Deutscher Bundestag Lärmemissionen im Schienenverkehr Ist der Schienenbonus noch zeitgemäß? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 5 – 3000-148/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 2 Lärmemissionen im Schienenverkehr Ist der Schienenbonus noch zeitgemäß? Verfasser: Aktenzeichen: WD 5 – 3000-148/10 Abschluss der Arbeit: 9. August 2010 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Lärmemissionen im Schienenverkehr 4 2. Ist der Schienenbonus noch zeitgemäß? 4 3. Lösungsmöglichkeiten zur Lärmreduzierung 6 4. Literaturverzeichnis 8 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 4 1. Lärmemissionen im Schienenverkehr Eine generelle Regelung zum Schutz vor Schienenverkehrslärm gibt es in Deutschland nicht. Lediglich beim Neubau oder einer wesentlichen Änderung eines Schienenweges, z. B. wenn der Schienenweg um ein durchgehendes Gleis baulich erweitert wird, sind in der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (16.BImSchV - Verkehrslärmschutzverordnung ) vom 12. Juli 1990 (BGBl. I S. 1036) zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen Immissionsgrenzwerte festgelegt (Lärmvorsorge). Die Verordnung enthält auch getrennt für den Tag (6.00 bis 22.00 Uhr) und für die Nacht (22.00 bis 6.00 Uhr) die Rechenvorschrift (Beurteilungsverfahren) zur Ermittlung der Geräuschbelastung vor den Gebäuden der Betroffenen . Die Berechnung ist zwingend vorgeschrieben, Messungen sind nicht vorgesehen. Einfluss auf die Immissionen haben u.a. die Anzahl und Art der Schienenfahrzeuge, deren Geschwindigkeit , die Fahrbahnart (z.B. Schwellengleis, Feste Fahrbahn), der Abstand des Immissionsortes zum Schienenweg usw.. Geräuschbelastungen, die auf Rangier- und Umschlagbahnhöfe zurückzuführen sind, werden nach der Richtlinie zur Berechnung der Schallimmissionen von Rangier- und Umschlagbahnhöfen ermittelt. Überschreitet die errechnete Belastung (Beurteilungspegel , Schalldruckpegel) die festgelegten Grenzwerte, sind Schallschutzmaßnahmen, z. B. Schallschutzwände, -wälle oder Schallschutzfenster erforderlich. Bauliche Schallschutzmaßnahmen am Schienenweg haben Vorrang. Wenn allerdings die Kosten für diese Schutzmaßnahmen außer Verhältnis zum angestrebten Schutzzweck stehen, sind Schallschutzmaßnahmen an den betroffenen Gebäuden als letzte Möglichkeit vorzusehen1. 2. Ist der Schienenbonus noch zeitgemäß? Als sogenannter „Schienenbonus“ wird ein in Anlage 2 (zu § 3) der 16. BImSchV aufgenommener Korrekturfaktor (Korrektursummant S) bezeichnet. Bei der Berechnung der Beurteilungspegel bei Schienenwegen wird die geringere Störwirkung des Schienenverkehrslärms mit minus 5 dB(A) berücksichtigt. Dieser Abschlag wird begründet mit der geringeren psychologischen Störwirkung , die der gleichmäßigere Schienenverkehrslärm bei gleichem Schalldruckpegel im Vergleich zum Straßenverkehrslärm mit seinen weit stärkeren und zahlreicheren Amplitudenschwankungen aufweist (Universitätsklinikum Freiburg, 2010, S. 26). Grundlage für die Festlegung des Schienenbonus bildeten Ergebnisse einer interdisziplinären Feldstudie Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre. Auch die Ergebnisse späterer Lärmwirkungsstudien aus den Jahren 1999 -2003 sowie aus anderen Ländern kamen zu vergleichbaren Ergebnissen und bestätigten eine geringere Lästigkeit des Schienenverkehrslärms gegenüber dem Straßenverkehrslärm (Arbeitsgemeinschaft Verkehrslärmwirkung, 2010, S. 4 ff.). Als Gründe hierfür werden genannt: