WISSENSCHAFTLICHE DIENSTE DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES AUSARBEITUNG Thema: Das deutsch-brasilianische Abkommen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie Fachbereich VIII Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung 13111n11M11111 Bearbeiter: 01111 Abschluss der Arbeit: 3. November 2003 Reg.-Nr.: WF VIII G - 199/2003 Aktualisierung durch Fachbereich V Bearbeiter: Abschluss der Arbeit: Wirtschaft und Technologie, Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Tourismus 12. Januar 2006 Reg.-Nr.: WF V 187/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. 2 1. Einleitung Als Folge der Ölkrise im Jahr 1973 vermehrten sich die Nuklearprogramme der damaligen Staaten der Dritten Welt, was auch als ein Streben nach weniger Abhängigkeit von ausländischen Energieversorgungsquellen zu verstehen war. Viele Staaten im Süden des Kontinents sahen in der Kernenergie die Lösung ihrer energiepolitischen Probleme. Hinzu kam das Auftreten neuer Lieferländer seit Beginn der 70er Jahre. Mit der Sowjetunion trat 1970 ein neuer Anbieter von Kernbrennstoffen in den Markt ein. Im Bereich von Reaktoren und kerntechnischen Anlagen traten vor allem die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Schweden mit den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) als Lieferanten . in Konkurrenz. Ein weiteres Ereignis prägte das Stimmungsbild dieser Zeit. Am 18. Mai 1974 zündete Indien — ein Gegner des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) 1 — einen „friedlichen" Kernsprengsatz. Die Produktion des dafür verwendeten Spaltmaterials war durch die Lieferung eines Natururanreaktors von Kanada und die dazu benötigte Schwerwasserversorgung durch die USA ermöglicht worden. 2 Damit erhielt der Problembereich der Non-Proliferation eine neue Dimension und es wurde klar, dass diese Problematik nicht durch den NPT zu bewältigen war. Im Rahmen des „Dual Use" vieler kerntechnischer Anlagen wurde den Nuklearstaaten hinsichtlich ihrer zahlreichen Technologietransfers zur friedlichen Nutzung der Kernenergie bewusst, dass die Nichtverbreitung von Kernwaffen „ (...) nicht nur eine Nichtverbreitung von kernwaffenfähigen Gegenständen, sondern auch die Nichtverbreitung der Fähigkeit, diese Waffen herzustellen" bedeutete. 3 In diesem Kontext ist der Terminus „friedlicher Nutzung der Kernenergie" selbst schwierig von der Proliferation abzugrenzen. Vor diesem Hintergrund ist das Kooperationsabkommen von 1975 über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Brasilien zu sehen. Eine weitere zeitliche Koinzidenz bestand in der Tatsache, dass Deutschland erst am 2. Mai 1975, drei Tage nachdem das deutsch-brasilianische Abkommen vorn Bundeskabinett gebilligt und zur Unterschrift freigegeben worden war, die 1 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968, BGBl. 11 1974 S. 786. 2 Vgl. Wilker, Lothar: Das Brasiliengeschäft — Ein „diplomatischer Betriebsunfall'?", in: Haftendorn, Helga/Karl, Wolf-Dietrich/Krause, Joachim/Wilker, Lothar (Hrsg.): Verwaltete Außenpolitik, Sicherheits- und entspannungspolitische Entscheidungsprozesse in Bonn, Köln 1978, S. 191-208 (193f.). 3 Vgl. Wilker, Lothar Nuklearexport- und Nichtverbreitungspolitik — ein Prioritätenkonflikt für die Bundesrepublik Deutschland, in: Wilker, Lothar (Hrsg.): Nuklearpolitik im Zielkonflikt, Köln, 1980, S. 77-106. 3 Ratifikationsurkunde zum NPT in Washington und London hinterlegt hatte. Dies sorgte für ein Kreuzfeuer der Kritik, vor allem aus den USA. Nachfolgend wird auf den Inhalt des bilateralen Abkommens (Deutschland/Brasilien) und das dreiseitige Abkommen vom 26. Februar 1976 zwischen Brasilien, Deutschland und der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) eingegangen. 