© 2014 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 003/14 Fachkräftemangel und Arbeitsvolumen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 2 Fachkräftemangel und Arbeitsvolumen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 003/14 Abschluss der Arbeit: 24. Januar 2014 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Entwicklung des Arbeitsvolumens 5 2.1. Das tatsächlich geleistete Arbeitsvolumen 5 2.2. Das potenzielle Arbeitsvolumen 8 3. Regelungen zur Arbeitszeit 10 4. Regelungen zum Arbeitsentgelt 14 5. Fazit 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 4 1. Einleitung Der Fachkräftemangel in Deutschland, der für die kommenden Jahrzehnte von zahlreichen Forschungseinrichtungen prognostiziert wird, und die bereits eingetretenen Fachkräfteengpässe in bestimmten Branchen, Berufen und Regionen beschäftigen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Zu diesem Themenbereich gibt es daher eine Vielzahl von Studien, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden.1 Die letzte Bundesregierung hat im Jahr 2011 ein Fachkräftekonzept und im Jahr 2012 eine ressortübergreifende Demografiestrategie beschlossen.2 Hierbei geht es insbesondere auch um Maßnahmen zur Sicherung der Fachkräftebasis für den deutschen Arbeitsmarkt. Im Vordergrund steht dabei die Aktivierung „inländischer Potenziale“, aber auch die gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland stellt demzufolge eine mögliche Handlungsoption dar. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat mehrere Handlungsfelder zur Bewältigung eines drohenden Fachkräftemangels identifiziert: Die Reduzierung der Abbrecherquoten bei Schülern, Auszubildenden und Studenten, eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit und des Arbeitsvolumens bzw. der Lebensarbeitszeit von Frauen und Älteren, eine gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und die Erhöhung der Arbeitszeit von Beschäftigten in Vollzeit.3 Die BA geht davon aus, dass zusätzlich geleistete Arbeitsstunden im Effekt zusätzlichen „Vollzeitäquivalenten “ (Vollzeitstellen) entsprechen. Gelänge eine freiwillige Verlängerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 41,8 auf 42,5 Stunden, würde dies nach Berechnungen der BA 0,4 Millionen bis 1,1 Millionen zusätzlichen Vollzeitäquivalenten entsprechen. Dies bedürfe jedoch im Vorfeld einer Reihe von Maßnahmen seitens der Tarifpartner und der Bundesregierung . Die Bundesregierung könnte, so der Vorschlag der BA, steuerliche Anreize für jene Arbeitsstunden schaffen, die über der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit liegen, indem sie zum Beispiel die Regelung für Nacht- und Feiertagszuschläge auf sämtliche Überstunden ausweitet. Die Tarifpartner könnten, so die BA weiter, den vorhandenen tariflichen und innerbetrieblichen Spielraum für zusätzliche Überstunden erweitern und die Umwandlung von geleisteten Über- 1 Vgl. z.B. Kolodziej, Daniela (2012). Fachkräftemangel in Deutschland. Statistiken, Studien und Strategien, Infobrief der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags vom 26. März 2012. http://www.bundestag.btg/ButagVerw/W/Ausarbeitungen/ (letzter Abruf am 15. Januar 2014). 2 Vgl. Fortschrittsbericht 2012 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Pressemitteilungen/2013/fortschrittsbericht-fachkraefte- 2013-01.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf am 15. Januar 2014); Vgl. Internetauftritt der Bundesregierung zur Demografiestrategie: http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Demografiestrategie/_node.html (letzter Abruf am 15. Januar 2014). 3 Bundesagentur für Arbeit (2011). Perspektive 2025: Fachkräfte für Deutschland, Nürnberg, S. 14-15. http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/Veroeffentlichungen/Sonstiges/Perspektive-2025.pdf (letzter Abruf am 15. Januar 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 5 stunden in Freizeit reduzieren, damit die Überstunden tatsächlich zur Steigerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit beitragen.4 Der vorliegende Sachstand erläutert im Folgenden die Entwicklung des Arbeitsvolumens in Deutschland und stellt Studien vor, die sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit die Erhöhung des Arbeitsvolumens, insbesondere des „potenziellen Arbeitsvolumens“, eine mögliche Strategie im Umgang mit dem prognostizierten Fachkräftemangel in Deutschland darstellen kann. Abschließend werden gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeit und zum Arbeitsentgelt erläutert. 