Deutscher Bundestag Zu den Folgen von Verschärfungen im Tierschutzgesetz für Nutztierproduzenten Beispiel: Betäubung bei der Ferkelkastration Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 5 – 3000 - 128/12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 2 Zu den Folgen von Verschärfungen im Tierschutzgesetz für Nutztierproduzenten Beispiel: Betäubung bei der Ferkelkastration Verfasserin: Aktenzeichen: WD 5 – 3000 - 128/12 Abschluss der Arbeit: 18. September 2012 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Status quo 4 3. Zur Annahme einer Verlagerung der Nutztierproduktion ins Ausland nach Anhebung der Tierschutzstandards 6 4. Vorgehen der Nachbarländer am Beispiel Ferkelkastration 6 4.1. Schweiz 7 4.2. Schweden 8 4.3. Dänemark 8 4.4. Niederlande 9 4.5. Norwegen 9 4.6. Österreich 9 5. Zur Forderung von Entschädigungszahlungen 10 6. Quellen 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 4 1. Fragestellung Von den vier Fragen des Auftrags zum Tierschutzrecht, wurden die Fragen 1 und 2 vom Fachbereich 3 (WD 3 - 3000 – 245/12) übernommen. Die Fragen 3 und 4 werden im Rahmen dieser Arbeit beantwortet. Frage 3: „Es ist zu überprüfen, in wie weit die nationale Umsetzung von Tierschutzstandards über die EU-Vorgaben hinaus (über 1:1-Umsetzung) zu einer Verlagerung der Nutztierproduktion außer Landes führen und sich dadurch die Tierschutzstandards in Europa und weltweit verschlechtern .“ Frage 4: „Es ist zu überprüfen, in wie weit national höhere Tierschutzstandards als von der EU vorgegeben eine stärkere finanzielle Entschädigung der heimischen Nutztierproduzenten rechtfertigen . Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Globalisierung muss der deutsche Staat zur Sicherung der Wettbewerbsbedingungen seine Nutztierproduzenten stärker unterstützen, wenn eine breite Öffentlichkeit sich höhere Tierschutzstandards leisten möchte (keine einseitige Erhöhung der Tierschutzstandards ohne Kompensation der Nutztierhalter).“ Die Fragen stehen im Zusammenhang mit der Neuregelung des Tierschutzgesetzes, dem Dritten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes. 2. Status quo Der Regierungsentwurf zum Dritten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes1 beinhaltet u. a. die Aufhebung des § 5 Abs. 3 Nr. 1a Tierschutzgesetz (TierSchG). Dieser sieht bislang vor, dass „für das Kastrieren von unter acht Tage alten männlichen Schweinen, sofern kein von der normalen anatomischen Beschaffenheit abweichender Befund vorliegt“2, keine Betäubung erforderlich ist. Dies entspricht heutigem EU-Recht.3 Für die im Gesetzentwurf nun vorgesehene chirurgische Ferkelkastration unter Narkose werden dort Ausgaben für die Tierwirtschaft mit 4,40 Euro bis 7,10 Euro pro Ferkel angegeben. Weiter heißt es, dass durch die in Deutschland notwendigen 20 Mio. Kastrationen von Ferkeln Mehrkosten von ca. 100 Mio. Euro jährlich entstehen würden.4 1 BR-Drs. 300/12. http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2012/0300-12.pdf 2 BGBl. I 2006, S. 1206, S. 1313. Zuletzt geändert durch Art. 20 G v. 9.12.2010 I S. 1934. 3 Die Richtlinie 2008/120/EG des Rates vom 18.Dezember 2008 über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen besagt, dass eine Kastration nach dem siebten Lebenstag nur durch einen Tierarzt unter Anästhesie und anschließender Verwendung schmerzstillender Mittel durchgeführt werden darf. ABl. L 47 vom 18.2.2009, S. 5–1. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:047:0005:0013:DE:PDF 4 BR-Drs 300/12. http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2012/0300-12.pdf Der Bestand an Schweinen belief sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes am 3. Mai 2011 in Deutschland auf insgesamt 26 704 600 Tiere. Darunter befanden sich zu diesem Zeitpunkt 7 839 400 Ferkel und 261 100 trächtige Jungsauen. Wird von einer durchschnittlichen Wurfgröße von 11 lebend geborenen Ferkeln ausgegangen , so wurden von den Jungsauen weitere 2 872 100 Ferkel geboren. Somit lebten im Jahr 2011 ca. 10 711 500 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 5 Die nicht zu Zuchtzwecken vorgesehenen männlichen Ferkel werden kastriert, um den Ebergeruch des Fleisches5 und aggressives Verhalten der Tiere zu unterdrücken. § 21 Abs. 1 des Gesetzentwurfs sieht vor, dass die betäubungslose Ferkelkastration ab dem Jahr 2017 verboten werden soll. Dies wird damit begründet, dass aufgrund von Alternativen, wie der „Durchführung des Eingriffs unter Narkose, der Immunokastration oder dem Verzicht auf die Kastration durch Ebermast “ 6 ein