© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000 - 009/16, WD 3 – 3000 - 029/16 Medizinische Untersuchung von Flüchtlingen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000 - 009/16, WD 3 – 3000 - 029/16 Seite 2 Medizinische Untersuchung von Flüchtlingen Aktenzeichen: WD 6 – 3000 - 009/16, WD 3 – 3000 - 029/16 Abschluss der Arbeit: 2. Februar 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales WD 3: Verfassung und Verwaltung Die Punkte 1 bis 5 wurden von dem Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) und der Punkt 6 wurde von dem Fachbereich WD 6 (Arbeit und Soziales) bearbeitet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000 - 009/16, WD 3 – 3000 - 029/16 Seite 3 1. Haben Asylsuchende in der Bundesrepublik Deutschland das Recht auf eine Gesundheitsuntersuchung ? (What is the situation in your country, does asylum seekers have the right to a health check-up?) In der Bundesrepublik Deutschland haben sich Asylsuchende gemäß § 62 Asylgesetz (AsylG) einer verpflichtenden Gesundheitsuntersuchung zu unterziehen. § 62 Abs. 1 AsylG lautet: „Ausländer, die in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen haben, sind verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden. Die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle bestimmt den Umfang der Untersuchung und den Arzt, der die Untersuchung durchführt.“ Hintergrund der Gesundheitsuntersuchung sind Gründe der öffentlichen Gesundheitsvorsorge im Hinblick auf die Gefahr der Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten und die obligatorische Unterbringung von Asylsuchenden in Aufnahmeeinrichtungen für die Dauer von bis zu sechs Monaten gemäß § 47 Abs. 1 AsylG. Das AsylG ist ein Bundesgesetz, welches für alle Bundesländer gilt. Da jedoch die Bundesländer für die Unterbringung von Asylsuchen zuständig sind, obliegt ihnen gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 AsylG auch die Regelung des Umfangs der Untersuchungen. Die Pflicht zur Durchführung einer Gesundheitsuntersuchung der Asylsuchenden ist bundesweit somit einheitlich geregelt, der Untersuchungsumfang kann in den einzelnen Bundesländern jedoch variieren. 2. Ist diese Gesundheitsuntersuchung verpflichtend oder freiwillig? (Is the health check-up compulsory or voluntary?) Die Untersuchung auf übertragbare Erkrankungen ist nicht freiwillig, sondern gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für Asylsuchende verpflichtend und kann auch gegen den Willen des betroffenen Asylsuchenden durchgesetzt werden. Die Anordnung der Gesundheitsuntersuchung stellt einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz dar. Die Einlegung eines Widerspruchs ist gemäß § 11 AsylG nicht statthaft. Stattdessen müsste Rechtsschutz im Wege einer Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung geltend gemacht werden. Allerdings hat eine solche Klage gemäß § 75 AsylG keine aufschiebende Wirkung, sodass die Anordnung der Gesundheitsuntersuchung sofort vollstreckbar ist. Ein Antrag auf Gewährung von vorläufigen Rechtsschutz ist jedoch gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Die sofortige Anwendung eines Zwangsmittels durch Polizeivollzugsbedienstete zur Durchführung der Gesundheitsuntersuchung wäre dagegen nur möglich, sofern dies zur Gefahrenabwehr notwendig erscheint. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000 - 009/16, WD 3 – 3000 - 029/16 Seite 4 3. Wann sollte die Gesundheitsuntersuchung durchgeführt werden? (When should the health check-up be carried out?) Nach § 36 Abs. 4 Infektionsschutzgesetz müssen Asylbewerber, die in eine Gemeinschaftsunterkunft aufgenommen werden sollen, vor oder unverzüglich nach ihrer Aufnahme der Leitung der Einrichtung ein ärztliches Zeugnis darüber vorlegen, dass bei ihnen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose vorhanden sind. Da die Unterbringung von Asylsuchenden in Aufnahmeeinrichtungen obligatorisch ist, erfolgt die Gesundheitsuntersuchung in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Registrierung als Asylsuchende. 4. Könnte die Einreise verweigert werden, wenn sich ein Flüchtling einer solchen Gesundheitsuntersuchung nicht unterzieht? (Could one be denied to enter the country if one does not go through such health checkup ?) Ersucht ein Ausländer bereits bei seiner Einreise bei der Grenzbehörde um Asyl, ist dieser nach § 18 AsylG an die zuständige oder nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung zur Meldung weiterzuleiten . Die Gesundheitsuntersuchung erfolgt erst im Zusammenhang mit der Registrierung als Asylsuchender und der Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung, nicht jedoch bei der Einreise an der Grenze. Die Einreise kann somit nicht wegen einer fehlenden Gesundheitsuntersuchung verweigert werden. 5. Könnte der Aufenthalt verweigert werden, wenn sich ein Flüchtling einer solchen Gesundheitsuntersuchung nicht unterzieht? (Could one be denied a residence permit if not going through such medical check-up?) Maßgeblich für die Gesundheitsuntersuchung ist die Wohnverpflichtung von Asylsuchenden in Aufnahmeeinrichtungen. Solange diese gilt, hat ein Asylsuchender die Gesundheitsuntersuchung zu dulden. Das Asylverfahren wird unabhängig von der Teilnahme an einer Gesundheitsuntersuchung durchgeführt . Erhalten Asylsuchende ein Aufenthaltsrecht und/oder dauert die Wohnverpflichtung nach § 47 Abs. 1 AsylG nicht mehr an, endet auch die Pflicht zur Teilnahme an einer Gesundheitsuntersuchung . 