Deutscher Bundestag Gentechnische Verunreinigungsfälle in der Nahrungskette Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD5 3000 – 141/09 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD5 3000 – 141/09 Seite 2 Gentechnische Verunreinigungsfälle in der Nahrungskette Verfasserinnen: Ausarbeitung: WD5 3000 – 141/09 Abschluss der Arbeit: 9. November 2009 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD5 3000 – 141/09 Seite 3 1. Vorbemerkung Die Recherche zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht sehr schwierig. Zu Rate gezogen wurden Stellen auf europäischer Ebene, Bundes- und Landesebene. Die Erkenntnisse der Ausarbeitung sind darauf gestützt. 2. Rechtsgrundlagen und Kontrolle Einschlägig für das Thema sind folgende europäische Rechtsgrundlagen: Die Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel und die Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG. Hinzukommt auf nationaler Ebene vor allem das Gentechnikgesetz. Im Einzelnen ist folgendes festzustellen: Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ohne Produktzulassung sind: - in der EU nicht zugelassene GVO - zweitens GVO mit aufgrund von aufkommenden Sicherheitsbedenken vorübergehend eingestellter oder endgültig aufgehobener Zulassung - für Freilandversuche zugelassene Organismen, die lediglich für die experimentelle Freisetzung vorgesehen sind. 1 Nicht zugelassene gentechnisch veränderte Organismen werden bei Kontrollen der im jeweiligen Bundesland zuständigen Landesämter, die jedoch nur stichprobenartig durchgeführt werden, entdeckt. Die für die Lebensmittel- und Futtermittelkontrollen zuständigen Landesämter melden die Verunreinigungen an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) weiter. Das BVL unterrichtet das Schnellwarnsystem der Europäischen Kommission, das Rapid Alert System for Food and Feed (RASFF), das seinerseits GVO-Funde der RASFF- Mitgliedstaaten2 an das BVL meldet Die Bund/Länder-Arbeitsgruppe Gentechnik (LAG)3 sammelt ebenfalls Daten über Saatgutverunreinigungen mit gentechnisch veränderten Organismen u. a. zur Vermeidung von Doppelbeprobungen . Eine übergeordnete Meldestelle ist bislang im Gentechnikrecht nicht vorgesehen. 1Palme/Schlee: 149. 2Zurzeit gibt es 33 vollwertige RASFF-Mitglieder bestehend aus den 27 EU-Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission, den vier EFTA-Staaten (Norwegen, Liechtenstein, Island und die Schweiz) sowie der EFTA Aufsichtsbehörde. 3Zurzeit leitet das Niedersächsische Umweltministerium - und hier das Referat 38 - die Geschäftsstelle der LAG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD5 3000 – 141/09 Seite 4 Die ANLAGE 2 enthält vom BVL zusammengestellte Meldungen aus dem RASFF ab 2004: Die nationale Seite ist auf jeden Fall betroffen, wenn Deutschland unter „notified by“ oder „origin“ oder „distribution“ genannt wird. Insgesamt werden für Deutschland seit 2004 132 Fälle von Verunreinigungen mit gentechnisch veränderten Organismen ermittelt. Die Höhe der Belastungen durch GVO und die belasteten Mengen wurden durch die Datenbankabfrage nicht bereitgestellt5, somit konnte auch die Höhe der wirtschaftlichen Schäden nicht ausgemacht werden. 3. Maßnahmen zur Beseitigung der Verunreinigungen Die Landesbehörden sind bestrebt, Verunreinigungen zu Beginn der Handelskette aufzufinden, das heißt, bereits bei der Zertifizierung des Saatguts Kontaminationen auszumachen. Bei nicht zugelassenen Organismen gilt die so genannte Nulltoleranz, die Vernichtungsanordnung gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 Gentechnikgesetz findet Anwendung. Der Handel mit und der Anbau von nicht zugelassenen GVO sind gem. Verordnung (EG) 1829/2003 Art. 4 Abs. 2 sowie Art. 16 Abs. 2 verboten. Ist nicht zugelassenes GV-Saatgut bereits ausgesät, wird es auf dem Acker vernichtet. Es wird mit Pflanzenvernichtungsmitteln „abgespritzt “ und „umgebrochen“. In einigen