Milton Friedman: Negative Einkommensteuer - Ausarbeitung - Sabine Stuppert © 2008 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 184/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Sabine Stuppert Milton Friedman: Negative Einkommensteuer Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 184/08 Abschluss der Arbeit: 25.11.2008 Fachbereich WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: +49 (30) 227-35762 Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Negative Einkommensteuer 4 2.1. Modell 4 2.2. Bedingungen zum Bezug von staatlichen Zuwendungen 5 2.3. Finanzierung 5 3. Friedman und das staatliche Wohlfahrtssystem 6 4. Quellen 7 - 3 - 1. Einleitung In der Diskussion um die Existenz- oder Grundsicherung von Menschen, die ihren eigenen Lebensunterhalt aus welchen Gründen auch immer nicht selbst erwirtschaften können , werden verschiedene Modelle staatlicher Transferleistungen entworfen. Dabei geht es im Prinzip um zwei Varianten der Existenzsicherung: Die erste Variante garantiert ein Grundeinkommen, das an keine Bedingungen geknüpft ist. Im Ansatz der zweiten Variante sind für den Bezug eines staatsfinanzierten Einkommens dagegen Bedingungen wie zum Beispiel der Nachweis der Bedürftigkeit verankert. Eine Form der Existenzsicherung der ersten Ausprägung ist die von Götz Werner1 entwickelte Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Nach diesem Modell erhält jeder Bürger einen bestimmten Betrag als staatliche Transferleistung, ohne dass damit weitere Bedingungen wie etwa Bedürftigkeit oder Arbeitswille verbunden sind. Die Annahme einer bezahlten Arbeit ist freigestellt und würde das Einkommen zusätzlich steigern. Auch die staatlichen Transferleistungen (Arbeitslosengeld II, ALG II) im Rahmen der Hartz IV-Regelungen können als eine Art von Grundeinkommen interpretiert werden. Mittels des ALG II sollen die Lebenshaltungskosten gedeckt werden. Diese Leistung ist aber an Bedingungen geknüpft (z.B. Bedürftigkeit, Arbeitsfähig- und Arbeitswilligkeit). Eine weitere Form der Existenzsicherung ist das Modell der negativen Einkommensteuer. Diese Idee eines Grundeinkommens ist aber keine Erfindung der letzten 20 Jahre. „The NIT[2]-concept was already mentioned by Cournot[3] as „impôt négatif“ and elaborated in detail by Lady Rhys-Williams[4] in the form of the „socialdividend -type“, whereas two decades later Milton Friedman proposed a „poverty-gaptype “.“ (Petersen 1995: 4) Im Folgenden soll das von Milton Friedman diskutierte Modell der negativen Einkommensteuer näher beleuchtet werden.5 1 Seit 2003 Leiter des „Interfakultative Institut für Entrepreneurship“ an der Universität Karlsruhe, u.a. Gründer der Initiative „Unternimm die Zukunft“ sowie Gründer der Drogeriekette dm. 2 engl. Negative Income Tax 3 Antoine Augustin Cournot (1801-1877), französischer Volkswirtschaftler, Mathematiker, Philosoph und einer der Begründer der mathematischen Schule der Wirtschaftstheorie; u.a. untersuchte er die Wirkungen von Steuern und Subventionen auf Produktion, Verteilung und Wohlstand (Brockhaus- Enzyklopädie). 4 Juliet Rhys-Williams (1898-1964), britische Ökonomin 5 Petersen (1995) stellt in „Pros and Cons of a Negative Income Tax“ die Vor- und Nachteile einer negativen Einkommensteuer kritisch gegenüber. - 4 - 2. Negative Einkommensteuer In seinem 1962 veröffentlichten Buch „Capitalism and Freedom“6 beschäftigt sich Friedman im Rahmen seiner Ausführungen zu Markt und Wettbewerb und der (ökonomischen ) Freiheit des Einzelnen auch mit den Aufgaben des Staates und dessen Verantwortung , Armut zu bekämpfen. Idealtypisch nach Friedman wäre die Beseitigung von Armut durch private Wohltätigkeit. Da dies aber auf Grund der menschlichen Verhaltensweisen nicht möglich sei, müsse der Staat die Existenzsicherung übernehmen. An diesem Punkt setzen die Ausführungen Friedmans an. Ihm geht es darum, ein effektives und effizientes Wohlfahrtsmodell aufzuzeigen, das die Menschen unterstützt, sie aber nicht in ihrer persönlichen Entwicklungsfreiheit einschränkt. Außerdem dürfen nach Friedman Programme und Maßnahmen, die Armut verhindern bzw. die den Armen helfen sollen, weder einzelne Personengruppen (z.B. Berufs-, Alters-, Branchengruppen etc.) bevorzugen, noch den Markt und die Marktmechanismen stören, wie dies seiner Ansicht nach bei Mindestlohnsätzen oder Preissubventionen der Fall ist. „Die Maßnahme , die sich aus rein technischen Gründen anbietet, ist eine negative Einkommensteuer .