2. Das Abkommen vom 27. Juni 1975 Mit den Worten „Energie gegen Armut" startete die brasilianische Militärregierung unter Präsident Geisel (Regierungszeit: 1974-1979) eine neue Entwicklungsstrategie, die den Höhepunkt des brasilianischen Wirtschaftswunders bilden sollte. Man wollte die häufigen Stromsperren der letzten Jahrzehnte — ausgelöst durch die Zahlungsunfähigkeit Brasiliens an die ausländischen Versorgungsunternehmen — ein für alle Mal vermeiden. 4 Hinzu kam, dass im Jahr 1974 die USA bereits getroffene Uranliefervereinbarungen mit Brasilien in Höhe von etwa. 4 Mio. US-Dollar unter Verweise auf marktbedingte Produktionsengpässe stornierten, wobei bereits geleistete Zahlungen zurückerstattet wurden.5 Vor diesem Hintergrund strebte Brasilien eine eigenständige Produktion von nuklearer Energie an, deren Mittelpunkt ein deutsch-brasilianisches Abkommen bildete. Vorgänger dieses Nuklearvertrages war ein Abkommen zwischen beiden Ländern über die wissenschaftliche Zusammenarbeit und die technologische Entwicklung von 1969. Schon Mitte 1974 wurde bei einem Treffen der deutsch-brasilianischen Wissenschaftskommission in Brasilia erstmalig ein Vorschlag zur Realisierung eines groß angelegten Nuklearprojekts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Brasilien gemacht. Nachdem kurz darauf die Verhandlungen mit dem amerikanischen Kernreaktorhersteller Westinghouse an den US-amerikanischen Exportauflagen für die Nuklearindustrie gescheitert waren, erfolgte eine endgültige Einigung der Vertragsparteien Deutschland und Brasilien am 12. Februar 1975. Am 27. Juni 1975 unterschrieben die jeweiligen Außenminister („das Jahrhundertgeschäft") das umfangreiche „Abkommen über die friedliche Nutzung der Kernenergie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Brasilien" in Bonn. 6 4 Vgl. Jaeger, Constanze, Außenpolitik im Dienste der Entwicklung — Die deutsch-brasilianischen Beziehungen am Beispiel der Nuklearpolitik, Universität Tübingen, 1999 5 Bandeira, Luis Alberto Moniz, Das deutsche Wirtschaftswunder und die Entwicklung Brasiliens, Frankfurt/Main, 1995. 6 Bekanntmachung des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Föderativen Republik Brasilien über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie vom 9. Februar 1976, BGBl. II S. 334. 4 Das Abkommen umfasste die Installation des gesamten Brennstoffkreislaufs in Brasilien einschließlich sensitiver Anlagen und Errichtung einer eigenständigen nationalen Reaktorindustrie durch die Bundesrepublik Deutschland. An Brasilien sollten bis zum Jahr 1998 acht Kernreaktoren geliefert und eine Reaktorfabrik (NUCLEP) errichtet werden, um Brasilien eine Starthilfe für die Eigenproduktion von Kernkraftwerken zu bieten. Brasilien wollte einen Großteil der Kosten mit Uranexporten bezahlen. 7 Die hohen Erwartungen an den energiewirtschaftlichen Nutzen der Nuklearenergie mussten in den Folgejahren weitgehend zurückgeschraubt werden, denn vor allem im Bereich der Erzeugung von Elektrizität konkurrierte sie mit anderen Ressourcen wie beispielsweise der Wasserkraft. Außerdem ergaben Berechnungen, so K. R. Mirow 8 , dass ein Kraftwerk erst nach ca. zehn Jahren einen Energieüberschuss produzieren würde. Brasilien ging bei der Aufnahme des Nuklearprogramms von der Annahme aus, dass das Wirtschaftswachstum würde anhalten. Bereits in den Jahren 1978/79 zeichnete sich jedoch ein erneuter Konjunktureinbruch ab und bestehende Kapazitäten wurden minimiert, da nicht mehr genügend Strom abgenommen wurde. Zum anderen wurde die Tatsache missachtet, dass sehr viel Energie erzeugt werden musste, bevor ein Kernkraftwerk selbst Gewinn abwarf. Davor stand die Konstruktion der Reaktoren, der Abbau und die Anreicherung von Uranerz sowie die