Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 155/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 155/08 Abschluss der Arbeit: 28.10.2008 Fachbereich WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhaltsverzeichnis Seite 1. Zuständigkeiten – Ländernormen 3 2. Geschwindigkeitsmessverfahren 3 3. Messgeräte, Eichtoleranzwerte, Geschwindigkeitstoleranzen 4 4. Polizeistatistiken 5 5. Studien 5 6. Fazit 7 7. Anlagen 9 8. Quellen 9 - 3 - 1. Zuständigkeiten – Ländernormen Die Zuständigkeit für Geschwindigkeitsüberwachungen ist in den Bundesländern teilweise unterschiedlich geregelt. Im Allgemeinen ist die Polizei für die Geschwindigkeitsüberwachung zuständig. Aber auch kommunale Behörden können, wenn eine ausdrückliche Übertragung dieser Aufgabe per Rechtsvorschrift durch das Bundesland erfolgte , Geschwindigkeitsmessungen vornehmen (Becker 2003: 51 Rn 10). Wie Geschwindigkeitsmessungen zu erfolgen haben, ist in den Verwaltungsvorschriften der Länder geregelt, die im Allgemeinen nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt sind. Die Richtlinien und Vorschriften nennen u.a. die Geräte- und Geschwindigkeitstoleranzen , beschreiben die korrekte Auswahl der Messstellen und definieren die notwendige Entfernung der Messstelle vor bzw. nach Beginn eines die Geschwindigkeit regelnden Verkehrszeichens. Kotz (2008) hat die Richtlinien von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen zusammengestellt; deren Aktualität ist allerdings nicht gesichert, da die Länder eventuelle Änderungen nicht immer veröffentlichen . Die Richtlinien von Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen sind nicht publiziert , da sie nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt sind (vgl. Beck/Löhle 2001: 149 f., Fn 136). Das Bundesland Brandenburg hat den Erlass zur „Verkehrsüberwachung durch die Polizei“ veröffentlicht (Brandenburg 2005). 2. Geschwindigkeitsmessverfahren Es gibt verschiedene Methoden, die Geschwindigkeit von Fahrzeugen im Straßenverkehr zu messen, so dass deren Ergebnisse Rechtsverbindlichkeit haben. Einige davon sind: 1. Radarmessverfahren, 2. Lasermessverfahren, 3. Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren, 4. Lichtschrankenmessverfahren, 5. Schätzung (insbesondere der Schrittgeschwindigkeit), 6. Abstandsmessverfahren, 7. Geschwindigkeitsmessung durch Verkehrsvideoanlagen (vgl. hierzu ausführlich Becker 2003: 54-244). - 4 - 3. Messgeräte, Eichtoleranzwerte, Geschwindigkeitstoleranzen Generell dürfen zur amtlichen Verkehrüberwachung nur geeichte Messgeräte verwendet werden; d.h. sie müssen von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) geprüft und zur Eichung zugelassen sein.1 Die PTB setzt auch die gerätespezifischen, nach unten zu korrigierenden Fehler- bzw. Eichtoleranzwerte fest, denn die verwendeten Geräte, unabhängig vom Messverfahren, können kaum absolut exakte Messwerte liefern . Aus diesem Grund sind die im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung festgestellten Geschwindigkeiten nach Abzug des Eichtoleranzwertes, die Wiedergabe der korrekten Messergebnisse. Sie enthalten in diesem Sinne keinen Messfehler, denn die Korrektur des gemessenen Wertes erfolgt nicht, um den betroffenen Autofahrer „zu schonen“, sondern stellt die Richtigkeit des Messergebnisses sicher. Beispielsweise werden bei einer Radarmessung