© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 141/20 Zur Abnahmepflicht von Mieterstrom und der Wahlfreiheit des Energieversorgers Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Es stellt sich die Frage, ob eine (gesetzliche) Pflicht des Mieters zur Abnahme von Mieterstrom mit den europarechtlichen Energieverbraucherrechten, insbesondere der Wahlfreiheit des Energieversorgers , vereinbar wäre, und inwieweit die Wahlfreiheit bei Mieterstrommodellen überhaupt Anwendung findet. 2. Allgemeines zum Mieterstrom Als Mieterstrom wird solcher Strom bezeichnet, der in Solaranlagen auf, an oder in einem Wohngebäude erzeugt wird und ohne Nutzung des Netzes der allgemeinen Versorgung an Letztverbraucher im selben Gebäude oder in Wohngebäuden oder Nebenanlagen in demselben Quartier geliefert wird.1 Oftmals erzeugt und liefert der Vermieter den Strom dabei aber nicht selbst, sondern betraut hiermit Dritte, denen er die entsprechenden Dachflächen zur Verfügung stellt.2 Bei dieser Art von Direktbezug entfallen einige Kostenbestandteile, wie beispielsweise die Netzentgelte , netzseitige Umlagen und Stromsteuern.3 Unter bestimmten Voraussetzungen kann Mieterstrom nach dem Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG)4 gefördert werden. Der Anlagenbetreiber erhält für erzeugten Strom den sogenannten Mieterstromzuschlag. Dadurch sollen Anreize für Solaranlagen auf bzw. an Wohngebäuden geschaffen werden. Für Verträge über die Lieferung von mit dem Mieterstromzuschlag geförderten Strom enthält § 42a des Gesetzes über die Elektrizitätsund Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG)5 besondere Anforderungen. Da es sich aber auch bei Mieterstrommodellen um eine Energielieferung an Letztverbraucher handelt , der Lieferant Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ist6, gelten auch alle einschlägigen Vorschriften des EnWG.7 1 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/mieterstrom.html. Die Ausweitung auf Gebäude und Nebenanlagen in demselben Quartier erfolgte mit der jüngsten EEG-Novelle, dem neuen EEG 2021, vgl. BGBl. 2020 I. S. 3138. 2 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Mieterstrom/faq-mieterstrom.html?cms_artId=607730. 3 Vgl. dazu BT-Drs. 18/12728, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/127/1812728.pdf, S. 1. 4 https://www.gesetze-im-internet.de/eeg_2014/BJNR106610014.html. 5 https://www.gesetze-im-internet.de/enwg_2005/BJNR197010005.html. 6 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Mieterstrom/faq-mieterstrom.html?cms_artId=607730 (Unter „Werden Vermieter mit dem Anbieten von Mieterstrom zum Energieversorger? Welche Verpflichtungen kommen dadurch auf sie zu?“). 7 Vgl. Salje, in: Hempel (Hrsg.), Recht der Energie- und Wasserversorgung, 2020, EnWG § 42a Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 141/20 Seite 5 3. Vereinbarkeit einer Abnahmepflicht mit dem Recht auf freie Wahl des Energielieferanten Eine gesetzliche Pflicht zur Abnahme von Mieterstrom hätte den Ausschluss des Letztverbrauchers von der Teilnahme am Nachfragewettbewerb um die Belieferung mit Elektrizität zur Folge.8. 3.1. Verankerung der Wahlfreiheit im europäischen Sekundärrecht Im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes in der Europäischen Union9 mit dem Ziel der Schaffung eines europäischen Elektrizitätsbinnenmarktes wurden Netzbetreiber verpflichtet, auch anderen Energieversorgungsunternehmen den Zugang zu ihren Netzen zu gewähren. Damit einher ging auch, dass Letztverbraucher von nun an ihren Energielieferanten bzw. Stromanbieter frei wählen können.10 11 Die Europäische Union hebt die Wahlfreiheit als eines der elementaren Verbraucherrechte im Energiebinnenmarkt hervor, welches den Letztverbrauchern durch das nationale Recht der Mitgliedsstaaten garantiert sein muss.12 Verbraucherrechte auf dem Energiemarkt spielen im europäischen Energierecht eine zentrale Rolle. So widmet die neueste Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU13 (nachfolgend E-Binnenmarktrichtlinie ), erstmals ein ganzes Kapitel der Stärkung und dem Schutz der Verbraucher (Artikel 10 bis 29). Darüber hinaus statuiert die Richtlinie bereits im Kapitel „Allgemeine Vorschriften für die Organisation des Elektrizitätssektors“ in Artikel 4 das Recht auf freie Wahl des Energieversorgers: 8 Vgl. Salje, in: Hempel (Hrsg.), Recht der Energie- und Wasserversorgung, 2020, EnWG § 42a Rn. 12. 9 Beginnend mit der ersten Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31996L0092&from=DE. 10 Vgl. Gundel, Der Verbraucherschutz im Energiesektor zwischen Marktliberalisierung und Klimaschutzzielen, GewArch 2012, 137 (139). 11 Das europäische Recht sah eine stufenweise Öffnung vor. Seit 2007 müssen jedoch alle Kunden die Möglichkeit zur Teilnahme am wettbewerblichen Strommarkt haben. 12 https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/mj0415029_de.pdf, S. 4. 