XII, § 26, Rn. 6. 92 Groth in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. September 2018, SGB XII, § 26, Rn. 8. 93 Streichsbier in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 26, Rn. 10. 94 Seit dem 1. Januar 2011 § 39a SGB XII. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 009/19 Seite 30 2. ein der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 35 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) entsprechendes Lebensalter erreicht oder überschritten hatten oder 3. der Tätigkeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegenstand. Ferner war eine Tätigkeit auch unzumutbar, soweit dadurch die geordnete Erziehung eines Kindes gefährdet würde. Die Erziehung eines Kindes ab dem dritten Lebensjahr war in der Regel nicht gefährdet, wenn die Betreuung des Kindes sichergestellt war. Zudem waren auch sonst die Pflichten zu berücksichtigen, die den Leistungsberechtigten durch die Führung eines Haushalts oder die Pflege eines Angehörigen entstanden. Eine Ablehnung der Aufnahme einer Tätigkeit oder einer Teilnahme an einer hierfür erforderlichen Vorbereitung lag vor, wenn sich ein Leistungsberechtigter weigerte, eine ihm angebotene oder konkret nachgewiesene zumutbare Tätigkeit aufzunehmen oder auszuführen. Eine Ablehnung lag auch vor, wenn der Leistungsberechtigte durch sein Verhalten auf andere Weise zum Ausdruck brachte, dass ihm der Wille zum Einsatz seiner Arbeitskraft fehlte.95 5.2.2. Rechtsfolge Gemäß § 39 Abs. 1 SGB XII minderte sich der maßgebende Regelsatz in einer ersten Stufe um bis zu 25 Prozent. Bei wiederholter Ablehnung erfolgte eine Minderung in weiteren Stufen um jeweils bis zu 25 Prozent, sodass letztlich auch eine Reduzierung um insgesamt 100 Prozent erfolgen konnte. Ein Ermessen bestand jeweils nur in Hinblick auf die Höhe der Minderung, die Kürzung selbst war jeweils verpflichtend.96 Die Leistungsberechtigten waren vorher entsprechend zu belehren. Ferner war so weit wie möglich zu verhüten, dass die unterhaltsberechtigten Angehörigen oder andere mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebende Leistungsberechtigte durch die Einschränkung der Leistung mitbetroffen wurden, §§ 39 Abs. 2, 26 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. *** 95 Streichsbier in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 39a, Rn. 4. 96 Gebhardt in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. September 2018, SGB XII, § 39a, Rn. 3