© 2016 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 134/14 Einzelfragen zur Gentechnik und zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 2 Einzelfragen zur Gentechnik und zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG Verfasserin: Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 134/14 Abschluss der Arbeit: 25. Juni 2014 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Welche Gentechniken beim Pflanzenanbau sind heute in Deutschland gesetzlich erlaubt? 4 2. Welchen Anteil am Gesamtanbau haben gentechnisch veränderte Lebensmittel in Deutschland? 5 3. Welche waren bis Juni 2014 die Richtlinien, um ein Verbot des Anbaus von Genpflanzen in Deutschland zu begründen? 6 4. Inwiefern hat die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG vom 11.06. 2014 diese Richtlinien verändert? 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 4 1. Welche Gentechniken beim Pflanzenanbau sind heute in Deutschland gesetzlich erlaubt? Gemäß § 3 Nr. 3 des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz - GenTG)1 ist ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO): „ein Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt; ein gentechnisch veränderter Organismus ist auch ein Organismus, der durch Kreuzung oder natürliche Rekombination zwischen gentechnisch veränderten Organismen oder mit einem oder mehreren gentechnisch veränderten Organismen oder durch andere Arten der Vermehrung eines gentechnisch veränderten Organismus entstanden ist, sofern das genetische Material des Organismus Eigenschaften aufweist, die auf gentechnische Arbeiten zurückzuführen sind“.2 § 3 Nr. 3a (lit. a bis c) GenTG definieren die gentechnischen Verfahren in Deutschland: „Verfahren der Veränderung genetischen Materials in diesem Sinne sind insbesondere a) Nukleinsäure-Rekombinationstechniken3, bei denen durch die Einbringung von Nukleinsäuremolekülen , die außerhalb eines Organismus erzeugt wurden, in Viren, Viroide, bakterielle Plasmide oder andere Vektorsysteme neue Kombinationen von genetischem Material gebildet werden und diese in einen Wirtsorganismus eingebracht werden, in dem sie unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen, b) Verfahren, bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingebracht wird, welches außerhalb des Organismus hergestellt wurde und natürlicherweise nicht darin vorkommt , einschließlich Mikroinjektion, Makroinjektion und Mikroverkapselung, c) Zellfusionen oder Hybridisierungsverfahren, bei denen lebende Zellen mit neuen Kombinationen von genetischem Material, das unter natürlichen Bedingungen nicht darin vorkommt , durch die Verschmelzung zweier oder mehrerer Zellen mit Hilfe von Methoden gebildet werden, die unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen“.4 1 BGBl I 1993, 2066; zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 27 u. Art. 4 Abs. 14 des Gesetzes vom 7.8.2013, BGBl I 2013, 3154. http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gentg/gesamt.pdf 2 BGBl I 1993, 2066; zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 27 u. Art. 4 Abs. 14 des Gesetzes vom 7.8.2013, BGBl I 2013, 3154. Vgl. hierzu auch Artikel 2 der sog. EU-Freisetzungs-Richtlinie (2001/18/EG). 3 Hervorhebung durch Verfasserin. 4 BGBl I 1993, 2066; zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 27 u. Art. 4 Abs. 14 des Gesetzes vom 7.8.2013, BGBl I 2013, 3154. Siehe hierzu auch Anhang I A Teil 1 der sog. EU-Freisetzungs-Richtlinie 2001/18/EG: „1. DNS-Rekombinationstechniken, bei denen durch die Insertion von Nukleinsäuremolekülen, die auf unterschiedliche Weise außerhalb eines Organismus erzeugt wurden, in Viren, bakterielle Plasmide oder andere Vektorsysteme neue Kombinationen von genetischem Material gebildet werden und diese in einen Wirtsorganismus eingebracht wurden, in dem sie unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen, aber vermehrungsfähig sind; 2. Verfahren, bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde, einschließlich der Mikroinjektion, Makroinjektion und Mikroverkapselung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 5 In Deutschland dürfen gentechnische Arbeiten nur in gentechnischen Anlagen durchgeführt werden (§ 8 Abs. 1 GenTG). Gentechnische Arbeiten werden in vier Sicherheitsstufen eingeteilt (§ 7 GenTG). In Deutschland müssen die Erzeugung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und der Umgang mit GVO „abhängig von ihrer Sicherheitsstufe bei der zuständigen Landesbehörde angezeigt, angemeldet oder genehmigt und in einer gentechnischen Anlage durchgeführt werden, die ebenfalls abhängig von der Sicherheitsstufe angezeigt, angemeldet oder genehmigt werden muss. Gentechnische Anlagen können ein Laboratorium, eine Produktionsanlage, ein Gewächshaus oder ein Tierstall sein.