© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 192/14 Zur Frage der Zulässigkeit der Finanzierung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr durch Regionalisierungsmittel und zu weiteren mit dem Themenkomplex „Schienenverkehr in Deutschland“ zusammenhängenden Fragen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 2 Zur Frage der Zulässigkeit der Finanzierung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr durch Regionalisierungsmittel und zu weiteren mit dem Themenkomplex „Schienenverkehr in Deutschland“ zusammenhängenden Fragen Verfasser: Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 192/14 Abschluss der Arbeit: 24. Oktober 2014 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zulässigkeit der Finanzierung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr durch Regionalisierungsmittel? 6 2.1. Rechtliche Vorgaben im Bereich der Finanzierung von Schienenverkehrsleistungen 6 2.1.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Regionalisierung des SPNV 7 2.1.2. Einfachgesetzliche Konkretisierung – Regelungen des Regionalisierungsgesetzes 8 2.1.3. Zwischenfazit 9 2.2. Praxis der Erbringung von Schienenverkehrsleistungen in Deutschland 10 2.2.1. Praxis der Erbringung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) 11 2.2.2. Praxis der Erbringung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) 12 2.3. Ergebnis 13 3. Erforderlichkeit eines „Fernverkehrssicherstellungsgesetzes“ trotz § 15 AEG? 14 3.1. Entwurf eines Fernverkehrssicherstellungsgesetzes im Jahr 2008 15 3.2. Die Regelungen des § 15 AEG 16 4. Pflicht zur Durchführung eines wettbewerblichen Auswahlverfahrens bei jeder Vergabe von Schienenverkehrsleistungen? 18 4.1. Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs im Jahr 2011 18 4.2. Ausschreibungspflicht bei SPFV-Leistungen zur Erfüllung der Gewährleistungspflicht aus Art. 87e Abs. 4 GG? 19 5. Quellen- und Literaturverzeichnis 21 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 4 1. Einleitung Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet die Pressemitteilung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Niedersachsen vom 5. August 2011. Darin heißt es: „Reisen in neuen, komfortablen Intercity-Doppelstockzügen zum Preis eines Nahverkehrstickets – was sich für Bahnfahrer wie ein einmaliges Schnäppchen anhört, zählt zwischen Bremen und der niedersächsischen Nordseeküste schon bald zum Standardangebot. Entsprechende Pläne haben Niedersachsens Verkehrsminister […] Bode, Bremens Verkehrssenator […] Lohse, [der] Personenverkehrsvorstand der Deutschen Bahn (DB) [Homburg ] und [der] Geschäftsführer der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) [Menn] […] vor der Landespressekonferenz in Hannover erläutert. Danach können Fahrgäste zum Fahrplanwechsel im Dezember 2013 erstmals mit einem einfachen Nahverkehrsticket und ohne Aufpreis die neuen Intercity-Doppelstockzüge auf der ca. 160 Kilometer langen Teilstrecke zwischen Bremen und Norddeich Mole nutzen. Das bundesweit und in dieser Dimension einmalige Angebot wird umgesetzt, weil die DB ihr Fernverkehrsangebot deutlich ausweitet und Niedersachsen sowie Bremen der DB die Mindereinnahmen ersetzen, die sich aus der Anerkennung der niedrigeren Nahverkehrstarife ergeben. Regionalisierungsmittel, die für Verkehrsminister Bode und Verkehrssenator Lohse gut angelegt sind. „Die Menschen erhalten zwischen Bremen, Oldenburg und Emden ein sehr preisgünstiges Angebot, gleichzeitig sichern wir langfristig den IC-Fernverkehr westlich von Bremen Richtung Nordseeküste“, begründen Bohde und Lohse das finanzielle Engagement , zu dem sich Niedersachsen und Bremen bis 2022 gegenüber der DB verpflichten. […]“1 Ausgehend von den mit dem vorliegenden Sachstand zu beantwortenden Fragestellungen und unter Bezugnahme auf diese Pressemitteilung wurden der niedersächsischen Landesnahverkehrsgesellschaft mbH (LNVG)2 folgende Fragen per E-Mail mit der Bitte um Beantwortung vorgelegt: 1 So die Pressemitteilung vom 05.08.2011 „Länder leisten Tarifausgleich/Neuer IC-Halt in Hude“ auf der Internetseite des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Link: http://www.mw.niedersachsen .de/portal/live.php?navigation_id=5459&article_id=98156&_psmand=18 (letzter Abruf: 24.10.2014). 2 Nach § 8 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Niedersächsischen Nahverkehrsgesetzes (Gesetz vom 28.06.19995 (Nds. GVBl. 1995, S. 180), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.10.2009 (Nds. GVBl. Nr. 22/2009, S. 366) nimmt die LNVG die Aufgaben des Landes Niedersachsen als Aufgabenträger für den Bereich des Schienenpersonennahverkehrs wahr (ohne die Region Hannover und den Bereich des Zweckverbands „Großraum Braunschweig“). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 5 „1. Sind die o.g. Verträge zwischen der DB AG und der LNVG zustande gekommen? 2. Werden die Mindereinnahmen der DB, die daraus resultieren, dass Inhaber von Nahverkehrstickets aufgrund der o.g. Verträge berechtigt sind, Leistungen des Schienenpersonenfernverkehrs ohne Aufpreis in Anspruch nehmen zu können, seitens der benannten Bundesländer ausgeglichen? 3. Wenn ja, werden zum Zwecke der Kompensation dieser Mindereinnahmen Regionalisierungsmittel im Sinne des Regionalisierungsgesetzes (vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2395), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2598)) verwendet?“ Die LNVG antwortete folgendermaßen: Nach Informationen des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg wird es ein identisches Verkehrskonzept in Baden-Württemberg ab 2017 geben.3 Nach Informationen u. a. des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur wird in Rheinland-Pfalz die zukünftige Durchführung eines ähnlichen Verkehrskonzeptes ebenfalls erwogen; Verhandlungen mit der DB AG sind noch nicht abgeschlossen.4 Der vorliegende Sachstand geht der Frage nach, inwieweit diese umstrittenen5 Verkehrskonzepte, die zu einer Integration von Schienenpersonenfern- und –nahverkehr führen, insbesondere vor 3 Vgl. die Pressemitteilung vom 06.02.2014 „Neues Verkehrskonzept für die Gäubahn“ auf der Internetseite des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg. Link: http://mvi.baden-wuerttemberg .de/de/ministerium/presse/pressemitteilung/pid/neues-verkehrskonzept-fuer-die-gaeubahn/ (letzter Abruf: 24.10.2014). Weitere Erläuterungen finden sich in den „Fragen und Antworten zum Nahverkehrskonzept auf der Gäubahn“ vom 06.02.2014 auf der Internetseite des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden- Württemberg. Link: http://mvi.baden-wuerttemberg.de/de/ministerium/presse/pressemitteilung/pid/fragen-undantworten -zum-nahverkehrskonzept-auf-der-gaeubahn/?cHash=ddd256f5d39626ecd4420d315c0fe1c4 (letzter Abruf: 24.10.2014). 