© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 008/16 Opt-out-Regelung zur sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 2 Opt-out-Regelung zur sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 008/16 Abschluss der Arbeit: 1. Februar 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Sozialversicherung für schutzbedürftige Erwerbstätige 4 2. Abgrenzung von selbständiger Tätigkeit zur abhängigen Beschäftigung 5 3. Turnusmäßige Betriebsprüfung durch die Rentenversicherungsträger 6 4. Solo-Selbständige mit nur einem Auftraggeber 7 5. Statusfeststellungsverfahren 8 6. Opt-out-Regelung nicht zweckmäßig 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 4 1. Sozialversicherung für schutzbedürftige Erwerbstätige Der Personenkreis der Erwerbstätigen umfasst Beschäftigte und Selbständige, die sich und ihre Familien in unterschiedlichem Maß in der Sozialversicherung gegen die biometrischen Risiken Langlebigkeit, Krankheit und Tod absichern können. Anknüpfungspunkt für die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung ist die soziale Schutzbedürftigkeit, der unabhängig von der Höhe des Einkommens und dem bestehenden Risiko des Einzelnen zu begegnen ist. Zwar bedeutet die Auferlegung einer Versicherungspflicht zunächst eine finanzielle Belastung, sie bietet aber auf der anderen Seite den solidarischen Schutz der Versichertengemeinschaft. Im Gegensatz zu den abhängig Beschäftigten unterliegen die meisten selbständig Tätigen nicht der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung, weil sie nicht schutzbedürftig sind. So ist davon auszugehen, dass insbesondere klassische Unternehmer eigene Vorkehrungen für ihren sozialen Schutz treffen können. Schwierig ist die Frage der Schutzbedürftigkeit für bestimmte selbständige Personengruppen, deren sozialer Lage eher der von abhängig Beschäftigten, als der von klassischen Unternehmern entspricht . So unterliegen zum Beispiel bestimmte Selbständige, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, als sogenannte arbeitnehmerähnliche Solo-Selbständige aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit unter Umständen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.1 Im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt wird derzeit vielfach ein weiterer Anstieg der Solo-Selbständigkeit prognostiziert, die ohnehin in den letzten Jahrzehnten deutlich angewachsen ist.2 Infolgedessen gewinnen die Abgrenzungskriterien von selbständiger Tätigkeit zur abhängigen Beschäftigung immer mehr an Bedeutung. Mit dem Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999 ist für die konkrete Betrachtung unklarer Abgrenzungsfälle ein Anfrageverfahren eingerichtet worden, das Rechtssicherheit darüber verschaffen soll, ob eine Erwerbstätigkeit als selbständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung einzustufen ist. Die Statusklärung obliegt der bei der Deutschen Rentenversicherung Bund eingerichteten Clearingstelle. Im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens ist zu klären, ob mehr Merkmale für oder gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. Im Falle einer abhängigen Beschäftigung, also einer Scheinselbständigkeit, besteht in der Regel Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung. Vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. werden die Praxis der Clearingstelle und die bestehenden Kriterien zur Unterscheidung von selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung kritisiert: Rigide angewandte, unzeitgemäße Abgrenzungskriterien, langwierige und willkürliche Statusfeststellungsverfahren, widersprüchliche Gerichtsurteile in Verbin- 1 Vgl. unten: 3. Solo-Selbständige mit nur einem Auftraggeber. 2 Grünbuch Arbeiten 4.0, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, April 2015, S. 57. Abrufbar im Internet unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/gruenbuch -arbeiten-vier-null.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 27. Januar 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 5 dung mit unverhältnismäßig hohen Strafen führten zu enormer Verunsicherung bei den Auftraggebern . Dies bedeute für Solo-Selbständige zunehmend erhebliche Probleme, Aufträge zu generieren .3 Vorliegend ist zu prüfen, ob ab einer gewissen Einkommensgrenze durch eine Opt-out-Regelung auf ein Statusfeststellungsverfahren verzichtet werden könnte, um mehr Rechtssicherheit für Solo-Selbständige und Auftraggeber zu erreichen. 