WISSENSCHAFTLICHE DIENSTE DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES AUSARBEITUNG Thema: Die Bedeutung Russlands für die Energieversorgung Deutschlands Fachbereich V Wirtschaft und Technologie; Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft; Tourismus Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: Reg.-Nr.: 1B11111111n1131 04. Januar 2006 WF V - 215/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des - einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Die für die Energieversorgung Deutschlands wichtigsten Primärenergieträger sind Kohle, Öl und Erdgas. Während Kohle geologisch weit verbreitet ist und auch in Deutschland vorkommt, ist die Bundesrepublik bei der Versorgung mit Erdgas und Öl fast vollständig auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Diese Energieträger werden international gehandelt. Der in Anlage 1 beigefügte Beitrag von Friedemann Müller beschreibt die wesentlichen Unterschiede der internationalen Märkte für Erdgas und Öl im Vergleich zu funktionierenden Wettbewerbsmärkten. Der Autor nennt dabei vier wesentliche Punkte. Als erstes muss die Endlichkeit der gehandelten Ressourcen berücksichtigt werden. Der historische Höhepunkt der weltweiten Produktion von Öl und Erdgas ist in den kommenden drei Jahrzehnten zu erwarten. Damit werden Öl und Gas in absehbarer Zeit immer knapper werden, was die weltweite Konkurrenz unter den Verbrauchern zunehmend verschärfen wird. Die Endlichkeit der Ressourcen führt andererseits auf der Seite der Anbieter zur Frage nach der bestmöglichen zeitlichen Verteilung der Förderung von Öl und Gas, die nicht allein von ökonomischen sondern auch durch politische Kalküle bestimmt werden wird. Der zweite Unterschied zu einem funktionierenden Wettbewerbsmarkt ist die regionale Konzentration der Reserven von Öl und Erdgas. Dies führt zu einer marktbeherrschenden Stellung einiger weniger Anbieter . So lagern im Nahen Osten 62 % der weltweit bekannten Ölreserven. Russland verfügt über 6 % der weltweiten Ölvorkommen. Beim Erdgas finden sich 41 % der weltweit bekannten Reserven im Nahen Osten, in Russland sind es 27 %. Russland ist damit das Land mit den weltweit größten Erdgasvorkommen. , Die Konzentration in wenigen Gebieten führt dazu, dass die Anbieter von Öl und Gas höhere Preise durchsetzen können, als dies auf einem freien Wettbewerbsmarkt der Fall wäre. Die dritte Besonderheit der Öl- und Gasmärkte ist die Begrenzung durch den Transport. Trotz der Auslieferung durch Tanker, die in Form von Flüssiggastransporten (LNG) auch für Gas zunehmend an Bedeutung erlangen, sind wesentliche Teile der Lieferungen auf Pipelinesysteme beschränkt. Deswegen ist die regionale Nähe von Produktionsstandort und Absatzmarkt ein wesentlicher Faktor in der Struktur der Öl- und Gasmärkte. Als vierte Besonderheit nennt der Autor die Politisierung der internationalen Energieversorgungsmärkte . Innerhalb der Produzentenländer wird die Frage der Eigentumsstruktur und Verwendung der nationalen Reserven zum Teil kontrovers diskutiert. Die Interessen der OPEC als politischer Vertretung der meisten Erdölproduzenten gehen weit über die reine Marktregulierung hinaus. Die wichtigsten Öl- und Gasproduzenten sind nicht oder unvollständig in die Regularien der Welthandelsorganisation WTO integriert. Schließlich stellen die internationalen Transportwege ein empfindliches Ziel für militärische oder terroristische Bedrohungen dar. Aus diesen Gründen sind die Märkte für Öl und Gas stark durch politische Entwicklungen beeinflusst. Nach Ansicht Müllers sind die Chancen Europas für eine durch einen Wettbewerbsmarkt ähnliche Versorgung mit Öl und Gas dennoch günstiger als in anderen Importregionen der Welt, da Europa geo- grafisch in Reichweite der drei wichtigsten Förderregionen Naher Osten, Nordafrika und Russland liegt. MÜLLER, Friedemann (2005): Geopolitische Marktstörungen bei endlichen Ressourcen. In: Zeitschrift für Energiewirtschaft 29, S. 197-204. Anlage 1 Die bis hierher beschriebenen Besonderheiten der globalen Energiemärkte werfen die Frage nach der Versorgungssicherheit Deutschlands bzw. Europas auf. Mit dieseni Thema befasst sich der ats Anlage 2 beigefügte Artikel von Frank Umbach. Auch dieser Autor betont zunächst; dass die internationalen Märkte für Öl und Erdgas nicht den Regeln einer globalen Marktwirtschaft folgen. Insbesondere die Bemühungen der staatlich unterstützten Energiewirtschaft in asiatischen Ländern, vor allem in China, führen zu einer zunehmend unilateralen Ausrichtung der Anbieter und Nachfrager. Dies stellt eine Herausforderung für die Energiepolitik Europas und Deutschlands dar. Die EU ist heute der weltweit größte Energieimporteur. Die Abhängigkeit von Einfuhren im Energiebereich wird sich zukünftig weiter vergrößern. Im Jahr 2000 legte die EU Kommission ein Grünbuch zur „Energieversorgungssicherheit" vor. Dort wird prognostiziert , dass der Anteil der außereuropäischen Importe der EU am eigenen Erdölverbrauch bis 2030 von. 76 % auf 90 % ansteigen wird. Bei Gas wird der Import von 40 % auf 70 %, bei Kohle von 50 % auf 70 % zunehmen. Der Grund hierfür ist nicht so sehr ein zunehmender Energieverbrauch, sondern das Schwinden der eigenen Öl- und Gasvorkommen der europäischen Förderländer Großbritannien und Norwegen. Damit wird die Abhängigkeit Europas von den Förderregionen im Nahen Osten, im Kaspischen Becken, in Nordafrika und in Russland mittelfristig zunehmen. Der Autor fordert angesichts dieser Entwicklung eine auf der europäischen Ebene abgestimmte politische Strategie zur Energieversorgungssicherheit Deutschlands. Den dazu notwendigen Diskussions- und Abstimmungsprozess zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium einerseits und Außen und Verteidigungsministerium andererseits sieht er gegenwärtig erst am Anfang. Ein wichtiges Ziel der internationalen Energiepolitik muss die Erhöhung der Förderkapazitäten sein, damit politische und ökonomische Schwankungen der Energieversorgung besser ausgeglichen werden können. Die Internationale Energieagentur (IEA) beziffert den notwendigen Investitionsbedarf zur Sicherung der globalen Energieversorgung auf 16 Bio. US Dollar in den nächsten Jahrzehnten. Für die Durchführung der Investitionen sind entsprechend stabile Rahmenbedingungen notwendig. Der Autor führt eine Reihe von strategischen Trends und Fakten an, die bei der Formulierung einer_ zukünftigen nationalen und internationalen Energiepolitik zu beachten sind. Als grundlegenden Befund hält er die zunehmenden politischen und ökonomischen Risiken für die Energieversorgung Europas und Deutschlands fest und fordert die Versorgungssicherheit als Ziel der Energiepolitik zukünftig stärker zu berücksichtigen. 4 Für den Autor sind die Entscheidungen der deutschen Politik hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie und der heimischen Steinkohle vor diesem Hintergrund neu zu überdenken . Die energiepolitischen Beziehungen Deutschlands und der EU zu Russland ordnet Umbach in die Frage der Versorgungssicherheit ein. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder und die EU-Kommission haben sich in der Vergangenheit für eine enge strategische Energiepartnerschaft mit Russland ausgesprochen. Umbach befürchtet, dass Deutschland wegen einer zu geringen Diversifizierung seiner Energielieferanten in zu große Abhängigkeit von Russland geraten könnte. Insbesondere beim Erdgas könnte der Anteil Russlands an den deutschen Importen von derzeit 40 % auf 60 bis 70 % ansteigen . Eine solche Entwicklung hält der Autor für problematisch, da Russland die Energielieferungen als Teil seiner außen- und sicherheitspolitischen Konzepte begreift. Dafür spricht auch die derzeit zu beobachtende Renationalisierungstendenz in der russischen Energiewirtschaft, durch die eine Mehrheit der Anteile an den großen Energieunternehmen wieder in staatliche Hände überführt und ausländische Investoren auf Beteiligungen unter 20 % beschränkt wurden. Zwar sieht Umbach keine wirkliche Alternative zu einer strategischen Energiepartnerschaft mit Russland, spricht sich aber für die Wahrung einer kritischen Distanz aus. UMBACH, Frank (2005): Europäische und deutsche Energieversorgungssicherheit am Scheideweg. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 55, S.629-639. Anlage 2 Einen Überblick über die europäische Strategie zur Energieversorgurigssicherheit und die Rolle Russlands, wie sie sich seit dem Grünbuch der EU-Kommission vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2005 entwickelt hat, liefert der Beitrag von Antje Nötzold für das Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung, der als Anlage 3 beigefügt ist. Zunächst beschreibt die Autorin die veränderten Rahmenbedingungen der Versorgungslage. 70 % der Erdöl- und Erdgasreserven lagern in Regionen mit zweifelhafter politischer bzw. sozioökonomischer Stabilität. Dazu zählt die Autorin auch Russland. Gleichzeitig wächst die weltweite Nachfrage durch den Boom der asiatischen Staaten stark an. Deshalb rechnet die Europäische Kommission mit weiter steigenden Energiepreisen. Den Hauptansatzpunkt einer neuen Energiepolitik der Europäischen Union sollen die Erhöhung der Energieeffizienz und der Ausbau regenerativer Energieträger bilden, um eine Reduzierung der zukünftig notwendigen Energieimporte zu erreichen. Trotzdem bleibt die Versorgungssicherheit ein zentraler Punkt der Energiestrategie, da sich der Importbedarf der EU in den kommenden Jahren wegen des Sinkens der eigenen Produktion stark erhöhen wird. Im Jahr 2020 wird Europa 90 % seines Erdöl- und 70 % seines Gasverbrauchs importieren müssen. Im Rahmen der Umsetzung des Kyoto-Protokolls und des von einigen Ländern geplanten Atomausstiegs wird vor allem die Bedeutung von Erdgasimporten nach Europa zunehmen. Bereits für das Jahr 2005 hatte Energie- 5 kommissar Piebalgs ein neues Grünbuch zur europäischen Versorgungssicherheit vorgesehen , das bisher allerdings noch nicht vorliegt. Darin soll neben der Diversifizierung der Importe der Dialog mit allen Liefer- und Transitländern angeregt werden. Mit Russland , dem eine Schlüsselrolle zukommt, besteht seit dem Jahr 2000 eine offizielle Energiepartnerschaft der EU, in deren Rahmen der so genannte „EU-Russland Energiedialog " eingerichtet wurde. Grundlage der Partnerschaft sind Fragen. von beiderseitigem Interesse, was die Kooperation bei Energieeinsparungen, Rationalisierungen der Pro- . duktions- und Transportinfrastruktur und Investitionsmöglichkeiten sowie zwischenstaatliche Beziehungen beinhaltet. Nach Einschätzung der EU-Kommission war der Energiedialog mit Russland bislang erfolgreich und eine Vielzahl von Einzelproblernen konnte gelöst und Vertrauen aufgebaut werden. Langfristige Verträge, für eine verbesserte Versorgungssicherheit wurden geschlossen. Von wirtschaftlicher Seite wird der Energiedialog mit RuSsland positiv bewertet. Die-Rahmenbedingungen für Investitionen in Russland haben sich verbessert und es wird versucht, ein Interdependenzsystem aufzubauen, da Russland für die Erschließung seines Potentials an Öl und Gas europäische Unterstützung durch Technologietransfer. und Investitionen benötigt. Der Sicherung der Investitionsbedingungen in der russischen Energiewirtschaft kommt für die Versorgung Europas eine zentrale Rolle zu. Nach Schätzungen -der EU-Kommission besteht bis zum Jahr 2020 ein InVestitionsbedarf von über 140 Mrd. US Dollar allein zur Aufrechterhaltung der russischen Förder- und Transportsysteme auf dem jetzigen Niveau . Dennoch hat Russland den „Vertrag zur Europäischen Energiecharta", der die Energiezusammenarbeit