die eher tieffrequenten Geräusche des Straßenverkehrs werden als lauter empfunden als die eher hochfrequenten Schienenverkehrsgeräusche, Bahngeräusche werden als weniger andauernd und unausweichlich bewertet, Schienenverkehrsgeräusche weisen gegenüber Straßenverkehrsgeräuschen eine größere Regelhaftigkeit im Auftreten und Homogenität in Lautstärke und Klang auf, Schienenverkehrsgeräusche sind für Betroffene eher vorhersagbar, die Bahn wird 1 Begriffsbestimmung des Umweltbundesamts, 15. April 2009, www.umweltbundesamt.de/laermprobleme/hauptlaermquellen /schienenverkehrslaerm.html (abgerufen 4. August 2010) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 5 insgesamt als umweltfreundlicherer, weniger gefährlich und weniger ungesund bewertet. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 18.03.1998 (BVerwG 11 A 55.96) entschieden, dass sich der in der Anlage 2 zu § 3 der 16. BImSchV festgelegte Schienenbonus als Ausdruck einer geringeren Störwirkung von Schienenverkehrslärm gegenüber Straßenverkehrslärm innerhalb des durch das Bundesimmissionsschutzgesetz gesetzten Rahmens hält und mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar ist. Unbestritten ist, dass Lärm die Gesundheit beeinträchtigt. Im Jahr 2004 hat sich die EU Arbeitsgruppe Health and Socio-Economic Aspects (HSEA, 2004) der Fragestellungen der Lärmauswirkungen angenommen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass nächtlicher Lärm den Schlaf beeinträchtigt und damit langfristig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie z.B. Kreislauferkrankungen und Bluthochdruck führt. Kritisiert2 wird, dass zur Beurteilung der Geräuscheinwirkung nur der Mittelungspegel herangezogen wird, aber die Dauer und Höhe der Vorbeifahrpegel sowie die Länge der Pausen nicht berücksichtigt werden. Schienenlärm werde weniger durch einen geschlossenen Geräuschpegel als durch laute Einzelereignisse bestimmt. Damit würden sehr laute einzelne Vorbeifahrten unterbewertet ; insbesondere werde ein Überschreiten derjenigen Schwelle, die zum Aufwachen von Anwohnern führt, nicht berücksichtigt. Insbesondere in der Nacht beeinträchtigten Aufweckreaktionen , beispielsweise verursacht durch nächtliche Gütertransporte, die Regenerationsphase des Körpers, verbunden mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit. Ein Wissenschaftlerteam der Universitätsklinik Freiburg hat die neuesten Erkenntnisse der Lärmforschung zusammengefasst. Der Güterzuganteil, die Zugfrequenz und auch die Geschwindigkeit hätten sich im Laufe der Zeit auf vielen Bahnstrecken erhöht, andererseits erlaube der technische Fortschritt den Einsatz lärmsenkender Techniken. Eine singuläre Ausrichtung am Lästigkeitsempfinden des Lärmes bei den Betroffenen sei nicht mehr haltbar. In Kombination mit neuesten Erkenntnissen vor allem im Bereich laborexperimenteller Schlafstudien zeige sich, dass es bereits bei geringen Schallpegeln zu einer direkten psychophysiologischen Lärmwirkung kommen kann, die unter der bewussten Wahrnehmungsschwelle liege und demnach kein direktes Belästigungsempfinden der Betroffenen voraussetzt. Die Studie kommt somit zu dem Schluss, der Schienenlärmbonus sei aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr haltbar, zumindest sei es geboten, die Rechtfertigung eines Schienenbonus zu überprüfen (Universitätsklinikum Freiburg, 2010, S. 223 und S. 225). In einer vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebenen und jüngst veröffentlichten