Tierzahlbegrenzung in der Massentierhaltung - Sachstand - © 2008 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 135/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Tierzahlbegrenzung in der Massentierhaltung Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 135/08 Abschluss der Arbeit: 16.09.2008 Fachbereich WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Einleitung Seit einigen Jahren wird in Deutschland, aber auch in Tschechien, Ungarn und Rumänien ein verstärktes Interesse holländischer und dänischer Investoren am Aufbau von großen Schweinemastbetrieben registriert. Die Gründe liegen in einer Reihe wirtschaftlicher Faktoren, die unter anderem in den hohen Qualitäts- und Tierschutzstandards in diesen Ländern angelegt sind. Die entscheidende Rolle spielt aber die sog. „Gülleproblematik “, die sich aus dem hohen Tierbestand, der Landknappheit und den Belangen des Umweltschutzes zusammensetzt. Die zu ihrer Behebung angesetzten Maßnahmen der Quotierung und der Gülleentsorgung haben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die intensive Tierhaltung in diesen Ländern so verschlechtert, dass sich die Betriebsinhaber seit mehreren Jahren nach Standortalternativen im Ausland umsehen. In Deutschland stoßen die in der Regel sehr groß angelegten Projekte der holländischen Investoren auf erheblichen Widerstand aus der in der Umgebung lebenden Bevölkerung wie auch aus Tierschutzkreisen, die sich generell gegen die Massentierhaltung wenden. Nachfolgend werden sowohl die in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften zur Genehmigung von Schweinehaltungsbetrieben als auch die in den Niederlanden geltenden Rahmenbedingungen für die Schweinemast dargestellt. 2. Vorschriften zur Schweinehaltung in den Niederlanden Im Hinblick auf Bauvorschriften und Umweltgesetzgebung unterscheiden sich die niederländischen Vorschriften nicht wesentlich vom deutschen Regelwerk. In den Niederlanden allerdings unterliegt die Schweinehaltung einer Quotenregelung, die auf die Umsetzung der Nitrat-Richtlinie der EU1 in holländisches Recht zurückgeht. Da der Tierbesatz mit 2,2 Großvieheinheiten(GVE)/ha LF in den Niederlanden sehr hoch ist (Deutschland: 1,0 GVE/ha), wurde dem daraus resultierenden Nährstoff mit Maßnahmen zur Reduzierung des Tierbestandes begegnet. Auf diese Weise verringerte sich der Schweinebestand im Zeitraum von 1992–2002 um 14 %. Bereits seit 1987 gibt es in den Niederlanden nationale Quotenfestsetzungen zur Limitierung von Tierbeständen und Gülleproduktion. 1 RL 91/676/EG - 4 - Kern der Quotenregelung ist die Erteilung handelbarer Produktionsrechte, die von den Erzeugern zu einem Satz von derzeit 200 € pro Mastplatz und 574 € pro Sauenplatz zu erwerben sind. Wenn ein Schweinestall gebaut werden soll, muss ein anderer dafür abgerissen werden: die Rechte des abzureißenden Stalles müssen an den neu zu erbauenden verkauft werden.2 Im Jahr 2002 wurde zusätzlich ein System der Gülleentsorgung über Abnahmeverträge eingeführt. Die Abnehmer, meist Landwirte, bringen die Gülle als Dünger aus oder verwerten sie in Biogasanlagen. Die von den Schweinhaltern zu tragenden Kosten belaufen sich auf 20–25 € /m³. Vor allem die Kosten der Gülleentsorgung in den Niederlanden gelten unter Fachleuten als der limitierende Faktor für Expansionsbestrebungen von Schweinehaltern im Lande. Die Tierzahl stagniert bei gleichzeitiger Reduzierung der Anzahl der Betriebe. Zeitgleich erfolgt eine Umstellung von der Mast- auf die Ferkelerzeugung. Da derzeit etwa 70 % der niederländischen Ferkel exportiert werden (1/3 der in Deutschland aufgezogenen Ferkel stammen aus den Niederlanden), liegt das Bemühen der Mäster um eine Expansion in das Hauptabnahmeland Deutschland, wo es keine annähernd strengen Vorgaben gibt, nahe. Weitere Kostenfaktoren, welche die Rentabilität der Schweinehaltung in den Niederlanden beeinträchtigen, liegen in den Vorschriften zur Tierhaltung. So ist in Niederlanden pro Mastschwein eine Buchtenfläche von 1 m² vorgeschrieben (D: 0,75 m²). Des Weiteren dürfen in Deutschland die Liegeflächen bis zu einem Anteil von 15 % perforiert sein (Spaltenböden), während in den Niederlanden ein Anteil von 40 % planbefestigter Fläche in der Bucht vorgeschrieben ist. Dies führt zu höherem Arbeitsaufwand