“ (Friedman 1962:191f./2004: 228) Diese erfüllt sämtliche Kriterien, die Friedman an eine staatlich finanzierte Wohlfahrtspflege stellt. 2.1. Modell Das 1962 entworfene Modell der negativen Einkommensteuer zeigt vereinfacht auf, wie die Funktionsmechanismen einer staatlichen Zuwendung für bestimmte Einkommensgruppen gestaltet sein könnten. Ausgehend von einem festgelegten Schwellenwert (Steuerfreibetrag) wird der Einkommensanteil besteuert, der diesen Wert übersteigt. Sonderausgaben wirken sich im Friedmanschen Entwurf einkommensreduzierend aus. Einkommen, die unterhalb dieses Grenzwertes liegen und im Extremfall gleich Null oder sogar negativ sein können, erhalten eine staatliche Zuwendung auf den Betrag, der die negative Differenz zwischen Einkommen und Steuerfreibetrag ausdrückt. Friedman legt in seinem theoretischen Beispiel den Zuwendungssatz bei 50 Prozent (negativer Einkommensteuersatz) fest, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass dieser Satz „selbstverständlich gestaffelt“ sein könnte. Dabei hinge die genaue Höhe des Grundeinkommens davon ab, was die öffentliche Hand aufbringen könnte, d.h. wie hoch der Steuerfreibetrag wäre und wie die konkrete Gestaltung des Zuwendungssatzes (gestaffelt oder pauschal, orientiert an der Personenzahl , die in einem Haushalt lebt etc.), aussehen würde. „Auf diese Weise könnte eine Grundlage geschaffen werden, die im Einkommen des Einzelnen niemals unterschritten werden könnte (…)“. (Friedman 2004: 229) Wäre der Schwellenwert beispielsweise bei 6 Titel der dt. Erstausgabe „Kapitalismus und Freiheit“ (1971). Im Folgenden werden die Originalausgabe von 1962 sowie die dt. Ausgabe von 2004 zitiert. - 5 - 600 USD und der Zuwendungssatz 50%, dann würde bei einem Einkommen von 400 USD die Zuwendung 100 USD betragen.7 2.2. Bedingungen zum Bezug von staatlichen Zuwendungen In seinem theoretischen Entwurf eines negativen Einkommensteuermodells nennt Friedmann keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um staatliche Zuwendungen zu erhalten. Einzige Voraussetzung ist ein Einkommen, das unter dem steuerlichen Schwellenwert liegt, ab dem Einkommensteuer gezahlt werden muss. Dieses Einkommen kann auch Null oder sogar negativ sein. Eine so genannte Bedürftigkeitsprüfung wird von Friedman nicht erwähnt. Auch eine Gegenleistung in Form der Bereitschaft zur Arbeit wird nicht vorausgesetzt. Hinsichtlich der Personen oder des Personenkreises, der über die negative Einkommensteuer finanzielle Zuwendungen erhält, äußert sich Friedman in seiner Arbeit dahingehend , dass „Menschen als Menschen“ geholfen werden und der Lebensstandard „jedes Individuums in der Gemeinschaft auf ein bestimmtes Mindestniveau“ festgesetzt werden sollte (Friedman 2004: 227). Er definiert in seinem Rechenmodell die consumer unit8, an deren (Gesamt-) Einkommen sich die negative Einkommensteuer orientiert, als einen Haushalt, der aus einer Einzelperson oder einer Familie bestehen kann (Friedman 1962: 193/2004: 230). In seinen Ausführungen aus dem Jahr 1980 konkretisiert Friedman die Höhe des steuerpflichtigen Einkommens als „von der Größe der Familie, vom Alter des Steuerpflichtigen und von den geltend gemachten Steuerabzügen“ abhängig (Friedmann 1980: 136). 2.3. Finanzierung Zur Finanzierung der negativen Einkommensteuer rechnet Friedman vor, dass durch das Streichen verschiedener staatlicher Transferleistungen und Wohlfahrtsprogramme (Altersunterstützung und Rentenzahlungen oder Unterstützungen von Minderjährigen, allgemeine Unterstützungen, Agrarmarktpreissubventionen oder öffentlicher Wohnungsbau ) der Staat auf allen Ebenen (Bund, Bundesstaaten, Gemeinden) finanzielle Mittel einsparen und diese zur Finanzierung der negativen Einkommensteuer verwenden könnte (Friedman 1980:135). Friedmann nennt in seinem Rechenbeispiel die Summe von 33 Mrd. USD für das Jahr 1961, mittels derer beispielsweise 10 Prozent der consumer units auf der untersten Einkommensstufe mit jeweils 6.000 USD staatlich unterstützt werden könnten (Friedman 1962: 193/ 2004: 229f.). 