“5 2. Welchen Anteil am Gesamtanbau haben gentechnisch veränderte Lebensmittel in Deutschland ? Gemäß § 16a GenTG sind Grundstücke, auf denen ein GVO ausgebracht werden soll, sowie die Größe der Grundstücksfläche und der Ausbringungszeitraum vor der Ausbringung des GVO, in einem Standortregister zu erfassen. Das Standortregister wird vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) geführt.6 Laut Standortregister des BVL werden seit dem Jahr 2009 in Deutschland keine gvPflanzen angebaut .7 Seit 2013 finden auch keine Freilandversuche mit gvPflanzen statt.8 Die letzte Freisetzung, die im Jahr 2013 erfolgte, war die vom BVL genehmigte Freisetzung des gentechnisch veränderten Bakteriums Rhodococcus equi RG2837. Rhodococcus equi RG2837 ist ein Pferdeimpfstoff.9 3. Zellfusion (einschließlich Protoplastenfusion) oder Hybridisierungsverfahren, bei denen lebende Zellen mit neuen Kombinationen von genetischem Erbmaterial durch die Verschmelzung zweier oder mehrerer Zellen anhand von Methoden gebildet werden, die unter natürlichen Bedingungen nicht auftreten. (ABl. L 106, 17.04.2001, S. 1. http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:303dd4fa-07a8-4d20-86a8- 0baaf0518d22.0002.02/DOC_1&format=PDF). 5 BVL (2014). Bekanntmachung der Arbeit der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit im Jahr 2013 (BVL 114/2014/4). 24. Bericht nach Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes vom 3. Juni 2014.http://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/06_Gentechnik/ZKBS/03_Taetigkeitberichte/zkbs_Taetigkeitsbericht _2013.pdf;jsessionid=06393A03C2BCAD83F5C7C9E0467BA4FB.1_cid350?__blob=publication- File&v=4 6 http://apps2.bvl.bund.de/stareg_web/showflaechen.do 7 http://apps2.bvl.bund.de/stareg_visual_web/localeSwitch.do?language=de&page=/data.do 8 http://apps2.bvl.bund.de/stareg_web/showflaechen.do?year=2012 9 „Der in der Natur verbreitete Wildtyp des Bakteriums kann bei Fohlen eine Lungenentzündung verursachen. Bei den gentechnisch veränderten Bakterien wurden gezielt mehrere Gene entfernt. Dadurch wurde die Pathogenität des Bakteriums reduziert, sodass der gentechnisch veränderte Stamm bei Pferden keine Erkrankung mehr verursachen kann.“ http://www.bvl.bund.de/DE/08_PresseInfothek/01_FuerJournalisten/01_Presse_und_Hintergrundinformationen /06_Gentechnik/2012/2012_06_04_Pferdeimpfstoff.html?nn=1401276 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 6 3. Welche waren bis Juni 2014 die Richtlinien, um ein Verbot des Anbaus von Genpflanzen in Deutschland zu begründen? Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2001/18/EG führt aus, dass der Grundsatz der Vorsorge bei der Ausarbeitung der Richtlinie berücksichtigt worden sei und auch bei ihrer Umsetzung berücksichtigt werden müsse.10 Artikel 23 der Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG (sog. Freisetzungsrichtlinie )11 enthält somit eine Schutzklausel, die ein einzelstaatliches vorübergehendes Aussetzen des Anbaus von GVO aufgrund eines berechtigten Grundes ermöglicht. Der berechtigte Grund liegt vor, wenn er zu der Annahme führt, dass der GVO „eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt“12. Der Wortlaut des Artikel 23 der Richtlinie 2001/18/EG ist wie folgt: „(1) Hat ein Mitgliedstaat aufgrund neuer oder zusätzlicher Informationen, die er seit dem Tag der Zustimmung erhalten hat und die Auswirkungen auf die Umweltverträglichkeitsprüfung haben, oder aufgrund einer Neubewertung der vorliegenden Informationen auf der Grundlage neuer oder zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse berechtigten Grund zu der Annahme, dass ein GVO als Produkt oder in einem Produkt, der nach dieser Richtlinie vorschriftsmäßig angemeldet wurde und für den eine schriftliche Zustimmung erteilt worden ist, eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, so kann er den Einsatz und/oder Verkauf dieses GVO als Produkt oder in einem Produkt in seinem Hoheitsgebiet vorübergehend einschränken oder verbieten. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Falle einer ernsten Gefahr Notfallmaßnahmen, beispielsweise die Aussetzung oder Beendigung des Inverkehrbringens, getroffen werden, einschließlich der Unterrichtung der Öffentlichkeit. Der Mitgliedstaat unterrichtet unter Angabe von Gründen und Vorlage der neubewerteten Umweltverträglichkeitsprüfung sowie gegebenenfalls der neuen oder zusätzlichen Information , auf die sich sein Beschluss stützt, unverzüglich die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten über die gemäß diesem Artikel ergriffenen Maßnahmen, wobei er ferner angibt, ob und auf welche Weise die Bedingungen für die Zustimmung geändert werden sollten oder ob die Zustimmung aufgehoben werden sollte.“13 10 http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:303dd4fa-07a8-4d20-86a8-0baaf0518d22.0002.02/DOC_1&format =PDF 11 ABl. L 106, 17.04.2001, S. 1. http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:303dd4fa-07a8-4d20-86a8- 0baaf0518d22.0002.02/DOC_1&format=PDF 12 http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:303dd4fa-07a8-4d20-86a8-0baaf0518d22.0002.02/DOC_1&format =PDF 13 http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:303dd4fa-07a8-4d20-86a8-0baaf0518d22.0002.02/DOC_1&format =PDF Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 7 Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts14 im Jahr 2004 wurde die Richtlinie 2001/18/EG national umgesetzt. Im Zusammenhang mit der Novellierung des Gentechnikrechts wurde § 20 Abs. 2 GenTG im Gesetzentwurf zur Neuordnung des Gentechnikrechts15 wie folgt gefasst und in dieser Form in den endgültigen Gesetzestext übernommen: „Besteht nach Erteilung einer Genehmigung des Inverkehrbringens, auch einer nach § 14 Abs. 5 gleichgestellten, auf Grund neuer oder zusätzlicher Informationen, die Auswirkungen auf die Risikobewertung haben, oder auf Grund einer Neubewertung der vorliegenden Informationen auf der Grundlage neuer oder zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse ein berechtigter Grund zu der Annahme, dass der gentechnisch veränderte Organismus eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, so kann die zuständige Bundesoberbehörde bis zur Entscheidung oder bis zu einem Beschluss der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union nach Artikel 23 in Verbindung mit Artikel 30 Abs. 2 der Richtlinie 2001/18/EG16 das Ruhen der Genehmigung ganz oder teilweise anordnen .“17 Da der Anbau von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen genehmigungspflichtig ist, wird derzeit in Deutschland mit der Ruhensanordnung der Anbaugenehmigung nach § 20 Abs. 2 GenTG der Anbau von gvPflanzen unterbunden. Die Ruhensanordnung ist eine vorläufige Maßnahme. Fenger konstatiert, ein Widerruf oder eine Rücknahme der Genehmigung durch eine nationale Behörde sei nicht zulässig, sie bedürfe der Zustimmung der Kommission.18 Das OVG Lüneburg formulierte in seinem Beschluss vom 28. Mai 2009 zur Anordnung des Ruhens einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen den folgenden Leitsatz: 14 Gesetzentwurf auf BT-Drs. 15/3088. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/15/030/1503088.pdf; Beschlussempfehlung und Bericht auf BT-Drs. 15/3344. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/15/033/1503344.pdf; Gesetz vom 21.12.2004, BGBl I 2005, 186. 15 Gesetzentwurf auf BT-Drs. 15/3088. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/15/030/1503088.pdf 16 Artikel 30 Abs. 2 der Richtlinie 2001/18/EG (Ausschussverfahren) lautet wie folgt: „Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:303dd4fa-07a8-4d20-86a8- 0baaf0518d22.0002.02/DOC_1&format=PDF (Beschluss 1999/468/EG: Der Beschluss des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse.). 17 BGBl I 1993, 2066; zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 27 u. Art. 4 Abs. 14 des Gesetzes vom 7.8.2013, BGBl I 2013, 3154. § 20 Abs. 2: IdF d. Art. 1 Nr. 16 G v. 21.12.2004 I 186 mWv 4.2.2005 u. d. Art. 1 Nr. 4 G v. 9.12.2010 I 1934 mWv 15.12.2010. 