Deutscher Bundestag Haltungsbedingungen bei Herstellung, Gewinnung und Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen aus Tieren Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 5 – 3000 - 154/11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 2 Haltungsbedingungen bei Herstellung, Gewinnung und Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen aus Tieren Verfasser: Dokument. Aktenzeichen: WD 5 – 3000 - 154/11 Abschluss der Arbeit: 21.10.2011 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie, Ernährung, Landwirtschaft und . Verbraucherschutz, Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtsvorschriften 4 3. Statistik 6 4. Branchenübersicht 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 4 1. Einleitung Innerhalb der Biotechnologie-Branche ist die Gewinnung von Stoffen aus Tieren, die in der humanmedizinischen Diagnostik und Therapie eingesetzt werden, das am dynamischsten gewachsene Segment. Durch intensive Förderung (z.B. Biotech-Cluster Bayern) konnte die Dominanz US-amerikanischer Anbieter solcher Produkte, insbesondere Antikörper, in den vergangenen zehn Jahren abgebaut werden. In Deutschland und Europa ist die Branche durch eine Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen in Ballungszentren gekennzeichnet. Nachfolgender Sachstand befasst sich vor allem mit den tierschutzrechtlichen Regularien der Produktion. 2. Rechtsvorschriften Tierversuche werden in Abschnitt 5 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) geregelt. Im Gegensatz zu anderen Bereichen, wie der Tierhaltung oder dem Schlachten, hat der Gesetzgeber im Bereich Tierversuche die wichtigsten Ausführungsbestimmungen direkt im Tierschutzgesetz verankert. Die Einzelvorschriften variieren nach Art des Vorhabens, um das es bei der Verwendung von Tieren für wissenschaftliche Zwecke geht. § 10 a beschreibt die Vorgaben bezüglich von Eingriffen und Behandlungen zur Herstellung, Gewinnung, Aufbewahrung oder Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen. Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, soweit sie zu einem der folgenden Zwecke unerlässlich sind: 1. Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oderkörperlichen Beschwerden oder Erkennen oder Beeinflussen physiologischer Zustände oder Funktionen bei Mensch oder Tier, 2. Erkennen von Umweltgefährdungen, 3. Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenklichkeit für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder auf ihre Wirksamkeit gegen tierische Schädlinge, Lt. § 8 TierSchG bedürfen Tierversuche grundsätzlich der Genehmigung durch die zuständigen Behörden (i.d.R. untere Veterinärbehörden der Gebietskörperschaften). Von der Genehmigungspflicht ausgenommen sind Eingriffe, „die als Impfungen, Blutentnahmen oder sonstige diagnostische Maßnahmen nach bereits erprobten Verfahren an Tieren vorgenommen werden und a) der Erkennung insbesondere von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden bei Mensch oder Tier oder b) der Prüfung von Seren, Blutzubereitungen, Impfstoffen, Antigenen oder Testallergenen im Rahmen von Zulassungsverfahren oder Chargenprüfungen dienen.“ Der Genehmigung bedürfen ferner nicht Änderungen genehmigter Versuchsvorhaben, sofern 1. der Zweck des Versuchsvorhabens beibehalten wird, 2. bei den Versuchstieren keine stärkeren Schmerzen, Leiden oder Schäden entstehen, 3. die Zahl der Versuchstiere nicht wesentlich erhöht wird und 4. diese Änderungen vorher der zuständigen Behörde angezeigt worden sind; § 8a Abs. 2 und 5 gilt entsprechend. Auch nicht genehmigungsbedürftige Vorhaben unterliegen der Meldepflicht nach § 8 TierschG. In der entsprechenden, zwei Wochen vor Beginn des Vorhabens einzureichenden Anzeige sind anzugeben: 1. der Zweck des Versuchsvorhabens, 2. die Art und bei Wirbeltieren zusätzlich die Zahl der vorgesehenenTiere, Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 5 3. die Art und die Durchführung der beabsichtigten Tierversuche einschließlich der Betäubung, 4. Ort, Beginn und voraussichtliche Dauer des Versuchsvorhabens, 5. Name, Anschrift und Fachkenntnisse des verantwortlichen Leiters des Versuchsvorhabens und seines Stellvertreters sowie der durchführenden