© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 007/21 Arbeitsrechtliche Regelungen für die Plattformarbeit in Estland, Finnland und dem Vereinigten Königreich Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 2 Arbeitsrechtliche Regelungen für die Plattformarbeit in Estland, Finnland und dem Vereinigten Königreich Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 007/21 Abschluss der Arbeit: 18. März 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Deutschland 4 2.1. Arbeitnehmerbegriff 5 2.2. Arbeitnehmerähnliche Personen 5 2.3. Eckpunkte-Papier „Faire Arbeit in Plattformökonomie“ 6 3. Estland 6 3.1. Arbeitnehmerbegriff 6 3.2. Plattformtätige 7 4. Finnland 7 4.1. Arbeitnehmerbegriff 7 4.2. Plattformtätige 8 4.3. Gesetzgeberische Bestrebungen 8 5. Vereinigtes Königreich 8 5.1. Beschäftigungsstatus 9 5.2. Plattformtätige 9 Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 4 1. Einleitung Die Organisation der Arbeit über digitale Plattformen gewinnt weltweit zunehmend an Bedeutung . Rolle dieser Plattformen ist die Vermittlung zwischen Nutzergruppen. Neben sozialen Kommunikationsplattformen und digitalen Marktplätzen können dies vor allem auch Vermittlungsoder sogenannte Crowdworking-Plattformen sein. Die Tätigkeiten auf Online-Plattformen können als sogenannte Microtasks sehr einfache, aber auch komplexe Arbeiten sein, sie können online oder als reale Leistung (sogenanntes Gigworking) erbracht werden.1 Die Begriffszuordnung ist im Einzelnen jedoch im Schrifttum nicht einheitlich. Dies gilt umso mehr im internationalen Zusammenhang . Bei der rechtlichen Erfassung von Personen, die ihrer Erwerbstätigkeit unter Nutzung digitaler Plattformen nachgehen, ist stets die Frage von Bedeutung, ob die Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder als selbständige Tätigkeit ausgeübt wird. Die arbeitsrechtliche Einordnung von Plattformtätigen in Österreich und Frankreich ist Gegenstand einer früheren Arbeit dieses Fachbereichs: Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste: Arbeits- und sozialrechtlicher Rahmen der Arbeit in der Plattformökonomie in Deutschland, Österreich und Frankreich, Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 vom 17. November 2020, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/resource /blob/819014/6659936434a3ee8a435a34a106c40362/WD-6-091-20-pdf-data.pdf (letzter Abruf: 22. Februar 2021). Im Folgenden sollen die arbeitsrechtlichen Regelungen für Plattformtätige in Estland, Finnland und dem Vereinigen Königreich vorgestellt werden.2 2. Deutschland Spezielle Vorschriften, die den arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Status von in der Plattformökonomie Tätigen regeln, gibt es in Deutschland nicht. Die Vielzahl der unterschiedlichen Plattformangebote lässt auch verallgemeinernde Aussagen über den Status der in diesem Rahmen tätigen Personen nicht zu. Hier kommt es auf die konkreten Rechtsverhältnisse bei den einzelnen Plattformanbietern an, die sehr unterschiedlich gestaltet sein können. So können Mitarbeiter je nach rechtlicher Ausgestaltung als Arbeitnehmer oder als Selbständige für die Plattform tätig werden. 1 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Weißbuch Arbeiten 4.0, Stand: März 2017, S.55 ff., abrufbar im Internetauftritt des BMAS: https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a883-weissbuch.html (letzter Abruf am 27. Oktober 2017); siehe dazu auch Schneider-Dörr, Andreja, Die neue Richtlinie 2019/1152 und die P2B-VO - ein Dilemma für Crowdwork, in: AuR 9/2020, S. 358. 2 Die Informationen wurden, soweit nichts anders vermerkt ist, von den nationalen Parlamenten der jeweiligen Länder zur Verfügung gestellt. Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 5 Überwiegend wird die Tätigkeit - jedenfalls nominell - als selbständige Tätigkeit in Form der sogenannten Solo-Selbständigkeit erbracht. Ob es sich dabei im Einzelfall um Scheinselbständigkeit handelt, die sich in Wahrheit als abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt, ist anhand der Kriterien zu bestimmen, die den jeweiligen Status ausmachen. 