Erweiterung der Infrastruktur. Mit dem Vollzug des Nuklearprogramms traten auch institutionelle Schwierigkeiten und Standortprobleme auf. Für die ersten beiden Kraftwerke wurde die Bucht von Angra dos Reis ausgewählt, obwohl seismologische und geologische Untersuchungen dagegen sprachen. Die Folge war, dass man die Kraftwerke erdbebensicher und stabil auf den lehmigen Boden bauen musste. Dadurch aber stiegen die Errichtungskosten um ein Vielfaches. Während des Baus kam es darüber hinaus zu zahlreichen Unfällen. Dies führte zu erheblichen Verzögerungen. Erst im Juli 2000 ging Angra 2 ans Netz. Mit der Fertigstellung von Angra 3, für das seit 1976 Lieferverträge mit der Fa. Siemens bestehen (BT-DrS 14/4678) ist erst im Jahr 2009 zu rechnen. Es sind bislang noch keine Exportanträge und Bürgschaften beantragt worden. In der vergangenen Legislaturperiode wurde von Überlegungen des Exporteurs berichtet, entsprechende Ersuchen im Rahmen einer Firmenbeteiligung in Frankreich an die dortige Regierung zu richten. 7 Einzelheiten über den Ablauf der Verhandlungen, siehe: Born, Timo, Nukleare Kooperation und Technologietransfer von Mittelmächten. Kölner Arbeitspapiere zur internationalen Politik Nr. 1, 2003, 88 S. 8 Mirow, K. R., Das Atomgeschäft mit Brasilien: ein Milliardenfiasko, Frankfurt/Main, 1980. 5 3. Finanzielle Mittel für die wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit In einer Antwort auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter der SPD äußerte sich die Bundesregierung zur nichtverbreitungspolitischen Absicherung der deutschbrasilianischen Zusammenarbeit im Nuklearbereich vor dem Hintergrund der Nichtmitgliedschaft Brasiliens im Atomwaffensperrvertrags (WP) . 9 Sie wies darauf hin, dass die Zusammenarbeit mit Brasilien auf der Grundlage des zweiseitigen Abkommens vom 27. Juni 1975 bzw. des dreiseitigen Abkommens vom 26. Februar 1976 beruhe. Zum aktuellen Stand einer möglichen Mitfmanzierung des brasilianischen Atomprogramms führte die Bundesregierung (30. 11. 1993) aus: „Eine Mitfmanzierung der Bundesregierung für das brasilianische Programm zur friedlichen Nutzung der Kernenergie erfolgt nicht. (...) Die Bundesregierung hat Brasilien im Rahmen der friedlichen Nutzung der Kernenergie weder Finanzmittel noch Kredite zur Verfügung gestellt. Für Exporte nach Brasilien im Rahmen der friedlichen Nutzung der Kernenergie hat die Bundesregierung Ausfuhrgewährleistungen übernommen Aus Gründen der Vertraulichkeit ist es der Bundesregierung nicht möglich, Einzelangaben hierzu zu machen." Die Frage des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) zur Gesamthöhe deutscher und brasilianischer Gelder für das deutsch-brasilianischen Atomprogramm beantwortete der Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl im Bundesministerium für Wirtschaft am 12. November 1991 (gekürzt) wie folgt: '° „(...) Das Regierungsabkommen von 1975 bildet den Rahmen für die deutschbrasilianische industrielle Zusammenarbeit zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. In welchem Umfang hierfür deutsche und brasilianische Unternehmen Mittel investiert haben, ist der Bundesregierung nicht bekannt. (...) Öffentliche Mittel aus dem Bundeshaushalt sind nur im Bereich von Forschung und Entwicklung im Rahmen des Regierungsabkommens von 1969 zur wissenschaftlichtechnologischen Zusammenarbeit verwendet worden. Die Ausgaben hierfür beliefen sich auf insgesamt rund 6,5 Mio. DM. Diese Mittel dienten nach der Zweckbestimmung des Abkommens der Vorbereitung und Durchführung von Forschungsprojekten und zwar überwiegend der Finanzierung von Wissenschaftleraustausch und Ausbildungsmaßnahmen. Schwerpunkte der Kooperationen lagen im medizinischen und Grundlagenbereich sowie im Strahlenschutz, bei der Reaktorsicherheit und bei Entsorgungsfragen." 