ausschließlich auf der Grundlage wirtschaftlicher Kriterien vorsieht und der das Investitionsklima verbessern könnte, bislang nicht ratifiziert. Die beschriebenen Renationalisierungstendenzen der russischen Energiewirtschaft stehen dem entgegen. Wenn die Vorstellungen des so • genannten Prodi-Plans umgesetzt und die Erdgasimporte aus Russland nach Europa verdoppelt werden und der Ölirnpört uni 10 % anwächst, würde eine bis dahin auf eventuell 30 Mitglieder erweiterte FU bis zu 85 % ihrer Energieimporte aus Russland beziehen. Die Autorin warnt vor einer möglichen politischen Instrumentalisierung einer solchen Abhängigkeit. Eine Abrailderung dieser Problematik könnte durch eine weitere Diversifizierung erreicht werden, indem die Europäische Union mit allen Partnerregionen im Energiebereich verlässliche Beziehungen aufbaut, ,jedoch wohlwissend dass Russland und der Nahe Osten die wichtigsten Regionen bleiben werden." NÖTZOLD, Anüe (2005): Die europäische Strategie zur Energieversorgungssicherheit . Konrad7Adenauer-Stiftung. Europabüro Brüssel. 7 Seiten. www.kas.de/proj/homelpub/9/1/Year-2005/dokument id-6696/index.html [Stand 30.12.05]. Anlage 3 6 Die Energiepartnerschaft zwischen Russland und der EU wird noch einmal ausführlich im Beitrag von Roland Göti beleuchtet, der als Anlage 4 beigefügt ist. Der Autor ist bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik als Experte 11.Ir die europäisch -russischen Energiebeziehungen tätig und hat eine Vielzahl von Artikeln zur betrachteten Frage veröffentlicht. 1 Als Grundlage der Beziehungen zwischen EU und Russland können die 1999 beschlossene „Gemeinsame Strategie" der EU gegenüber Russland und die 2000 beschlossene Antwort der „Mittelfristigen Strategie gegenüber der EU" von Russland gelten,. die den Prozess eines immer stärkeren Zusammenwachsens der beiden Wirtschaftsräume seit 1990 verstärkten. Auf dem Gebiet der Energiepolitik besteht der beschriebene „Energiedialog" seit dem Jahr 2000. Götz geht im Folgenden der Frage nach, ob Russland als der. „geborene" . Energielieferant für Europa gelten kann. Aufgrund der weltgrößten Erdgasreserven und der weltgrößten Kohle- und Erdölressourcen (Reserven plus nachgewiesene und vermutete Vorkommen) scheint diese Frage zunächst eindeutig mit ja zu beantworten zu sein. Im Vergleich zum Nahen Osten weist Russland für Götz ein deutlich höheres Maß an politischer Stabilität auf und ist deshalb ein geeigneter Handelspartner. Allerdings sind die Förderkosten für Erdöl im Nahen Osten deutlich niedriger und es ist unklar, wann und zu welchen Kosten die noch verbleibenden, unerschlossenen großen Erdgasfelder Russlands atif der Jamal-Halbinsel und in der Barentssee .ausgebeutet werden. Götz betont daher, dass nicht Angaben über vorhandene Reserven und Ressourcen die Bedeutung Russlands als Energielieferant zutreffend charakterisieren, sondern zu diesem Zweck Prognosen über die tatsächlich zu erwartenden Produktions- und Exportmengen herangezogen werden sollten. Im Mai 2003 veröffentlichte die russische Regierung ihre so genannte „Energiestrategie" bis zum Jahr 2020. Dieses Papier kann mit den Prognosen der EU und der Energy Information Administration über den derzeitigen und zukünftigen Energiebedarf Europas in Bezug gesetzt werden. Die sich daraus ergebende. Tabelle 1 auf Seite 1529 im Beitrag von Götz soll wegen ihrer zentralen Bedeutung für das Thema dieser Dokumentation im Folgenden wiedergegeben werden: . Russ. Förderung (optimistische Variante) Russ. Export nach EU-30 Importbedarf EU-30 2000 2020 2000 2020 2000 2020 Erdöl (Mio. 0 324 .520 • 128 160 428 600 Erdgas (Mrd. in3) 584 730 134 165 196 500-600 Quelle: Anlage 4, S.1529. Für weitere Beiträge der Stiftung Wissenschaft und Politik zu Thema siehe http://wvvw.swpberlin .org/brertupitnkteldossier.php7id-4990&PHPSESSID-8fib4e9432180788681 8aca26cb84a5a 7 