© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 128/20 Anwendbarkeit des Planfeststellungsverfahrens auf einen Vorhabenverzicht mit Entschädigungsregelung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 128/20 Seite 2 Anwendbarkeit des Planfeststellungsverfahrens auf einen Vorhabenverzicht mit Entschädigungsregelung Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 128/20 Abschluss der Arbeit: 13. November 2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 128/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Anwendbarkeit des Planfeststellungsverfahrens 4 2.1. Planungsverzicht 4 2.2. Entschädigungsregelung 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 128/20 Seite 4 1. Fragestellung Im Folgenden wird geprüft, ob es Ergebnis eines Planfeststellungsverfahrens (§§ 72-75 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG1) sein kann, dass statt des Baus einer Ortsumgehung die Anlieger einer verkehrlich stark belasteten Ortsdurchfahrt oberhalb des Verkehrswerts ihrer Häuser entschädigt werden. Damit soll den Haushalten der Wegzug von der Ortsdurchfahrt ermöglicht werden . 2. Anwendbarkeit des Planfeststellungsverfahrens Die Vorschriften des Planfeststellungsverfahrens finden im vorliegenden Fall keine Anwendung. Weder der Verzicht auf die Verwirklichung eines bestimmten Vorhabens (hier: Ortsumgehung) (2.1.) noch eine Entschädigung aufgrund eines solchen Verzichts (2.2.) sind Gegenstand von Planfeststellungsbeschlüssen. 2.1. Planungsverzicht Gegen die Anwendbarkeit der §§ 72-75 VwVfG auf die vorliegende Fallkonstellation spricht zunächst der Gesetzeswortlaut. Nach § 72 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG wird das Planfeststellungsverfahren gesetzlich angeordnet. Bundesfernstraßen dürfen nach § 17 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz (FStrG)2 nur gebaut werden, wenn der Plan vorher im Planfeststellungsverfahren nach den §§ 72-75 VwVfG festgestellt worden ist. Die Anwendung des Planfeststellungsverfahrens setzt demnach den geplanten Bau einer Bundesfernstraße, d. h. ein „Vorhaben“, voraus. Für den Verzicht auf ein bestimmtes Vorhaben greift der Normanwendungsbefehl des § 17 Abs. 1 FStrG nicht.3 Der Anwendung stehen auch Sinn und Zweck des Verfahrens entgegen. Durch den Planfeststellungsbeschluss wird die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt (Genehmigungswirkung). Gleichzeitig umfasst der Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich auch alle weiteren erforderlichen behördlichen Entscheidungen, die für das Vorhaben eingeholt werden müssten (Konzentrationswirkung).4 Des Weiteren regelt er rechtsgestaltend alle öffentlich -rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den durch den Plan Betroffenen 1 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 25 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846) geändert worden ist, https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/VwVfG.pdf. 2 Bundesfernstraßengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2007 (BGBl. I S. 1206), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1795) geändert worden ist, https://www.gesetzeim -internet.de/fstrg/FStrG.pdf. 3 Vgl. auch Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck Online-Kommentar, Verwaltungsverfahrensgesetz, 47. Edition, Stand 1. April 2020, § 72 Rn. 4a: Ein nicht aufgrund einer Rechtsvorschrift planfeststellungspflichtiges Vorhaben sei auch nicht planfeststellungsfähig. 4 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 128/20 Seite 5 (Gestaltungswirkung).5 Auch daraus folgt, dass das Verfahren zwingend ein zu verwirklichendes Vorhaben voraussetzt. Dieses Ergebnis kann zudem auf rechtssystematische Gründe gestützt werden. So tritt der Planfeststellungsbeschluss gemäß § 75 Abs. 4 VwVfG außer Kraft, wenn mit der Durchführung des Plans nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen wird. Nach Ablauf der Frist tritt Erledigung im Sinne von § 43 Abs. 2 VwVfG durch Zeitablauf ein.6 Des Weiteren hat die Planfeststellungsbehörde gemäß § 77 S.1 VwVfG einen Planfeststellungsbeschluss aufzuheben, wenn ein Vorhaben, mit dessen Durchführung bereits begonnen wurde, endgültig aufgegeben wird. Damit findet die Regelung zwar unmittelbar nur auf Vorhaben Anwendung, mit denen bereits begonnen wurde (sog. steckengebliebene Vorhaben). Jedoch wendet das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Vorschrift auch auf Fälle an, in denen mit der Durchführung des Vorhabens noch nicht begonnen wurde.7 Aus diesen Vorschriften folgt, dass Planfeststellungsverfahren und zu verwirklichendes Vorhaben miteinander verknüpft sein sollen. Die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit dem Ziel der Feststellung, dass auf ein Vorhaben verzichtet wird, scheint vom Gesetzgeber nicht gewollt. 2.2. Entschädigungsregelung Da beim Vorhabenverzicht die §§ 72-75 VwVfG keine Anwendung (vgl. 2.1.) finden, greift auch § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG nicht ein. Diese Vorschrift ersetzt den Anspruch auf Schutzmaßnahmen nach § 74 Abs. 2 S. 2 durch einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld, wenn Schutzmaßnahmen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind. Voraussetzung ist aber, dass die Planfeststellungsbehörde das Vorhaben trotz dessen nachteiliger Wirkungen abwägungsfehlerfrei zulässt. Ein Vorhaben (z. B. Ortsumgehung), auf das verzichtet wird, ist aber keine Schutzmaßnahme. Schutzmaßnahmen setzen begriffslogisch ein zu verwirklichendes Vorhaben voraus, dessen Nachteile durch die Schutzmaßnahmen auszugleichen wären. Die gegenüber spezialgesetzlichen Regelungen subsidiäre8 Entschädigungspflicht wäre im Planfeststellungsbeschluss festzulegen.9 Eine isolierte Entschädigungsregelung, d. h. eine Regelung die nicht an die nachteiligen Auswirkung des zu verwirklichenden Vorhabens anknüpft, sondern an den Verzicht auf ein Vorhaben, sehen die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren jedoch nicht vor. *** 5 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 20ff. 6 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 98. 7 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck Online-Kommentar VwVfG, 47. Edition, Stand 1. April 2020, § 77 Rn. 1. 8 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 74 Rn. 189. 9 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 74 Rn. 196.