Ökonomische Auswirkungen einer (vollständigen) Auktionierung von CO2-Emissionszertifikaten - Ausarbeitung - Dr. Claus-Martin Gaul © 2007 Deutscher Bundestag WD 5 - 237/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Dr. Claus-Martin Gaul Ökonomische Auswirkungen einer (vollständigen) Auktionierung von CO2- Emissionszertifikaten Ausarbeitung WD 5 - 237/07 Abschluss der Arbeit: 04.12.2007 Fachbereich WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: +49 (30) 227-35762 Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Einleitung Im September 2006 erklärte EU-Energiekommissar Andris Piebalgs auf einer Konferenz , dass die Kommission überlege, in der dritten Handelsperiode ab 2013 die Versteigerung (eines Teils) der Emissionszertifikate verpflichtend vorzuschreiben.1 Bereits für die zweite Handelsperiode ermutigte die Kommission die Mitgliedstaaten, im Rahmen der erlaubten Höchstgrenze Erfahrungen mit der Auktionierung der Verschmutzungsrechte zu sammeln und die strategischen Überlegungen praktisch zu untermauern (vgl. Mitteilung 2005: 10). Die Regierung Großbritanniens bekennt sich zum mittelfristigen Ziel einer vollständigen Auktionierung der Zertifikate und betont den Vorteil, bereits in der kommenden Handelsperiode Erfahrungen durch eine umfassende Auktionierung zu sammeln (DEFRA 2006: 13-15). Dass ein solches Vorgehen eigentlich eine Notwendigkeit für alle EU-Mitgliedstaaten darstellt, ist die Meinung fast aller europäischen Umweltökonomen, die die kostenlose Zuteilung der Verschmutzungsrechte auf der Grundlage historischer Emissionen als einen Konstruktionsfehler des Europäischen Emissionshandelssystems beschreiben (vgl. z. B. Sachverständigenrat 2006). Der Einstieg in eine möglichst umfassende Versteigerung der Emissionszertifikate ist die so gut wie einhellige Forderung der umweltökonomischen Wissenschaft in Europa. Die Überlegenheit der Auktionierung als Allokationsmechanismus gegenüber der kostenlosen Zuteilung ist in vielen Beiträgen beschrieben worden. Jochen Diekmann (DIW Berlin) und Joachim Schleich (Fraunhofer Institut Karlsruhe) haben in einem Ende 2006 erschienenen Artikel die einschlägigen Argumente noch einmal zusammengetragen (vgl. Diekmann/Schleich 2006). Die Nachteile einer Auktionierung gegenüber einer Gratisvergabe der Zertifikate bestehen demnach hauptsächlich in den folgenden Punkten (vgl. Diekmann/Schleich 2006: 302): Einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition der zur Verwendung von Zertifikaten verpflichteten Unternehmen, wenn die Überwälzung der Kosten nicht vollständig gelingt. Der Möglichkeit, die Auktion aufgrund einer starken Marktstellung zulasten schwächerer Marktteilnehmer zu beeinflussen. Die Verschlechterung der Wettbewerbsposition ist im Vergleich zur kostenlosen Vergabe vor allem dann gravierend, wenn der Zustand der kostenlosen Vergabe von Zertifikaten als „Normalfall“ angesehen wird. Tatsächlich stellt die kostenlose Vergabe der Zertifikate mit den daraus resultierenden Windfall Profits eine ungerechtfertigte Subventionierung vor allem der Elektrizitätswirtschaft dar (vgl. Sachverständigenrat 2006: 10). Deren mühelose Zusatzprofite wurden für Deutschland im Jahr 2005 auf 5 Mrd. Euro 1 http://www.co2-handel.de/article185_3099.html - 4 - geschätzt (vgl. VIK 2005). Eine vollständige Versteigerung der Emissionszertifikate würde diese Windfall Profits der Unternehmen beseitigen. Vor diesem Hintergrund ist der massive Widerstand der Stromindustrie gegen einen Einstieg in die Versteigerung der Zertifikate nachvollziehbar. Für die Stromkonzerne würde eine Versteigerung der Emissionszertifikate aus zwei Gründen so gut wie keine Verschlechterung der Wettbewerbsposition gegenüber der Situation vor Einführung des Europäischen Emissionshandelssystems