4 Vgl. die Pressemitteilung vom 18.06.2014 „Infrastrukturministerium: CDU-Kritik an Vorgehen des Landes falsch“ auf der Internetseite des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz. Link: http://isim.rlp.de/no_cache/einzelansicht/archive/2014/june/article/infrastrukturministerium-cdu-kritik-anvorgehen -des-landes-falsch/ (letzter Abruf: 24.10.2014). Ergänzend dazu die Pressemitteilung vom 23.06.2014 „Keine Regionalisierungsmittel für den Fernverkehr zwischen Koblenz und Trier“ auf der Internetseite des mofair e. V. Link: http://www.mofair.de/db/news/meldung_15380.html# (letzter Abruf: 24.10.2014). 5 Vgl. dazu exemplarisch Knödler, Gernot (2012). Mit dem Nahverkehrsticket im Intercity. Online-Artikel vom 22.01.2012. Link: http://www.taz.de/!86159/ (letzter Abruf: 24.10.2014); Schwenn, Kerstin (2012). Zwitter-Züge in Richtung Nordsee. Online-Artikel vom 19.01.2012. Link: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eisenbahnzwitter -zuege-in-richtung-nordsee-11614479.html (letzter Abruf: 24.10.2014); Hennigfeld, Stefan (2012). Inter- City-Finanzierung: Kritik von Mofair, VDV zurückhaltend. Online-Artikel vom 20.04.2012. Link: http://www.zughalt.de/2012/04/intercity-finanzierung-kritik-von-mofair-vdv-zuruckhaltend/ (letzter Abruf: 24.10.2014). Schmidt-Auerbach, Markus (2011). Niedersachsen gibt RegMittel für den Fernverkehr. ÖPNV aktuell – Wirtschaftsinformationen für den öffentlichen Personenverkehr. Nr. 63/2011 vom 09.08.2011. Link: http://www.oepnvaktuell.de/fileadmin/user_upload/Werbebelegversand/OEPNVaktuell_Nr_063_2011.pdf (letzter Abruf: 24.10.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 6 dem Hintergrund bestehender gesetzlicher Vorgaben zur Finanzierung und Beauftragung von Schienenverkehrsleistungen rechtmäßig sind (2.). Darüber hinaus werden Fragen beantwortet, die sich mit dem Komplex der Gewährleistungspflicht des Bundes für Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr sowie mit der Problematik der Ausschreibungspflicht für Schienenverkehrsleistungen in Deutschland auseinandersetzen. In Bezug auf die unter 2. bearbeitete Fragestellung sei noch auf Folgendes hingewiesen: Mangels Kenntnis der konkreten Verträge zwischen den Beteiligten in Niedersachsen und Baden-Württemberg sowie der konkreten Verhandlungsgegenstände in Rheinland-Pfalz können nur allgemeine Erwägungen zur Rechtmäßigkeit solcher Verkehrskonzepte angestellt werden. Eine abschließende Bewertung der Rechtmäßigkeit der konkreten vertraglichen Ausgestaltung eines solchen Verkehrskonzeptes wie etwa in Niedersachsen oder Baden-Württemberg ist ohne Kenntnis der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles nicht möglich. 2. Zulässigkeit der Finanzierung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr durch Regionalisierungsmittel? Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, ob es zulässig ist, Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) seitens der Länder durch Regionalisierungsmittel zu finanziert . Zu diesem Zweck werden im ersten Teil die maßgeblichen rechtlichen Vorgaben dargestellt . Im zweiten Teil folgen Ausführungen zur Praxis der Erbringung von Schienenverkehrsleistungen in Deutschland. Die Erörterung der Frage schließt mit einem Fazit. 2.1. Rechtliche Vorgaben im Bereich der Finanzierung von Schienenverkehrsleistungen Sowohl das „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes“ (GG-ÄndG) vom 20. Dezember 19936 als auch das „Eisenbahnneuordnungsgesetz“ (ENeuOG) vom 27. Dezember 19937 bilden die rechtliche Grundlage für die Bahnreform, die seitdem eine weitreichende Umgestaltung der bis dahin in bundeseigener Verwaltung geführten Bundeseisenbahnen bewirkt hat.8 Die wesentlichen Ziele der Reform waren die Organisationsprivatisierung der Eisenbahnen des Bundes, eine Privatisierung ihrer Aufgaben, eine Öffnung des Verkehrs auf dem Schienennetz dieser Bahnen für den Wettbewerb und eine Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV).9 6 BGBl. I S. 2089. 7 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27.12.1993, BGBl. I S. 2378, 1994 I S. 2439; zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.10.2013, BGBl. I S. 3836. 8 Vgl. dazu Suckale, Margret (2006). Die Reform der deutschen Staatsbahnen. In: Hermes, Georg/Sellner, Dieter (Hrsg., 2006). Beck’scher AEG-Kommentar. München: Verlag C. H. Beck. 2006. Rn. 1 ff.; Wachinger, Lorenz /Wittemann, Martin (1996). Regionalisierung des ÖPNV. Der rechtliche Rahmen in Bund und Ländern nach der Bahnreform. Bielefeld: Erich Schmidt Verlag. 1996. S. 27 ff. 9 So Windthorst, Kay (2011). In: Sachs, Michael (Hrsg., 2011). Grundgesetz. Kommentar. München: C. H. Beck Verlag. 2011. Art. 87e Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 7 2.1.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Regionalisierung des SPNV Zentrale Vorschrift für die Neuordnung des Bahnwesens in Deutschland ist der mit dem GG- ÄndG vom 20. Dezember 1993 eingeführte Artikel 87e Grundgesetz (GG)10. Die Norm lautet: „Art. 87e (1) Die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes wird in bundeseigener Verwaltung geführt. Durch Bundesgesetz können Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung den Ländern als eigene Angelegenheit übertragen werden. (2) Der Bund nimmt die über den Bereich der Eisenbahnen hinausgehenden Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung wahr, die ihm durch Bundesgesetz übertragen werden. (3) Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt. Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst. Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Unternehmen nach Satz 2 erfolgt auf Grund eines Gesetzes; die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen verbleibt beim Bund. Das Näher wird durch Bundesgesetz geregelt. (4) Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen , beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. (5) Gesetze auf Grund der Absätze 1 bis 4 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Der Zustimmung des Bundesrates bedürfen ferner Gesetz, die die Auflösung, die Verschmelzung und die Aufspaltung von Eisenbahnunternehmen des Bundes, die Übertragung von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes an Dritte sowie die Stilllegung von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes regeln oder Auswirkungen auf den Schienenpersonennahverkehr haben.