Fällen wird es jedoch bis zur weiteren thermischen Weiterverarbeitung in Biogasanlagen auf dem Feld belassen, wie im Frühjahr 2009 in Baden- Württemberg geschehen.6 4. Koexistenz, Haftungsregelungen und Kosten Das im Frühjahr 2008 novellierte Gentechnikgesetz regelt die Koexistenz unterschiedlicher Bewirtschaftungsformen , die Wahlfreiheit für Landwirte und Verbraucher sowie die Entsorgung nicht zugelassener GVO. „Gelangen GVO-Spuren ohne Produktzulassung in nachbarliche Feldbestände oder gelangen diese in sonstiger Weise in die Ernte des Nachbarn, unterliegen dessen Produkte stets einem Vermarktungsverbot.“7 Laut Palme/Schlee (2009) ist der Koexistenz-Gedanke von ökologischem, konventionellem und GVO-Anbau in einigen außereuropäischen Anbaugebieten aufgrund der Anbaumenge von GV- Pflanzen aus naturwissenschaftlicher Sicht bereits nicht mehr haltbar und wird aus rein politischen Gründen vertreten. „Geht man von längerfristigen und über längere Zeit möglichen Auskreuzungen aus, so wird ersichtlich, dass die Koexistenz allenfalls für einige Zeit aufrechterhalten werden kann.“8 5 . 6 Landtag Baden-Württemberg, Drs. 14/4491: 6. 7 Palme/Schlee: 150. 8 Palme/Schlee: 85. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD5 3000 – 141/09 Seite 5 4.1. Nationale Ebene Die wichtigste Haftungsnorm ist § 36a Gentechnikgesetz. Er regelt die Ansprüche bei Nutzungsbeeinträchtigungen und lautet: „(1) Die Übertragung von Eigenschaften eines Organismus, die auf gentechnischen Arbeiten beruhen, oder sonstige Einträge von gentechnisch veränderten Organismen stellen eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne von § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dar, wenn entgegen der Absicht des Nutzungsberechtigten wegen der Übertragung oder des sonstigen Eintrags Erzeugnisse insbesondere 1. nicht in Verkehr gebracht werden dürfen oder 2. nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder nach anderen Vorschriften nur unter Hinweis auf die gentechnische Veränderung gekennzeichnet in den Verkehr gebracht werden dürfen oder 3. nicht mit einer Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden dürfen, die nach den für die Produktionsweise jeweils geltenden Rechtsvorschriften möglich gewesen wäre. (2) Die Einhaltung der guten fachlichen Praxis nach § 16b Abs. 2 und 3 gilt als wirtschaftlich zumutbar im Sinne von § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (3) Für die Beurteilung der Ortsüblichkeit im Sinne von § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kommt es nicht darauf an, ob die Gewinnung von Erzeugnissen mit oder ohne gentechnisch veränderte Organismen erfolgt. (4) Kommen nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls mehrere Nachbarn als Verursacher in Betracht und lässt es sich nicht ermitteln, wer von ihnen die Beeinträchtigung durch seine Handlung verursacht hat, so ist jeder für die Beeinträchtigung verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn jeder nur einen Teil der Beeinträchtigung verursacht hat und eine Aufteilung des Ausgleichs auf die Verursacher gemäß § 287 der Zivilprozessordnung möglich ist.“ Laut telefonischer Aussage des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 5.11.2009 4.2. Internationale Ebene Weltweit werden gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut, die den europäischen Zulassungsstandards nicht entsprechen. Werden Produkte mit in der EU nicht zugelassenen Organismen kontaminiert, muss für Schadenersatzforderungen zunächst geklärt werden, woher die Verunreinigungen stammen, ob sie z. B. beim Anbau, beim Transport, bei der Verarbeitung oder bei der Lagerung entstanden sind. Diese Haftungsfragen sind bislang nicht geklärt. Für den internationalen Handel stellen die Nulltoleranz und die fehlenden rechtlichen Regelungen ein beinahe unlösbares Problem dar. Für 2010 ist allerdings ein Zusatzprotokoll zum Cartagena-Protokoll