bedeuten. Einerseits ist die Nachfrageelastizität auf dem Strommarkt gering , so dass die Konzerne die Zertifikatskosten fast vollständig mit Hilfe höherer Preise auf die Verbraucher abwälzen können. Zum anderen ist der Strommarkt auf Europa begrenzt , so dass die Stromerzeuger nicht in Konkurrenz mit anderen Unternehmen treten müssen, die dem Emissionshandel nicht unterworfen sind. Die Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsposition durch eine Versteigerung im Vergleich zu einer Gratisvergabe ist für die vom Emissionshandel erfassten Sektoren außerhalb der Elektrizitätswirtschaft ein stichhaltiges Argument, das allerdings bei europaweiter Versteigerung der Zertifikate nur im Hinblick auf den außereuropäischen Weltmarkt gilt, wenn die konkurrierenden Produkte ohne eine Beschränkung der CO2-Emissionen hergestellt werden. Die Gefahr einer Verwerfung des Zertifikatemarktes durch die Marktmacht einiger Bieter bei der Auktionierung kann durch das Design der Versteigerungen weitgehend minimiert werden. So können Mindestpreise festgelegt und die Mengen pro Bieter begrenzt werden. Der Bundesverband Emissionshandel und Klimaschutz hat bereits ein entsprechendes Verfahren entwickelt.2 Je größer der Kreis der Bieter ist, desto mehr werden die Auktionen der Zertifikate zu einem verwerfungsfreien, effizienten Allokationsergebnis führen. Deshalb ist die Öffnung der jeweiligen Versteigerungen für alle europäischen Nachfrager anzustreben. Die genannten Gefahren der Versteigerung werden von den Vorteilen einer Auktionierung gegenüber einer Gratisvergabe der Emissionszertifikate nach Ansicht von Diekmann /Schleich mehr als kompensiert. Diese liegen hauptsächlich in folgenden Punkten (vgl. Diekmann/Schleich 2006: 300-302): Einer größeren dynamischen Effizienz. Innovationen, die zu Emissionsreduzierungen und damit sinkenden Zertifikatspreisen führen, entwerten nicht den gratis zugeteilten Bestand an Emissionsrechten oder den Wert der zukünftig zu erhaltenden Berechtigungen und liegen damit eindeutig im Interesse der Unternehmen . Einer Verbesserung der Zuteilung. Alle Marktteilnehmer werden gleich behandelt, die Bevorteilung von Altunternehmen aufgrund historischer Emissionen entfällt . Ebenso kann die Mikroplanung der Aufteilung der Zertifikate auf die An- 2 Vgl. http://www.co2-handel.de/article304_2568.html [Stand: 03.04.2007] - 5 - lagen entfallen, da die Allokation der Markt übernimmt. Neben der Einsparung von Verwaltungskosten wird die Effizienz der Zuteilung verbessert. Einem Wegfall der Windfall Profits. Einer Entstehung von zusätzlichen Erlösen beim Staat, der damit den Klimaschutz fördern, die Verbraucher kompensieren oder die Haushaltssituation verbessern kann. Einer Dämpfung von Preisschwankungen im Zertifikatemarkt durch erhöhte Transparenz der Zahlungsbereitschaften der Marktteilnehmer. Einer Begrenzung der politischen Einflussnahme durch Interessengruppen. Bei einer Gratiszuteilung können gut organisierte Lobbygruppen zulasten anderer Gruppen ihre Interessen durchsetzen. Je geringer die Höhe der gratis „verschenkten “ Vermögenswerte ist, desto geringer ist die Prämie des „Rent- Seeking“ der Interessenverbände. Wie hoch die Bedeutung gerade des letzten der genannten Punkte ist, wird am Beispiel des deutschen Nationalen Allokationsplans II deutlich. Bundesumweltminister Gabriel begründete bei der Vorstellung des Planes im Juni 2006 den ursprünglichen Verzicht auf eine Auktionierung von Emissionszertifikaten im Rahmen des europarechtlich Erlaubten mit der Gefahr von höheren Produkt- und Strompreisen als Folge einer Auktionierung .3 Dass es sich dabei um ein sachlich falsches Argument handelt, da die Preisbildung unabhängig vom Allokationsmechanismus stattfindet, wurde in einer Reihe von wissenschaftlichen Stellungnahmen herausgestellt. Eine repräsentative Gruppe von hochkarätigen Umweltökonomen hat diese Frage bereits im Juni 2006 zum Anlass für einen offenen Brief an den Bundesumweltminister genommen (vgl. Kemfert et al. 2006). Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat schon im April 2006 zur Frage der Auktionierung eindeutig Stellung bezogen (vgl. Sachverständigenrat 2006: 13). Trotzdem wurde aus dem Umfeld der großen Stromkonzerne seitdem die Drohung einer Strompreiserhöhung wiederholt vorgetragen4. Im nächsten Abschnitt wird die ökonomische Wirkungsweise einer Auktionierung von CO2-Emissionszertifikaten noch einmal ausführlich dargestellt. Anschließend werden daraus Antworten auf die dieser Ausarbeitung zugrundeliegenden Fragen abgeleitet. 2. Die ökonomische Wirkungsweise der Versteigerung von CO2- Emissionszertifikaten Um die Auswirkungen einer Versteigerung der CO2-Emissionszertifikate zu verdeutlichen , müssen zunächst die Folgen der Einführung der Zertifikatspflicht für CO2- Emissionen erörtert werden. Im Folgenden wird dafür der Bereich der Stromerzeugung betrachtet (vgl. Gaul 2006). 3 Vgl. http://www.co2-handel.de/article304_2568.html [Stand: 03.04.2007] 4 Vgl. exemplarisch http://www.strom.de/vdew.nsf/id/6BD3483CAB4B6B7AC125719B00438C44? open&l=DE&ccm=300010 [Stand: 10.04.2007]. - 6 - Vor dem 1. Januar 2005 konnte Strom produziert werden, ohne Emissionsrechte dafür vorweisen zu müssen. Seit der Einführung des Emissionshandels müssen zur Produktion von Strom entsprechende Zertifikate vorgewiesen werden. Das Recht, CO2 zu emittieren , hatte vor Einführung der Zertifizierung keinen ökonomischen Wert, da es unbegrenzt zur Verfügung stand und deshalb nicht knapp war. Mit der Einführung des Emissionshandels ist die Gesamtmenge der CO2-Emissionen der deutschen Stromproduzenten begrenzt. Ein Zertifikat, das zur Produktion von Strom in einer bestimmten Anlage eingesetzt wird, kann nicht mehr in einer anderen Anlage eingesetzt werden. Deshalb hat das entsprechende Emissionsrecht nun einen ökonomischen Wert, der sich in seinem Preis an der Börse für CO2-Zertifikate ausdrückt. Aus Sicht der Stromerzeuger sind mit der Produktion von Strom nun zusätzliche Kosten verbunden: die Kosten des Verbrauchs des zugeteilten Emissionszertifikats. Statt das Emissionsrecht zu verbrauchen , könnte der Stromerzeuger das Recht weiterverkaufen. Der Verzicht auf diesen Verkaufserlös stellt die so genannten Opportunitätskosten des Zertifikateinsatzes dar. Aus diesem Grund müssen die Preise der CO2-Zertifikate in den Strompreis eingehen und die Einführung des Emissionshandels muss aus theoretischer Sicht zu Strompreiserhöhungen führen. Dieser theoretische Schluss ist unabhängig von der Art und Weise der Verteilung der Emissionsrechte. Die Allokation der Rechte ist lediglich von Bedeutung für die Belastungswirkung des Emissionshandels. Durch die kostenlose Zuteilung der Emissionszertifikate an die Stromhersteller ist diesen ein knappes und somit wertvolles ökonomisches Gut „geschenkt“ worden. Das gleiche Produkt (Strom) hat durch die Einführung des Zertifikatehandels einen höheren ökonomischen Wert als zuvor. Die dadurch entstehenden Belastungen tragen die Abnehmer von Strom (Stromkunden), die einen entsprechend höheren Preis bezahlen müssen. Abgesehen von den Effekten des zu erwartenden Rückgangs der Stromnachfrage tragen die Stromkunden die ökonomische Last des Emissionshandels und bei den „beschenkten“ Inhabern der Emissionszertifikate entstehen entsprechende Mehrgewinne ohne zusätzliche Anstrengungen, die so genannten Windfall Profits. Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) schätzte im Jahr 2005 die Windfall-Profits der deutschen Strombranche aufgrund der kostenlosen Zuteilung der Emissionszertifikate auf über 5 Mrd. Euro (vgl. VIK 2005). Werden die CO2-Emisionszertifikate nun versteigert und nicht mehr an die Stromerzeuger verschenkt, ändert sich an der grundlegenden ökonomischen Wirkungsweise des Emissionshandels nichts. Das beschriebene Opportunitätskostenkalkül bleibt intakt, die Kosten der Zertifikate gehen in den Strompreis ein. Der Preis der Zertifikate wird durch eine Versteigerung ebenfalls nicht verändert. Er bestimmt sich durch die Grenzvermeidungskosten der Kraftwerksbetreiber. Für einen Stromproduzenten ist es rational, ein Zertifikat zu kaufen (oder zu ersteigern), so lange der Preis des Zertifikates unter den - 7 - Kosten für die Vermeidung der entsprechenden Menge CO2 liegt. Dies gilt unabhängig davon, ob das Zertifikat bei einer Auktion oder von einem anderen Stromerzeuger erworben wird. Neben den weiter oben schon beschriebenen Effizienzverbesserungen bei der Zuteilung der Zertifikate wirkt sich eine Versteigerung von CO2- Emissionszertifikaten also nicht auf den Strompreis, sondern auf die Gewinne der Stromerzeuger aus. Die zuvor erzielten Windfall-Profits verschwinden mit einer vollständigen Auktionierung der Zertifikate. Würde auf dem deutschen Markt für Strom hinreichend Konkurrenz herrschen, wäre das Verschwinden der Windfall-Profits die einzige wahrnehmbare Folge einer vollständigen Auktionierung der CO2-Emissionszertifikate. Bekanntlich ist der deutsche Strommarkt von einer Oligopolsituation geprägt, in der die vier großen Konzerne über beträchtliche Marktmacht verfügen. Aus diesem Grund können die großen Stromanbieter ihre Preise über das Niveau der Grenzkosten hinaus erhöhen. Obwohl eine Auktionierung der CO2- Zertifikate keine Erhöhung der (Opportunitäts-) Kosten bedeutet, könnten die vier großen Stromanbieter als Reaktion auf die Versteigerung der Zertifikate (wie bereits angedroht ) versuchen, die Strompreise für die Verbraucher zu erhöhen. Einer kartellrechtlichen Überprüfung würde eine solche Strompreiserhöhung, die durch die Auktionierung der Zertifikate begründet würde, nicht standhalten. Es existiert keine ökonomische Rechtfertigung für eine Strompreiserhöhung in Folge der Auktionierung von CO2-Zertifikaten. Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, weshalb Pläne für eine vollständige Auktionierung der CO2-Emissionszertifikate in der Vergangenheit auf massiven Widerstand der vier großen Stromerzeuger gestoßen sind. In jüngerer Zeit sind allerdings auch befürwortende Stimmen aus dem Umfeld der großen Stromkonzerne zu vernehmen5. Um unerwünschte Preiserhöhungen zu verhindern, sollte die Einführung einer Vollauktionierung der Emissionszertifikate von der Politik mit Maßnahmen zu einer Verbesserung der Kartellkontrolle und einer Stärkung des Wettbewerbs im Stromsektor flankiert werden. 3. Folgerungen Ausgehend von der bisherigen Darstellung werden im Weiteren Antworten auf die dieser Ausarbeitung zugrundeliegenden Fragen skizziert. 5 Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden von EON, Wulf Bernotat, auf FTD online vom 3.12.2007: „Ein wichtiges Element, um die Glaubwürdigkeit, Effizienz und die Gerechtigkeit eines CO2-Bewirtschaftungssystems zu fördern, ist die langfristige Einführung der Auktion aller Zertifikate. Ich halte eine Auktion dann für klimapolitisch sinnvoll, wenn sie EUweit einheitlich für alle Anlagen - Bestands- wie Neuanlagen - durchgeführt wird. Die Einnahmen aus der Versteigerung sollten zur Senkung der Energiesteuer verwendet werden, um die Gesamtbelastung der Verbraucher zu senken.