9 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten (...): Deutschbrasilianisches Nuklearabkommen; BT-Drs. 12/6253 vom 30.11.1993. 10 BT-Drs. 12/1607, S. 21. 6 4. Verlängerung/Kündigung des Abkommens Das Abkommen ist am 18. November 1975 in Kraft getreten (Art. 11 Abs. 1) und auf eine Laufzeit von 15 Jahren angelegt (Art. 11 Abs. 2). Es wird, sofern es nicht mindestens 12 Monate vor seinem Außerkrafttreten von einer der Vertragsparteien gekündigt wird, stillschweigend um jeweils 5 Jahre verlängert. Am 24. Februar 1994 beantragten mehrere Abgeordnete und die Fraktion der SPD, der Bundestag wolle beschließen, das deutsch-brasilianische Abkommen zum 18. November 1994 zu kündigen und die Zusammenarbeit mit Brasilien auf dem Gebiet der kerntechnischen Forschung zu beenden. 11 Dieser Antrag wurde auf der 237. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 29. Juni 1994 abgelehnt. t2 Auf den in der Kleinen Anfrage (s.o.) genannten Hinweis, das Abkommen würde sich automatisch verlängern, wenn es nicht bis zum 18. November 1994 gekündigt worden sei, ging die Bundesregierung wie folgt ein: „Die Bundesregierung wird das Abkommen mit Brasilien über Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht kündigen, weil hierzu auch mit Hinweis auf die Antwort zu Frage 6 kein Anlass besteht." Falls eine Kündigung des Abkommens zum nächst möglichen Zeitpunkt beabsichtigt gewesen wäre, hätte dies bis zum 18. November 2004 geschehen müssen. Der zwischen den Fraktionen SPD und Bündnis 90 / DIE GRÜNEN geschlossene Koalitionsvertrag vom 16. Oktober 2002 enthielt die Verpflichtung zu prüfen „ob Verträge mit anderen Staaten, die der Förderung der Kernenergie dienen, aufzuheben oder anzupassen sind". In Beantwortung einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion, die „Verlässlichkeit internationaler Abkommen zur zivilen kerntechnischen Zusammenarbeit" betreffend, berichtete die Bundesregierung am 17.11.2004, sie strebe an, „dass unverzüglich mit Brasilien Verhandlungen aufgenommen werden mit dem Ziel, das Abkommen vom 9. Februar 1975 nunmehr durch ein Abkommen zur Zusammenarbeit im Energiesektor unter besonderer Berücksichtigung der erneuerbaren Energien zu ersetzen", 11 Vgl. Antrag der Abgeordneten (...): Kündigung des deutsch-brasilianischen Abkommens über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie; BT-Drs. 1216881, 24.02.1994. 12 Siehe Sitzungsprotokoll PITr 12/237, 29. Juni 1994, S. 20838B. Zur Begründung der Ablehnung siehe auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, BT-Drs. 12/8067, 23. 06. 1994. 7 Zuvor, am 1. Oktober 2004, hatte die Fraktion von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN in einem Antragsentwurf die Kündigung des Abkommens gefordert (Handelsblatt, 2004), sich aber damit offenbar nicht durchsetzen können. Statt dessen wurde der brasilianischen Regierung per Notenwechsel mitgeteilt, die Bundesregierung wünsche eine Änderung des Abkommens, durch welche die Erneuerbaren Energien neu in den Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit aufgenommen werden sollten. Gleichzeitig wurde die atomare Kooperation aber nicht ausdrücklich ausgeschlossen.. Die brasilianische Regierung antwortete am 12.11.2004, dass sie die vorgeschlagene Substituierung des Abkommens für angemessen halte (Deutsche Welle 2004). Der am 11. November 2005 zwischen den Fraktionen der CDU/CSU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag spricht den Gegenstand der Erneuerung des sog. Atomabkommens nicht mehr an. Somit kann davon ausgegangen werden, dass der Vertrag nach stillschweigender Verlängerung nunmehr bis zum 17. November 2010 Gültigkeit hat. 1111.1.11 12. Januar 2006 13