© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 002/21 Einzelfragen zur OT-Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 002/21 Seite 2 Einzelfragen zur OT-Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 002/21 Abschluss der Arbeit: 27. Januar 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 002/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die OT-Mitgliedschaft 4 3. Zulässigkeit 5 3.1. Grundsatz 5 3.2. Einschränkung 6 3.2.1. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 6 3.2.2. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 7 4. Tarifrechtliche Folgen einer unzulässigen OT- Mitgliedschaft 8 5. Fazit 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 002/21 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich ist um Auskunft ersucht worden, inwieweit Arbeitgeberverbände in ihren Kapazitäten zur Eingehung von Mitgliedschaften ohne Tarifbindung (sogenannten OT-Mitgliedschaften ) beschränkt werden können. Die Arbeit skizziert den rechtlichen Rahmen, der bei entsprechenden Maßnahmen zu beachten wäre. Dabei sind insbesondere die Rechtsprechung zu der Thematik und die dort aufgestellten Anforderungen an die Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften und deren Beschränkungen von Bedeutung . Konkrete Vorschläge zu einer etwaigen Eindämmung von OT-Mitgliedschaften konnten nicht recherchiert werden. 2. Die OT-Mitgliedschaft Weil sie eine Bindung an Tarifverträge vermeiden wollten, sind in der Vergangenheit Arbeitgeber vielfach aus den Arbeitgeberverbänden ausgetreten. Um einem drohenden Mitgliederschwund entgegenzuwirken, sind Arbeitgeberverbände daher dazu übergegangen, neben der traditionellen Vollmitgliedschaft mit Tarifbindung, eine zweite Form der Mitgliedschaft anzubieten, die keine Tarifbindung beinhaltet. Vereinsrechtlich lässt sich diese sogenannte OT-Mitgliedschaft in zwei Organisationsformen einordnen : Das Aufteilungsmodell sieht eine Trennung in Arbeitgeberverband und Tarifgemeinschaft vor, wobei sich der Arbeitgeberverband auf eine allgemeinpolitische Interessenvertretung beschränkt und sich für tarifunwillig erklärt. In der Tarifgemeinschaft schließen sich dann diejenigen Verbandsmitglieder zusammen, die weiterhin auch eine tarifpolitische Interessenvertretung wollen. Die Tarifgemeinschaft übernimmt die bisherige Funktion als Tarifvertragspartei.1 In der Praxis wird das Stufenmodell bevorzugt, bei dem keine organisatorische Trennung des Arbeitgeberverbandes erfolgt. Der tariffähige Verband bleibt als solcher bestehen, die Verbandssatzung ermöglicht den Mitgliedern aber die Wahl zwischen einer Vollmitgliedschaft unter Einschluss der Tarifbindung und einer OT-Mitgliedschaft. Die Mitglieder ohne Tarifbindung werden satzungsgemäß nicht vom Tarifgeschehen des Verbandes erfasst, können jedoch je nach Ausgestaltung der Satzung bestimmte Serviceleistungen in Anspruch nehmen.2 1 Peter in: Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 2, Rn. 137. 2 Peter in: Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 2, Rn. 138. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 002/21 Seite 5 3. Zulässigkeit 3.1. Grundsatz Während die Zulässigkeit des Aufteilungsmodells soweit ersichtlich keinen Bedenken begegnet, wird die tarifrechtliche Zulässigkeit der OT-Mitgliedschaft nach dem Stufenmodell im Schrifttum wegen der Unteilbarkeit der Tariffähigkeit und der zwingenden koalitionsrechtlichen Wirkung des §  3 Abs.  1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) zum Teil bestritten.3 Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden grundsätzlich anerkannt und dies in ständiger Rechtsprechung bestätigt.4 Das BAG hat 2006 hierzu eine Grundsatzentscheidung getroffen und die Möglichkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im Wege eines Stufenmodells im Grundsatz aus der Verbandsautonomie und der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) gefolgert.5 Vom Grundrechtsschutz erfasst sind danach auch die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung der Geschäfte. Die Koalitionen seien deshalb nicht daran gehindert, die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder in ihren Satzungen unterschiedlich auszugestalten und so auch Mitgliedschaften anzubieten, die die Rechtsfolgen des § 3 Abs. 1 TVG nicht auslösen.6 Da sich die Tarifautonomie entscheidend auf mitgliedschaftliche Legitimation gründe und die Befugnis der Koalitionen zur Vereinbarung von Tarifnormen auf der Unterwerfung der Mitglieder unter die tarifliche Normsetzungsbefugnis des Verbandes beruhe, fehle es an der Legitimation für die Tarifgebundenheit bestimmter Mitglieder, wenn diese grundsätzlich nicht willens sind, die Tarifverträge gegen sich gelten zu lassen. § 3 Abs. 1 TVG stehe einer OT-Mitgliedschaft nicht entgegen , da die Norm zwar die Gebundenheit der Verbandsmitglieder an einen Tarifvertrag festlege , aber nicht bestimme, wer Mitglied im Sinne der Vorschrift ist, und auch die Satzungsautonomie nicht beschränke.7 Auch widerspreche eine OT-Mitgliedschaft grundsätzlich nicht dem Verfassungsrecht. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie, die eine Verhandlungsparität zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaft voraussetzt, wäre nach Überzeugung des BAG nur dann verletzt, 3 Vgl. Peter in: Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 2, Rn. 140 mit weiteren Nachweisen. 4 BAG, Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1ABR 36/05 – juris, Rn. 54 ff.; BAG, Urteil vom 4. Juni 2008 – 4 AZR 419/07 –, juris, Rn. 25 ff.; BAG, Urteil vom 22. April 2009 – 4 AZR 111/08 –, juris, Rn. 27 ff.; BAG, Urteil vom 15. Dezember 2010 – 4 AZR 256/09 –, juris, Rn. 23 ff.; BAG, Urteil vom 19. Juni 2012 – 1 AZR 775/10 –, juris, Rn. 15 ff.; BAG, Urteil vom 21. November 2012 – 4 AZR 27/11 –, juris, Rn. 14 ff.; BAG, Urteil vom 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13 –, juris, Rn. 16 ff.; BAG , Urteil vom 13. April 2016 – 4 AZR 13/13 –, juris, Rn. 29 ff. 5 BAG, Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1 ABR 36/05 – juris, Rn. 54. 6 BAG, Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1ABR 36/05 – juris, Rn. 55. 7 BAG, Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1ABR 36/05 – juris, Rn. 55, 57. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 002/21 Seite 6 wenn die Anerkennung einer OT-Mitgliedschaft dazu führen würde, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen und die Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewährleistet wären. Von einer solchen strukturellen Störung der Verhandlungsparität durch OT-Mitgliedschaften könne jedoch nicht generell ausgegangen werden.8 Ferner führe eine OT-Mitgliedschaft auch nicht zu einer die Funktionsfähigkeit des Tarifsystems gefährdenden Intransparenz. Zwar müsse die Tarifzuständigkeit des Verbandes anhand der Satzung zuverlässig feststellbar sein. Dies gelte hingegen nicht für die Tarifgebundenheit der Mitglieder . Das berechtigte Interesse der Gewerkschaft als Tarifvertragspartner zu wissen, welches Mitglied des Arbeitgeberverbandes tarifvertraglich gebunden ist, stehe der Zulässigkeit einer OT- Mitgliedschaft nicht entgegen, da sich die Frage nach der Tarifgebundenheit ebenso stelle, wenn es darum geht, ob ein Arbeitgeber überhaupt Mitglied eines Verbandes ist.9 3.2. Einschränkung 3.2.1. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Die grundsätzliche Anerkennung von OT-Mitgliedschaften hat das BAG im Verlaufe seiner Rechtsprechung allerdings durch die Formulierung bestimmter Anforderungen an deren Zulässigkeit eingeschränkt. So ist notwendige Voraussetzung einer wirksamen Regelung von OT-Mitgliedschaften nach Auffassung des BAG eine Verbandssatzung, die nicht lediglich die Rechtsfolge des § 3 Abs. 1 TVG abbedingt, sondern eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung vorsieht.10 Dies ergebe sich aus dem im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie erforderlichen Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen.11 Dabei müsse satzungsmäßig ausgeschlossen werden, dass eine unmittelbare Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen möglich ist. Daher dürften OT-Mitglieder nicht in Tarifkommissionen entsandt werden, den Verband im Außenverhältnis nicht tarifpolitisch repräsentieren und nicht in Aufsichtsorganen mitwirken, die mit der Verwaltung von 8 BAG, Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1ABR 36/05 – juris, Rn. 59. 9 BAG, Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1ABR 36/05 – juris, Rn. 60. 10 BAG, Urteil vom 4. Juni 2008 – 4 AZR 419/07 –, juris, Rn. 38. 11 BAG, Urteil vom 15. Dezember 2010 – 4 AZR 256/09 –, juris, Rn 26. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 002/21 Seite 7 Arbeitskampfmitteln betraut sind. Auch sei sicherzustellen, dass OT-Mitglieder von Abstimmungen ausgeschlossen werden, in denen tarifpolitische Ziele festgelegt oder Ergebnisse von Tarifverhandlungen angenommen werden.12 Weitere Einschränkungen betreffen den Statuswechsel innerhalb des Verbandes. Wechselt ein Vollmitglied während laufender Tarifverhandlungen in eine OT-Mitgliedschaft, so sei für die tarifrechtliche Wirksamkeit dieses Wechsels erforderlich, dass die an der Verhandlung beteiligte Gewerkschaft rechtzeitig darüber informiert wird und noch während der Verhandlungen hierauf reagieren kann.13 3.2.2. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Rechtsprechung des BAG zur eingeschränkten Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften und damit implizit auch die grundsätzliche Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften für verfassungskonform erklärt.14 Nach Auffassung des BVerfG stellt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie, mit der das BAG die einschränkenden Voraussetzungen der OT-Mitgliedschaft rechtfertigt, einen Belang von Verfassungsrang dar. Die Tarifautonomie gewährleiste einen Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln und ermögliche so ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen . Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie könne gegeben sein, wenn nicht tarifgebundene Mitglieder auf Entscheidungen des Arbeitgeberverbandes im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen Einfluss nehmen. Die Annahme, dass die für das Zustandekommen eines interessengerechten Tarifvertrages erforderliche Verhandlungsparität durch eine derartige Einflussnahme strukturell gestört sein könnte, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 15 Eine Einschränkung der Mitwirkung von OT-Mitgliedern im Arbeitgeberverband sei jedenfalls nur in dem Umfang zulässig, der erforderlich ist, um sachfremde Einflüsse auf Tarifverhandlungen und Tarifergebnisse auszuschließen.16 12 BAG, Urteil vom 4. Juni 2008 – 4 AZR 419/07 –, juris, Rn. 39. 13 BAG, Urteil vom 04. Juni 2008 – 4 AZR 419/07 –, juris, Rn. 57, 69. 14 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. Dezember 2010 – 1 BvR 2593/09. 15 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. Dezember 2010 – 1 BvR 2593/09 –, juris, Rn. 23. 16 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. Dezember 2010 – 1 BvR 2593/09 –, juris, Rn. 25. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 002/21 Seite 8 4. Tarifrechtliche Folgen einer unzulässigen OT-Mitgliedschaft Erfüllt die Verbandssatzung die Erfordernisse nicht, die an die Trennung der Befugnisse und Pflichten von Voll- und OT-Mitgliedern gestellt werden, ist ein Statuswechsel nach Auffassung des BAG tarifrechtlich unwirksam. Die Einräumung von Befugnissen hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen führt dann dazu, dass die vermeintliche OT-Mitgliedschaft unter § 3 Abs. 1 Alt. 1 TVG fällt. Rechtsfolge ist damit die uneingeschränkte Tarifgebundenheit des vermeintlichen OT-Mitglieds.17 5. Fazit Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BAG und des BVerfG ist von der allgemeinen Zulässigkeit der Begründung von OT-Mitgliedschaften auszugehen. Das Recht der Arbeitgeberverbände , solche Mitgliedschaften anzubieten, folgt aus der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit und Verbandsautonomie. Art. 9 Abs. 3 GG ist ein schrankenlos gewährleistetes Grundrecht. Dies hat zur Folge, dass der Koalitionsfreiheit und Verbandsautonomie und mithin dem Recht, OT-Mitgliedschaften zu begründen , nur zur Wahrung gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützter Güter, insbesondere zum Ausgleich widerstreitender Positionen desselben Grundrechts, Schranken gesetzt werden können. Eingriffe in den Schutzbereich müssen daher entweder dem Schutz des jeweiligen Koalitionspartners und damit gerade der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie oder dem Schutz der Grundrechte Dritter dienen oder durch andere Rechte mit Verfassungsrang gerechtfertigt sein.18 Maßnahmen, die auf eine Beschränkung der Kapazitäten der Arbeitgeberverbände zur Eingehung von Mitgliedschaften ohne Tarifbindung abzielen, müssen sich in ihrer Rechtmäßigkeit mithin nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben beurteilen lassen. Darüber hinaus muss ein Eingriff in Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. *** 17 BAG, Urteil vom 22. April 2009 – 4 AZR 111/08 –, juris, Rn. 49. 18 Winkler in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Auflage 2021, Art. 9, Rn. 182.