2. Entwicklung des Arbeitsvolumens 2.1. Das tatsächlich geleistete Arbeitsvolumen Das Arbeitsvolumen, das vom Statistischen Bundesamt ausgewiesen wird, umfasst die tatsächlich geleistete Arbeitszeit aller Erwerbstätigen, die als Arbeitnehmer oder als Selbständige bzw. als mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben . Bezahlte, aber nicht geleistete Arbeitsstunden (Jahresurlaub, Feiertage, Kurzarbeit oder krankheitsbedingte Abwesenheit) gehören nicht zum Arbeitsvolumen. Quellen zur Berechnung der durchschnittlichen tatsächlich geleisteten Arbeitszeit sind Geschäftsstatistiken der BA, der Mikrozensus, der Tarifindex, das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), die Krankenstandstatistik des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).5 Das IAB erstellt ebenfalls eine regelmäßige Arbeitszeitrechnung (AZR), deren Endergebnis das Arbeitsvolumen darstellt. Die aggregierten Ergebnisse der AZR gehen seit 1996 in die vierteljährliche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes ein. Die AZR basiert auf einer differenzierten Komponentenrechnung, deren Bestandteile mithilfe von mehr als 20 Statistiken ermittelt werden.6 Die durchschnittliche Arbeitszeit der Beschäftigten wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst: – institutionelle Faktoren (z.B. tarifliche Arbeitszeit), – konjunkturelle Faktoren (z.B. Kurzarbeit, Überstunden), 4 Vgl. Fn 3, Bundesagentur für Arbeit, Perspektive 2025, S. 39-40. 5 Statistisches Bundesamt, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, Wiesbaden. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Arbeitsmarkt/Methoden/ArbeitszeitArbeit svolumen.html (letzter Abruf am 15. Januar 2014). 6 Wanger, Susanne, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen und Ergebnisse der Arbeitszeitrechnung, in: Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv (AStA), (Jg. 7), 2013, H. 1-2, S. 31-69 (33-34). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 6 – sonstige Faktoren (z.B. Krankenstand, Nebenbeschäftigung). Ebenso muss der Wandel der Erwerbsformen wie beispielsweise die Verschiebung von Vollzeitzur Teilzeitarbeit berücksichtigt werden.7 Langfristig betrachtet ist das Arbeitsvolumen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen. Das Arbeitsvolumen und die Jahresarbeitszeit unterliegen jedoch in der Betrachtung kürzerer Zeiträume Auf- und Abwärtsschwankungen. In den Jahren 2006 bis 2008 nahm die Vollzeitbeschäftigung aufgrund der guten konjunkturellen Entwicklung deutlich zu und es wurden 500.000 zusätzlichen Vollzeitjobs geschaffen. Die tarifliche Wochenarbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten verlängerte sich von durchschnittlich 38,05 auf 38,09 Wochenstunden. Allerdings wurden im Aufschwung 2006 bis 2008 deutlich weniger bezahlte Überstunden geleistet als in der Aufschwungphase von 1999 bis 2001. Der Anteil der bezahlten Überstunden am gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumen der Arbeitnehmer war mit drei Prozent geringer als in der vorhergehenden Aufschwungphase mit 3,5 Prozent. Insbesondere die vermehrte Einführung von Arbeitszeitkonten hat zum Rückgang bezahlter Überstunden beigetragen. Inzwischen haben rund 50 Prozent aller Beschäftigten flexible Arbeitszeitkonten. Die Salden auf den Arbeitszeitkonten waren bis zum vierten Quartal 2008 um 5,3 Stunden je Arbeitnehmer angewachsen, in den Jahren 1999 bis 2001 nur um 3,4 Stunden.8 Der Krankenstand hat im Jahr 2007 einen historischen Tiefstand erreicht. Er lag mit 3,2 Prozent um fast zwei Prozentpunkte unter dem Stand am Anfang der 1990er Jahre. Immer mehr Beschäftigte üben auch einen Nebenjob aus. Von 2006 bis 2008 nahm ihre Zahl von 0,4 Millionen auf knapp 2,5 Millionen Personen zu. Die Jahresarbeitszeit der Beschäftigten ging zur selben Zeit um 0,1 Prozent auf 1.339 Stunden zurück, dennoch nahm aufgrund der steigenden Beschäftigung das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen um 3,7 Prozent zu. Damit war die Beschäftigungsintensität des wirtschaftlichen Wachstums in den Jahren 2006 bis 2008 – gemessen am Arbeitsvolumen – deutlich höher als im Aufschwung von 1999 bis 2001.9 Im Krisenjahr 2009 verkürzten viele Betriebe mit unterschiedlichen Flexibilisierungsinstrumenten die Arbeitszeit, um die Beschäftigten mit ihrem betriebsspezifisches Wissen und Können halten zu können. Dieses so genannte Horten von Arbeitskräften hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit aufgrund der Wirtschaftskrise sehr gering ausfiel . In den Betrieben wurde Kurzarbeit vereinbart, Überstunden und Arbeitszeitguthaben abgebaut , die tarifliche Arbeitszeit temporär verkürzt und Teilzeitarbeit ausgebaut. Aufgrund dieser Maßnahmen ging die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Arbeitnehmer um 41,2 Stunden zu- 7 Brücker, Herbert; Klinger, Sabine; Möller, Joachim; Walwei, Ulrich (Hg.). Handbuch Arbeitsmarkt 2013. Analyse , Daten, Fakten, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Bielefeld: Bertelsmann, S. 23 (IAB-Bibliothek 334). 