18 Fenger. In: Spickhoff, Medizinrecht. 1. Auflage 2011. Rn 1-4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 8 „1. Die Anordnung des Ruhens einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nach § 20 Abs. 2 GenTG ("Schutzklauselverfahren") dient der Abwehr abstrakter Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt und ragt dabei auch in den Bereich der Gefahrenvorsorge hinein. Wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne des § 20 Abs. 2 Alt. 2 GenTG als Grundlage einer Neubewertung müssen nicht bereits abgesichert und unangreifbar sein. 2. Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 GenTG steht der Exekutive eine weitgehende Einschätzungsprärogative zu, die eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ruhensanordnung zur Folge hat. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Einschätzungsprärogative kommt es allein auf die verantwortlich getroffene behördliche Letztentscheidung an, nicht aber auf im Verwaltungsverfahren möglicherweise unterschiedliche Bewertungen verschiedener am Verfahren beteiligter Institutionen und Behörden. 3. Bei dem der Behörde in § 20 Abs. 2 GenTG eingeräumten Ermessen ist wirtschaftlichen Interessen jedenfalls dann kein maßgeblicher Stellenwert beizumessen, wenn die wissenschaftliche Diskussion über mögliche vom gentechnisch veränderten Organismus ausgehende Gefahren erkennbar noch im Fluss ist und zuvor bereits mehrfach vom Schutzklauselverfahren Gebrauch gemacht worden ist.“19 Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 1829/200320 Artikel 34 („Sofortmaßnahmen“) der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 lautet wie folgt: „Ist davon auszugehen, dass ein nach dieser Verordnung zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt, oder sollte es sich im Lichte einer von der Behörde gemäß Artikel 10 oder Artikel 22 abgegebenen Stellungnahme als notwendig erweisen , eine Zulassung dringend zu ändern oder auszusetzen, so werden Maßnahmen nach den Verfahren der Artikel 53 und 54 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 getroffen.“22 Artikel 114 Abs. 5 und 6 AEUV . Diese lauten wie folgt: 19 OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Mai 2009 – 13 ME 76/09 –, juris. 20 Abl. L 268, 2003, 1. http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003R1829&qid=1403517958210&from=DE 22 Abl. L 268, 2003, 1. http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003R1829&qid=1403517958210&from=DE Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 9 „(5) (…) teilt ferner ein Mitgliedstaat, der es nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme durch das Europäische Parlament und den Rat beziehungsweise durch den Rat oder die Kommission für erforderlich hält, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt aufgrund eines spezifischen Problems für diesen Mitgliedstaat, das sich nach dem Erlass der Harmonisierungsmaßnahme ergibt, einzuführen, die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission mit. (6) Die Kommission beschließt binnen sechs Monaten nach den Mitteilungen nach den Absätzen 4 und 5, die betreffenden einzelstaatlichen Bestimmungen zu billigen oder abzulehnen , nachdem sie geprüft hat, ob sie ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen und ob sie das Funktionieren des Binnenmarkts behindern. Erlässt die Kommission innerhalb dieses Zeitraums keinen Beschluss, so gelten die in den Absätzen 4 und 5 genannten einzelstaatlichen Bestimmungen als gebilligt. Die Kommission kann, sofern dies aufgrund des schwierigen Sachverhalts gerechtfertigt ist und keine Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht, dem betreffenden Mitgliedstaat mitteilen, dass der in diesem Absatz genannte Zeitraum gegebenenfalls um einen weiteren Zeitraum von bis zu sechs Monaten verlängert wird.“24 4. Inwiefern hat die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG vom 11.06. 2014 diese Richtlinien verändert? 