Studie (Arbeitsgemeinschaft Verkehrslärm, 2010)3 werden die aktuellen Ergebnisse einer Literaturauswertung und eine Sammlung der Argumente der öffentlichen Diskussion zum Schienenbonus aufbereitet und im Hinblick auf ein Pro und Contra zur Gewährung eines einheitlichen oder variablen Schienenbonus kommentiert. Die Studie kommt einerseits zu dem Schluss, dass die seinerzeitige Einführung eines Schienenbonus angesichts der Ergebnisse früherer Studien gerechtfertigt war. Andererseits zeigten neuere Forschungsergebnisse aus Schlafstudien unter Laborbedingungen, 2 Argumente gegen Schienenverkehrslärm sammelt und veröffentlicht die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. auf ihrer Homepage unter: www.schienenlaerm.de/Wissen.htm (Stand 2. August 2010) 3 In der umfassenden Arbeit werden auf 66 Seiten mit 119 Seiten Tabellenanhang diverse Studien zum Schienenbonus ausgewertet. Die Studie ist abrufbar unter: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3934.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 6 dass bei gleichem Vorbeifahrtpegel die gemessenen Schlafstörungen durch Eisenbahnlärm höher seien als bei Straßenverkehrslärm oder Fluglärm. Dies deute zwar darauf hin, dass aufgrund der inzwischen eingetretenen Veränderungen in der Verkehrszusammensetzung und im Freizeitverhalten der Bevölkerung eine Differenzierung in der Anwendung des Schienenbonus vorgenommen werden müsse. Hierzu bedürfe aber noch weiterer Forschungsstudien vor allem hinsichtlich der Bewertung des Nachtschlafes, der tageszeitlichen Veränderungen in der Belästigung insbesondere abends sowie in besonderen akustischen Situationen (erhöhter Güterzuganteil, Hochgeschwindigkeitsstrecken ). 3. Lösungsmöglichkeiten zur Lärmreduzierung Die wesentlichen Geräuschkomponenten des Schienenverkehrs sind: Antriebsgeräusche (insbesondere bei Diesellokomotiven), Rad-Schiene-Geräusche und aerodynamische Geräusche (bei Fahrgeschwindigkeiten oberhalb 300 km/h). Neben den passiven Lärmschutzmaßnahmen (z.B. Errichtung von Lärmschutzwänden oder -wällen, Einbau von Schallschutzfenstern) ist die Bekämpfung des Schienenlärms an der Quelle Bestandteil der Lärmbekämpfung im Schienenverkehr . Folgende Maßnahmen an den Zügen sind in der Erprobung4: Einsatz von emissionsarmen Wagen, die mit neuen K- oder LL-Sohlen (K-Sohlen = Komposit -Bremssohlen und LL-Sohlen = Low-Low-Bremssohlen) ausgerüstet sind. Umrüstung älterer Güterwagen auf K-Sohlen (leise Bremssohlen aus Verbundwerkstoffen, sogenannten „Flüstersohlen“, die die Aufrauhung der Radlaufflächen vermeiden). Einsatz von neuen leichten und lärmarmen Drehgestellen in Güterwagen. Einbau von Radabdeckungen und Radschallabsorbern. In Frage kommen auch Investitionen in innovative Lärm- und Erschütterungsschutzmaßnahmen an Schienenwegen, um auf den Gleisen oder an Brücken die Entstehung von Lärm und Erschütterungen zu vermeiden, zu dämpfen oder abzuschirmen. Schienenstegbedämpfer (dabei handelt es sich um kleine Federungsbauteile, die seitlich in kurzen Abständen am Schienensteg befestigt werden. Sie dämpfen die Schwingungen des Gleises bei der Überfahrt mit dem Zug und reduzieren damit das abgestrahlte Rollgeräusch ). niedrige Schallschutzwände z. B. mit Steinen befüllte Drahtkörbe (Gabionen). 