2.1. Arbeitnehmerbegriff Der Begriff des Arbeitnehmers ist in § 611a Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)3 definiert. Wesensmerkmal eines Arbeitsverhältnisses ist danach, dass eine Person im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet wird. Dabei ist stets eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Maßgebend ist die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat kürzlich entschieden, dass eine Basisvereinbarung eines Crowdworkers mit dem Betreiber einer Internetplattform, die ihn zur Übernahme von Aufträgen berechtigt, aber für den Crowdworker keine Verpflichtung zur Übernahme von Aufträgen enthält, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis im Sinne des § 611a BGB begründen kann. Entscheidend ist die Organisationsstruktur der Online-Plattform. Ein Arbeitsverhältnis liegt danach vor, wenn der Nutzer seine Tätigkeit in Bezug auf Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.4 Nach dieser Rechtsprechung muss anhand der Organisationsstruktur bewertet werden, ob für digitale Plattformen tätige Personen abhängig beschäftigt oder als selbständig Erwerbstätige anzusehen sind. 2.2. Arbeitnehmerähnliche Personen Für selbständig Erwerbstätige gelten die arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht. Im Einzelfall können sie allerdings zu den sogenannten arbeitnehmerähnlichen Personen gehören, wenn sie wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind. Eine gesetzliche Definition der arbeitnehmerähnlichen Person enthält § 12a Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG)5. Für arbeitnehmerähnliche Personen können nach § 12a TVG von den Sozialpartnern wie für Arbeitnehmer Tarifverträge abgeschlossen werden. Des Weiteren haben arbeitnehmerähnliche Personen wegen der mit Arbeitnehmern vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit insbesondere Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, Arbeitsschutzmaßnahmen, Schutz vor Diskriminierung und Anspruch auf Mutterschutz. Die Legaldefinition des § 12a Abs. 1 TVG findet dabei keine unmittelbare Anwendung in den anderen Bereichen; jedoch können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts deren Auslegungskriterien herangezogen werden. 3 Das BGB ist abrufbar in der Gesetzesdatenbank des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb (letzter Abruf: 21. Januar 2021), die auch eine Übersetzung in englischer Sprache zur Verfügung stellt. 4 BAG, Urteil vom 1. Dezember 2020 - (9 AZR 102/20), die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. 5 Das TVG ist abrufbar in der Gesetzesdatenbank des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: https://www.gesetze-im-internet.de/tvg (letzter Abruf: 21. Januar 2021). Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 6 2.3. Eckpunkte-Papier „Faire Arbeit in Plattformökonomie“ Ein Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur gesetzlichen Regelung plattformvermittelter Arbeit vom November 2020 sieht konkrete Maßnahmen vor, um Plattformbetreiber stärker in die Verantwortung zu nehmen und die Rechte sogenannter Plattformtätiger zu stärken. So sollen solo-selbständige Plattformtätige unter finanzieller Beteiligung der Plattformbetreiber in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Auch eine verbesserte Unfallabsicherung soll erreicht werden. Zur Verbesserung der Durchsetzung geltenden Rechts soll eine Beweislastregelung zugunsten der Plattformtätigen eingeführt werden, die die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses erleichtert. Für solo-selbständige Plattformtätige soll die kollektivrechtliche Organisation zur Aushandlung ihrer Arbeitsbedingungen ermöglicht werden. Zur Sicherung fairer Arbeitsbedingungen will das BMAS außerdem verbindliche Mindestkündigungsfristen regeln sowie die entsprechende Anwendbarkeit wichtiger arbeitsrechtlicher Schutzregelungen wie Entgeltfortzahlung, Urlaub oder Mutterschutz. Ermöglicht werden soll schließlich eine verbesserte Kontrolle der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformbetreiber. 