Unter günstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen soll die russische Erdölförderung bis 2020 auf 520 Mio. Tonnen ansteigen und der Export von Erdöl sich im gleichen Zeitraum auf etwa 300 Mio. Tonnen verdoppeln. Dieser zusätzliche Export soll aber nach den Prognosen der russischen Regierung überwiegend in den USA und Asien abgesetzt werden, für die EU wird ein Wachstum der Lieferungen um nur 25. % vorausgesagt. Der Anteil RuSslands an den Erdölimporten der EU wird demnach 2020 weiterhin bei etwa 30 % liegen.. Beim Erdgas wird sich wegen der sinkenden Eigenproduktion und des zusätzlichen Verbrauchs der. Importbedarf der EU bis 2020 gegenüber dem Jahr 2000 fast verdreifachen. Der russische Export in die EU-30 Staaten wird aber lediglich um 23 % anwachsen. Der Anteil Russlands an den Gasimporten der EU wird von derzeit 70 % auf etwa 30 % im Jahr 2020 absinken. Der Grund hierfür liegt einerseits ebenfalls im geplanten Absatz der russischen Mehrproduktion in Asien und in den USA und andererseits im Zurückbleiben der russischen Mehrproduktion hinter dem steigenden. Importbedarf der EU. Der Grund für die zunehmende Ostorientierung der Energieexporte Russlands ist einerseits in einer bewussten Diversifizierung der Absatzmärkte und andererseits in der geographischen Nähe der neuen Abbaugebiete zu den Märkten in Asien und der amerikanischen Westküste zu suchen. Im Gegensatz zum Szenario des oben erwähnten Prodi-Plans wird die Bedeutung Russlands als Energielieferant für Europa und Deutschland in Zukunft relativ abnehmen, wenn man sich an der russischen Energiestrategie orientiert. Für Europa bedeutet das gezwungenermaßen eine stärkere Orientierung am Weltmarkt vor allem für den Erwerb von Erdgas. Im Gegensatz dazu bleibt aus russischer Sicht die Abhängigkeit von Europa als wichtigstem Absatzmarkt für seine Energielieferungen bestehen. Auch im Jahr 2020 werden 70 % der russischen Gasexporte in die EU-Staaten verkauft werden. Götz sieht also eine in Zukunft sinkende relative Abhängigkeit Europas von den russischen Energielieferungen, die mit einer umso größeren Abhängigkeit von den anderen Exportregionen vor allem im Nahen Osten, in Nordafrika und im Kaspischen Raum einhergeht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Importabhängigkeit der EU im Energiebereich absolut gesehen bis 2020 stark ansteigen und auch die absolute Menge der Lieferungen aus Russland weiter anwachsen wird. Diese absolut steigende Importabhängigkeit stellt die eigentliche Herausforderung an die zukünftige europäische Energieversorgungspolitik dar. Vor diesem Hintergrund untersucht Götz im Weiteren die Perspektive der russisch-europäischen Energiepartnerschaft . Dabei steht die Frage im Vordergrund, unter welchen Bedingungen es möglich sein könnte, dass Russlands Bedeutung für die europäischen Energieimporte bis zum Jahr 2020 doch größer sein könnte als in der Prognose der russischen Regierung veranschlagt . Ein Hindernis stellt die begrenzte Transportkapazität dar. Die nach Westen laufenden Pipelines Russlands sind praktisch vollständig ausgelastet, das gleiche gilt für die Verladekapazitäten der Häfen. Eine Umsetzung der geplanten Erweiterungsinvestitionen kommt nur langsam in Gang. Unabhängig davon stellt sich die Frage, wie die für den Export nach Europa verfügbaren Mengen an Gas und Öl vergrößert werden könnten . Als erstes nennt Götz einige Möglichkeiten für eine stärkere Produktionserhöhung in Russland. Danach betrachtet er die Senkung des erheblichen Binnenverbrauchs Russlands , durch die größere Mengen für den Export frei werden könnten. Hier liegen seiner Meinung nach erhebliche Potenziale, da die Energieintensität der russischen Wirtschaft (Energieaufwand je Einheit Bruttoinlandsprodukt) derzeit dreimal so hoch ist, wie in Westeuropa. Nur etwa 30 % der in Russland geförderten Gasmengen gelangen