8 Vgl. Fn 7, Brücker u.a. Handbuch Arbeitsmarkt 2013, S. 23. 9 Vgl. Fn 7, Brücker u.a., Handbuch Arbeitsmarkt 2013, S. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 7 rück (ein Minus von 3,3 Prozent), während die Zahl der Beschäftigten nahezu konstant blieb. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen ging um 2,7 Prozent zurück.10 Die flexible Arbeitszeitgestaltung in den Betrieben hat in den Jahren 2010 bis 2011 dann auch maßgeblich zur konjunkturelle Erholung beigetragen. Indem immer weniger kurzgearbeitet, die betriebsüblichen Arbeitszeiten wieder eingeführt, Arbeitszeitguthaben wieder aufgebaut und mehr bezahlte Überstunden geleistet wurden, erhöhte sich die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Erwerbstätigen von 2009 auf 2010 wieder um 1,8 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten stieg um 0,5 Prozent, das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen um 2,3 Prozent. Dieser Trend hat sich im Jahr 2011 fortgesetzt.11 Die aktuelle Erwerbstätigenrechnung des Statistischen Bundesamtes weist bezogen auf das Jahr 2012 für alle Erwerbstätigen in allen Wirtschaftsbereichen insgesamt 58,1 Milliarden geleistete Arbeitsstunden aus. Das ist der höchste Wert seit dem Jahr 2000, in dem die Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen bei 57,9 Milliarden lag. Dieser Trend setzte sich fort. Das Arbeitsvolumen stieg im dritten Quartal 2013 im Vergleich zum Vorjahresquartal weiter um 1,2 Prozent an. Auf jeden Beschäftigten kamen im Durchschnitt 11,8 bezahlte Überstunden und die Guthaben auf den Arbeitszeitkonten wuchsen um durchschnittlich 0,8 Stunden.12 Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Beschäftigten lag nach Angaben des IAB im dritten Quartal 2013 bei 30,2 Stunden. Vollzeitbeschäftigte arbeiteten im Durchschnitt 38,2 Stunden und Teilzeitbeschäftigte 15 Stunden.13 Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat in seiner Datenbank „GenderDatenPortal“ berechnet, dass die durchschnittlichen tatsächlichen Wochenarbeitszeiten der abhängig Vollbeschäftigten deutlich über den tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeiten gelegen haben. 2010 arbeiteten demzufolge vollzeitbeschäftigte Männer durchschnittlich 3,3 Stunden länger als tarifvertraglich vereinbart, bei den Frauen habe die Differenz zwischen tariflicher und geleisteter Arbeitszeit zwei Stunden betragen. 1997 habe diese Differenz bei 2,5 bzw. 1,5 Stunden gelegen.14 10 Vgl. Fn 7, Brücker u.a., Handbuch Arbeitsmarkt 2013, S. 24, Vgl. auch Fn 6, Wanger, Susanne, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland, S. 32. 11 Vgl. Fn 7, Brücker u.a., Handbuch Arbeitsmarkt 2013, S. 25. 12 Presseinformation des IAB vom 9. Dezember 2013, Arbeitsvolumen im dritten Quartal 2013 auf 14,9 Milliarden Stunden gestiegen. http://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/az1303.aspx (letzter Abruf am 16. Januar 2014). 13 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Durchschnittliche Arbeitszeit und ihre Komponenten in Deutschland, Stand: Dezember 2013, S. 1. http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/2013/tab-az1303.pdf (letzter Abruf am 15. Januar 2014). 14 http://www.boeckler.de/39343.htm (letzter Abruf am 22. Januar 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 8 Das Tarifarchiv des WSI weist für das Jahr 2012 eine durchschnittliche tariflich vereinbarte Wochenarbeitszeit von 37,7 Stunden und eine durchschnittliche Jahresarbeitszeit von insgesamt 1.655,5 Stunden je Beschäftigten aus. Demnach ist die tarifliche Jahresarbeitszeit von durchschnittlich 1.659,5 Stunden im Jahr 1998 auf 1.655,5 im Jahr 2012 gesunken, 1990 lag diese in der alten Bundesrepublik bei 1.689,1 Stunden je Beschäftigten. Die tariflich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag nach Angaben des Tarifarchivs sowohl 1998 wie 2012 bei 37,7 Stunden, 1990 lag sie in der alten Bundesrepublik bei 38,4 Stunden.15 2.2. Das potenzielle Arbeitsvolumen Das Arbeitsvolumenpotenzial ist ein hypothetisches Konstrukt. Ähnlich wie das Erwerbspersonenpotenzial (EPP) gibt es an, wie groß das Arbeitsangebot, gemessen in Stunden, tatsächlich ist. Bislang kann die Statistik nur das realisierte Arbeitsvolumen beobachten (siehe 2.1.). Mit dem Arbeitsvolumenpotenzial können jedoch Prognosen darüber getroffen werden, wie groß das Arbeitsvolumen wäre, wenn jeder Erwerbsfähige seine individuellen Arbeitszeitwünsche realisieren könnte. Für die Bestimmung des Arbeitsvolumenpotenzials wird der Mikrozensus herangezogen. Bei dieser Befragung wird neben der tatsächlich