6. Ergänzende Angaben zur Gesundheitsversorgung für Asylsuchende nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das 1993 in Kraft getreten ist, gewährt Grundleistungen zur Existenzsicherung für Asylsuchende und weitere im Gesetz bestimmte andere ausländische Staatsangehörige. Leistungsberechtigt sind gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 AsylbLG Ausländer, denen grundsätzlich nur ein vorübergehender Aufenthalt zur Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland erlaubt ist oder die grundsätzlich über keinen regulären Aufenthaltstitel verfügen, deren Aufenthalt aber aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht beendet werden kann. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000 - 009/16, WD 3 – 3000 - 029/16 Seite 5 Das Gesetz gewährt folglich verschiedenen Gruppen von Ausländern, deren gemeinsames Merkmal ein nicht verfestigtes Bleiberecht und somit ein ungesicherter Aufenthaltsstatus ist, Leistungen für ein menschenwürdiges Existenzminimum. Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten die Leistungsberechtigten nach 15 Monaten tatsächlicher Aufenthaltsdauer in Deutschland sogenannte „Analogleistungen“ entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII). Diese Leistungen sind höher und umfangreicher als Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG erhalten eingeschränkte Leistungen im Krankheitsfall. Gewährt wird in aller Regel in akuten Fällen die Symptombehandlung zur Linderung der Schmerzen, nicht aber die Behandlung chronischer Krankheiten. Über die Gewährung einer Behandlung wird im Einzelfall unter medizinischen Gesichtspunkten entschieden, wobei auch die zeitlich begrenzte Dauer des Aufenthalts der betroffenen Personen berücksichtigt werden muss. Nach § 4 Abs. 1 AsylbLG sind zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arzneiund Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Unter „akut“ sind unvermittelt auftretende, schnell und heftig verlaufende, regelwidrige Körperund Geisteszustände zu verstehen, die aus medizinischen Gründen einer ärztlichen Behandlung bedürfen. Auf die Behandlung von Schmerzzuständen besteht in jedem Fall ein Anspruch, da sich das Wort „akut“ allein auf das Tatbestandsmerkmal Erkrankung bezieht. Unter einem Schmerzzustand ist ein mit einer aktuellen oder potenziellen Gewebsschädigung verknüpfter unangenehmer Sinnes- und Gefühlszustand zu verstehen, der aus medizinischen Gründen einer ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung bedarf. Davon erfasst werden sowohl akute Schmerzen (zum Beispiel Koliken oder Zahnschmerzen etc.), als auch chronische Schmerzen (wie beispielsweise Migräne oder Rheuma etc.). Nicht behandelt werden sollen chronische Krankheiten, das heißt Krankheiten, die sich langsam entwickeln und über mindestens acht bis zehn Wochen anhalten. Die Behandlung solcher nicht akuter Erkrankungen soll auf den Zeitpunkt nach der Anerkennung im Asylverfahren oder einer Rückkehr ins Heimatland aufgeschoben werden können. Tritt bei einer chronischen Erkrankung ein akuter Krankheitszustand auf, z.B. eine Lungenentzündung bei einer HIV-Infektion, dann ist dieser zu behandeln. Eine Versorgung mit Zahnersatz wird nur im Falle der „Unaufschiebbarkeit“ gewährt. Unaufschiebbarkeit bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“. Als Beispiel hierfür wird die Beeinträchtigung des Verdauungssystems durch das Fehlen von Zähnen genannt. Ob ein Zahnersatz unaufschiebbar ist, muss durch medizinische, nicht durch zahnmedizinische Gründe belegt werden. Zahnersatz kann nur in engen Ausnahmenfällen bewilligt werden. Nach § 4 Abs. 2 AsylbLG sind werdenden Müttern und Wöchnerinnen ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000 - 009/16, WD 3 – 3000 - 029/16 Seite 6 Die umfassende und wirksame Versorgung bei Schwangerschaft und Geburt entspricht weitgehend den allgemeinen Maßstäben des deutschen Sozialhilferechts und den rechtlichen Regelungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Die leistungsrechtlichen Merkmale Akutheit, Erforderlichkeit sowie Unaufschiebbarkeit gelten bei Schwangerschaft und Geburt nicht. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG stellt die zuständige Behörde die ärztliche und zahnärztliche Versorgung einschließlich der amtlich empfohlenen Schutzimpfungen sicher. Mit dieser Vorschrift wird eine objektiv-rechtliche Schutzpflicht normiert, um die Behörde zu veranlassen, die organisatorischen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu treffen. Zugleich erweitert die Vorschrift den Leistungsumfang um ein Angebot an die Leistungsberechtigten zur Vervollständigung ihres Impfschutzes. Nach § 6 AsylbLG können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Die Leistungen sind als Sachleistungen, bei Vorliegen besonderer Umstände als Geldleistung zu gewähren. Sind Leistungen zum Schutz des Lebens unverzichtbar und werden diese nicht bereits durch § 4 AsylbLG erbracht, sind sie als sonstige Leistungen gemäß § 6 AsylbLG zu gewähren. Beispiele für unerlässliche Leistungen zur Sicherung der Gesundheit sind die Kostenübernahme einer Behandlung chronischer Erkrankungen, einschließlich der hierfür erforderlichen Versorgung mit Arzneimitteln , oder die Kostenübernahme von ärztlich verordneten Hilfsmitteln wie Orientierungshilfen für Blinde, Hörhilfen, Körperersatzstücke, orthopädische Hilfsmittel oder Brillen. Ende der Bearbeitung