13 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L0944&from=de; die Richtlinie sollte gemäß Art. 71 Abs. 1 bis zum 31. Dezember 2020 von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 141/20 Seite 6 „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Kunden die Freiheit haben, Elektrizität vom Versorger ihrer Wahl zu beziehen und mehr als einen Elektrizitätsliefervertrag zur selben Zeit zu haben, sofern die erforderlichen Anschlusspunkte und Messstellen vorhanden sind.“14 Dazu führt Erwägungsgrund (11) der E-Binnenmarktrichtlinie aus, dass die europarechtlich garantierten Grundfreiheiten für Unionsbürger nur durch einen vollständig geöffneten Markt, der allen Verbrauchern die freie Wahl ihrer Lieferanten und allen Anbietern die freie Belieferung ihrer Kunden gestattet, gewährleistet werden können. Die E-Binnenmarktrichtlinie knüpft damit das Recht, sich seinen Energieanbieter selbst auswählen zu können, an den Begriff des „Kunden“ an. Gemäß Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie meint „Kunde“ einen Großhändler bzw. Endkunden, der Elektrizität kauft. „Endkunden“ sind Kunden, die Elektrizität für den Eigenverbrauch kaufen (Art. 2 Nr. 3). Für das Recht auf freie Wahl des Energieversorgers dürfte es damit ohne Belang sein, ob Mieterstrommodelle als Teil des Strommarkts anzusehen sind. Zentraler Punkt der Liberalisierung und Schaffung eines Energiebinnenmarktes war und ist nach europäischem Recht die diskriminierungsfreie Öffnung des Strommarktes für alle Kunden und Energieverbraucher.15 Darüber hinaus gewährt Artikel 10 Abs. 3 der E-Binnenmarktrichtlinie Endkunden das Recht auf einen Vertrag mit ihrem Versorger mit bestimmten Mindestanforderungen an den Inhalt. Ob eine pauschale Einbindung der Stromkosten in die Betriebskosten, wie teilweise vorgeschlagen, damit vereinbar wäre, dürfte fraglich sein. 3.2. Aspekte des Umgangs mit der Wahlfreiheit im deutschen Energierecht Auch die Bundesregierung hebt die Bedeutung der europarechtlich garantierten Lieferantenfreiheit als wesentliches Merkmal der Liberalisierung der Energiemärkte in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom und zur Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von 2017 hervor.16 Ebenso verweist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beim Mieterstrom darauf, dass Mieter weiterhin ihren Stromanbieter selbst wählen können sollen.17 18 Die enorme Bedeutung der Lieferantenfreiheit macht sich auch in dem für Mieterstromverträge geltenden § 42a EnWG bemerkbar. Darin ist in Abs. 2 ausdrücklich ein Kopplungsverbot von 14 Hervorgehoben durch den Autor des Sachstands. 15 https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/45/interne-energiemarkt. 16 Vgl. BT-Drs. 18/12355, S. 12, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812355.pdf. 17 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Mieterstrom/faq-mieterstrom.html. 18 Anzumerken ist, dass das Recht auf freie Wahl des Energieversorgers jedoch nicht auch bedeutet, dass jeder Energieversorger verpflichtet ist, auch mit jedem Kunden einen Energielieferungsvertrag abzuschließen. Dies ist Ausdruck der Vertragsautonomie. Etwas anderes gilt nur im Rahmen der Grundversorgung, vgl. Heinlein/Weitenberg , in: Theobald/Kühling (Hrsg.), Energierecht, Werkstand: 107. EL Juli 2020, EnWG § 36 Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 141/20 Seite 7 Miet- und Energieversorgungsvertrag bestimmt, um jegliches Einwirken auf die Entscheidungsfreiheit des – in der Regel schwächeren – Mieters auszuschließen. Der Abschluss eines Mietvertrags soll nicht von dem Abschluss eines Mieterstromvertrags abhängen.19 Der Bundesrat wies in diesem Zusammenhang im Gesetzgebungsverfahren daraufhin, dass die Vertragsfreiheit des Mieters in Bezug auf die Belieferung mit Strom umfassend sicherzustellen sei.20 In der Literatur wird betont, die Wahlfreiheit müsse auch im Zusammenhang mit Mieterstrom gewahrt werden. Nutzer eines wesentlich Wohnzwecken dienenden Gebäudes, also insbesondere Wohnungsmieter, dürften nicht „Objekte des EEG-Förderrechts“ werden.21 Insbesondere für den Erhalt des Wettbewerbs auf dem Strommarkt wird der Lieferantenfreiheit eine unverzichtbare Rolle zugesprochen. Nur wenn der Mieter die freie Wahl hinsichtlich seines Energieversorgers besitzt, ist der Anbieter von Mieterstrom gehalten, wettbewerbsfähige Preise anzubieten.22 Es gibt jedoch Stimmen in der Literatur, die die Wahlfreiheit als ein eher vorübergehendes Phänomen einstufen, welches aus Gründen des Klimaschutzes und der Energieeinsparung durch zwingende Lösungen abgelöst werden wird.23 *** 19 Vgl. BT-Drs. 18/12728, S. 25, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/127/1812728.pdf. 20 Ebd. 21 Vgl. Salje, in: Hempel (Hrsg.), Recht der Energie- und Wasserversorgung, 2020, EnWG § 42a Rn 6. 22 Vgl. BT-Drs. 18/12728, S. 2 sowie Salje, in: Hempel (Hrsg.), Recht der Energie- und Wasserversorgung, 2020, EnWG § 42a Rn. 5. 23 Gundel, Der Verbraucherschutz im Energiesektor zwischen Marktliberalisierung und Klimaschutzzielen, GewArch 2012, 137 (144).