geleisteten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auch die gewünschte wöchentliche Arbeitszeit erfragt. Aus der Antwort der Befragten lässt sich das Arbeitsvolumenpotenzial bestimmen, welches sich aus dem realisierten Arbeitsvolumen und dem nicht realisierten potenziellen Arbeitsvolumen zusammensetzt. Liegt die Zahl der individuell gewünschten wöchentlichen Arbeitsstunden über den tatsächlich regelmäßig geleisteten Wochenstunden , wird dies als ein nicht ausgeschöpftes Arbeitsangebot interpretiert. Die für das Jahr hochgerechnete Differenz der beiden Werte beziffert hierbei das nicht ausgeschöpfte individuelle Arbeitsvolumenpotenzial.16 Das IAB hat anhand eigener Berechnungen erstmals eine auf Arbeitsstunden bezogene Prognose für Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt erstellt. Das Arbeitsvolumenpotenzial liegt demnach auch 2030 noch über der benötigten Arbeitsmenge. Dies stelle, so das IAB, mit Blick auf den prognostizierten Fachkräftemangel in Deutschland ein etwas „entspannteres Szenario“ auf dem Arbeitsmarkt dar, als die reine Personenbetrachtung. Dennoch würden auch bei der Volumenbetrachtung Engpässe insbesondere im Bereich der mittleren Qualifikationsabschlüsse sichtbar. Bei den Berufen im Gesundheitsbereich sehe die Situation sogar dramatischer aus als bei der Personenbetrachtung . 17 Über eine Ausweitung der Arbeitszeit der Beschäftigten sind nach den Berechnungen des IAB zusätzliche Potenziale auf dem deutschen Arbeitsmarkt vorhanden und aktivierbar. In dem Berufshauptfeld „Gesundheits- und Sozialberufe, Körperpfleger“ ergebe sich zwar auch bei der Vo- 15 http://www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_2198.htm (letzter Abruf am 22. Januar 2014). 16 Zika, Gerd; Helmrich, Robert; Kalinowski, Michael u.a., Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen bis 2030. In der Arbeitszeit steckt noch eine Menge Potenzial, in: IAB-Kurzbericht 18/2012, S. 8. http://doku.iab.de/kurzber/2012/kb1812.pdf (letzter Abruf am 16. Januar 2014). 17 Vgl. Fn 16, Zika, Gerd u.a., In der Arbeitszeit steckt noch eine Menge Potenzial, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 9 lumenbetrachtung in der Projektion ein deutlicher Nachfrageüberschuss, aber bei der großen Mehrheit der Berufshauptfelder führe die Volumenbetrachtung zu einer „entspannteren“ Situation als die Personenbetrachtung. So ergebe sich bei den „Be-, verarbeitenden und instandsetzenden Berufen“ sowie den „Berufen im Warenhandel und Vertrieb“ kein Engpass mehr. In der Gastronomie führe die reine Personenbetrachtung zu einem großen Nachfrageüberhang, während hingegen bei einer Stundenbetrachtung ein geringer Angebotsüberhang zu beobachten sei. In der Gastronomie arbeiteten viele Menschen in Teilzeit, die sich eine Verlängerung ihrer Arbeitszeit vorstellen könnten, so das IAB.18 Das IAB kommt in dieser Qualifikations- und Berufsfeldprojektion zu folgendem Ergebnis: „Auch wenn gerade für den tertiären Bereich die Jahresarbeitszeit und die Erwerbsquoten insgesamt – darunter auch die für Frauen – auf dem jeweils höchsten Niveau liegen, sollten die Rahmenbedingungen dahingehend verbessert werden, dass die vorhandenen Arbeitszeitpotenziale leichter aktiviert werden können. Insbesondere im mittleren Qualifikationssegment könnte so den drohenden Fachkräfteengpässen entgegenwirkt werden. Hier dürfte es vor allem bei den Frauen sowohl bei der Erwerbsbeteiligung als auch bei der Arbeitszeit noch Spielraum nach oben geben.“19 Der zu verzeichnende Rückgang des durchschnittlichen Arbeitsvolumens in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten wird stark durch den Trend von der Vollzeit- zur Teilzeitarbeit geprägt. Zwischen 1991 und 2010 hat die Teilzeitquote aller Erwerbstätigen um 19 Prozentpunkte von 15,7 Prozent auf 34,7 Prozent zugenommen. Insbesondere erwerbstätige Frauen sind teilzeitbeschäftigt . Damit unterscheidet sich der Frauenanteil am Arbeitsvolumen deutlich von dem der Männer. 2010 lag er lediglich bei 43 Prozent, obwohl mittlerweise fast die Hälfte der Erwerbstätigen in Deutschland Frauen sind. Aufgrund des höheren Teilzeitanteils der Frauen liegt auch ihre Jahresarbeitszeit bei nur gut 70 Prozent der erwerbstätigen Männer. 20 Im Jahr der Krise hat sich der Aufbau von Teilzeitbeschäftigung weiter fortgesetzt. Im Jahr 2009 ist die Zahl der Arbeitnehmer in Vollzeitbeschäftigung um 253.000 Personen (1,1 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten erhöhte sich im selben Zeitraum um 272.000 Personen (2,2 Prozent).21 Das IAB kommt in einer Analyse aus dem Jahr 2011 zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der regulär teilzeitbeschäftigten Frauen die vereinbarte Arbeitszeit gerne ausweiten würde. Hier be- 18 Vgl. Fn 16, Zika, Gerd u.a., In der Arbeitszeit steckt noch eine Menge Potenzial, S. 6-7. 