bei der Entmistung. Insgesamt liegen die Arbeitskosten in den Niederlanden mit ca. 35.000 € je Mitarbeiter relartiv hoch und Fachkräfte für die Landwirtschaft sind schwer zu bekommen. Angesichts des Umstandes, dass sich die Produktion in den Niederlanden immer mehr in Richtung Ferkelerzeugung verlagert und 70% der dort erzeugten Ferkel in den Export gehen sowie 1/3 der in Deutschland aufgezogenen Ferkel aus den Niederlanden stammt, 2 ZDF; Frontal 21, Sendung „Schweinische Geschäfte – Agrarfabriken verpesten die Umwelt“ vom 13. März 2007. - 5 - liegt das Interesse kapitalkräftiger holländischer Schweinehalter, speziell der Mäster, an Expansionsbewegungen in das benachbarte Hauptabnehmerland auf der Hand. 3. Begrenzung der Tierzahl in deutschen Schweinehaltungsbetrieben Die Gesetzesvorschriften in Deutschland enthalten keine Grundlage für eine Versagung einer Genehmigung allein aufgrund der Größe der Tierhaltungsanlage. Nach § 10, Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) ist ab einer Zahl von 2000 Mastschweinen (Schweine von 30 kg oder mehr Lebendgewicht)3, ab 750 Sauenplätzen einschließlich dazugehöriger Ferkelaufzuchtplätze (bis weniger als 30 kg Lebendgewicht ) und ab 6000 Ferkelplätzen für die getrennte Aufzucht eine Genehmigung erforderlich . Für gemischte Bestände gibt es eine Kumulierungsregelung. Im Genehmigungsverfahren wird die Öffentlichkeit beteiligt, indem die Unterlagen öffentlich ausgelegt werden und die Möglichkeit bzw. die Verpflichtung zur Erhebung von Einwänden besteht. Grundlage sind § 4 BImSchG iVm § 1 Abs. 1 S. 1 der 4. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (4. BImSchV) in Verbindung mit Nr. 7.1 Spalte 1 dessen Anlage. Daneben existiert ein vereinfachtes Verfahren ohne Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 19 BImSchG, welches Anwendung findet bei 1500 bis 2000 Mastschweinen, 560 bis weniger als 750 Sauenplätzen einschließlich dazugehörender Ferkelaufzuchtplätze oder 4500 bis weniger als 6000 Ferkelplätzen für die getrennte Aufzucht. Dies ergibt sich aus § 4 BImSchG iVm § 1 Abs. 1 S. 1 der 4. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (4. BImSchV) in Verbindung mit Nr. 7.1 Spalte 1 dessen Anlage 2. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung als solche ist eine konzentrierte Genehmigung , das bedeutet, dass die für das immissionsschutzrechtliche Verfahren zuständige Behörde über alle Belange entscheidet. Lediglich wasserrechtliche Entscheidungen werden von der für Wasserrecht zuständigen Behörde getroffen. Dabei arbeiten den zuständigen Behörden inhaltlich andere Behörden zu. Für die Beurteilung, ob eine Anlage zu Umweltschädigungen führt, ist in dem Fall die Naturschutzbehörde zuständig. 3 oder für die getrennte Aufzucht (Ferkel von 10 bis weniger als 30 kg Lebendgewicht) - 6 - Anlagen, die unterhalb der genannten Größen liegen, werden im einfachen baurechtlichen Genehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung geprüft. Laut Gesetz über die Unverträglichkeitsprüfung (UVPG) müssen im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Vorhabens bei Anlagen ab einer bestimmten Größe (1.500 Mastschweineplätze, 560 Sauenplätze mit zugehörigen Ferkeln, 4.500 Ferkelplätze in getrennter Aufzucht) Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden . Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein unselbständiger Teil des verwaltungsbehördlichen Genehmigungsverfahrens und dient der Entscheidung der Zulässigkeit des Vorhabens. Es werden Auswirkungen der Anlage auf Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden , Wasser, Luft, Klima, Landschaft, Kulturgüter und sonstige Sachgüter sowie die Wechselwirkungen zwischen den vorgenannten Schutzgütern überprüft (§ 2 UVPG). Im Rahmen des Verfahrens ist vom Antragsteller der Genehmigung nachzuweisen, dass er über die – nach Maßgabe der Düngeverordnung (DüV)4 notwendige – Fläche zur Ausbringung der anfallenden Gülle im Sinne der „guten fachlichen Praxis beim Düngen “ verfügt. Dabei dürfen bestimmte Werte der Ausbringung von Nitraten und Phosphaten nicht überschritten werden (230 kg Gesamtstickstoff/pro Jahr auf Grünland, 40 kg/pro Jahr auf Ackerland, soweit es sich nicht um besonders zu schützende Flächen z.B. in Gewässernähe handelt. In der Regel