eventuelle Ungenauigkeiten der Geräteelektronik oder des Radarstrahls oder Aufstellungs- und Justierfehler durch die festgesetzte Eichtoleranz2 ausgeglichen.3 Ein weiteres Beispiel ist die Messungen mit Koaxialkabel , wobei zwei voneinander unabhängige Messungen erfolgen. Liegen die beiden Werte weniger als +/- 2 km/h auseinander, wird der Messwert gebildet und ein Foto ausgelöst. Vom niedrigeren der beiden Messergebnisse wird dann der Eichtoleranzwert abgezogen. Dies ist dann die gemessene Geschwindigkeitsüberschreitung (Becker 2003: 96 Rn 108). Ein weiterer Korrekturfaktor ist die so genannte Geschwindigkeitstoleranz. Rechtlich basiert sie auf der Grundlage des Opportunitätsprinzips4 (deshalb auch Opportunitätstoleranz ), d.h. auf dem Ermessensspielraum der Polizei bzw. der zuständigen (Verwaltungs -) Behörde (Beck/Löhle 2001: 133 ff.). Die gemessene, um die Gerätetoleranz korrigierte Geschwindigkeit wird zusätzlich um den Geschwindigkeitstoleranzwert korrigiert . Dieser Wert liegt bundesweit bei 5 km/h (Polizei Berlin 2008; vgl. auch Becker 2003: 47 Rn 2).5 Das bedeutet konkret: „Ein Einschreiten kommt erst in Betracht, wenn 1 Vgl. hierzu ausführlich PTB: http://www.ptb.de/de/wegweiser/oeffentlichkeit/verbraucherschutz/zulassung.html 2 Bei nicht-geeichten Messgeräten wird üblicherweise der Toleranzwert höher angesetzt. In der Schweiz sind aber die Toleranzen bei den gleichen Messgeräten größer (Becker 2003: 48 Rn 4). 3 Zu den möglichen Fehlerquellen, die durch die Eichtoleranz ausgeglichen werden, vgl. den umfangreichen Katalog in Becker (2003: 54 ff.). 4 Nach dem Opportunitätsprinzip (im Gegensatz zum Legalitätsprinzip) kann eine Ordnungswidrigkeit polizeilich verfolgt werden, muss aber nicht. Entscheidend sind Verhältnismäßigkeit und pflichtgemäßes Ermessen (vgl. Beck/Löhle (2001: 133); Becker (2003: 26 Rn 80)). 5 Ob eine gemessene Geschwindigkeitsübertretung vor Gericht nochmals korrigiert wird, hängt von der Beweisführung ab. Letztendlich entscheidet der Tatrichter, wie hoch die Messtoleranz anzusetzen ist und damit wie hoch die Geschwindigkeitsübertretung ist (Becker 2003: 47 Rn 2). Diese Entscheidung hat aber keinen Einfluss auf die Höhe der gemessenen, um den Toleranzwert korrigierten und registrierten Geschwindigkeitsüberschreitung. - 5 - nach Abzug der Gerätetoleranz eine Geschwindigkeit festgestellt wird, die um mehr als 5 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt.“ (Polizei Berlin 2008) 4. Polizeistatistiken Nach Auskunft der Berliner Polizei gehen in die offizielle Polizeistatistik die gemessenen Geschwindigkeitsübertretungen abzüglich des Eichtoleranzwertes ein. Es ist davon auszugehen, dass dieses Verfahren auch in der Regel in den anderen 15 Bundesländern angewandt wird.6 5. Studien Trotz intensiver Recherche konnten keine aktuellen Studien gefunden werden, die sich speziell mit dem Thema „Geschwindigkeitsmessungen und Fehlertoleranzen“ sowie dem tatsächlichen Geschwindigkeitsverhalten beschäftigen. Auch Nachfragen bei der zuständigen Fachabteilung im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) sowie bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) brachten keine Ergebnisse. Die BASt teilte aber mit, dass voraussichtlich im Jahr 2009 ein Geschwindigkeitsmessstellennetz auf Autobahnen in Betrieb genommen wird. Auswertbare Daten werden voraussichtlich erst ein Jahr später vorliegen (BASt 2008). Untersuchungen, die sich mit dem Thema Straßenverkehr und Geschwindigkeit beschäftigen , greifen häufig auf die Daten der Polizei bzw. des Statistischen Bundesamtes zurück. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht in der amtlichen Statistik Zahlen zur Unfallhäufigkeit und deren Gründe. Dabei werden die zwei Unfallursachen „Geschwindigkeitsüberschreitung “ und „nicht angepasste Geschwindigkeit“, nicht aber die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung ausgewiesen. Die erhobenen Daten beruhen auf den gesetzlich vorgeschriebenen Meldungen der Polizei an das Statistische Bundesamt (Gesetz über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle – Straßenverkehrsunfallgesetz, StVUnfStatG). Die Polizei verschiedener Bundesländer veröffentlicht auch Statistiken zu Geschwindigkeitsübertretungen , diese sind aber wegen der unterschiedlichen, oft wenig detaillierten Angaben nicht immer zu vergleichen (vgl. hierzu Anlage 1). 6 Die Antworten weiterer angefragter Polizeistellen liegen noch nicht vor; diese werden aber nachgereicht, sofern sie abweichende Aussagen enthalten. - 6 - Die Untersuchung des Umweltbundesamts (UBA) zu den möglichen Auswirkungen eines generellen Tempolimits von 120 km/h auf Bundesautobahnen ging von einem Befolgungsgrad der Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 % aus. D.h. im Umkehrschluss : 20 % der Autofahrer würden ein Tempolimit nicht einhalten, die Geschwindigkeit also überschreiten. Die Studie aus dem Jahr 2005 stellt aber keinen Zusammenhang mit der Einhaltung bereits vorhandener Geschwindigkeitsbeschränkungen her.7 Aus der Schweiz stammt die Studie „Die Geschwindigkeit, der Fahrzeugtyp und das Gefühl der Straffreiheit“ aus dem Jahr 2005 (Johner/Killias 2005). Die Autoren beschäftigten sich hier aber nur mit einem möglichen Zusammenhang von Fahrzeugtyp und Höhe der Geschwindigkeitsübertretung bei einem gültigen Tempolimit von 120 km/h. Als Datenbasis diente eine Statistik der Schweizer Kantonspolizei.8 Die ältere, aus dem Jahr 1997 stammende Studie „Überwachung im Stadtverkehr – eine vergleichende Untersuchung über Vorschriften, Verstöße, Kontrollen und Strafen in sechs europäischen Ländern“ von Ellinghaus und Steinbrecher im Auftrag des Unternehmens Uniroyal untersuchte den Grad der Einhaltung von Verkehrsvorschriften, so auch von Geschwindigkeitsbeschränkungen (Ellinghaus/Steinbrecher 1997). Um zu quantifizierbaren Aussagen hinsichtlich der Einhaltung von Tempolimits zu kommen, wurden Radarmessgeräte in unterschiedlichen Straßenkategorien platziert. Damit wurden die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge im Zeitraum von 9 Uhr bis 19 Uhr gemessen. Hinsichtlich des beobachteten Geschwindigkeitsverhaltens von Verkehrsteilnehmern kam die Studie zu den in der nachfolgenden Tabelle dargestellten Ergebnissen. Quelle: Ellinghaus/Steinbrecher (1997: 92) 7 Zu Höchst- und Durchschnittsgeschwindigkeiten auf Autobahnen vgl. Stuppert (2007). 