3. Estland Auch in Estland ist die Klärung des Beschäftigungsstatus rechtlich von Bedeutung. Es gibt jedoch keine besonderen Bestimmungen, die den arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status von Personen regeln, die in der Plattformökonomie arbeiten. 3.1. Arbeitnehmerbegriff Ein Arbeitsvertrag liegt nach dem estnischen Arbeitsvertragsgesetz vor, wenn eine natürliche Person (Arbeitnehmer) eine Arbeit für eine andere Person (Arbeitgeber) in Unterordnung unter die Leitung und Kontrolle des Arbeitgebers verrichtet. Der Arbeitgeber zahlt dem Arbeitnehmer für diese Arbeit ein Entgelt. Die Regelung von Arbeitsverträgen in Estland werde im juristischen Schrifttum jedoch als zu streng empfunden und biete nicht genügend Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union (EU) über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen6, die den Begriff des Arbeitnehmers als eine natürliche Person definiert, die für eine bestimmte Zeit gegen Entgelt Dienstleistungen für und unter der Leitung einer anderen Person erbringt, wird nach Auskunft des estnischen Reichstags (Riigikogu) eine Änderung der Definition des Arbeitsvertrags erfordern, weil die "Tätigkeit" des Arbeitnehmers im estnischen Arbeitsrecht anders beschrieben werde. Insbesondere kenne es den Begriff der "Erbringung von Dienstleistungen" im Rahmen des Arbeitsrechts nicht. Die Erbringung von Dienstleistungen ist danach im estnischen Schuldrecht geregelt. 6 Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union vom 20. Juni 2019; sie ist von den Mitgliedstaaten bis zum 1. August 2022 in nationales Recht umzusetzen. Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 7 3.2. Plattformtätige Plattformtätige werden in der estnischen Rechtsprechung zumeist als selbständige Dienstleister betrachtet, die nicht dem Arbeitsrecht sondern dem Schuldrecht unterliegen. Dies wird auch von Plattformen unterstützt, die sich selbst als bloße Vermittler in solchen Beziehungen sehen. Dabei können Plattformtätige ihre Dienstleistungen anbieten, indem sie sich als Einzelunternehmer registrieren lassen oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gründen. Seit Januar 2019 ist es daneben auch möglich, als natürliche Person Dienstleistungen anzubieten, indem man ein spezielles Unternehmerkonto eröffnet. Das Unternehmerkonto schafft eine neue, einfache und kostengünstige Form der Geschäftstätigkeit. Buchhaltung und Steuererklärung sind bei der Nutzung eines Unternehmerkontos nicht erforderlich, da die Steuerpflicht auf der Grundlage der Zahlungen auf das Unternehmerkonto berechnet wird. Ein Unternehmerkonto gilt daher auch als geeignete Form der selbständigen Erbringung von Dienstleistungen über digitale Plattformen. 4. Finnland In Finnland gibt es ebenfalls keine spezifischen Bestimmungen zum arbeits-und sozialversicherungsrechtlichen Status von Personen, die in der Plattformökonomie arbeiten. Es gilt die traditionelle Unterscheidung zwischen einem Arbeitsverhältnis und dem selbständigen Unternehmertum . Selbständige Plattformtätige genießen grundsätzlich keinen arbeitsrechtlichen Schutz, da das Arbeitsvertragsgesetz auf sie keine Anwendung findet. 4.1. Arbeitnehmerbegriff Voraussetzung für ein Arbeitsverhältnis ist nach den Bestimmungen des finnischen Arbeitsvertragsgesetzes 7 ein Vertrag, in dem sich ein Arbeitnehmer oder mehrere Arbeitnehmer gemeinsam als Team verpflichten, gegen Entgelt persönlich für einen Arbeitgeber unter dessen Leitung und Aufsicht Arbeit zu verrichten. Ausdrücklich ist die Anwendung des Arbeitsvertragsgesetzes nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Arbeit von der Wohnung des Arbeitnehmers oder einem von ihm gewählten Ort aus oder unter Verwendung seines eigenen Arbeitsgeräts erbracht wird. Wesensmerkmale des Arbeitnehmerstatus sind danach die Beschäftigung im Dienst eines anderen , die Arbeitsleistung, die Vergütung sowie die Weisungsgebundenheit. Sofern diese Merkmale kumulativ vorliegen, ist das Arbeitsverhältnis zwingend als Angestelltenverhältnis zu qualifizieren . Auf die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Vertragsparteien kommt es nicht an. Auch durch Tarifvertrag kann der Begriff des Arbeitsverhältnisses nicht abweichend geregelt werden. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen Arbeitsverhältnis und selbständiger Erwerbstätigkeit ist in der Praxis das Merkmal der Leitung und Aufsicht. Dabei ist es nach der finnischen 7 Das Arbeitsvertragsgesetz (Työsopimuslaki/Arbetsavtalslag/Employment Contract Act 55/2001) ist in der finnischen Online-Gesetzesdatenbank in englischer Sprache abrufbar: en20010055.pdf (finlex.fi) (letzter Abruf: 16. März 2021). Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 8 Rechtsprechung für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses ausreichend, dass der Arbeitgeber ein Direktionsrecht und die wirksame Möglichkeit zu Leitung und Kontrolle hat, die tatsächliche Ausübung dieses Rechts ist nicht erforderlich. Gesetzliche Bestimmungen zur selbständigen Erwerbstätigkeit gibt es im finnischen Recht nicht. Sie definiert sich durch die Abgrenzung zum Arbeitsverhältnis. Indizien für eine Selbständigkeit sind Bandbreite und Öffentlichkeit der Tätigkeit sowie Ertragsabsicht. Besonders starke Indizwirkung kommt daneben dem wirtschaftlichen Risiko zu. Bei der Statusbestimmung wird stets eine Würdigung der Gesamtumstände vorgenommen. 4.2. Plattformtätige Eine generelle Zuordnung von Plattformtätigen ist aufgrund der unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Plattformbetreiber nicht möglich. Sie muss im Einzelfall anhand der genannten Kriterien vorgenommen werden. Entscheidend kommt es dabei auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und insbesondere auf das Vorliegen technischer Lösungen zur Sicherstellung von Leitung und Aufsicht durch die Plattformbetreiber an. 4.3. Gesetzgeberische Bestrebungen Zur Lösung der Probleme bei der Bestimmung des Tätigkeitsstatus in der Plattformökonomie auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen wurde im finnischen Ministerium für Wirtschaft und Arbeit eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die in ihrem Abschlussbericht verschiedene alternative Lösungsansätze vorgeschlagen hat. Neben einer möglichen Klärung durch die zukünftige Rechtspraxis wurde eine Ergänzung des Anwendungsbereichs des geltenden Arbeitsvertragsgesetzes vorgeschlagen, sodass davon auch die Besonderheiten der Plattformökonomie erfasst werden. Schließlich wird die Schaffung eines eigenen Gesetzes zur Plattformarbeit in Erwägung gezogen. Gesetzgeberische Folgerungen aus diesen Vorschlägen sind derzeit offenbar noch nicht erkennbar. 5. Vereinigtes Königreich Auch das britische Recht kennt keine Sonderregelungen für den arbeitsrechtlichen Status von Personen, die in der im Vereinigten Königreich überwiegend als „gig-economy“ bezeichneten Plattformökonomie erwerbstätig sind. In den letzten Jahren hat es jedoch vor allem in der Rechtsprechung wichtige Entwicklungen zur Feststellung des Beschäftigungsstatus von Plattformtätigen gegeben. Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 9 5.1. Beschäftigungsstatus Arbeitnehmerrechte sind im Vereinten Königreich im Wesentlichen durch Gesetz festgelegt. Die einzelnen Vorschriften richten sich überwiegend nach der Begriffsbestimmung in Section 230 des Employment Rights Act 1996.8 Danach werden zwei Beschäftigungskategorien unterschieden: Als „employees“ werden Personen bezeichnet, die auf Grundlage eines Arbeitsvertrages tätig sind, der keiner besonderen Form bedarf und insbesondere auch stillschweigend abgeschlossen sein kann. Ein Arbeitsvertrag liegt vor, wenn jemand aufgrund gegenseitiger Verpflichtung persönlich gegen Entgelt Arbeit verrichtet; der Arbeitgeber muss darüber ein ausreichendes Maß an Kontrolle ausüben. Als „workers“ werden Personen eingestuft, die technisch betrachtet selbständig sind, jedoch ihre Dienstleistung als Teil eines Unternehmens erbringen, das von jemand anderem betrieben wird. Employees genießen vollen arbeitsrechtlichen Schutz, für die Gruppe der workers gelten dagegen nur die grundlegenden Arbeitnehmerschutzrechte wie zum Beispiel der gesetzliche Mindestlohn, Arbeitszeitvorschriften, bezahlten Erholungsurlaub, Gewerkschaftsrechte sowie Schutzrechte für Whistleblower.9 Die Gruppe der „self-employed“ umfasst selbständig Erwerbstätige, die auf eigene Rechnung arbeiten und selbst Verträge mit Kunden abschließen. Sie sind vom Employment Rights Act nicht erfasst von Arbeitnehmerschutzrechten weitestgehend ausgeschlossen.10 5.2. Plattformtätige Für die Zuordnung der Plattformtätigen zu einer dieser drei Statusgruppen kommt es wie dargelegt wesentlich auf das zugrundeliegende Vertragsverhältnis an. In der Rechtsprechung ist seit einigen Jahren eine Tendenz erkennbar, Plattformtätige als workers zu betrachten und ihnen somit gesetzliche Ansprüche etwa auf Mindestlohn und bezahlten Urlaub zu gewähren. 