2. Abgrenzung von selbständiger Tätigkeit zur abhängigen Beschäftigung Der Begriff der selbständigen Tätigkeit wird im Sozialgesetzbuch nicht definiert. Deshalb ergibt sich das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit im Umkehrschluss nur dann, wenn eine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) auszuschließen ist. Eine abhängige Beschäftigung ist hiernach die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Weder in § 7 SGB IV noch in den spezialgesetzlichen Vorschriften über die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung werden die im Regelfall für das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer Versicherungspflicht maßgeblichen Abgrenzungsmerkmale einer abhängigen Beschäftigung näher definiert. Die Rechtsprechung hat daher die Merkmale einer Beschäftigung und diejenigen einer selbständigen Tätigkeit sowie die Grundsätze, nach denen die festgestellten Tatsachen gegeneinander abzuwägen sind, in einer umfangreichen Rechtsprechung entwickelt.4 Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine abhängige Beschäftigung eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber voraus. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Eine selbstständige Tätigkeit ist hingegen gekennzeichnet durch ein eigenes Unternehmerrisiko, im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Verfügung über die Arbeitszeit, die Verrichtung auf eigene Rechnung, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte sowie eigener Betriebs-, Transport- oder Produktionsmittel, die Haftung bei Mängelleistungen gegenüber Dritten. 3 Kampagne des Verbandes der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V., Abrufbar im Internet unter: http://www.vgsd.de/kampagne-scheinselbststaendigkeit/, zuletzt abgerufen am 27. Januar 2016. 4 Rechtliche Arbeitsanweisungen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung sowie der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Rechtliche Arbeitsanweisungen > Sozialgesetzbuch > SGB IV >Erster Abschnitt (§§ 1-18h) > § 7 Abs. 1 Beschäftigung > R1.1.1 Umfang des Beschäftigungsbegriffs. Abrufbar im Internet unter http://www.deutsche-rentenversicherung-regional.de/Raa/Raa.do?f=SGB4_7ABS1R1.1.1, zuletzt abgerufen am 27. Januar 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 6 Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit vorliegt, hängt von dem Gesamtbild der Tätigkeit ab, in dem die überwiegenden Tätigkeitsmerkmale zu bewerten sind. Hierfür ist maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, während der vertraglichen Gestaltung allein lediglich eine Indizwirkung zukommt. Insoweit sind nur die wirklichen Umstände maßgeblich , unter denen die Arbeit verrichtet wird. Auch wenn Auftraggeber und Auftragnehmer die Tätigkeit als Selbständigkeit vereinbaren, kann nach den tatsächlichen Gegebenheiten dennoch eine abhängige Beschäftigung mit der Folge der Beitragspflicht in der Sozialversicherung gegeben sein.5 Es verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, dass angesichts der Vielzahl denkbarer Fallkonstellationen die versicherten Personen nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normalfall in Form eines Typus beschrieben werden.6 Überwiegen die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung sind die aufgrund der Sozialversicherungspflicht zu zahlenden Beiträge regelmäßig vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu tragen. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist gemäß §§ 28d ff. SGB IV vom Arbeitgeber an die gesetzliche Krankenkasse als zuständige Einzugsstelle zu zahlen. 