19 Vgl. Fn 16, Zika, Gerd u.a., In der Arbeitszeit steckt noch eine Menge Potenzial, S. 10. 20 Wanger, Susanne; Weber, Brigitte; Fuchs, Johann (2013). Kann ein Anstieg der Arbeitszeit den Rückgang des Arbeitskräfteangebots kompensieren? in: Göke, Michale; Heupel, Thomas (Hg.), Wirtschaftliche Implikationen des demografischen Wandels, Springer: Wiesbaden, S. 335-348 (S. 343 iVm Fn 19). 21 Vgl. z.B. die Pressemitteilung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) vom 28. Juni 2011: Nach der Krise: Teilzeit nimmt im Trend weiter zu, Jahresarbeitszeit sinkt. http://www.iwh-halle.de/e/publik/presse/24-11.pdf (letzter Abruf am 20. Januar 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 10 stehe ein beachtliches Arbeitspotenzial, das bei entsprechenden Rahmenbedingungen, insbesondere einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, erschlossen werden könne.22 In einer weiteren eigenen Berechnung, die auch Erwerbslose und Personen der so genannten Stillen Reserve einbezieht, kommt das IAB auf 64,6 Milliarden Stunden potenzielles Arbeitsvolumen im Jahr 2008. Die geleisteten Arbeitsstunden wären um 13 Prozent höher gewesen, wenn auch die nicht beschäftigten Erwerbspersonen gearbeitet hätten, so das Fazit des IAB. Für die Analyse wurden die Arbeitszeitrechnung des IAB und Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) herangezogen. Anhand des SOEP konnten die Arbeitszeitwünsche von Erwerbslosen und Personen der Stillen Reserve23 ermittelt werden. 24 Nach den Berechnungen des IAB würde das Arbeitsvolumenpotenzial bis 2050 von rund 65 Milliarden Stunden auf 46 Milliarden Stunden sinken – unter der Annahme einer Nettozuwanderung von 100.000 Personen, einer steigenden Erwerbsquote und gleichbleibenden Arbeitszeitstrukturen . Dieser Wert entspricht einem Anteil von 72 Prozent am potenziellen Arbeitsvolumen, das das IAB für das Jahr 2008 errechnet hat. Dies ist das Ausgangsszenario der IAB-Projektion.25 Das IAB hat mit Hilfe von drei exemplarischen Szenarien mit unterschiedlichen Annahmen berechnet , welche Auswirkungen eine längere Jahresarbeitszeit auf das Arbeitsvolumenpotenzial hat. Im ersten Szenario werden die Arbeitszeitwünsche der Teilzeitbeschäftigten berücksichtigt. Analysen des SOEP zeigen, dass zwei Drittel der teilzeitarbeitenden Männer und die Hälfte der teilzeitbeschäftigten Frauen gerne ihre Arbeitszeit auf 30 bzw. 25 Wochenstunden ausweiten würden . Könnten diese Verlängerungswünsche realisiert werden, läge die Arbeitszeit aller Teilzeitbeschäftigten bei 26 Stunden statt vorher 20 Stunden. 2050 läge das Arbeitsvolumenpotenzial unter diesen Annahmen bei 48,7 Milliarden Stunden, also vier Prozentpunkte über dem Ausgangsszenario . Allerdings macht das IAB hier darauf aufmerksam, dass es insbesondere im Hin- 22 Wanger, Susanne, Ungenutzte Potenziale in der Teilzeit. Viele Frauen würden gerne länger arbeiten, in: IAB- Kurzbericht 9/2011, S. 1. http://doku.iab.de/kurzber/2011/kb0911.pdf (letzter Abruf am 20. Januar 2014). 23 Zur so genannten Stillen Reserve gehören: Personen, die beschäftigungslos sowie verfügbar sind und Arbeit suchen, ohne als Arbeitslose registriert zu sein; Personen, die die Arbeitsuche aufgegeben haben, aber bei guter Arbeitsmarktlage Arbeitsplätze nachfragen würden; Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in Warteschleifen des Bildungs- und Ausbildungssystems; Personen, die aus Arbeitsmarktgründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind http://www.arbeitsagentur.de/Dienststellen/RD-H/RD-H/A10-Chancengleichheit-CA-TBD/Allgemein/gen- Publikationen/Begriffsdefinitionen.pdf (letzter Abruf am 21. Januar 2014). 24 Vgl. Fn 20, Wanger, Susanne u.a., Kann ein Anstieg der Arbeitszeit den Rückgang des Arbeitskräfteangebots kompensieren?, S. 343ff. 25 Vgl. Fn 20, Wanger, Susanne u.a., Kann ein Anstieg der Arbeitszeit den Rückgang des Arbeitskräfteangebots kompensieren?, S. 344-345. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 11 blick auf die Qualifikation zu einem „Mismatch“26 zwischen Angebot und Nachfrage kommen kann. Dem müsste deshalb frühzeitig mit bildungspolitischen Maßnahmen wie einer systematischen beruflichen Weiterbildung entgegengewirkt werden.27 Das zweite Szenario geht von einer gleich hohen Erwerbsquote und einem gleich hohen Arbeitszeitniveau bei Männern und Frauen aus. Hier würde sich das Arbeitsvolumenpotenzial im Vergleich zum Ausgangsszenario um 15 Prozentpunkte erhöhen und das potenzielle Arbeitsvolumen läge 2050 bei rund 87 Prozent des Wertes, der für 2008 berechnet wurde. Auch hier könnte es, so das IAB, zu einem „Mismatch“ von Angebot Nachfrage kommen. Um die Frauenerwerbstätigkeit