8 Der Employment Rights Act 1996, Section 230 ist abrufbar in der britischen Online-Gesetzesdatenbank: https://www.legislation.gov.uk/ukpga/1996/18/section/230 (letzter Abruf: 16. März 2021). 9 Eine Aufzählung der für employees bzw. workers geltenden Arbeitschutzvorschriften findet sich bei Pyper, Doug: Employment Status, UK Parliament – House of Commons Library Briefing Paper No. CBP 8045, 28 march 2018 (engl.), S. 4, abrufbar im Internetauftritt der House of Commons Library: https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/cbp-8045 (letzter Abruf: 16. März 2021). 10 Vgl. dazu im Einzelnen Pyper, Doug (Fn. 9): Employment Status, UK Parliament – House of Commons Library Briefing Paper No. CBP 8045, 28 march 2018 (engl.), S. 7 ff. Wissenschaftliche Dienste WD 6 - 3000 - 007/21 Seite 10 So hat der Oberste Gerichtshof des Vereinten Königreichs (Supreme Court of the United Kingdom - UKSC) als höchstes Gericht in Zivilsachen in einer aktuellen Entscheidung vom 19. Februar 2021 die Fahrer der Fahrdienstleistungsplattform Uber als workers eingestuft.11 Ausschlaggebend dafür waren in diesem Verfahren folgende Gesichtspunkte: Die Fahrpreise und die Vertragsbedingungen wurden von Uber festgelegt und die Fahrer konnten bestraft werden, wenn sie einen bestimmten Prozentsatz der angebotenen Fahrten nicht annahmen, außerdem kontrollierte Uber die Art und Weise der Diensterbringung durch Beschränkung der Kommunikation zwischen Fahrer und Fahrgästen, Überprüfung der Fahrzeuge, Festlegung der Routen und Entfernung von Fahrern mit schlechter Bewertung von der Plattform. In der Entscheidungsbegründung hebt das Gericht hervor, gerade die Tatsache, dass Arbeitgeber Vertragsbedingungen häufig einseitig diktieren könnten, erfordere nach der gesetzgeberischen Intention die Anwendung der Bestimmungen zum Arbeitnehmerschutz. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen , wenn Arbeitgeber durch vertragliche Bezeichnung bestimmen könnten, wer als worker zu gelten habe und wer nicht. Eine Besonderheit bei der statusrechtlichen Beurteilung von Plattformarbeit sind sogenannte Substitutionsklauseln. Grundsätzlich ist nach britischem Recht eine Einstufung als worker nur möglich, wenn eine Verpflichtung zu persönlicher Arbeitsleistung vorliegt. Der High Court of England and Wales (EWHC) hat 2018 entschieden, dass Fahrer eines Essenslieferdienstes, die berechtigt sind, die Arbeitsleistung durch eine Ersatzperson zu erbringen, als self-employed ohne arbeitsrechtlichen Schutz gelten.12 Die Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit Unionsrecht wurde 2020 im Vorabentscheidungsverfahren zu einem ähnlichen Fall vom Gerichtshof der Europäischen Union (Europäischer Gerichtshof - EuGH) bestätigt.13 *** 11 Uber BV and others v Aslam [2021] UKSC 5, abrufbar im Internetauftritt des UKSC: https://www.supremecourt.uk/cases/docs/uksc-2019-0029-judgment.pdf (letzter Abruf: 16. März 2021); vgl. dazu auch Ferguson, Daniel: Uber at the Supreme Court: Who is a worker?, UK Parliament – House of Commons Library Insight, 22 february 2021 (engl.), abrufbar im Internetauftritt der House of Commons Library: https://commonslibrary.parliament.uk/uber-at-the-supreme-court-who-is-a-worker/ (letzter Abruf: 16. März 2021). 12 R (IWGB) v Central Arbitration committee [2018] EWHC 3342 (Admin). 13 EuGH, Beschluss vom 22. April 2020 – C-692/19, Yodel Delivery Network Ltd, abrufbar im Internetaufritt des EUGH: https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?nm=C-692/19&language=DE (letzter Abruf: 2. März 2021).