bislang in den Export. Eine weitere Möglichkeit wäre die Substitution eines Teils des inländischen Gasverbrauchs durch Kohle und Kernenergie. Ein wichtiger Faktor für die Erhöhung der Energieeffizienz in Russland könnte eine Erhöhung der auf niedrigem Niveau festgelegten inländischen Abgabepreise für Gas sein. Erneuerbare Energien werden in Russland erst langfristig eine wichtigere Rolle einnehmen. Der Beitrag von Götz endet mit der Aussage, dass Europa ein hohes Interesse an zuverlässigen und auch zunehmenden Energielieferungen aus Russland hat. Im Kontrast zu den bislang vorgestellten Artikeln hält Götz es nicht für notwendig, die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen politisch zu begrenzen. Seiner Ansicht nach bleiben die 'zukünftigen Importe von Öl und Gas aus Russland angesichts des prognostizierten Importbedarfs der EU hinter dem wünschenswerten Umfang zurück. Damit werden Europa bzw. Deutschland noch stärker in die Abhängigkeit von Lieferungen aus politisch instabileren Regionen wie dem Nahen Osten geraten. GÖTZ, Roland (2003): Licht und Schatten. Die Energiepartnerschaft zwischen Rußland und der EU. In: Osteuropa 53, S.1525-1539. Anlage 4 Derselbe Autor, Roland Götz, hat seine Position zur Frage der „Abhängigkeit" Deutschlands von russischen Energielieferungen im Jahr 2004 noch einmal prägnant auf vier Seiten zusammengefasst (Anlage 5). Anlass war die zu diesem Zeitpunkt geführte Debatte um die russische Tschetschenien-Politik. Der Autor geht der Frage nach, ob die damalige Bundesregierung wegen der Verflechtungen im Energiebereich keine offene Kritik an Russland üben wollte_ Die Möglichkeit eines russischen Lieferboykotts aus politischen Gründen, wie sie gegenwärtig durch die Situation in der Ukraine deutlich vor Augen geführt wird, wurde bereits im Sommer 2004 auf Deutschland bezogen diskutiert. In seiner Analyse betont der Autor zunächst die wichtige Rolle Russlands für die deutsche Energieversorgung. Im Jahr 2003 kamen 31 % der Rohöleinfuhren und 38 % der Erdgaseinfuhren Deutschlands aus Russland. Im Bereich der Öllieferungen • betont Götz, dass Russland kaum Möglichkeiten hat, seine Position als wichtigster Einzellieferant politisch auszubeuten. da Erdöl mit Hilfe von Tankern weltweit angeboten wird und mögliche Lieferausfälle zu überschaubaren Mehrkosten relativ einfach auf dem Weltmarkt auszugleichen sind. Anders schätzt er die Situation bei Erdgas ein, da -9 die meisten Lieferungen über Pipelines erfolgen und so ein engeres Abhängigkeitsverhältnis zwischen Leferanten und Abnehmern besteht. Allerdings steigt der Anteil des weltweit gehandelten Flüssiggases (LNG), das ebenfalls per Schiff transportiert werden kann. Trotz des pipelinegebundenen Erdgastransports sieht Götz kein nennenswertes Drohpotential Russlands gegenüber Deutschland. Der wichtigste Grund hierfür ist die Gegenseitigkeit des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses. Zwar könnte Deutschland die russischen Gaslieferungen nur schwer ersetzen, doch gleichzeitig ist es ebenso schwierig für Russland, seine Lieferungen an andere Abnehmer umzuleiten. Deutschland ist" für Russland der wichtigste Einzelabnehmer. 25,2 % der russischen Erdgasexporte gingen 2003 nach Deutschland. Götz resümiert: „Im Ergebnis zeigt sich, daß für beide Seiten kein wirklicher Spielraum für ein ,Drehen am Gashahn' vorhanden ist. Politische Handelssanktionen würden gerade bei der Ware Erdgas beide betroffenen Seiten teuer zu stehen kommen — niemand hat daher in der Vergangenheit, weder auf russischer noch auf deutscher Seite, mit diesem Gedanken auch nur gespielt." (S. 3) Abschließend gibt Götz einen Ausblick auf die Zukünftige Entwicklung, wie sie ausführlich bereits in Anlage 4 dargestellt wurde. Seiner Ansicht nach wird die relative Bedeutung Russlands für die Versorgung mit Erdgas bis zum Jahr 2020 abnehmen, da sich der europäische_ Bezugvon Erdgas diversifizieren wird. Insbesondere Lieferungen aus Nordafrika und dem Nahen Osten werden an Bedeutung gewinnen und die Abhängigkeitsverhältnisse zu diesen Regionen zunehmen. GÖTZ, Roland . (2004): „Schweigen für Gas"? Deutschlands Abhängigkeit von. Rußlands Energielieferungen. In: SWP-Aktuell 43, September. S.1-4. .