24 Art. 114 AEUV (ehem. Art. 95 EGV). http://www.aeuv.de/aeuv/dritter-teil/titel-vii/kapitel-3/art-114.html Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 10 Im Jahr 2009 hatten 13 Mitgliedstaaten27 die Kommission um die Ausarbeitung eines Vorschlags gebeten, der so gestaltet werden sollte, dass die Mitgliedstaaten eigenständig über den Anbau von gvPflanzen entscheiden können.28 Der Verordnungsvorschlag soll nun eine solide Rechtsgrundlage („sound legal basis“29) bieten. Zumal – so wird John Dalli im Juli 2011 zitiert - die von mehreren Mitgliedstaaten praktizierte Inanspruchnahme von Schutzklauseln nach europäischem Recht nicht zulässig sei.30 Am 12. Juni 2014 kam es zu einer politischen Einigung im Rat.31 Der Rat der Europäischen Union stimmte dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit , den Anbau von GVO in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen (erste Lesung)32 zu. Den Mitgliedstaaten soll dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend mehr Entscheidungsfreiheit zugebilligt werden. Die Mitgliedstaaten sollen den Anbau von in der EU für den Anbau zugelassenen gvPflanzen auf ihrem Territorium oder auf Teilen ihres Territoriums aus anderen als gesundheitlichen oder umweltpolitischen Gründen einschränken oder verbieten können. Als mögliche Gründe werden in der Pressemittei- 27 Österreich, Belgien, Irland, Griechenland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Luxemburg, Malta, die Niederlande , Polen und Slowenien. 28 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen. KOM(2010)380 endg. BR-Drs. 440/10. (14. Juli 2010). (ANLAGE 1) http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2010/0440-10.pdf 29 http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=96693 30 Aussprache: John Dalli. 19. Juli 2011. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen – Ergebnis der ersten Lesung des Europäischen Parlaments (Straßburg, 4. bis 7. Juli 2011).(Rats-Dok. 11037/11). S. 3. (ANLAGE 2) 31 Press Release. 3320th Council meeting. Environment. Luxembourg, 12 June 2014. (Rat-Dok. 10869/14). Provisional Version. http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=96693 32 Verordnungsvorschlag. Erste Lesung. http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=9753 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 11 lung des Rates vom 12. Juni 2014 insbesondere erweiterte Umweltschutzaspekte, sozioökonomische Gründe, Landnutzungs- und Raumordnungsaspekte, agrarpolitische Ziele und Belange der öffentlichen Ordnung34 genannt.35 Des Weiteren wird im Bericht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) vom 23. Juni 2014 im Nachgang zum EU-Umweltministerrat vom 12. Juni 2014 darauf hingewiesen, dass im Vorfeld der Ratstagung ein Kompromissvorschlag erarbeitet worden sei, in den zuletzt die folgenden Elemente aufgenommen wurden: „die Möglichkeit für den Mitgliedstaat, Opt-Out-Maßnahmen auch zu einem späteren Zeitpunkt (zeitlich unbefristet) zu ergreifen, wenn dafür neue objektive Gegebenheiten vorliegen; die ausschließliche Mittlerrolle der EU-Kommission bei der Kommunikation zwischen Mitgliedstaat und dem antragstellenden Unternehmen während des Zulassungsverfahrens ; eine nicht abschließende Liste von Opt-Out-Gründen, die um agrarpolitische Ziele und – in Kombination mit anderen Gründen – um die „öffentliche Ordnung“ erweitert wurde; eine Überprüfungsklausel der Richtlinie.“36 Der politischen Einigung wird demnächst eine förmliche Annahme durch den Rat folgen. Es wird erwartet, dass die italienische Präsidentschaft die Verhandlungen (in zweiter Lesung) mit dem neu gewählten Europäischen Parlament im Frühherbst 2014 beginnen wird.37 Das EU-weite Zulassungsverfahren für GVO (Zulassung durch die EFSA) und der Handel mit GVO werden vom Verordnungsvorschlag nicht betroffen sein. Dies wird im Text, den der Rat am 12. Juni 2014 angenommen hat wie folgt formuliert: 34 („environmental reasons, socioeconomic reasons, land use and town planning, agricultural policy objectives and public policy issues”). 35 Press Release. 3320th Council meeting. Environment. Luxembourg, 12 June 2014. (Rat-Dok. 10869/14). Provisional Version. http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=96693 36 37 Press Release. 3320th Council meeting. Environment. Luxembourg, 12 June 2014. (Rat-Dok. 10869/14). Provisional Version. http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=96693 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 134/14 Seite 12