4 Wasse, 2010, S. 9 ff.; Die Deutschen Bahn beschreibt eine Aufstellung ihrer innovativen Lärmschutzmaßnahmen unter : http://www.deutschebahn.com/site/bahn/de/nachhaltigkeit/umwelt/laermminderung/leise__innovationen /leise__innovationen.html (abgerufen am 6. August 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 7 präventive Behandlungsmethoden an der Schienenoberfläche mit frühzeitigem Schienenschleifen (um über eine definierte Riffeltiefe hinausgehende Unebenheiten zu vermeiden). Einbau von Unterschottermatten. Verschäumen der Schottergleise. Einbau besohlter Schwellen (hierbei wird die Unterseite der Schwellen mit elastischen Materialien besohlt). Automatische Schienenschmierung durch Einbau von Spurkranzschmiereinrichtungen oder Schienenflankenschmierung in engen Gleisbögen um Quietschgeräusche zu mindern . Einbau von Brückenabsorbern um durch Dämpfung der Schwingungseinleitung Brückendröhnen zu vermindern. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 8 4. Literaturverzeichnis Arbeitsgemeinschaft Verkehrslärmwirkung, ZEUS GmbH, Zentrum für angewandte Psychologie , Umwelt- und Sozialforschung, Hagen; Möhler + Partner, Beratende Ingenieure für Schallschutz und Bauphysik, München: Lärmbonus bei der Bahn? Ist die Besserstellung der Bahn im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern noch gerechtfertigt? vom April 2010 im Auftrag des Umweltbundesamtes (abgerufen am 5. August 2010 unter: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3934.pdf) Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V.: Forum schienenlärmkritischer Stimmen, Webseite (abgerufen am 2. August 2010 unter: www.schienenlaerm.de/Wissen.htm) European Commission Working Group on Health and Socio-Economic (HSEA), Aspects Position Paper On Dose Effect Relationships For Night Time Noise, 11 November 2004 (abgerufen am 5. August 2010 unter: http://ec.europa.eu/environment/noise/pdf/positionpaper .pdf) IF-Studie 1983: Interdisziplinäre Feldstudie II über die Besonderheiten des Schienenverkehrslärms gegenüber dem Straßenverkehrslärm (Erweiterte Untersuchung). Bericht über ein Forschungsvorhaben zum Verkehrslärmschutzgesetz im Auftrag des Bundesministers für Verkehr (Forschungsnr. 70081/80). Band I: Hauptbericht; Band II: Anhang. München: Planungsbüro Obermeyer. Schuemer, Rudolf, Schreckenberg, Dirk und Felscher-Suhr, Ute: Wirkung von Schienenund Straßenverkehrslärm. herausgegeben von: Rudolf Schuener, ZEUS GmBH, Bochum, September 2003 (abgerufen am 6. August 2010 unter: www.staedtebauliche-laermfibel .de/Noise_manual/pdf/Wirkungen-S-SV.pdf) Universitätsklinikum Freiburg, Wissenschaftlerteam unter Führung von Professor Volker Mersch-Sundermann, Leiter des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene und Prof. Dr. Stefan Schmidt, Leiter der Sektion Komplementärmedizinische Evaluationsforschung : Macht Schienenlärm krank? Studie des zur Evaluierung der gesundheitlichen Wirkungen bei Exposition gegenüber Schienenlärm unter besonderer Berücksichtigung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000-148/10 Seite 9 der DB-Trasse Basel-Offenburg (und der Haltbarkeit des Schienenbonus), Regionalverband Südlicher Oberrhein, April 2010, (abgerufen am 5. August 2010 unter: www.uniklinikfreiburg .de/iuk/live/Aktuelles/IUKFreiburg2010_SchienenlaermBericht.pdf) Wasse, Ulrich, Lärmmessung an Brücken der Güterumgehungsbahn und Lärmminderungsvorschläge , Vortrag vom 27. November 2007 vor dem Ausschuss für Umwelt, Verkehr und Verbraucherschutz der Bezirksversammlung Hamburg-Nord (abgerufen am 6. August 2010 unter: http://www.schallschutz-und-sicherheit.de/resources /L$C3$A4rmminderung+an+Br$C3$BCcken.pdf)