“ http://www.ftd.de/meinung/kommentare/:Gastkommentar%20 Europas%20Emissionshandel/286814.html [Stand: 3.12.2007]. Die Frage möglicher Preiserhöhungen infolge der Vollauktionierung wird hierbei von Bernotat allerdings nicht angesprochen. - 8 - Welche Auswirkungen sind bei einer hundertprozentigen Auktionierung der Zertifikate für den Ausschnitt des Energiesektors auf den deutschen Energiemix zu erwarten? Welche Möglichkeiten verbleiben zur nationalstaatlichen Steuerung des Energiemixes? Welche ggf. davon abweichenden Effekte sind bei einer Vollauktionierung, aber unterschiedlich hohen nationalen Minderungszielen zu erwarten? Welche Auswirkungen hat eine hundertprozentige Auktionierung im Energiesektor auf die relative Wirtschaftlichkeit verschiedener Energieträger? Aus den bisherigen Überlegungen wird deutlich, dass eine Auktionierung der Zertifikate anstelle einer kostenlosen Vergabe zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Energiemix in Deutschland haben wird. Die Wirtschaftlichkeit von kohlendioxidarmen Technologien bzw. der CO2-Vermeidung durch regenerative Energien ist vom Preis der Zertifikate abhängig, da sich alle Minderungsmaßnahmen lohnen, so lange sie billiger sind als die benötigten Zertifikate. Der Preis der Zertifikate ist wiederum (bei gegebener Technologie und Stromnachfrage) von der Menge der emittierten Berechtigungsscheine abhängig (je geringer die Menge, desto höher der Preis), nicht aber von der Form der Vergabe (gratis oder Auktionierung). Für die nationalstaatliche Steuerung des Energiemixes stehen damit grundsätzlich zwei marktkonforme Instrumente zur Verfügung: Neben der Menge der ausgegebenen Zertifikate könnte eine Besteuerung von CO2- Emissionen (Weiterentwicklung der Ökosteuer) den nationalen Energiemix beeinflussen . Die Aussagen des letzten Abschnitts gelten für einen Vergleich der Auswirkungen einer Versteigerung der Emissionszertifikate mit einer kostenlosen Verteilung auf bestehende Altanlagen bzw., wenn ein Stromanbieter für Neuanlagen Zertifikate zukaufen oder von Altanlagen übertragen muss. Ein wichtiger Unterschied in den Auswirkungen auf den Energiemix träte auf, falls im Nationalen Allokationsplan für Neuanlagen zusätzliche Zertifikate reserviert werden sollten. Falls die Zertifikate für Neuanlagen zusätzlich und kostenlos vergeben werden, kann ein Stromerzeuger die Zahl der ihm zufallenden Emissionszertifikate und die damit einhergehenden Windfall Profits mit seiner Investitionsentscheidung beeinflussen und sie in seine Kalkulationen mit einbeziehen. In diesem Fall wirkt die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten wie eine Subvention für die Emission von CO2 und verkehrt das ursprüngliche Klimaschutzziel ins Gegenteil. Dieser Zusammenhang wird im folgenden Kasten an einem Beispiel deutlich gemacht. Angenommen, ein Stromerzeuger stehe vor der Wahl einer Technologie für eine Neuanlage . Die dafür benötigten Zertifikate erhalte er kostenlos zugeteilt. Die Technologie A (regenerativ) erzeuge keine CO2-Emissionen und mit ihrer Hilfe lasse sich Strom zu den Kosten von 10 Cent/kWh produzieren. Für sie würden keine Zertifikate zugeteilt. - 9 - Die Technologie B (fossil) verursache CO2-Emissionen, für die ein Zertifikat im Wert von 2 Cent pro kWh benötigt wird. Die Gesamtkosten der Stromerzeugung betrügen bei der Technologie B 11 Cent/kWh. Darin sind die Opportunitätskosten der Zertifikateverwendung enthalten. Durch die kostenlose Zuteilung der benötigten Zertifikate wird sich der Stromanbieter für die Technologie B entscheiden, da er für jede kWh Strom mit einer „Zusatzeinnahme“ von 2 Cent rechnen kann. Damit liegen seine Nettoerzeugungskosten bei 9 Cent pro kWh. Der eigentlich teurere fossile Strom wird in diesem Beispiel durch die kostenlose Zuteilung unter die Kosten der Erzeugung des regenerativen Stroms subventioniert. Würden die Zertifikate stattdessen versteigert, entfiele diese Subvention und der Stromerzeuger müsste mit den tatsächlichen Kosten von 11 Cent pro