“ Die Möglichkeit der Übertragung der Aufgaben- und Finanzverantwortung für den öffentlichen SPNV auf die Länder (Regionalisierung des SPNV) wurde durch die Regelung in Art. 87e Abs. 1 Satz 2 GG eröffnet.11 Damit wurde eine zentrale Forderung der Regierungskommission Bundesbahn aus dem Jahr 1991 erfüllt.12 Im Hinblick auf den Zeitpunkt des Übergangs dieser Verantwortung auf die Länder ist die Regelung des ebenfalls durch das GG-ÄndG vom 20. Dezember 1993 eingeführten Art. 143a Abs. 3 Satz 1 GG von Bedeutung. Die Norm lautet: 10 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung; zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.07.2012, BGBl. I S. 1478. 11 So Windthorst, Kay (2011). a. a. O. (Fn. 9). Art. 87e Rn. 11. 12 Siehe Suckale, Margret (2006). a. a. O. (Fn. 8). Rn. 11 m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 8 „Art. 143a […] (3) Die Erfüllung der Aufgaben im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs der bisherigen Bundeseisenbahnen ist bis zum 31. Dezember 1995 Sache des Bundes. […]“ Flankierend führte das GG-ÄndG vom 20. Dezember 1993 mit Art. 106a GG eine Norm ein, die die von den Ländern geforderte13 finanzielle Kompensation für diesen Übergang der Aufgabenund Finanzverantwortung vom Bund auf die Länder verfassungsrechtlich absichern sollte.14 Die Norm lautet: „Art. 106a Den Ländern steht ab 1. Januar 1996 für den öffentlichen Personennahverkehr ein Beitrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. […]“ Art. 106a Satz 1 GG räumt den Ländern einen Anspruch gegen den Bund auf Ausgleich der Defizite aus dem Personennahverkehr ein, für den sie seit dem 1. Januar 1996 vollumfänglich verantwortlich sind.15 Die genaue Höhe musste nach Art. 106a Satz 2 GG durch ein Bundesgesetz geregelt werden. 2.1.2. Einfachgesetzliche Konkretisierung – Regelungen des Regionalisierungsgesetzes Mit dem als Art. 4 des ENeuOG erlassenen „Regionalisierungsgesetz“ (RegG)16 wurde schließlich der Übergang der Aufgaben- und Finanzverantwortung für den öffentlichen SPNV auf die Länder einfachgesetzlich umgesetzt. Durch dieses Gesetz wird die gesamte Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bei den Ländern konzentriert, deren Aufgabe es nach § 1 RegG ist, für die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV zu sorgen.17 Dabei bezeichnet die Norm diese Sicherstellung als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. 13 Vgl. dazu etwa Waldhoff, Christian (2013). Maßstäbe zur Verteilung der Regionalisierungsmittel für den ÖPNV nach Art. 106a GG. Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.). 128. Jahrgang (2013). S. 677. 14 So Siekmann, Helmut (2011). In: Sachs, Michael (Hrsg., 2011). Grundgesetz. Kommentar. München: C. H. Beck Verlag. 2011. Art. 106a Rn. 1, 3; vgl. auch Wachinger, Lorenz/Wittemann, Martin (1996). a. a. O. (Fn. 8). S. 50. 15 Siekmann, Helmut (2011). a. a. O. (Fn. 14). Art. 106a Rn. 7; Hermes, Georg (2011). Das deutsche Eisenbahnrecht im Überblick. In: Hermes, Georg/Sellner, Dieter (Hrsg., 2006). Beck’scher AEG-Kommentar. München: Verlag C. H. Beck. 2006. Rn. 30. 16 Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs vom 27.12.1993, BGBl. I S. 2378, 2395; zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.12.2012, BGBl. I S. 2598). 17 So Hermes, Georg (2011). a. a. O. (Fn. 15). Rn. 51. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 9 Eine Legaldefinition des Begriffs des ÖPNV ist in § 2 RegG enthalten. Die Norm lautet: „§ 2 Begriffsbestimmungen Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen . Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.“ Um diese Aufgabe der Daseinsvorsorge erfüllen zu können, konkretisiert § 5 RegG den Anspruch aus Art. 106a GG auf finanziellen Ausgleich, indem ein bestimmter Gesamtbetrag aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes sowie der Schlüssel für die Verteilung dieser Mittel auf die einzelnen Bundesländer festgelegt werden (Regionalisierungsmittel). So lautet § 5 Abs. 1 RegG: „§ 5 Finanzierung und Verteilung (1) Den Ländern steht für den öffentlichen Personennahverkehr aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes für das Jahr 2008 ein Betrag von 6 675 Millionen Euro zu. […]“ Im Hinblick auf die Zweckbindung der Verwendung und die Transparenz dieser Verwendung der Regionalisierungsmittel durch die Bundesländer kommt § 6 RegG maßgebliche Bedeutung zu. Die Norm lautet: „§ 6 Verwendung (1) Mit dem Betrag nach § 5 ist insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren . (2) Die Länder stellen dem Bund jährlich die Verwendung der Mittel jeweils nach gemeinsam vereinbarten Kriterien transparent dar.“ 2.1.3. Zwischenfazit Die Länder erhalten vom Bund nach Art. 106a GG und § 5 RegG einen Ausgleichsbetrag zur Finanzierung des ÖPNV, wobei diese Regionalisierungsmittel insbesondere zur Finanzierung des Teilbereichs des SPNV zu verwenden sind.18 Würden die Länder diese Mittel zur Finanzierung 18 Dazu Wachinger, Lorenz/Wittemann, Martin (1996). a. a. O. (Fn. 8). S. 74; Siekmann, Helmut (2011). a. a. O. (Fn. 14). Art. 106a; Hidien, Jürgen (1997). Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG. Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.). 112. Jahrgang (1997). S. 601. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 10 von Verkehrsleitungen des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) verwenden, spräche daher insbesondere der Wortlaut des Art. 106a GG sowie des § 5 RegG dafür, dass dieses Vorgehen nicht von der Zweckbindung19 gedeckt und daher unzulässig wäre. Allerdings würde dies u. a. voraussetzen, dass in der Praxis zwischen SPFV und SPNV klar unterschieden werden könnte. 2.2. Praxis der Erbringung von Schienenverkehrsleistungen in Deutschland Neben der Regionalisierung des SPNV verfolgte die Bahnreform auch die Ziele der Organisationsprivatisierung der Eisenbahnen des Bundes, die Privatisierung ihrer Aufgaben sowie die Öffnung des Verkehrs auf dem Schienennetz dieser Bahnen für den Wettbewerb.20 Diese Ziele bilden den Hintergrund für folgende Maßnahmen: - Durch das als Art. 2 des ENeuOG erlassene „Deutsche Bahn Gründungsgesetz“ (DBGrG)21 wurden die Teile des Bundeseisenbahnvermögens, die zum Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen notwendig sind, in die am 1. Januar 1994 gegründete Deutsche Bahn Aktiengesellschaft ausgegliedert. Durch diese privatrechtliche Organisationsform der DB als Aktiengesellschaft sollte im Zuge der Bahnreform sichergestellt werden, dass die Bahn ausschließlich nach unternehmerischen und wirtschaftlichen Grundsätzen ergebnisorientiert geführt wird.22 Dies diente auch der Umsetzung des Gebots der Privatwirtschaftlichkeit in Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG.23 - Weiterhin gewährt das als Art. 5 des ENeuOG erlassene „Allgemeine Eisenbahngesetz“ (AEG)24 u. a. Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen, grundsätzlich das Recht auf diskriminierungsfreie Benutzung der Schienenwege anderer Unternehmen, die 19 Davon spricht auch Hidien, Jürgen (1997). a. a. O. (Fn. 18). S. 601. 20 Windthorst, Kay (2011). a. a. O. (Fn. 9). Art. 87e Rn. 1, 35 ff.. Vgl. dazu auch die Erwägungen zur Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 23.03.1993, BT-Drs. 12/4609 (neu), S. 53 ff. 21 Deutsche Bahn Gründungsgesetz vom 27.12.1993, BGBl. I S. 2378, 2386, 1994 I S. 2439; zuletzt geändert durch Verordnung vom 31.10.2006, BGBl. I S. 2407. 22 So Suckale, Margret (2006). a. a. O. (Fn. 8). Rn. 28 f. 23 Dazu Windthorst, Kay (2011). a. a. O. (Fn. 9). Art. 87e Rn. 35 ff. 24 Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27.12.1993, BGBl. I S. 2378, 2396, 1994 I S. 2439; zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.08.2013, BGBl. I S. 3154. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 11 Eisenbahninfrastruktur betreiben (Netzzugang). Die Details sind in §§ 14 bis 14g AEG sowie in der „Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung“ (EIBV)25 geregelt.26 2.2.1. Praxis der Erbringung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) Anders als der Begriff des Schienenpersonenfernverkehrs ist der Begriff des SPNV legaldefiniert. So lautet § 2 Abs. 5 AEG „§ 2 Begriffsbestimmung […] (5) Schienenpersonennahverkehr ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorortoder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Zuges die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.“ Damit befindet sich diese Definition in weitgehender Übereinstimmung mit der im Hinblick auf Verkehrsträger umfassenderen Definition des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in § 2 RegG.27 In diesem Zusammenhang ist die Begründung zum Entwurf des § 2 Abs. 5 AEG von Interesse . Darin heißt es: „Der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) wird funktional definiert. Maßgebend ist zunächst die Zweckbestimmung oder Aufgabenstellung, die das betreibende Unternehmen seinen Zügen beimisst. In der Mehrzahl der Fälle wird die Zuordnung der einzelnen Zuggattungen (in der Umgangssprache der DB „Produkte“) zum Fern- oder Nahverkehr problemlos sein. Die Bezeichnung einzelner Zuggattungen unterliegt jedoch ständigen Veränderungen . Deshalb kommt eine konkrete Aufzählung einzelner z. Z. vorhandener Zuggattungen im Gesetz nicht in Betracht. Eine solche Aufzählung […] würde zu häufigen Geset- 25 Verordnung über den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und über die Grundsätze zur Erhebung von Entgelt für die Benutzung der Eisenbahninfrastruktur vom 03.06.2005, BGBl. I S. 1566; zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.12.2011, BGBl. I S. 3044. 26 Vgl. dazu die Ausführungen der Monopolkommission (2013). Bahn 2013: Reform zügig umsetzen!. Sondergutachten 64 gemäß § 36 AEG. Baden-Baden 2013. S. 42 ff. (Regulierung des Netzzugangs), 92 ff. (Wettbewerb im SPNV und SPFV). 27 Ebenso Kramer, Urs (2012). Allgemeines Eisenbahngesetz. 1. Auflage 2012. Nomos Online-Kommentar. Abrufbar über die kostenpflichtige Datenbank Beck-Online. § 2 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 12 zesanpassungen führen. In Zweifelsfällen der Zuordnung soll daher die Beförderungsleistung beziehungsweise die Reisedauer in der Mehrzahl der Beförderungsfälle in den betreffenden Zügen maßgebend sein.“28 Der Schienenpersonennahverkehr, der als Teil des ÖPNV eine Leistung der Daseinsvorsorge darstellt , für deren Sicherstellung die Bundesländer verantwortlich sind (§§ 1, 2 RegG), zeichnet sich dadurch aus, dass die entsprechenden Verkehrsleistungen von der öffentlichen Hand (üblicherweise ) bestellt werden (Bestellerprinzip).29 Die in diesem Bereich tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen 30 können sich jedoch nur zu etwa 40% aus Fahrgasteinnahmen finanzieren.31 Die übrigen Kosten werden aus den Regionalisierungsmitteln nach § 5 RegG gedeckt. „Die Zuständigkeit für Planung, Organisation und Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs ist bei den Aufgabenträgern [der Bundesländer32] zusammengeführt worden. Die Aufgabenträger ermitteln den Transportbedarf im Schienenpersonennahverkehr und kaufen die entsprechenden Verkehrsleistungen durch vertragliche Vereinbarungen mit Verkehrsunternehmen ein oder erlegen den Unternehmen diese Leistungen auf.“33 2.2.2. Praxis der Erbringung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) Im Gegensatz zum SPNV ist der Schienenpersonenfernverkehr dadurch gekennzeichnet, dass die in diesem Bereich tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) Verkehrsleistungen grundsätzlich aus eigener Initiative aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen zur Rentabilität anbieten. Eine staatliche (Mit-)Finanzierung von Verkehrsleistungen findet im SPFV nicht statt (Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit ).34 28 So die Begründung zum Entwurf des § 2 Abs. 5 AEG im Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 23.03.1993. BT-Drs. 12/4609 (neu). S. 95. 29 Dazu etwa Gersdorf, Hubertus (2010). Schienenpersonenfernverkehr zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und staatlicher Gewährleistungsverantwortung. Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.). 125. Jahrgang (2010). S. 746. 30 Nach Angaben der Monopolkommission verfügt die DB AG über ihr Tochterunternehmen DB Regio AG über einen Marktanteil von über 85% im SPNV. Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 88 (Rn. 167). 31 So Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 90 (Rn. 172). 32 Bsp. Landesnahverkehrsgesellschaft mbH (LNVG) in Niedersachsen. 33 So zur praktischen Abwicklung Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 90 (Rn. 172). 34 Dazu Gersdorf, Hubertus (2010). a. a. O. (Fn. 29). S. 746. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 13 Insofern entscheiden die im SPFV tätigen EVU35 selbstständig etwa darüber, ob bestimmte Streckenverbindungen noch rentabel sind oder mangels Rentabilität eingestellt werden. Darüber hinaus besteht keine gesetzliche Verpflichtung, mit den auf einzelnen Strecken generierten Gewinnen andere verlustbringende Linien quer zu subventionieren.36 Allerdings ist der Begriff des SPFV anders als der Begriff des SPNV nicht legaldefiniert. So existieren in der Praxis neben eigenwirtschaftlichen Verkehren durchaus Schienenverkehrsangebote, die bezüglich der angebotenen Verkehrsleistung zum SPFV zu rechnen wären, da die räumlichen und/oder zeitlichen Parameter des § 2 Abs. 5 Satz 2 AEG überschritten werden, aber dennoch nicht eigenwirtschaftlich betrieben werden. Diese Verkehre werden als bestellter Nahverkehr aus öffentlichen Mitteln finanziert.37 Die Monopolkommission stellt in diesem Zusammenhang fest: „Nach allgemeinem Begriffsgebrauch werden daher gemäß dem gesetzlich beabsichtigten Wettbewerbsansatz nur eigenwirtschaftliche Verkehre zum Schienenpersonenfernverkehr gerechnet.“38 2.3. Ergebnis Für die Beantwortung der allgemeinen Frage, ob die Finanzierung von Verkehrsleistungen im SPFV seitens der Bundesländer durch die Verwendung von Regionalisierungsmitteln zulässig ist, lässt sich daher Folgendes sagen: Aus dem Wortlaut des Art. 106a GG sowie des § 5 RegG ergibt sich zwar, dass Regionalisierungsmittel nur zur Finanzierung von ÖPNV-Leistungen eingesetzt werden dürfen. Und das schließt gleichsam im Umkehrschluss die Finanzierung von SPNV-Leistung durch Regionalisierungsmittel aus. Das scheint jedoch nur ein rein formaljuristisches Argument zu sein. Würden nämlich Regionalisierungsmittel zur Finanzierung von zu erbringenden Schienenverkehrsleistungen fließen, die ihrerseits die Parameter in § 2 Abs. 5 AEG bzw. § 2 RegG überstiegen, würde es sich nach dem oben Dargestellten gerade nicht um zu erbringende SPFV-Leistungen handeln. Dies liegt schlicht daran, dass der Begriff des SPFV in 35 Nach Angaben der Monopolkommission verfügt die DB AG über ihr Tochterunternehmen DB Fernverkehr AG über einen Marktanteil von über 99% im SPFV. Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 105 (Rn. 206). Zu den Gründen der insofern schleppenden Entwicklung von Wettbewerb im SPFV vgl. Gersdorf, Hubertus (2010). a. a. O. (Fn. 29). S. 751 ff. sowie Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 105 ff. 36 So Gersdorf, Hubertus (2010). a. a. O. (Fn. 29). S. 746. 37 So die Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 108 (Rn. 211). 38 Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 106 (Rn. 207). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 14 der Praxis dadurch vom Begriff des SPNV abgegrenzt wird, dass die Leistungserbringung ohne staatliche Subventionierung erfolgt (Eigenwirtschaftlichkeit).39 Vor dem Hintergrund der gesamten Darstellung erscheint für den dieser Bearbeitung zugrunde liegenden Fall der Anbindung der niedersächsischen Nordseeküste an Bremen folgendes Ergebnis vertretbar: Zwar sind die konkreten vertraglichen Regelungen nicht bekannt. Es spricht aber Einiges dafür, dass es sich so verhält, wie es Hennigfeld, Stefan (2012) darlegt: „Der eigenwirtschaftliche InterCity von Leipzig nach Bremen wird dort zum bestellten Regionalzug , der nach Norddeich Mole weiterfährt. Er ist daher im Regionalverkehrstarif zu nutzen und ist im Grunde ein regulärer Nahverkehrszug, der umlaufmäßig mit einem Fernverkehrszug verbunden ist.“40 Sollten die konkreten Vereinbarungen zwischen den Beteiligten diese Aussage bestätigen, erscheint die Finanzierung dieses niedersächsischen Verkehrskonzeptes durch Regionalisierungsmittel vertretbar. Diese in Niedersachsen und Baden-Württemberg (zukünftig) praktizierten und in Rheinland-Pfalz als Möglichkeit in Betracht gezogenen Verkehrskonzepte lassen jedoch vermuten, dass die Befürchtungen , die Länder könnten gezwungen sein, durch die Bestellung zusätzlicher Leistungen im SPNV Lücken im SPFV zu schließen, die entstehen, weil das jeweilige SPFV-Unternehmen aufgrund selbst festgestellter Unrentabilität bestimmte Strecken einstellt, nicht grundlos geäußert werden.41 3. Erforderlichkeit eines „Fernverkehrssicherstellungsgesetzes“ trotz § 15 AEG? Wie bereits dargestellt, können Unternehmen, die Verkehrsleistungen im eigenwirtschaftlich betriebenen Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) anbieten, die Erbringung dieser Leistungen jederzeit einstellen, etwa wenn sie – nach ihrer Ansicht – nicht mehr rentabel ist. Dies führt und führte zu der benannten Befürchtung, dass die Länder gezwungen sein könnten, Lücken im SPFV durch die Bestellung zusätzlicher Leistungen im SPNV zu schließen. 39 Die Problematik der Parameter in § 2 Abs. 5 AEG bzw. § 2 RegG tritt z. B. zu Tage, wenn die Frage beantwortet werden soll, ob etwa in Flächenstaaten die ÖPNV-Anbindung kleinerer Ortschaften an Metropolen durch deren Einbindung in ein SPNV-Netz abgelehnt werden soll, wenn andernfalls die Parameter der genannten Normen überschritten würden. Bejahte man diese Frage, würde der Gedanke, dass die Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV eine Aufgabe der Daseinsvorsorge darstellt, konterkariert. 40 So Hennigfeld, Stefan (2012). a. a. O. (Fn. 5). 41 So etwa Recker, Engelbert (2011). Aufhebung der unsinnigen Trennung von Nah- und Fernverkehr. Interview der ÖPNV aktuell mit dem Hauptgeschäftsführer des DB-Wettbewerberverbands mofair e. V. Dr. Engelbert Recker vom 19.08.2011. Link: http://www.oepnvaktuell.de/news/interviews/single-interview/id/aufhebung-derunsinnigen -trennung-von-nah-und-fernverkehr-1.html (letzter Abruf: 24. Oktober 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 15 3.1. Entwurf eines Fernverkehrssicherstellungsgesetzes im Jahr 2008 Um diesen Befürchtungen zu begegnen, brachten sowohl der Bundesrat als auch die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits im Juni/Juli 2008 zwei nahezu übereinstimmende Entwürfe für ein Artikelgesetz in den Bundestag ein, die im Falle einer zum damaligen Zeitpunkt geplanten aber später wieder verworfenen Kapitalprivatisierung der DB AG zentrale Fragen u.a. der Sicherstellung des Fernverkehrsangebotes regeln sollten. 42 So hieß es in den Gesetzentwürfen: „Der Bund hat auf der Grundlage von Artikel 87e Abs. 4 des Grundgesetzes nicht nur eine Allgemeinwohlverantwortung für seine Eisenbahninfrastruktur, sondern auch für die Fernverkehrsangebote seiner Eisenbahn auf seinem Schienennetz. Das Nähere ist bereits nach der derzeitigen Rechtslage durch Bundesgesetz zu regeln. Dabei ist insbesondere zu vermeiden, dass weitere Fernverkehrsangebote eingestellt werden, die dann gegebenenfalls durch Nahverkehrsbestellungen ersetzt werden müssen.