3. Turnusmäßige Betriebsprüfung durch die Rentenversicherungsträger Die Träger der Rentenversicherung prüfen gemäß § 28p Abs. 1 SGB IV mindestens in vierjährigem Turnus bei allen Arbeitgebern insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der abzugebenden Meldungen. Aufgrund der vierjährigen Verjährungsfrist für Beitragsforderungen ist so sichergestellt, dass der Sozialversicherung zustehende Beiträge zum Beispiel im Falle einer zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarten Scheinselbständigkeit nicht vorenthalten werden können. Im Mittelpunkt der Betriebsprüfung stehen häufig Statusfragen, regelmäßig bei der Frage, ob geschäftsführende Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Arbeitnehmer oder Selbstständige anzusehen sind, in Ehegattenarbeitsverhältnissen, vorrangig aber im Zusammenhang mit dem Verdacht auf Scheinselbstständigkeit. Die in der Prüfung gefundenen Beanstandungen können zu einer Nachforderung von Beiträgen führen. Diese wird gegebenenfalls gegenüber dem betroffenen Arbeitgeber geltend gemacht, soweit sich aus der Betriebsprüfung die Ausübung einer abhängigen Beschäftigung ergibt.7 Liegt eine selbständige Tätigkeit vor, kommt die Nachforderung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung in Betracht, soweit aufgrund der bestehenden Schutzbedürftigkeit Versicherungspflicht besteht. 5 Maiß, Sebastian (2011). Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV. In: ArbRAktuell 2011, 9. 6 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. Mai 1996, Az. 1 BvR 21/96. 7 Brand, Jürgen (2013). Die sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung durch die Träger der Rentenversicherung . In: NZS 2013, 642. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 7 4. Solo-Selbständige mit nur einem Auftraggeber In der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen bestimmte Gruppen selbständig Tätiger der Versicherungspflicht. Gemäß § 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) gehören hierzu selbständig tätige Lehrer und Erzieher sowie Pflegepersonen in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege ohne eigene Mitarbeiter Hebammen und Entbindungspfleger, Künstler und Publizisten nach näherer Bestimmung des Künstlersozialversicherungsgesetzes , Hausgewerbetreibende, Küstenschiffer und Küstenfischer, Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben und Selbständige ohne eigene Mitarbeiter mit nur einem Auftraggeber. Die Auswahl der Berufsgruppen beruht auf einer typisierenden Betrachtungsweise der sozialen Schutzbedürftigkeit, d. h., die Versicherungspflicht tritt bei Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale unabhängig von der konkreten sozialen Schutzbedürftigkeit im Einzelfall ein. Die obligatorische Einbeziehung verschiedener Gruppen von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung stellt eine sachlich gerechtfertigte und damit eine mit dem Grundgesetz in Einklang stehende gesetzliche Maßnahme dar. Auch das Bundessozialgericht hat diesen Ansatz wiederholt bestätigt.8 Die im Gesetz genannten Berufsgruppen unterliegen der Versicherungspflicht selbst dann, wenn sie im Einzelfall zu einer eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge befähigt oder auf Grund ihrer individuellen Lebensverhältnisse nicht schutzbedürftig sind. Selbständige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, deren Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig 450 Euro im Monat übersteigt und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, unterliegen als arbeitnehmerähnliche - so genannte Solo- Selbständige - seit dem Jahr 1999 ebenfalls der Rentenversicherungspflicht. Anders als bei den anderen in § 2 SGB VI genannten Berufsgruppen hängt diese Versicherungspflicht nicht von einem bestimmten ausgeübten Beruf ab und kann daher grundsätzlich jede Art selbständiger Tätigkeit betreffen. Die Vorschrift soll der Erosion des versicherungspflichtigen Personenkreises durch die Umwandlung von Beschäftigung in Auftragsvergabe an Solo-Selbständige entgegenwirken und zugleich diejenigen Selbständigen in die Pflichtaltersvorsorge einbeziehen, die sozial ebenso schutzwürdig erscheinen wie übrige von der Versicherungspflicht erfasste Personen. Die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung sind gemäß § 169 SGB VI von den versicherungspflichtigen Selbständigen mit nur einem Auftraggeber in voller Höhe selbst zu tragen. Die vorhandenen beitragsrechtlichen Regelungen bieten für Selbständige differenzierte Lösungen an, um der besonderen Einkommenssituation dieses Personenkreises gerecht zu werden. Dem 8 U.a. Urteil vom 12. Oktober 2000, Az. B 12 RA 2/99 R. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 8 Grundsatz der Leistungsfähigkeit wird dadurch Rechnung getragen, dass versicherte Selbständige , wenn sie dies wünschen, einkommensgerechte Beiträge zahlen können. Als Mindesteinkommen ist gegebenenfalls die Geringfügigkeitsgrenze von monatlich 450 Euro maßgebend. Ohne besonderen Antrag auf einkommensgerechte Beitragszahlung wird der Regelbeitrag regelmäßig nach einem Einkommen bemessen, das dem Durchschnittsentgelt aller Rentenversicherten entspricht . Bis zum Ablauf von drei Kalenderjahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit kann ohne Nachweis des tatsächlich erzielten Arbeitseinkommens der halbe Regelbeitrag gezahlt werden.9 Bei Vorliegen von Gründen persönlicher Unbilligkeit, z. B. bei wirtschaftlichen Notlagen, können Beiträge im Einzelfall gemäß § 76 Abs. 2 SGB IV gestundet, niedergeschlagen oder erlassen werden. Wird im Rahmen einer Betriebsprüfung festgestellt, dass eine selbständige Tätigkeit für nur einen Auftraggeber ausgeübt worden ist und damit unter Umständen Versicherungspflicht gemäß § 2 Nr. 9 SGB VI besteht, werden die daraus folgenden Pflichtbeiträge rückwirkend für bis zu vier Kalenderjahre nachgefordert. 5. Statusfeststellungsverfahren Der gesetzlichen Krankenkasse obliegt grundsätzlich gemäß § 28h Abs. 2 SGB IV als Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag die Entscheidung über das Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Allerdings sind die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der mindestens alle vier Jahre stattfindenden Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV berechtigt, eigene Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status zu treffen. Um den beteiligten Personen auch in der Zeit vor und zwischen den turnusmäßigen Betriebsprüfungen Rechtssicherheit darüber zu verschaffen, ob im Rahmen der Auftragserledigung eine selbstständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt, regelt § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Anfrageverfahren zur Statusklärung durch die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund angesiedelten Clearingstelle. Mit diesem wird der Status aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles geprüft. Das Anfrageverfahren entfällt, wenn zuvor durch eine Einzugsstelle oder einen Rentenversicherungsträger bereits ein Verfahren zur Feststellung des Status eingeleitet wurde, z. B. durch Übersendung eines Fragebogens oder durch Ankündigung einer Betriebsprüfung. Zur Statusfeststellung antragsberechtigt sind Auftraggeber und -nehmer beziehungsweise Arbeitgeber und -nehmer. Lediglich bei beschäftigten Ehegatten, Lebenspartnern oder Abkömmlingen 9 Für das Jahr 2016 ergeben sich bei dem aktuellen Beitragssatz von 18,7 vom Hundert für versicherungspflichte Selbständige folgende monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung: Westdeutschland Ostdeutschland Mindestbeitrag 84,15 Euro 84,15 Euro Regelbeitrag 543,24 Euro 471,24 Euro Halber Regelbeitrag 271,62 Euro 235,62 Euro Höchstbeitrag 1.159,40 Euro 1.009,80 Euro Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 9 des Arbeitgebers oder geschäftsführenden Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erfolgt gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV ein obligatorisches Statusfeststellungsverfahren. Im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens ist zu klären, ob mehr Merkmale für oder gegen ein bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. Bei etwas mehr als der Hälfte der entschiedenen Fälle ist eine selbständige Tätigkeit festgestellt worden.10 Liegt eine selbständige Tätigkeit vor, wird im Anschluss an das Statusfeststellungsverfahren geprüft, ob Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, zum Beispiel für Selbständige mit einem Auftraggeber , besteht.11 6. Opt-out-Regelung nicht zweckmäßig Die Frage, ob ab einer gewissen Einkommensgrenze durch eine Opt-out-Regelung auf eine Statusfeststellung durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund verzichtet werden könnte, stellt sich für gewöhnlich nicht, da das Anfrageverfahren gemäß § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV ohnehin freiwilliger Natur ist. Zur Vermeidung von Missbrauch durch Scheinselbständigkeit wird das Statusfeststellungsverfahren nur bei beschäftigten Ehegatten, Lebenspartnern oder Abkömmlingen des Arbeitgebers oder geschäftsführenden Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung von Amts wegen angestoßen. Hinter der Kritik an der Praxis der Clearingstelle und an den bestehenden Kriterien zur