&urnerti. h ?id=1024- [Stand 30.12.05]. Anlage 5 Als ergänzender Beitrag ist ein kurzes Diskussionspapier der Stiftung Wissenschaft und Politik aus dem Jahr 2004 von Enno Harks. als Anlage 6 beigefügt. Der Autor skizziert die Perspektiven der zukünftigen Öl- und Gasversorgung Europas und stellt die Frage nach der Bedeutung der unterschiedlichen geographischen Regionen. Zunächst beschreibt der Autor die gegenwärtige Situation, in der Russland und Norwegen die wichtigsten Lieferanten für .Öl und Gas in Europa sind. Dann skizziert er das bereits in Anlage 4 entwickelte Szenario einer abnehmenden europäischen Eigenproduktion und das Absinken der relativen Bedeutung Russlands als Energielieferant bis zum Jahr 2020. Für die daran anschließenden Jahre rückt die Entwicklung und Ausbeutung der großen Gasfelder nördlich von Norwegen und Russland in der Barentssee in den Blickpunkt , die gegenwärtig noch unwirtschaftlich sind. Der Autor vermutet, dass die dortigen Gasvorkommen langfristig als Flüssiggas auf dem Weltmarkt gehandelt und so Teil der europäiSchen Gasversorgung werden könnten. - 10 - 1-14RKS, Enno (2004): Europe 's fitture oil and gas supply — north, east or south ? Working Paper FG 8, 2004/02. SWP Berlin. http://www.swp-berlin.org/common/get document.php?id=1086 [Stand 30.12.05] Anlage 6 Als letzte Anlage ist eine Reihe von Presseartikeln zum derzeitigen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine über die, ain 01. Januar 2006 vorläufig eingestellten Gaslieferungen beigefügt, die -vom 02.01. bis 04.01. 2006 erschienen sind. Die Artikel „Gasprom stoppt Erdgaslieferungen an die Ukraine" (FAZ vom 02.01.06) und „For Putin and the Kremlin, a Not so Happy New Year" (nytimes.com vom 03.01.06) beschreiben die Ausgangssituation. Die Artikel „Wie du mir, so ich dir?" und „Bindungen " (FAZ vorn 02.0.1.06) beleuchten den Hintergrund der rnssisCh-uktainischen Energiebeziehungen . Die beigefügten Kommentare „Erdgas ist Macht" (Süddeutsche Zeitung vorn 03.01.06), „Gefährliche Abhängigkeit" (Die Welt vom 03.01.06) und „In der Hand des Kreml" (FAZ vom 03.01.06). sowie der Artikel „Jedes Land sollte Weltmarktpreise zahlen" (Spiegel-Online vom 02.01.06) nehmen die aktuelle Situation zum Anlass, auf die . europäiSche bzw. deutsche Energieversorgungssicherheit und die Abhängigkeit von Russland einzugehen. Dabei kommen Probleme zur Sprache, die in den zuvor beschriebenen Anlagen zumeist bereits angesprochen wurden: — Russlands Möglichkeit und Bereitschaft, die Gaslieferungen an politische Forderungen zu knüpfen: - — Die Abhängigkeit, der russischen Energielieferungen vom Pipelinesystem und Russlands Versuch, umfassende Kontrolle hierüber auszuüben. — Die zunehmende Abhängigkeit Europas und Deutschlands von Energieimporten • — Die Notwendigkeit der Diversifikation der deutschen bzw. europäischen Energieversorgung in Bezug auf die Lieferregionen und die Energieträge. Daran anknüpfend die. Diskussion um die Rolle von Erneuerbaren Energien, Kernenergie und Kohle. — Die zunehMende Bedeutung Chinas als Nachfrager auf den Energiemärkten. — Das Fehlen eines funktionierenden Wettbewerbsmarktes für Gas und die zukünftige Bedeutungdeg Flüssiggastransports per Tanker. Die Wichtigkeit zukünftiger Investitionen in den Förderregionen. Die abschließende Meldung „Russland und Ukraine verkünden Frieden im Gasstreit" (ftd.de vom 04.01.06) beschreibt die vorläufige Einigung beider Parteien. Presseartikel vom 02.01 06 bis 04.01.06 zum russisch-ukrainischen Gaskonflikt. Anlage 7