Deutscher Bundestag Laufzeiten der Atomkraftwerke Neckarwestheim und Philippsburg Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 5 – 3000-203/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-203/10 Seite 2 Laufzeiten der Atomkraftwerke Neckarwestheim und Philippsburg Verfasser: Aktenzeichen: WD 5 – 3000-203/10 Abschluss der Arbeit: 13. Oktober 2010 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-203/10 Seite 3 In der „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000“ (sog. Atomkonsens) hatten sich die damalige Bundesregierung und die Energieversorgungsunternehmen verständigt, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet zu beenden . Für jede Atomkraftanlage wurde auf der Grundlage einer Regellaufzeit von 32 Kalenderjahren und einer auf Basis der Vorjahre errechneten Referenzstrommenge eine ab dem Jahr 2000 verbleibende Reststrommenge ermittelt. Mit dem „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität“ vom 22. April 20021 hat der Gesetzgeber diese Vereinbarung umgesetzt und die Reststrommengen gesetzlich festgeschrieben. Sobald ein Kernkraftwerk die aufgeführte Elektrizitätsmenge produziert hat, sollte dessen Betriebsberechtigung erlöschen. Um eine gewisse Flexibilität bei der Produktion zu erhalten, wurde zudem geregelt, dass Stromproduktionsrechte (Reststrommengen) von einem älteren Kernkraftwerk auf ein neueres übertragen werden können, ebenso bei Zustimmung durch das Bundesamt für Strahlenschutz auch in umgekehrter Richtung. Im „Entwurf eines elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes“ vom 28. September 20102, in dem die Fraktionen der CDU/CSU und FDP ihr Energiekonzept umsetzen, wird die früher fixierte Laufzeit der Kernkraftwerke befristet verlängert: Bei Kernkraftwerken mit Beginn des Leistungsbetriebs bis einschließlich 1980 um acht Jahre (Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1), bei jüngeren Kraftwerken um 14 Jahre (Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2). Dies bedeutet für die vier genannten Kernkraftwerke folgende Elektrizitätsmengenerzeugungsrechte: KKW Reststrommenge Laufzeitverlängerung Atomkonsens 20003 Gesetzentwurf 20104 Neckarwestheim 1 (Betriebsbeginn 1976) 0,942 TWh 51,000 TWh Neckarwestheim 2 (Betriebsbeginn 1989) 124,101 TWh 139,793 TWh Philippsburg 1 (Betriebsbeginn 1980) 12,757 TWh 55,826 TWh Philippsburg 2 (Betriebsbeginn 1985) 85,571 TWh 146,956 TWh Eine Berechnung der sich aus dem Gesetzentwurf ergebenden Verlängerungen der jeweiligen Laufzeiten muss zunächst unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die Unternehmen nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen werden, Reststrommengen von einem auf ein anderes Kraftwerk zu übertragen. Des weiteren werden folgende, an der Stromproduktion (netto) der vergangenen Jahre orientierten Szenarien angenommen: 1 BGBl. I 2002 Nr. 26 S. 1351. 2 BT-Drs. 17/3051 v. 28.09.2010. 3 Bekanntmachung des Bundesamts für Strahlenschutz gemäß § 7 Absatz 1c AtG Stand einschließlich Juli 2010, http://www.bfs.de/de/kerntechnik/Reststrommenge_0710.pdf (abgerufen am 12.10.2010). 4 Anlage 2 des Gesetzentwurfs BT-Drs. 17/3051 v. 28.09.2010. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-203/10 Seite 4 Szenarium A: künftige Jahresproduktion wie im Jahr 2009 Neckarwestheim 1 4,362 TWh Neckarwestheim 2 10,780 TWh Philippsburg 1 6,150 TWh Philippsburg 2 10,970 TWh Szenarium B: künftige Jahresproduktion wie im Jahre 2007 Neckarwestheim 1 4,714 TWh Neckarwestheim 2 10,411 TWh Philippsburg 1 6,966 TWh Philippsburg 2 11,181 TWh Szenarium C: künftige Jahresproduktion wie im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2008 Neckarwestheim 1 5,654 TWh Neckarwestheim 2 10,503 TWh Philippsburg 1 6,570 TWh Philippsburg 2 10,660 TWh Unter Berücksichtigung der drei o. g. Szenarien errechnen sich aus der avisierten Gesetzesänderung folgende Laufzeitverlängerungen: Laufzeitverlängerung in Jahren Szenarium A (2009) Szenarium B (2007) Szenarium C (2000-2006) Neckarwestheim 1 11,7 10,8 9,0 Neckarwestheim 2 13,0 13,4 13,3 Philippsburg 1 9,1 8,0 8,5 Philippsburg 2 13,4 13,1 13,8 Die Tabelle zeigt, dass die errechneten Laufzeiten in etwa bei den Zielzeiträumen 8 bzw. 14 Jahre liegen. Auffällig ist, dass die Szenarien A und B für Neckarwestheim 1 dagegen einen erheblich Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-203/10 Seite 5 längeren Laufzeithorizont ausweisen. Das Kernkraftwerk wurde, möglicherweise um den Abschaltzeitpunkt über das Jahr 2010 hinauszuschieben, im laufenden Jahr mit geringerer Leistung betrieben (z. B. durchschnittliche Monatsproduktion im Jahr 2009: 364 GWh; Produktion im Jahr 2010: Januar 382 GWh , März 155 GWh, Mai 111 GWh, Juli 102 GWh). Ergänzt man zu den errechneten Laufzeitverlängerungen die zudem noch verbleibenden Reststrommengen aus dem Atomkonsens 2000, würde unter den o. g. Szenarien das Recht zum Leistungsbetrieb in den genannten Kernkraftwerken in folgenden Jahren erlöschen: Abschaltung Monat/Jahr Szenarium A (2009) Szenarium B (2007) Szenarium C (2000-2006) Neckarwestheim 1 5/2022 7/2021 9/2019 Neckarwestheim 2 1/2035 11/2035 8/2035 Philippsburg 1 9/2021 5/2020 12/2020 Philippsburg 2 9/2031 5/2031 5/2032 Es ist nochmals daraufhin zuweisen, dass die Kraftwerksbetreiber die Restlaufzeiten durch die Übertragung der zugebilligten Stromproduktionsrechte von einem Kraftwerk auf ein anderes beeinflussen können. Zudem können durch Verringerung der angenommenen Jahresproduktion über geringere Auslastung (Beispiel s.o. Neckarwestheim 1) oder längere Stillstandzeiten (planmäßige Abschaltung, Wartungsarbeiten, Pannen) die o. g. errechneten voraussichtlichen Ausstiegstermine zeitlich hinausgeschoben werden.