geplant , dem internationalen Protokoll über die biologische Sicherheit, das den grenzüberschreitenden Transport, die Handhabung und den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen regelt. Das Zusatzprotokoll soll Haftungsregelungen im internationalen Handel mit GVO beinhalten . Die Höhe wirtschaftlicher Schäden, die in der EU durch nicht zugelassene gentechnisch veränderte Konstrukte entstehen, werden in der Antwort auf die Kleine Anfrage vom 27.10.2006 auf BT-Drs 16/3118 unter Bezugnahme auf den Bundesverband der Hersteller von Nährmitteln und Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD5 3000 – 141/09 Seite 6 Reis inkl. Rückrufaktionen mit ca. 10 Mio. Euro angegeben.9 Im Schadensbericht Gentechnik des Bundes Ökologischer Lebensmittelwirtschaft vom März 2009 gehen die Autoren sogar von wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe aus.10 5. Ergebnis • Wichtigste Rechtsgrundlagen zur Beurteilung von gentechnischen Verunreinigungsfällen in der Nahrungskette sind auf europäischer Ebene die Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel und die Verordnung über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln • und auf nationaler Ebene das Gentechnikgesetz. • Die Behörden der Bundesländer sind bestrebt, Verunreinigungen bereits zu Beginn der Handelskette aufzufinden. • Haftungsfragen bestimmen sich auf nationaler Ebene in erster Linie nach § 36a Gentechnikgesetz . Gerichtsentscheidungen dazu liegen nicht vor. Auf internationaler Ebene sind Haftungsfragen weitgehend ungeklärt. Die Schadenshöhe ist indes nicht unerheblich. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD5 3000 – 141/09 Seite 7 6. Quellen- und Literaturverzeichnis Bundesregierung (2006). Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN. Prüfung gentechnisch veränderter Sorten in Deutschland. BT-Drs. 16/1175. Bundesregierung (2006). Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. Aufklärung über den Anbau von gentechnisch verändertem Mais in den Jahren 1998 bis 2004. BT-Drs. 16/2814. Bundesregierung (2006). Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN. Verunreinigte Lebensmittelprodukte mit gentechnisch verändertem Reis. BT-Drs. 16/3118. Bundesregierung (2007). Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP. Vorgehensweise des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Zusammenhang mit der Abgabe von Saatgut der gentechnisch veränderten Maislinie MON810. BT-Drs. 16/5659. Bundesregierung (2008). Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN. Verunreinigung von Futtermitteln mit gentechnisch veränderter Soja. BT-Drs. 16/9992. Bundesregierung (2009). Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN. Risikoforschung und -prüfung bei gentechnisch veränderten Pflanzen. BT-Drs. 16/12969. Burchardi, Jan-Erik (2009). Die Novellierung des Gentechnikrechts. In: ZUR, Heft 1, S. 9ff. Deutscher Bundestag (2009), Schriftliche Fragen der Abg. Ulrike Höfken Nr. 38 und 39 auf BT- Drs. 16/13875. Deutscher Bundestag (2009), Schriftliche Fragen der Abg. Ulrike Höfken Nr. 66 auf BT-Drs. 16/13981. GeneWatch/Greenpeace: http://www.gmcontaminationregister.org Landtag Baden-Württemberg, Antrag der Grünen und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlicher Raum. (2009) Verunreinigung von Saatgut mit MON-NK-603-Mais aus Sachsen in Baden-Württemberg: Überprüfung der Kontrollpraxis bezüglich Futtermittel und Saatgut, Maßnahmen der Landesregierung zur Gewährleistung von getrennten Warenströmen bei Saatgutchargen und bei Futtermittelrohstoffen. LT-Drs 14/4491. Landtag Baden-Württemberg, PlPr 72 vom 29. Juli 2009. Palme, CH.; Schlee, M., (2009). Gentechnikrecht. Darstellung für Behörden, Kommunen, Forschung , Landwirtschaft und Umweltverbände. Kommunal- und Schul-Verlag. Wiesbaden. Then, Ch.; Lorch, A., (2009). Schadensbericht Gentechnik. Hrsg. Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).