“43 „Ohne ein Eingreifen der Bundesregierung ist der Gewährleistungsauftrag des Bundes im Schienenpersonenfernverkehr in Artikel 87e Abs. 4 des Grundgesetzes nicht mehr sichergestellt . Die Länder könnten gezwungen sein, durch die Bestellung zusätzlicher Leistungen im SPNV einen Ausgleich herzustellen. Dies käme einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Verantwortungsverlagerung vom Bund auf die Länder gleich. Insofern unterstützt das Gesetz auch die Forderung der Länder, dass im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG Haushaltsrisiken für die Länder ausgeschlossen werden müssen. Ziel dieses Gesetzes ist es daher, das Angebot im Schienenpersonenfernverkehr auch in weniger aufkommensstarken Relationen als Teil der unverzichtbaren Daseinsvorsorge zu sichern […].44 Nach den Gesetzesentwürfen sollte der Bund verpflichtet werden, bundesweit die Erbringung von SPFV-Leistungen in einer konkreten Größenordnung dadurch sicherzustellen, dass er die 42 So Gersdorf, Hubertus (2010). a. a. O. (Fn. 29). S. 746 f. unter Hinweis auf den Entwurf des Bundesrates für ein Artikelgesetz zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastrukturqualität und Fernverkehrsangebot vom 02.07.2008, BT-Drs. 16/9903, S. 25 (allgemeine Erwägungen zum Entwurf für das als Art. 2 des Gesetzes zu erlassende Gesetz zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs) sowie unter Hinweis auf den beinah gleichlautenden Entwurf u. a. der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Artikelgesetz zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastrukturqualität und Fernverkehrsangebot vom 25.06.2008, BT-Drs. 16/9797, S. 21 (ebenfalls allgemeine Erwägungen zum Entwurf für das als Art. 2 des Gesetzes zu erlassende Gesetz zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs). 43 So BT-Drs. 16/9903, S. 15 bzw. BT-Drs. 16/9797, S. 11 (vgl. Fn. 42). 44 So BT-Drs. 16/9903, S. 26 bzw. BT-Drs. 16/9797, S. 21 f. (vgl. Fn. 42). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 16 entsprechenden Verkehrsdurchführungsverträge mit Eisenbahnverkehrsunternehmen abschließt, wobei deren Finanzierung aus dem Bundeshaushalt erfolgen sollte.45 Zu diesen Gesetzesentwürfen fand am 1. Juli 2009 eine öffentliche Anhörung des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung statt.46 Dabei stießen die Gesetzesentwürfe auf teilweise erhebliche verkehrs- und rechtspolitische Bedenken.47 Neben anderen Problemen wurde etwa betont, dass die Gewährleistungspflicht des Bundes in Art. 87e Abs. 4 GG den Bund nicht zum Erlass eines solchen Gesetzes zwingt. Vielmehr verfüge der Gesetzgeber über einen erheblichen Spielraum, wie er die Gewährleistungspflicht im Hinblick auf Leistungsumfang und Handlungsinstrumente erfüllt.48 So stehe etwa mit § 15 AEG eine Norm zur Verfügung, die es dem Bund ermögliche, im Falle einer Unterschreitung des durch Art. 87e Abs. 4 GG geforderten Leistungsniveaus für eine Grundversorgung im Bereich des SPFV Sorge tragen zu können.49 Die Gesetzesvorhaben erledigten sich schließlich durch Ablauf der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages.50 3.2. Die Regelungen des § 15 AEG Der durch die Sachverständigen in Bezug genommene § 15 AEG ist aus zweierlei Gründen für die Erbringung von Schienenverkehrsleistungen in Deutschland von besonderem Interesse. Die Norm lautet: 45 Vgl. §§ 1, 3, 5 des als Art. 2 des Gesetzes zu erlassenden Gesetzes zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs , BT-Drs. 16/9903, S. 13 f. bzw. BT-Drs. 16/9797, S. 9 f. 46 Die dazugehörigen Dokumente insbesondere die Stellungnahmen der Sachverständigen sind auf der Webarchiv- Seite des Deutschen Bundestages abrufbar. Link: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2010/0427/bundestag /ausschuesse/a15/anhoerungen/95_Eisenbahninfrastrukturqualit__t_u__Fernverkehrsangebot/index.html (letzter Abruf: 24. Oktober 2014). 47 So Gersdorf, Hubertus (2010). a. a. O. (Fn. 29). S. 747 unter Hinweis auf die Stellungnahmen des Sachverständigen . Diese sind auf der Webarchiv-Seite des Deutschen Bundestages abrufbar. Link: http://webarchiv.bundestag .de/archive/2010/0427/bundestag/ausschuesse/a15/anhoerungen/95_Eisenbahninfrastrukturqualit __t_u__Fernverkehrsangebot/Stellungnahmen-01_07_2009.pdf (letzter Abruf: 24.10.2014). 48 So Gersdorf, Hubertus (2009). Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 1. Juli 2009 in Berlin zu dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BT-Drucksache 16/9797 Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastrukturqualität und Fernverkehrsangebot und zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates BT-Drs. 16/9903 9797 Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastrukturqualität und Fernverkehrsangebot. Blatt 38 des auf der Webarchiv-Seite des Deutschen Bundestages abrufbaren Sammeldokuments aller Stellungnahmen dieser Anhörung. Link: a. a. O. (Fn. 47). 49 So Gersdorf, Hubertus (2009). a. a. O. (Fn. 48). Blatt 39 des auf der Webarchiv-Seite des Deutschen Bundestages abrufbaren Sammeldokuments aller Stellungnahmen dieser Anhörung. Link: a. a. O. (Fn. 47). 50 Vgl. die entsprechenden Informationen im Dokumentations- und Informationssystem des Deutschen Bundestages (DIP). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 17 „§ 15 Gemeinwirtschaftliche Leistungen (1) Für die Auferlegung oder Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Leistungen ist die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates maßgebend. Zuständig im Sinne dieser Verordnung sind für Eisenbahnen des Bundes, soweit es sich nicht um deren Schienenpersonennahverkehr handelt, Behörden des Bundes, im Übrigen nach Maßgabe des Landesrechts Behörden der Länder oder die Kreise, Gemeinden oder Gemeindeverbände. (2) Die zuständigen Behörden, die beabsichtigen, die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen auf der Grundlage des Artikels 1 Abs. 4 und des Artikels 14 er in Absatz 1 genannten Verordnung zu vereinbaren, können diese Leistungen ausschreiben.“ Die Norm ist deswegen von Interesse, da sie in § 15 Abs. 1 AEG zum einen die Änderung der früheren Rechtslage aufgrund der Bahnreform 1994 und aufgrund europäischer Vorgaben verdeutlicht . Im Regelfall wird den Eisenbahnverkehrsunternehmen seitdem die Erbringung von Verkehrsleistungen nicht mehr seitens staatlicher Institutionen auferlegt, sondern ihre Bestellung erfolgt auf dem entsprechenden Markt. Die Auferlegung stellt die Ausnahme dar. Allerdings spielt die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen kaum eine Rolle, weil es „wegen der staatlichen Bestellung zu angemessenen Preisen immer „willige“ Auftragnehmer für diese Leistungen gibt. Daher nutzt die öffentliche Hand vorrangig diesen Weg.