8 Basis war eine Datenbank und die darin erfassten Fälle von Geschwindigkeitsübertretungen ab 137 km/h (17 km/h mehr als erlaubt). - 7 - Im Beobachtungszeitraum überschritten beispielsweise in Hamburg 77 % der Autofahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h; die Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 54,3 km/h (zu den Erkenntnissen vgl. ausführlich Ellinghaus/Steinbrecher 1997: 75-94). Generell war es aber auf Grund der föderalen Zuständigkeiten in Deutschland für Ellinghaus/Steinbrecher schwierig, Aussagen zur Verkehrsüberwachung zu machen: „ (Ellinghaus/Steinbrecher 1997: 139) Diese Aussage dürfte auch zehn Jahre später noch zutreffend und hat nicht unwesentlich Einfluss auf die Zahl der registrierten Geschwindigkeitsüberschreitungen. In dem Aufsatz „An ihren Quoten sollt ihr sie erkennen“ aus dem Jahr 1996, der sich mit Geschwindigkeitsmessungen, der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitungen sowie der statistischen Auswertung der Daten beschäftigte, bemängelte Greiner (1996): „In vielen Ländern (z.B. in Hessen und Rheinland-Pfalz) gibt es keine detaillierte Statistik über die Ergebnisse der Geschwindigkeitsmessung der Polizei (…).“ (Anlage 1: 334) 6. Fazit Auf Grund der Länderzuständigkeit im Bereich Innere Sicherheit und Polizei, liegt es in der Verantwortung der Bundesländer, ob und in welcher Form bzw. auf welcher Datenbasis Polizeistatistiken zu Geschwindigkeitsübertretungen veröffentlicht werden. Deshalb kann die Vorgehensweise bei der Datenermittlung und statistischen Aufbereitung von Bundesland zu Bundesland differieren. “ - 8 - Gleichwohl verzerrt ein angewandter Eichtoleranzwert nicht die Statistik, da er lediglich die mögliche Fehleranfälligkeit eines Messgerätes korrigiert. - 9 - 7. Anlagen Anlage 1: An ihren Quoten sollt ihr sie erkennen (Greiner 1996: 334-337) 8. Quellen BASt (2008). Auskunft der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) vom 23.10.2008. Beck, Wolf-Dieter/Löhle, Ulrich (2001). Fehlerquellen bei polizeilichen Meßverfahren: Geschwindigkeit, Abstand, Rotlicht, Waagen, Atemalkohol. 6. Auflage 2001. Becker, Klaus-Peter (2003). Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr: Messmethoden, Fehlerquellen, Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. 4. Auflage August 2003. Brandenburg (2005). Verkehrsüberwachung durch die Polizei. Ministerium des Innern. Geändert durch den Erlass IV/4.3.2-6250 vom 02.03.2005, den Erlass IV/4.3.2-425-4 vom 12.01.2006, den Erlass IV/4.3.2-45-4 vom 22.11.2006 und den Erlass IV/4.3.2- 45-4 26.02.2007 http://www.landesrecht.brandenburg.de/sixcms/detail.php?gsid=land_bb_bravors_01 .c.46450.de [Stand: 280.10.2008]. Ellinghaus, Dieter/Steinbrecher, Jürgen (1997). Überwachung im Stadtverkehr – Eine vergleichende Untersuchung über Vorschriften, Verstöße, Kontrollen und Strafen in sechs europäischen Ländern. Hannover, Köln 1997. Greiner, August (1996). An ihren Quoten sollt ihr sie erkennen. In: Die Polizei. Heft 7, Juli 1997. 334-337. Johner, Stéphane/Killias, Martin (2005). Die Geschwindigkeit, der Fahrzeugtyp und das Gefühl der Straffreiheit: Eine Studie über Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Autobahnen. In: Crimiscope ESC – UNIL Nr. 29, Dezember 2005. Ecole des sciences criminelles. Lausanne 2005. Kotz, H.-J. (2008). Verkehrsunfall – Richtlinien. 8.9.2008. http://www.rakotz .de/richtlinien.htm [Stand: 28.10.2008]. Polizei Berlin (2008). Statistik zu Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr. Auskunft vom 17.10.2008. . Verkehrsunfallstatistiken und Geschwindigkeit auf Autobahnen. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. 11.6.2007. WD 5 – 125/07.