Unterscheidung von selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung scheint offenbar das Bemühen zu stehen, nicht sozialversicherungspflichtige Erwerbsgelegenheiten für an sich schutzbedürftige Personengruppen zu schaffen. Die Vielschichtigkeit aller möglichen Formen, Erwerbseinkommen zu erzielen, setzt für die objektive konkrete Prüfung des Einzelfalles einen gewissen bürokratischen Aufwand im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens voraus, der jedoch auf jeden Fall durch den daraus entstehenden Nutzen gerechtfertigt ist. So nutzt die rechtskräftige bindende Entscheidung der Clearingstelle durch die dann vorliegende Rechtssicherheit nicht nur dem Einzelnen und seinem Auftraggeber , sondern auch für den Fall der Feststellung einer abhängigen Beschäftigung der solidarischen Versichertengemeinschaft. Gegen falsche Einschätzungen der Clearingstelle besteht der Rechtsschutz durch die Sozialgerichtsbarkeit. Unter Außerachtlassung des Anfrageverfahrens zur Statusfeststellung würde eine mutmaßliche Scheinselbständigkeit ohnehin spätestens im Rahmen der alle vier Jahre stattfindenden Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung aufgedeckt werden. Dies hätte gegebenenfalls 10 Geschäftsbericht der Deutschen Rentenversicherung Bund 2014, Seite 24. Abrufbar im Internet unter http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Bund/de/Inhalt/5_Services/03_broschueren_magazine/01_broschueren /geschaeftsbericht_download.pdf?__blob=publicationFile&v=28, zuletzt abgerufen am 27. Januar 2016. 11 Rechtliche Arbeitsanweisungen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung sowie der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Rechtliche Arbeitsanweisungen > Sozialgesetzbuch > SGB IV > Erster Abschnitt (§§ 1-18h) > § 7a Anfrageverfahren > R2.4.4.2 Keine versicherungspflichtige Beschäftigung. Abrufbar im Internet unter http://www.deutsche-rentenversicherung-regional .de/Raa/Raa.do?f=SGB4_7AR2.4.4.2&a=true zuletzt abgerufen am 27. Januar 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 008/16 Seite 10 hohe Beitragsnachforderungen der Sozialversicherungsträger sowie unter Umständen gemäß § 266a Strafgesetzbuch strafrechtliche Konsequenzen zur Folge. Der Wandel der Wirtschafts- und Arbeitswelt mit größerer Flexibilität wird vermutlich weiterhin einen Anstieg freiberuflicher Möglichkeiten der Erwerbserzielung mit sich bringen. Hier stellt sich wiederum die Frage der sozialen Schutzbedürftigkeit. Aussagefähige Erhebungen, ob und in welcher Form nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige individuell für ihr Alter vorsorgen, sind nicht bekannt. Problematisch ist, dass einem großen Teil der Selbständigen nur ein geringes Einkommen zur Verfügung steht, das sie für ihre Altersversorgung aufwenden können.12 Ob sich Selbständige eigenverantwortlich für das Alter absichern, ist abhängig von ihrer Sparfähigkeit und Sparbereitschaft. Seit Einführung der Grundsicherung im Alter im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist gerade bei geringeren Einkünften aus einer selbständigen Tätigkeit zu befürchten , dass von einer privaten Alterssicherung abgesehen wird, da die hierfür zu leistenden Altersvorsorgeaufwendungen voraussichtlich keine Auswirkung auf die Einkünfte im Alter entfalten und so die sogenannte Trittbrettfahrerproblematik auftritt.13 Umso bedeutender ist die obligatorische Alterssicherung für bestimmte schutzbedürftige Selbständige durch die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine Opt-out-Regelung, nach der ab einer bestimmten Einkommensgrenze auch für abhängig Beschäftigte keine Sozialversicherungspflicht einträte, würde den Sinn und Zweck der Sozialversicherung , nämlich der sozialen Schutzbedürftigkeit unabhängig von der Höhe des Einkommens und dem bestehenden Risiko des Einzelnen zu begegnen, widersprechen. Ende der Bearbeitung 12 Ziegelmeyer, Michael (2010): Das Altersvorsorge-Verhalten von Selbständigen – eine Analyse auf Basis der SAVE-Daten. In: Schmollers Jahrbuch 130, Berlin: Duncker & Humblot, S. 200 – 201. 13 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2011): Verantwortung für Europa wahrnehmen, Jahresgutachten 2011/2012, Achtes Kapitel, Soziale Sicherung: Gute Finanzlage – Nachlässigkeit bei Reformen. Statistisches Bundesamt. Wiesbaden, S. 317 ff.