“51 Zum anderen beschäftigt sich § 15 Abs. 2 AEG mit der Vergabe und der Ausschreibung der von § 15 Abs. 1 AEG thematisierten gemeinwirtschaftlichen Leistungen.52 Insbesondere aufgrund ihres Wortlauts („[…] können […] ausschreiben.“) bot sie Raum für zahlreiche Kontroversen zu der Frage, ob im Bereich der staatlichen Bestellung von Eisenbahnverkehrsleistungen eine Pflicht zur Ausschreibung oder ein Ausschreibungsermessen besteht.53 Diese grundsätzliche Frage ist jedoch höchstrichterlich durch den Bundesgerichtshof im Jahr 2011 zugunsten der Ausschreibungspflicht entschieden worden.54 51 So Kramer, Urs (2012). a. a. O. (Fn. 27). § 15 Rn. 1. 52 So Kramer, Urs (2012). a. a. O. (Fn. 27). § 15 Rn. 3. 53 Vgl. dazu die Darstellung u. a. auch der gegensätzlichen Positionen bei Gerstner, Stephan (2006). In: Hermes, Georg/Sellner, Dieter (Hrsg., 2006). a. a. O. (Fn. 8). § 15 Rn. 6 ff. Vgl. auch die Erläuterungen bei Polster, Julian (2011). Die Zukunft der (Direkt-)Vergabe von SPNV-Aufträgen. Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau). 12. Jahrgang (2011). S. 209 f. 54 Vgl. dazu BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 4/10. Die Entscheidung ist mit Tatbestand und Entscheidungsgründen abgedruckt in: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau). 12. Jahrgang (2011). S. 175 – 185. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 18 Ergänzend ist zu § 15 AEG anzumerken, dass die europäische Verordnung, auf die in der Norm verwiesen wird, nicht mehr gültig ist. Sie ist aufgehoben und ersetzt worden durch die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 (VO/1370/2007)55. Dass dies seitens des Gesetzgebers in § 15 AEG bisher nicht klargestellt wurde, ist wegen der in Art. 288 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)56 geregelten unmittelbaren Geltung von EU-Verordnungen in jedem Mitgliedstaat grundsätzlich unschädlich.57 4. Pflicht zur Durchführung eines wettbewerblichen Auswahlverfahrens bei jeder Vergabe von Schienenverkehrsleistungen? Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, welche Schienenverkehrsleistungen in einem wettbewerblichen Verfahren vergeben werden müssen. Zu diesem Zweck wird kurz auf die maßgebliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2011 eingegangen. Anschließend wird die eigentliche Frage erörtert, ob eine Ausschreibungspflicht nur im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) oder auch im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) besteht, wenn der Bund seine Gewährleistungspflicht aus Art. 87e Abs. 4 GG erfüllen will. 4.1. Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs im Jahr 2011 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2011 zu der Frage der Anwendbarkeit des deutschen Vergaberechtsregimes bestehend u. a. aus dem „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“58 (GWB) bei der Vergabe von Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) folgendermaßen entschieden:59 - Nach Ansicht des BGH führe die Kann-Regelung in § 15 Abs. 2 AEG nicht dazu, dass das deutsche Vergaberechtsregime verdrängt werde. Folglich sei das GWB-Vergaberecht anwendbar .60 55 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) 1107/70 des Rates, ABl. EU Nr. L 315 vom 03.12.2007, S. 1. 56 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung), ABl. EU Nr. C 326 vom 26.10.2012, S. 47. 57 So auch Windthorst, Kay (2011). a. a. O. (Fn. 9). Art. 87e Rn. 66. 58 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.06.2013, BGBl. I S. 1750, 3245; zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.07.2014, BGBl. I S. 1066. 59 Vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 4/10. a. a. O. (Fn. 54) sowie die entsprechenden Erläuterungen bei Polster, Julian (2011). a. a. O. (Fn. 53). S. 210 f.; auch Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 90 ff. (Rn. 172 ff.). 60 Zur Frage, welchen Spielraum das anwendbare Recht für die Direktvergabe von SPNV-Leistungen lässt vgl. Polster, Julian (2011). a. a. O. (Fn. 53). S. 211 ff. sowie Knauff, Matthias (2012). Möglichkeiten der Direktvergabe im ÖPNV (Schiene und Straße). Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau). 13. Jahrgang (2012). S. 72 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 19 - Auch zu der Frage, ob eine Direktvergabe61 ohne Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens nach Art. 5 Abs. 6 der VO/1370/2007 möglich sei, nahm der BGH Stellung.62 Die Norm lautet: „Art. 5 Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge […] (6) Sofern dies nicht nach nationalem Recht untersagt ist, können die zuständigen Behörden entscheiden, öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr […] direkt zu vergeben. […]“ Der BGH meinte hierzu, eine Direktvergabe nach dieser Vorschrift sei nicht möglich, solange das GWB-Vergaberecht anwendbar sei.63 Daraus folgt, dass bei der Beauftragung von Eisenbahnverkehrsunternehmen mit der Erbringung von SPNV-Leistungen durch die Länder das nationale Vergaberechtsregime bestehend u. a. aus dem GWB anzuwenden ist. 4.2. Ausschreibungspflicht bei SPFV-Leistungen zur Erfüllung der Gewährleistungspflicht aus Art. 87e Abs. 4 GG? Abschließend wird die Diskussion zu der Frage dargestellt, ob das Gleiche bei staatlicher Bestellung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) gilt. Wie oben erläutert, ist der SPFV zwar grundsätzlich dadurch gekennzeichnet ist, dass privatwirtschaftliche Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsleistungen ohne staatliche Beauftragung und einzig auf Grundlage autonomer Rentabilitätserwägungen erbringen (Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit ). Insofern ist das Vergaberecht im Grundsatz für die Erbringung von SPFV- Leistungen nicht von Relevanz. Es sind jedoch Konstellationen (theoretisch) denkbar, in denen das Angebot an bundesweiten SPFV-Leistung so stark zurückgeht, dass die Gewährleistungspflicht des Bundes nach Art. 87e Abs. 4 GG ausgelöst wird.64 Sollte der Bund in einem solchen Fall SPFV-Leistungen zur Erfüllung 61 Der Begriff beschreibt die „Beauftragung eines leistungserbringenden Unternehmens durch öffentliche Stellen nach freier Auswahl und damit ohne Wettbewerb“. So Knauff, Matthias (2012). a. a. O. (Fn. 60). S. 67. 