zu erhöhen, müsste zudem der Wiedereinstieg für Berufsrückkehrerinnen erleichtert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden. Zudem müsse sich dann wohl auch, so das Institut, die Arbeitsteilung innerhalb der Familien wandeln. Dies könnte jedoch dazu führen, dass Männer ihre Arbeitszeit reduzieren, was den Effekt dieser Variante schmälern würde. Im dritten Szenario wird die Arbeitszeit der Älteren erhöht. Die Simulation einer längeren Lebensarbeitszeit und einer höheren Jahresarbeitszeit für die Altersgruppe der über 60-jähigen würde für das Jahr 2050 zu einem Anstieg des Arbeitsvolumenpotenzials von neun Prozentpunkten im Vergleich zum Ausgangsszenario führen. Dieses Szenario setze aber zum Beispiel gesundheitsfördernde Maßnahmen voraus und scheine deshalb erst auf sehr lange Frist realistisch , so das IAB.28 Die geschätzte Entwicklung für das Erwerbspersonenpotenzial und das Arbeitsvolumenpotenzial halte sich, so das des IAB, in allen Varianten bis 2025 in Grenzen. Das für 2050 geschätzte Niveau zeige dann jedoch deutlich, wie sehr die demografische Komponente mit dem Ausscheiden der Baby-Boom-Generation nach 2025 an Fahrt gewinne. Daher sei es auch mit einer enormen Ausweitung der Jahresarbeitszeit nur möglich, den Trend für eine gewisse Zeit zu stoppen. Insbesondere längerfristig müsse sich Deutschland auf ein deutlich kleineres Arbeitsangebot einstellen . Die vorgestellten Szenarien bilden Extremlagen ab, doch zeigten die Berechnungen, dass man die verschiedenen Maßnahmen kombinieren könne. Das IAB zieht folgendes Fazit: „Kombiniert müssten Erwerbsquoten und Arbeitszeiten nicht so stark steigen, um den demografischen Trend deutlich abzuschwächen. Man würde trotzdem die Zeit gewinnen, welche die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Anpassungen erfordern.“29 26 Mismatch meint ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitskräftenachfrage und Arbeitskräfteangebot, das unterschiedliche Ursachen haben kann (qualifikationsspezifisches, regionales oder lohnbedingtes Mismatch). In der Regel wird Mismatch mit Hilfe der sogenannten Beveridge-Kurve grafisch dargestellt. 27 Vg. Fn 20, Wanger, Susanne u.a., Kann ein Anstieg der Arbeitszeit den Rückgang des Arbeitskräfteangebots kompensieren?, S. 345. 28 Vgl. Fn 20, Wanger, Susanne u.a., Kann ein Anstieg der Arbeitszeit den Rückgang des Arbeitskräfteangebots kompensieren?, S. 346. 29 Vgl. Fn 20, Wanger, Susanne u.a., Kann ein Anstieg der Arbeitszeit einen Rückgang des Arbietskräfteangebotes kompensieren?, S. 347.e Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 12 3. Regelungen zur Arbeitszeit Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt die maximale Länge der werktäglichen Arbeitszeiten, die Ruhepausen und Ruhezeiten, die Nacht- und Schichtarbeit und die Sonn- und Feiertagsbeschäftigung . Zweck des Gesetzes ist es, Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten. Der Sonntag und staatlich anerkannte Feiertage sind als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer geschützt. Zudem ist mit dem Gesetz eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten beabsichtigt (§ 1 ArbZG). 3.1. Arbeitszeitdauer § 3 ArbZG ist die Kernvorschrift des Gesetzes, die den Acht-Stunden-Tag nicht als gesetzliche Regelarbeitszeit festlegt, sondern eine Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden unter bestimmten Bedingungen zulässt und eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung ermöglicht .30 Nach dieser Vorschrift darf die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. 3.2. Nacht- und Schichtarbeit Gemäß § 6 ArbZG gilt für Nachtarbeitnehmer wie für die übrigen Arbeitnehmer eine werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden, die abweichend von § 3 jedoch nur dann auf zehn Stunden verlängert werden darf, wenn innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 6 Abs. 2 Satz 2ArbZG). Für Nachtarbeitnehmer gilt aufgrund der höheren gesundheitlichen Belastung durch Nachtarbeit ein kürzerer Ausgleichszeitraum als für die übrigen Arbeitnehmer. Dieser darf nur durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung verlängert werden.31 Nachtarbeitnehmer erhalten für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden entweder Zuschläge auf das Bruttoarbeitsentgelt oder bezahlte freie Tage (§ 6 Abs. 5 ArbZG). Welche Form des Ausgleichs der Arbeitgeber wählt, liegt in seinem Ermessen. Es handelt sich bei der Ausgleichsverpflichtung des Arbeitgebers um eine Wahlschuld im Sinne von § 263 BGB.32 3.3. Abweichende Vereinbarungen Gemäß § 7 ArbZG ist es den Tarifparteien gestattet, von den Arbeitszeitgrundnormen der §§ 3 bis 6 ArbZG abzuweichen und entsprechende Regelungen in Tarifverträgen zu treffen. Die Tarifparteien brauchen abweichende Regelungen jedoch nicht selbst zu treffen, sondern sie können ver- 30 Erfurter Kommentar (ErfK)/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 3 Arbeitszeit der Arbeitnehmer, Rn 1 31 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 6 Nacht- und Schichtarbeit, Rn 6. 