Person und die für die Nachbehandlung in Frage kommenden Personen, 6. bei Versuchsvorhaben nach § 8 Abs. 7 Nr. 1 der Rechtsgrund der Genehmigungsfreiheit. Auf dem Verordnungsweg wird u.a. die statistische Erfassung der zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tiere geregelt (Versuchstiermeldeverordung)1. Der Meldebogen sieht u.a. vor, die Verwendung von Tieren zur „Herstellung von oder Qualitätskontrolle bei Produkten oder Geräten für die Humanmedizin oder Zahnmedizin“ (Hierunter fallen beispielsweise die kommerzielle Herstellung monoklonaler und polyklonaler Antikörper oder sonstiger biologischer Materialien sowie Prüfungen zur Qualität von Antibiotika, Blutzubereitungen , Impfstoffen und Sera.) unter der Code Nr. 62 anzuzeigen. Unter Code Nr. 63 werden „sonstige Zwecke“ erfasst, etwa Verfahren zur Herstellung und Erhaltung infektiöser Agenzien, Vektoren, Neoplasmen, Antikörper oder sonstiger biologischer Materialien. Die Meldungen nach Versuchstiermeldeverordnung sind Grundlage für die Kontrolltätigkeit der zuständigen Veterinärbehörden. Einrichtungen, in denen ´´Eingriffe oder Behandlungen an Wirbeltieren zur Herstellung, Gewinnung, Aufbewahrung oder Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen vorgenommen werden“, unterliegen lt. § 16, Abs. 1 TierschG ebenso der Aufsicht der nach Landesrecht zuständigen Behörden wie Einrichtungen, in denen Tierversuche zu Forschungszwecken u.a.m. vorgenommen werden. Nach § 16, Abs.3 dürfen Personen, die von der zuständigen Behörde beauftragt sind, sowie in ihrer Begleitung befindliche Sachverständige der Europäischen Kommission und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Mitgliedstaaten)2 „1. Grundstücke, Geschäftsräume, Wirtschaftsgebäude und Transportmittel des Auskunftspflichtigen während der Geschäfts- oder Betriebszeit betreten, 2. zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung a) die in Nummer 1 bezeichneten Grundstücke, Räume, Gebäude und Transportmittel außerhalb der dort genannten Zeiten, 1 Verordnung über die Meldung zu Versuchszwecken oder zu bestimmten anderen Zwecken verwendeter Wirbeltiere vom 4. November 1999 (BGBl. I S. 2156). 2 Das bestehende TierschG ist in diesem Teil eine Umsetzung der „RICHTLINIE DES RATES 86/609/EWG vom 24. November 1986 zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ in nationales Recht. Am 20.10.2010 ist die Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. L 276 vom 20. Oktober 2010, S. 33) veröffentlicht worden. Die Richtlinie geht in einzelnen Punkten über das bestehende nationale Recht hinaus, z. B. hinsichtlich gesonderter Bestimmungen für in Versuchen verwendete Primaten, das grundsätzliche Verbot von Versuchen mit länger anhaltenden, starken Schmerzen und die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Föten von Säugetieren im letzten Drittel der Trächtigkeit. Diese Vorgaben müssen von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 6 b) Wohnräume des Auskunftspflichtigen betreten; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt, 3. geschäftliche Unterlagen einsehen, 4. Tiere untersuchen und Proben, insbesondere Blut-, Harn-, Kot- und Futterproben, entnehmen, 5. Verhaltensbeobachtungen an Tieren auch mittels Bild- oder Tonaufzeichnungen durchführen.“ Zur laufenden Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des TierSchg müssen die einschlägigen Einrichtungen Tierschutzbeauftragte bestellen. Diese sind lt. § 8, Abs. 3 verpflichtet, „1. auf die Einhaltung von Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im Interesse des Tierschutzeszu achten, 2. die Einrichtung und die mit den Tierversuchen und mit der Haltung der Versuchstiere befassten Personen zu beraten, 3. zu jedem Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchs Stellung nehmen, 4. innerbetrieblich auf die Entwicklung und Einführung von Verfahren und Mitteln zur Vermeidung oder Beschränkung von Tierversuchen hinzuwirken.“ Der Tierschutzbeauftragte ist „bei der Erfüllung seiner Aufgaben weisungsfrei. Er darf wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht benachteiligt werden. Seine Stellung und seine Befugnisse sind durch Satzung, innerbetriebliche Anweisung oder in ähnlicher Form zu regeln.