62 Zu dieser Frage vor der BGH-Entscheidung Otting, Olaf/Scheps, Carolina (2008). Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsdienstleistungen nach der neuen Verordnung (EG) Nr. 1370/2007. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ). 27. Jahrgang (2008). S. 499 ff. 63 Nach Angaben der Monopolkommission (2013). a. a. O. (Fn. 26). S. 92 (Rn. 178) denkt die Europäische Kommission über die Streichung der Ausnahmeregelung in Art. 5 Abs. 6 VO/1370/2007 nach. 64 Wie bereits oben (3.1.) dargelegt, verfügt der Bund auch bei der Frage, welches Leistungsniveau an bundesweiten SPFV-Leistungen unterschritten sein muss, um die Gewährleistungsverpflichtung auszulösen, über einen Einschätzungsspielraum. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 20 dieser Pflicht bestellen und nicht auferlegen, stellt sich die Frage, ob die entsprechenden Leistungen im Rahmen eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens zu beschaffen wären. Gersdorf (2010) verneint diese Frage. Nach seiner Auffassung beziehe sich der Gemeinwohlauftrag des Bundes im Bereich der Eisenbahnverkehrsdienstleistungen nach Art. 87e Abs. 4 GG nicht generell auf den SPFV, sondern nur auf den SPFV der Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) des Bundes. Kraft Art. 87e Abs. 4 GG sei den EVU des Bundes die Aufgabe einer hinreichenden Versorgung im Bereich des SPFV zugewiesen. Aufgrund dieser verfassungsunmittelbaren Aufgabenzuweisung an die EVU des Bundes sei im Bereich des SPFV – im Gegensatz zum SPNV – für einen (Ausschreibungs-)Wettbewerb kein Platz.65 Anders wohl Windthorst (2011): Da aufgrund Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG die unmittelbare Bereitstellung der Verkehrsleistungen durch den Bund zur Erfüllung seiner Gewährleistungsverpflichtung ausgeschlossen sei, müsse er zur Sicherstellung der nach Art. 87e Abs. 4 G erforderlichen Versorgung auf seine Eisenbahnunternehmen einwirken. Wegen der Gewährleistungen in Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG müsse dies weitestmöglich mit privatwirtschaftskonformen Mitteln erfolgen . Dafür biete sich die in § 15 AEG vorgesehene Vereinbarung der entsprechenden Leistungen an. Allerdings habe § 15 AEG nach Ansicht des BGH keinen Vorrang gegenüber dem allgemeinen Vergaberecht, dessen Vorgaben somit zu beachten seien.66 Die Bundesregierung vertritt wohl ebenfalls die erste Auffassung. Dies ergibt sich aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage u. a. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom Januar 2010, die die Bundesverantwortung im SPFV nach Art. 87e Abs. 4 GG zum Thema hat. Darin heißt es: „Der Gewährleistungsauftrag des Bundes nach Artikel 87e Absatz 4 GG erstreckt sich auf die Infrastruktur und ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Verkehrsangebot (ausgenommen Schienenpersonennahverkehr) der Eisenbahnen des Bundes. Die Gemeinwohlverpflichtung des Bundes bezieht sich dabei nach dem eindeutigen Wortlaut des Grundgesetzes nicht generell auf den gesamten Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) auf dem Schienennetz der Eisenbahnen des Bundes, sondern nur auf den SPFV der Eisenbahnen des Bundes auf deren Schienennetz.“67 Im Ergebnis spricht wohl insbesondere der Wortlaut des Art. 87e Abs. 4 GG dafür, dass die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens in dem Fall, in dem der Bund seine Gewährleistungspflicht aus Art. 87e Abs. 4 GG mittels privatwirtschaftlicher Bestellung von SPFV- Leistungen erfüllen will, nicht erforderlich ist, da sich diese Verpflichtung ohnehin allein auf die bundeseigenen Eisenbahnverkehrsunternehmen bezieht. 65 So Gersdorf, Hubertus (2010). a. a. O. (Fn. 29). S. 749 mit weiteren Erläuterungen. 66 So auch Windthorst, Kay (2011). a. a. O. (Fn. 9). Art. 87e Rn. 66. 67 So die Antwort der Bundesregierung vom 06.01.2010 auf die Kleine Anfrage u. a. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Verantwortung des Bundes für den Schienenpersonenfernverkehr“, BT-Drs. 17/393, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 192/14 Seite 21 5. Quellen- und Literaturverzeichnis Gersdorf, Hubertus (2010). Schienenpersonenfernverkehr zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und staatlicher Gewährleistungsverantwortung. Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.). 125. Jahrgang (2010). S. 746 – 753. Hermes, Georg/Sellner, Dieter (Hrsg., 2006). Beck’scher AEG-Kommentar. München: C. H. Beck Verlag. 2006. Hidien, Jürgen (1997). Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG. Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.). 112. Jahrgang (1997). S. 595 – 603. Knauff, Matthias (2012). Möglichkeiten der Direktvergabe im ÖPNV (Schiene und Straße). Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau). 13. Jahrgang (2012). S. 65 – 74. Knecht, Ingo (2003). Streichungen beim Schienenpersonenfernverkehr – welche Pflichten hat der Bund?. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ). 22. Jahrgang (2003). S. 932 – 936. Kramer, Urs (2012). Allgemeines Eisenbahngesetz. 1. Auflage 2012. Nomos Online-Kommentar. Abrufbar über die kostenpflichtige Datenbank Beck-Online. Monopolkommission (2013). Bahn 2013: Reform zügig umsetzen!. Sondergutachten 64 gemäß § 36 AEG. Baden-Baden 2013. Link: http://www.monopolkommission .de/images/PDF/SG/s64_volltext.pdf (letzter Abruf: 24. Oktober 2014). Otting, Olaf/Scheps, Carolina (2008). Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsdienstleistungen nach der neuen Verordnung (EG) Nr. 1370/2007. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ). 27. Jahrgang (2008). S. 499 – 506. Polster, Julian (2010). Der Rechtsrahmen für die Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen. Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau). 11. Jahrgang (2010). S. 662 – 671. Polster, Julian (2011). Die Zukunft der (Direkt-)Vergabe von SPNV-Aufträgen. Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau). 12. Jahrgang (2011). S. 209 – 213. Sachs, Michael (Hrsg., 2011). Grundgesetz. Kommentar. München: C. H. Beck Verlag. 2011. Waldhoff, Christian (2013). Maßstäbe zur Verteilung der Regionalisierungsmittel für den ÖPNV nach Art. 106a GG. Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.). 128. Jahrgang (2013). S. 677 – 687. Wachinger, Lorenz/Wittemann, Martin (1996). Regionalisierung des ÖPNV. Der rechtliche Rahmen in Bund und Ländern nach der Bahnreform. Bielefeld: Erich Schmidt Verlag. 1996.