kWh kalkulieren. Die kostenlose Zuteilung von zusätzlichen Zertifikaten für Neuanlagen führt im Vergleich zur Auktionierung zu einem CO2-intensiveren Energiemix. Diese theoretischen Überlegungen haben durchaus praktische Relevanz. Eine aktuelle Studie hat am Fall des geplanten Steinkohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg aufgezeigt 6, dass das Projekt nur dann wirtschaftlich wäre, wenn die Annahme der Betreiber einer kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten über 2012 hinaus eintreffen würde . Die Beibehaltung einer dauerhaft kostenlosen Vergabe von Emissionszertifikaten kann also dazu führen, dass CO2-Emissionen geplant „geschaffen“ werden, um Windfall -Profits zu generieren. Das eigentlich zum Zweck des Klimaschutzes geschaffene Emissionshandelssystem schafft auf diese Weise den Anreiz, möglichst viele CO2- Emissionen auszuweisen, die mit der Vergabe kostenloser Zertifikate „belohnt“ werden. Deshalb ist es für die Zusammensetzung des zukünftigen Energiemixes entscheidend, dass die Investoren mit der mittelfristigen Einführung der Vollauktionierung der Emissionszertifikate planen müssen. Welche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von in Deutschland angesiedelten Unternehmen des produzierenden Gewerbes hätte die Vollauktionierung der Zertifikate im Energiesektor? Da eine Auktionierung anstelle einer Gratisvergabe den Preis der Zertifikate nicht verändert , werden auch die Strompreise bei Sicherstellung von wettbewerblichen Verhältnissen im Stromsektor nicht ansteigen. Wenn verhindert werden kann, dass die Marktmacht der vier großen Stromkonzerne zu (ungerechtfertigten) Strompreiserhöhungen eingesetzt wird, sind keine negativen Auswirkungen auf in Deutschland angesiedelte Unternehmen des produzierenden Gewerbes zu erwarten. 6 Vgl. http://www.ifeu.de/energie/pdf/IFEU%20Arrhenius%20_2007_%20-%20BUND%20 Alternativkraftwerk%20final%20V3.pdf [Stand: 03.12.2007]. - 10 - Welche Auswirkungen hat die hundertprozentige Auktionierung im Energiesektor auf die Investitionstätigkeit in eine Modernisierung des deutschen Kraftwerkparks? Wie gesehen verändert die Form der Zertifikatevergabe die ökonomischen Kalküle der Stromkonzerne nicht. Damit wird auch die Attraktivität von Investitionen zur CO2- Minderung nicht verändert. Allerdings kann sich der Entzug der Windfall-Profits durch eine Auktionierung negativ auf die Finanzierungsbedingungen der Stromkonzerne auswirken . Die Zusatzgewinne aus der kostenlosen Zertifikatsvergabe stehen den Stromkonzernen bisher als zusätzliche Investitionsmittel zur Verfügung, wenn sie nicht (vollständig ) an die Anteilseigner ausgeschüttet werden. Da die Windfall-Profits aber keinen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit von CO2-Vermeidungsmaßnahmen haben, ist nicht zu vermuten, dass sie bisher wesentlich zu einer beschleunigten Modernisierung des Kraftwerkparks verwendet wurden. Vielmehr scheinen Teile der zusätzlichen Mittel für mögliche Beteiligungen und Übernahmen reserviert worden zu sein. Welche Auswirkungen können die Begrenzung für Maßnahmen nach Joint Implementation bzw. Clean Development Mechanism (JI/CDM) auf die Investitionsentscheidung in eine Modernisierung des Kraftwerkparks in Deutschland haben? Die JI und CD-Mechanismen stellen sicher, dass CO2-Verminderungsmaßnahmen auch im Ausland geschehen, wenn sie sich aus wirtschaftlicher Sicht lohnen. Auch für CO2- Einsparungen im Ausland gilt dadurch, dass sie dann durchgeführt werden, wenn sie kostengünstiger sind als der jeweilige Zertifikatpreis. Eine Einschränkung der Anrechenbarkeit von im Ausland eingesparten Emissionen im Inland würde dazu führen, dass entsprechende Maßnahmen im Ausland unterbleiben würden, obwohl sich Emissionen kostengünstiger reduzieren