32 BAG-Urteil vom 5. September 2002, Az. 9 AZR 202/01, 1. Orientierungssatz. Vgl. auch ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 6 Nacht- und Schichtarbeit, Rn 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 13 einbaren, dass Abweichungen von den Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung oder im Rahmen einer Dienstvereinbarung für den öffentlichen Dienst zugelassen werden.33 Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, die Arbeitszeiten innerhalb eines bestimmten , gesundheitlich vertretbaren Rahmens an die betrieblichen Erfordernisse anzupassen.34 Gemäß § 7 Abs. 5 ArbZG sind abweichende Regelungen von den Grundnormen §§ 3 bis 6 auch in den Bereichen möglich, in denen üblicherweise Regelungen nicht durch Tarifvertrag getroffen werden. Zu diesen Bereichen gehören zum Beispiel Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, Unternehmens- und Steuerberater, Arbeitgeber – und Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammern.35 Hier können Abweichungen von den Aufsichtsbehörden bewilligt werden. Die Aufsichtsbehörde hat in ihrer Ermessensentscheidung die betrieblichen Interessen und die Belange des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer gegeneinander abzuwägen.36 3.4. Sonn- und Feiertagsarbeit Die §§ 9-12 ArbZG regeln die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen. Grundsätzlich dürfen Arbeitnehmer gemäß § 9 Abs. 1 ArbZG an diesen Tagen nicht beschäftigt werden. § 10 Abs. 1 ArbZG enthält einen Katalog von Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot. Diese Ausnahmetatbestände stehen allesamt unter dem Vorbehalt, dass Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Der Arbeitgeber benötigt hierfür keine Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörde, aber er trägt für das ordnungsgemäße Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach § 10 Abs. 1 ArbZG die volle Verantwortung. Bei Auslegungszweifeln kann er nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 ArbZG von der Aufsichtsbehörde feststellen lassen, ob eine Sonn- oder Feiertagsbeschäftigung zulässig ist.37 § 11 ArbZG regelt den Ausgleich für Sonn- und Feiertagsarbeit. Grundsätzlich gilt gemäß § 11 Abs. 1 ArbZG, dass mindestens 15 Sonntage im Jahr für den Arbeitnehmer beschäftigungsfrei bleiben müssen. Diese Bestimmung darf nur in den engen Grenzen unterschritten werden, die § 12 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG vorgibt.38 Für Sonntagsarbeit muss ein Ersatzruhetag innerhalb gewisser Fristen gewährt werden (§ 11 Abs. 2 ArbZG). In einem Arbeits- oder Tarifvertrag können Feiertagszuschläge vereinbart werden.39 33 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, § 7 Abweichende Regelungen, Rn 3. 34 BT-Drs. 12/5888 vom 13. Oktober 1993, S. 26. Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts. 35 BT-Drs. 12/5888 vom 13. Oktober 1993, S. 28. Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts. 36 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 7 Abweichende Regelungen Rn. 23 37 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 10 Sonn- und Feiertagsbeschäftigung, Rn 1-2. 38 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 11 Ausgleich für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung, Rn 1 39 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 11 Ausgleich für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung, Rn 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 14 Abweichungen von § 11 ArbZG sind in bestimmten Grenzen durch Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zulässig (§ 12 Abs. 1 Nrn. 1-4 ArbZG). 3.5. Behördliche Aufsicht Gemäß § 17 Abs. 1 ArbZG wird die Einhaltung des ArbZG von den nach Landesrecht zuständigen Aufsichtsbehörden überwacht. In der überwiegenden Zahl der Länder sind dies die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter oder Ämter für Arbeitsschutz.40 Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder. Für den öffentlichen Dienst des Bundes sowie für die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ergibt sich die Überwachungszuständigkeit aus § 17 Abs. 3 ArbZG. Danach werden die Aufgaben und Befugnisse der Aufsichtsbehörde vom zuständigen Bundesministerium oder den von ihm bestimmten Stellen wahrgenommen.41 Die Aufsichtsbehörde kann gemäß § 17 Abs. 2 ArbZG die erforderlichen Maßnahmen anordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner sich aus dem ArbZG ergebenden Pflichten zu treffen hat.42 Macht die Aufsichtsbehörde von dieser Anordnungsbefugnis Gebrauch, so handelt es sich hierbei um einen Verwaltungsakt, der der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt. In der Ordnungsverfügung kann die Aufsichtsbehörde zugleich Zwangsmittel androhen.43 4. Regelungen zum Arbeitsentgelt Das Sozialgesetzbuch IV – Sozialversicherung (SGB IV) regelt, welche Zuwendungen des Arbeitgebers zum Arbeitsentgelt gehören. Der Gesetzgeber hat mit § 14 SGB IV (Arbeitsentgelt) einen den Belangen der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung entsprechenden eigenständigen Entgeltbegriff geschaffen, der für die beitragsrechtliche wie leistungsrechtliche Seite gleichermaßen gilt. 44 Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV gehören zum Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht , unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. 40 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 17 Aufsichtsbehörde Rn 2. 41 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 17 Aufsichtsbehörde Rn 3. 42 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 17 Aufsichtsbehörde Rn 2. 43 ErfK/Wank, 14. Auflage 2014, ArbZG § 17 Aufsichtsbehörde Rn 3. 44 Beck Online Kommentar Sozialrecht (BeckOK)/Mette, Stand: 1. September 2013, § 14 SGB IV, Rn 2-3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 15 Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV gehören zum Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Die Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) durchbricht den Grundsatz des § 14 Abs. 1 SGB IV, um ein möglichst einheitliches Abzugsverfahren für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu erreichen.45 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV sieht vor, dass einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt werden, soweit sie lohnsteuerfrei sind, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind und somit auch von den Sozialabgaben befreit sind. Dies gilt jedoch nicht für Sonntags- Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge , soweit das Entgelt, auf dem sie berechnet werden, mehr als 25 Euro für jede Stunde beträgt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SvEV). Seit dem 1. Juli 2006 sind Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit bereits ab einem Stundenlohn von 25 Euro beitragspflichtig. 5. Fazit Der für den deutschen Arbeitsmarkt prognostizierte Fachkräftemangel erfordert von der Politik und den Sozialpartnern weitreichende und auch langfristig angelegte Strategien, um den Rückgang des Arbeitskräfteangebots zu mildern bzw. diesem entgegenzuwirken. Zahlreiche Forschungsinstitute haben verschiedenste Handlungsempfehlungen beispielsweise zur Erhöhung der Erwerbsquoten von Frauen und Älteren, zur gesteuerten Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte oder zur Reduzierung der Abbrecherquoten von Schülern, Studenten und Auszubildenden entwickelt. Das IAB hat mit Blick auf den Fachkräftemangel und Fachkräfteengpässe eine neue Rechengröße, das Arbeitsvolumenpotenzial, entwickelt. Dieses Potenzial an Arbeitsstunden, das dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden könnte, berücksichtigt im Wesentlichen die Arbeitszeitwünsche von Erwerbstätigen und Erwerbslosen bzw. Personen der Stillen Reserve. Mit dieser Stundenbetrachtung könnte sich, so das IAB, eine „entspanntere“ Situation in etlichen Berufsfeldern ergeben, als mit der reinen Personenbetrachtung. Insbesondere bei den Teilzeitbeschäftigten und hier vor allem bei den teilzeitarbeitenden Frauen sieht das Forschungsinstitut der BA ein großes Potenzial, die wöchentliche Arbeitszeit und damit auch die Jahresarbeitszeit der Beschäftigten auszuweiten. Die BA schlägt in ihrem Strategiepapier zudem vor, im Steuerrecht Anreize für Überstunden zu schaffen wie sie für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit gelten, um so eine freiwillige Ausweitung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit zu erreichen. 45 BeckOK/Mette, Stand: 1. September 2013, § 14 SGB IV, Rn 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 003/14 Seite 16 Letztendlich wird es eine Kombination aus verschiedenen Strategien und Maßnahmen sein, um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen. Sowohl eine Erhöhung der Erwerbstätigenquoten verschiedener Personengruppen als auch eine Erhöhung der Arbeitszeit erfordert nach Ansicht vieler Arbeitsmarktexperten begleitende Maßnahmen. Hierunter fallen beispielsweise die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf insbesondere durch einen Ausbau der Kinderbetreuung oder gesundheitsfördernde Maßnahmen zur Steigerung der Lebensarbeitszeit.