7 (600 – 400)*0,5 = 100 8 In der dt. Übersetzung wörtlich „Verbrauchseinheiten“, der dt. Bedeutung nach „Haushalte“. - 6 - Ziel wäre die komplette Abschaffung staatlicher Unterstützungsmaßnahmen sowie die sukzessive Auflösung des Sozialversicherungssystems. Wesentliche Vor- und Nachteile Für Friedman liegt der Vorteil der negativen Einkommensteuer darin, dass sie speziell auf die Beseitigung der Armut ausgerichtet ist. Einziges Kriterium, um Unterstützung zu erhalten, ist ein Einkommen unterhalb des definierten Schwellenwertes. Dabei würden die niedrigen Einkommen in der nach Friedman „nützlichsten Form“, nämlich mit Bargeld, unterstützt. Außerdem wäre die negative Einkommensteuer allgemein anwendbar und die Kosten für die Gesellschaft wären berechenbar. Zusätzlich würden Verwaltungskosten eingespart, wenn die „Unzahl von Maßnahmen“, die ebenfalls der Einkommensverbesserung dient, entfallen würde und die Steuerbehörden die Auszahlung der Zuwendungen übernähmen. Auch die wichtigste Forderung nach einem unbeeinflussten Marktgeschehen wäre nach Friedman erfüllt. Er sieht aber auch die Gefahr, dass eine negative Einkommensteuer den Antrieb, sich aus eigener Kraft aus der Armut zu befreien, d.h. sich überhaupt eine Arbeit oder eine besser bezahlte Arbeit zu suchen, verringern würde. Allerdings würde sich dies auch nicht völlig ausschließen, da jedes zusätzliche Einkommen das Gesamteinkommen erhöhen würde, bis schließlich der Grenzbetrag erreicht wäre und Steuern bezahlt werden müssten. In „Free to choose“9 aus dem Jahr 1980 äußern sich Friedman und seine Ehefrau Rose nochmals zur negativen Einkommensteuer (Friedman 1980: 136f.). Beiden ist wichtig, dass durch die negative Einkommensteuer „ein beträchtliches Maß an individuellem Verantwortungsbewußtsein erhalten“ bleibt und ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme vorhanden wäre (Friedman 1980: 137), denn „wenn die Subventionsrate in vernünftigem Rahmen bleibt, dann wird diese den Leistungsanreiz nicht gänzlich abtöten.“ (Friedman 1980: 138) 3. Friedman und das staatliche Wohlfahrtssystem Um die Theorie der negativen Einkommensteuer einordnen zu können, ist es nicht unwesentlich , die grundsätzliche Einstellung von Friedman zum staatlichen Wohlfahrtsprinzip zu diskutieren. Friedman anerkennt die Notwendigkeit staatlicher Transferleistungen an Bedürftige, allerdings sieht er das staatliche Wohlfahrtsprinzip in der praktizierten Form als gescheitert (Friedman 1980: 131). Zudem widersprechen Wohlfahrts- 9 Titel der dt. Erstausgabe „Chancen, die ich meine“ (1980). - 7 - programme seinem Anspruch von der Freiheit des Individuums, da sie diesem die Verantwortung abnehmen: „Die meisten gegenwärtigen Wohlfahrtsprogramme hätten nie eingeführt werden dürfen. Wenn es diese Programme nicht geben würde, wären viele der Leute, die jetzt von ihnen abhängig sind, selbstsichere, unabhängige Individuen und nicht Schutzbefohlene des Staates.“ (Friedman 1980:135) Friedman gesteht aber zu: „Gleichzeitig muß aber jedem Bürger dieses Landes ein ‚Netz der Sicherheit’ garantiert werden, damit niemand Not leiden muß.“ Sein Ideal wäre zum einen eine Reform des Wohlfahrtssystems dahingehend, dass alle Programme und Maßnahmen abgeschafft und die negative Einkommensteuer eingeführt werden sollte. Zum anderen sollte das Sozialversicherungssystem langsam aufgelöst werden und die Bürger sich eigenverantwortlich um ihre Vorsorge kümmern. Friedman geht deshalb von einem relativ niedrigen Betrag als Transferzahlung aus. „Solch eine umfassende Reform würde viel menschlicher und wirksamer das Ziel erreichen, das unser gegenwärtiges Wohlfahrtssystem so ineffizient und unmenschlich anzustreben versucht. Diese Reform soll all denen, die in Not sind, ein gesichertes Existenzminimum garantieren. Dieses garantierte Existenzminimum darf weder ihren Charakter, noch ihre Unabhängigkeit antasten. Es darf aber auch nicht das Interesse erlahmen lassen , ihre eigene Situation zu verbessern.“ (Friedman 1980: 136f.) (Sabine Stuppert) 4. Quellen Friedman, Milton (1962). Capitalism and Freedom. The University of Chicago Press. Deutschsprachige Erstausgabe 1971: Kapitalismus und Freiheit. Deutschsprachige Ausgabe Piper Verlag Mai 2004. Friedman, Milton und Rose (1980). Chancen, die ich meine. Ein persönliches Bekenntnis. Engl. Originaltitel: Free to choose. 1980. Deutschsprachige Ausgabe Ullstein Verlag 1980. Petersen, Hans-Georg (1995). Pros and Cons of a Negative Income Tax. Finanzwissenschaftlicher Diskussionsbeitrag Nr. 2. Universität Potsdam, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät. http://opus.kobv.de/ubp/volltexte/2006/847/pdf/petersen_paper2.pdf [Stand: 24.11.2008].