ließen als im Inland. Eine solche Regelung wäre ökonomisch ineffizient. Die Menge im Inland verfügbarer Zertifikate würde durch eine Einschränkung der JI und CD-Mechanismen verringert, was zu einem Anstieg der Zertifikatpreise im Inland führen würde. Dadurch wäre die Attraktivität von Investitionen in die Modernisierung des inländischen Kraftwerkparks erhöht. Da nach dem Kyoto- Protokoll die Menge der insgesamt zur Verfügung stehenden Emissionsrechte aber unverändert bliebe, würde der (teure) ökologische Zusatznutzen im Inland durch verstärkte Emissionen im Ausland konterkariert. Ein ökonomisch und ökologisch sinnvollerer Anreiz zur Beschleunigung der Investitionen in den Kraftwerkspark wäre eine Verminderung der Menge der ausgegebenen Zertifikate. Welchen Einfluss hätte die Vollauktionierung auf die Wirtschaftlichkeit der CCS- Technologie? Wie bei anderen CO2-Vermeidungsmaßnahmen ist der Preis der Zertifikate und nicht die Form der Vergabe bzw. der Auktionierung für die Wirtschaftlichkeit der CO2- - 11 - Abscheidung entscheidend. Falls sich die CCS-Technologie im großen Maßstab technologisch umsetzen lässt, schätzen unterschiedliche Studien bei Kohlekraftwerken eine Bandbreite von 50 bis 100 US-Dollar für die Vermeidungskosten pro Tonne CO2. Im Folgenden ist ein Auszug aus einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zur CCS-Technologie wiedergegeben. Quelle: Donner/Lübbert 2006: 28. (Dr. Claus-Martin Gaul) - 12 - 4. Quellenverzeichnis – DEPARTMENT FOR ENVIRONMENT FOOD AND RURAL AFFAIRS (DEFRA) (2006): EU Emissions Trading Scheme Phase II (2008-2012). Auctioning. 15 S. http://www.defra.gov.uk/environment/climatechange/trading/eu/phase2/pdf/riaauctioning .pdf [Stand: 03.12.2007]. – DIEKMANN, JOCHEN/SCHLEICH, JOACHIM (2006): Auktionierung von Emissionsrechten – Eine Chance für mehr Gerechtigkeit und Effizienz im Emissionshandel. In: Zeitschrift für Energiewirtschaft 30, S.299-306. – DONNER, SUSANNE/LÜBBERT, DANIEL (2006): Kohlendioxid-arme Kraftwerke. Info-Brief der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags (52 Seiten). http://www.bundestag.de/bic/analysen/2006/Kohlendioxid-arme_Kraftwerke.pdf [Stand: 03.12.2007]. – ECOLOGIC – INSTITUT FÜR INTERNATIONALE UND EUROPÄISCHE UMWELTPOLITIK GMBH (2005): Strompreiseffekte des Emissionshandels- Bewertung und Lösungsansätze aus ökonomischer Sicht. Kurzgutachten für Greenpeace. 56 Seiten. Berlin. http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/energie /GP_ecologic_Strompreiseffekte_des_Emissionshandels.pdf [Stand: 03.12.2006]. – GAUL, CLAUS-MARTIN (2006): Die ökonomischen Ursachen der Entstehung von Windfall Profits der Stromerzeuger durch die Einführung des Handels mit Emissionszertifikaten . Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Aktueller Begriff 27/06. – KEMFERT, CLAUDIA et al. (2006): Offener Brief zur Verbesserung des Emissionsrechtehandels . 2 S. http://www.tu-dresden.de/wwbwleeg/20060621_offener_ brief_BMU.pdf [Stand: 03.12.2007]. – MITTEILUNG DER KOMMISSION (2005): Neue Hinweise zu den Zuteilungsplänen für den Handelszeitraum 2008-2012 des Systems für den EU-Emissionshandel. KOM (2005) 703 endgültig vom 22.12.2005. http://ec.europa.eu/environment/ climat/pdf/nap_2_guidance_de.pdf [Stand 03.12.2007]. – SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (2006): Die nationale Umsetzung des europäischen Emissionshandels. 15 S. Berlin. http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/nap_stellungnahme_sru.pdf [Stand: 03.12.2007]. – VERBAND DER INDUSTRIELLEN ENERGIE- UND KRAFTWIRTSCHAFT (VIK) (2005): Pressemitteilung: Berechnung der Windfall Profits der Strombranche durch den CO2-Emissionshandel. www.vik.de/fileadmin/vik/Pressemitteilungen /JPK2005/VIK_Berechnungen_Windfall_Profits.pdf [Stand: 03.12.2007].