wird mit einer Faustzahl von mindestens 1 ha pro 18 Tiere gerechnet; bei einem geplanten Tierbestand von 10.000 ist demnach eine Fläche von 560 ha auszuweisen. Die Geruchsbelästigung durch die Gülleausbringung wird auf dem Wege der immissionsschutzrechtlichen Betrachtung einbezogen. Tierseuchenrechtlich gibt es keine Limitierung bei der Anzahl der Schweine. In der Schweinehaltungshygieneverordnung sind lediglich in Abhängigkeit von der Größe der Bestände Anforderungen an Stall- und Freilandhaltung festgelegt. Daneben existiert die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, in der tierschutzrechtliche Haltungsanforderungen für Schweine festgelegt sind. Diese müssen immer eingehalten werden und gelten unabhängig von der Tierzahl. 4. Fazit Im Gegensatz zu Ländern wie den Niederlanden oder Dänemark, die über marktorientierte Instrumente zur Begrenzung von Massentierhaltungen verfügen, gestaltet sich das Vorgehen gegen unerwünschte Ansiedlungen von Massentierhaltungsbetrieben in 4 Verordnung über die Anwendung von Düngemitteln, Bodenhilfsstoffen, Kultursubstraten und Pflanzenhilfsmitteln nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis beim Düngen (Düngeverordnung - DüV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 2007 (BGBl. I S.221)" - 7 - Deutschland schwierig. Sofern die im Bundesrecht enthaltenen tierschutz- und umweltrechtlichen Auflagen erfüllt sind, gibt es keine Handhabe für die Verweigerung der Genehmigung . Als Grundgedanke dominiert an dieser Stelle die Annahme, wonach eine gut geführte Massentierhaltung Tieren und Umwelt zuträglicher sein kann als ein schlecht geführter Kleinbetrieb. Was das Kriterium der unvermeidlichen Geruchsbelästigung angeht, bietet sich jedoch in Gestalt der Baunutzungsverordnung (BauNVO) von 19625 ein Instrument für Gemeinden, die Investoren in Nähe zu Wohngebieten oder Sondergebieten zur Erholung a priori Begrenzungen auferlegen wollen. Lt. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.02.2002, Az. 4 CN 5/01 im Fall einer geplanten Schweinemast im Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern6 ist es möglich, eine höchstzulässige Tierzahl im Rahmen eines Bebauungsplanes festzusetzen So können im Bebauungsplan lt. § 11 BauNVO Flächen ausgewiesen werden, die als „sonstige Sondergebiete“ Teil des Bebauungsplans werden. Unter dieser Rubrizierung können Gemeinden Gebiete festlegen, die der Nutzung für „landwirtschaftliche Betriebe einschließlich Tierzucht und Tierhaltung zur Verfügung“ stehen. Weiter kann festgelegt werden, dass zur Vermeidung von schädlichen Geruchsbelästigungen der Betrieb der Tierhaltung nur bis zu einer Zahl von Großvieheinheiten zulässig ist, die sich den für die einzelnen Standortfestsetzungen maximalen Emissionsradien unter Anwendung der VDI-Richtlinie 3471 (Emissionsminderung Tierhaltung – Schweine) ergibt. Die VDI- Richtlinie entfaltet keine eigene rechtliche Verbindlichkeit. Bei der Festsetzung kann aber auf die in der VDI-RL enthaltene Punkteregelung und die festen Abstandsmaße, die zur Bestimmung der höchstzulässigen Tierzahl gelten, Bezug genommen werden. Nach der VDI-Richtline 3471 bestimmt sich bei einem Aufeinandertreffen von Schweinehaltung und Wohnen der Abstand nach den Faktoren, die maßgeblich dafür sind, ob Geruchsbeeinträchtigungen drohen oder nicht. Beeinflusst wird die Geruchskulisse danach vor allem durch die Betriebsgröße, Art und Anzahl der Tiere und den jeweiligen technischen Standard des Betriebes. Die Bestandsgröße wird dadurch ermittelt, dass die angegebenen Tierplatzzahlen im Stall nach Maßgabe bestimmter Orientierungswerte auf Großvieheinheiten umgerechnet werden. Die technische Ausstattung wird, je nach dem, ob sie zur Emissionsvermeidung oder –Verminderung geeignet ist, mit Punkten bewertet . Außerdem finden andere beeinflussende Standortbedingungen als Zu- oder Abschlag Niederschlag im Punktesystem. Die VDI-RL, die üblicherweise herangezogen 5 Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung - BauNVO) 6 http://www.jura.uni-passau.de/eslr/Verwaltungsrecht/bis%202003/4%20CN%205-01.htm - 8 - wird, um aus der Bestandsgröße und den technischen Betriebsmerkmalen einen angemessenen Sicherheitsabstand zu errechnen, kann demnach auch in umgekehrter Weise angewandt werden.