“ Nach Abs. 5 hat die Einrichtung den Tierschutzbeauftragten bei der Erfüllung seiner Aufgaben so zu unterstützen und von allen Versuchsvorhaben zu unterrichten, dass er seine Aufgaben uneingeschränkt wahrnehmen kann 3. Statistik Die den zuständigen Behörden angezeigte Anzahl der in Tierversuchen nach Definition des TierschG verwendeten Tiere wird über die Bundesländer an die Bunderegierung gemeldet. Zuständig ist dort das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 7 Die Meldungen erfolgen getrennt nach Tierart und Verwendungszweck. Die linke Tabelle gibt die Zeitreihe der verwendeten Tiere 2004-2009 wieder. Die Gesamtzahlen der für Versuche und wissenschaftlichen Zwecke verwendeten Zwecke ergibt sich aus der rechtsstehenden Tabelle. Demnach nahm die Verwendung von Tieren für die Herstellung von human- oder veterinärmedizinischen Produkten im langjährigen Mittel einen Anteil von ca. 10 % ein. Quelle: BMELV 2011 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 8 Die Matrix zeigt, dass die einschlägigen Produktions-Vorhaben (Code Nr. 62 - 64) der beschriebenen Branche (Vorhaben nach § 10a TierschG), Code Nr. 62 einen relativ kleinen Anteil – nämlich ca. 2,3 % an der Gesamtverwendung von Tieren für wissenschaftliche Zwecke, stellen. 4. Branchenübersicht Mit der Herstellung von human- oder veterinärmedizinischen Produkten aus Tieren befasst sich in Deutschland neben öffentlichen Forschungseinrichtungen (Universitätskliniken etc.) eine Vielzahl von ganz überwiegend kleinen und mittleren Privatunternehmen , die ihre Produkte (überwiegend Antikörper) auf dem Pharmamarkt anbieten . Lt. Statistik der OECD stellten diese Firmen im Jahr 2006 etwas über 40 % der angemeldeten Betriebe der deutschen Biotechnik- Branche. Im Jahr 2009 waren in diesem Sektor 531 Betriebe registriert. Konstante Relationen zu anderen Subsektoren der Biotechnologie unterstellt, aus: BMELV 2011 Quelle: OECD 2006 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 9 wären im Bereich des Gesundheitswesens zu diesem Zeitpunkt ca. 215 Unternehmen tätig gewesen . Die mit Verkauf von Produkten erzielten Umsätze im gesamten Bereich der Biotechnologie- Sparte lagen bei knapp 900 Mio. €. Für den Bereich Forschung und Entwicklung wurde in etwa derselbe Betrag aufgewandt (s. Diagramm u.r.) Die geographische Verteilung im Bundesgebiet zeigt eine starke Konzentration der Biotechnik- Betriebe auf die Bundesländer Bayern (Großraum München), Baden-Württemberg (Universitätsstädte) und Berlin, die zusammen etwa die Hälfte, also ca 100 der im hier angesprochenen Marktsegment aktiven Unternehmen stellen. Quelle BMBF 2011 Quelle BMBF 2011 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 154/11 Seite 10 Insgesamt ist festzustellen, dass die Haltung von Tieren zur Herstellung, Gewinnung und Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen unter tierschutzrechtlichen Aspekten in der EU insofern von der Zuordnung zum Bereich der Versuchstierhaltung profitiert, als damit ein recht dichtes Überwachungsnetz einhergeht, das ansonsten bei kommerziellen Tierhaltungen nicht existiert. Literatur. BMELV (2011): Tierschutzbericht der Bundesregierung, abrufbar unter http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Landwirtschaft/Tier/Tierschutz/Tierschutzbericht .html BMBF (2011): Die deutsche Biotechnologie-Branche 2011, abrufbar unter: http://www.biotechnologie .de/BIO/Navigation/DE/Hintergrund/studien-statistiken,did=123044.html Kommission der EU (2008): Sixth Statistical Report on the number of animals used for experimental and other scientific purposes in the EU in 2008, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment /chemicals/lab_animals/reports_en.htm Kommission der EU (2010) Directive 2010/63/EU on the protection of animals used for scientific purposes, adopted 8.September 2010, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/chemicals /lab_animals/reports_en.htm Beuzekom, Arundel, OECD, (2009): OECD Biotechnology Statistics 2009, abrufbar unter: www.oecd.org/dataoecd/4/23/42833898.pdf. Ratsch(2008): Überwachung von Versuchstierhaltungen/Tierversuchen mit Beispielen Deutsche tierärztliche Wochenschrift 115, 143-149