vernünftiger Grund7, Ferkeln durch den Verzicht auf eine Betäubung bei der chirurgischen Ferkelkastration Schmerzen zuzufügen, nicht mehr erkennbar sei. Der Deutsche Bauernverband (DBV), der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) und der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) verfassten bereits am 29.09.2008 die „Düsseldorfer Erklärung “ zur Ferkelkastration. Laut „Düsseldorfer Erklärung“ soll die Entwicklung eines flächendeckend anzuwendenden alternativen Verfahrens zur traditionellen Kastrationsmethode beschleunigt werden. Bis ein praxistaugliches Verfahren zur Verfügung stehe, sei die Ferkelkastration in Verbindung mit einem schmerzstillenden Mittel durchzuführen.8 Dies bedeutet vorerst jedoch nur die Versorgung des postoperativen Wundschmerzes durch den Tierhalter.9 Im Dezember 2010 legte sich der Deutsche Bauernverband zusammen mit anderen Organisationen auf europäischer Ebene freiwillig auf die in der Europäischen Erklärung zur Beendigung der chirurgischen Kastration formulierten Ziele fest, also die Beendigung der chirurgischen Kastration allerdings bis zum 1. Januar 2018 unter Minimierung der wirtschaftlichen Schäden für die gesamte Produktionskette und für den Verbraucher.10 Derzeit fördert das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) das dreijähriges Projekt „Strategien zur Vermeidung von Geruchsabweichungen bei der Mast unkastrierter männlicher Schweine (Strat-E-Ger)“ unter Leitung der Bundesanstalt für Land- Ferkel in Deutschland - sowohl männliche als auch weibliche Ferkel. Da ausschließlich männliche Ferkel kastriert werden, dürfte sich deren Zahl im Jahr 2011 auf ca. 5 500 000 belaufen haben. Somit wären nach überschlägigen Berechnungen der Verfasserin, die Kosten für eine Kastration mit Betäubung zwischen ca. 24 Mio. Euro (4,40 Euro) und 39 Mio. Euro (7,10 Euro) jährlich anzusetzen. https://www.destatis.de/DE/PresseService /Presse/Pressemitteilungen/2011/07/PD11_248_413.html ; http://www.tll.de/ainfo/pdf/wurf0807.pdf 5 Nur ein gewisser Prozentsatz der Eber entwickelt den für den Verbraucher von Schweinefleisch als unangenehm wahrgenommenen Geruch (hervorgerufen durch Androstenon und Skatol). 6 BR-Drs. 300/12, S. 40. http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2012/0300-12.pdf 7 Gem. § 1 Tierschutzgesetz (TierSchG) darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. BGBl. I 2006, S. 1206, S. 1313. Zuletzt geändert durch Art. 20 G v. 9.12.2010 I S. 1934. 8 http://www.zds-bonn.de/duesseldorfererklaerung_zur_ferkelkastration.html, dann weiter: Gemeinsame Erklärung zur Ferkelkastration. 9 Baumgartner, Johannes (2010). Tierärztliche Überlegungen zur Ferkelkastration. Anlässlich der 1. Tagung der Plattform Österreichische TierärztInnen für Tierschutz. Wien. http://www.vuwien .ac.at/fileadmin/v/tierhaltung/1._O%CC%88TT-Tagungsband_100504.pdf 10 Deutscher Bauernverband (2012). Stellungnahme des Präsidiums des Deutschen Bauernverbandes vom 07. Februar 2012 zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes. http://media.repromayr .de/86/542986.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 6 wirtschaft und Ernährung (BLE). Das Vorhaben wird aus dem Programm zur Innovationsförderung mit ca. 1,1 Mio. Euro unterstützt; das Gesamtvolumen des Vorhabens beträgt rund 1,7 Millionen Euro.11 „Das Projekt ist Teil der Strategie zur Verbesserung des Tierschutzes in Deutschland . In den Jahren 2013 – 2016 sollen zusätzlich 21 Millionen Euro für Modell- und Demonstrationsvorhaben zum Tierschutz bereitgestellt werden. Die Bundesregierung hat dies im Regierungsentwurf zum Haushalt 2013 und in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2016 so veranschlagt .“12 3. Zur Annahme einer Verlagerung der Nutztierproduktion ins Ausland nach Anhebung der Tierschutzstandards Es ist nicht bekannt, dass erhöhte Tierschutzstandards über die EU-Vorgaben hinaus zu einer Verlagerung der Nutztierproduktion außer Landes führten.13 Als Beispiel für bereits vorhandene höhere nationale Tierschutzstandards sei die Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung, die so genannte Legehennenverordnung, genannt. Sie setzt Vorgaben der EU um (u. a. die Richtlinie 2007/43/EG des Rates vom 28. Juni 2007 mit Mindestvorschriften zum Schutz von Masthühnern14) und verbietet die Käfighaltung für Legehennen in kleinen Käfigen. Derzeit sind Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen 13 EU-Mitgliedstaaten anhängig , da sie die Inhalte der Richtlinie bislang nicht umgesetzt haben. Nach Aussage der Geflügelwirtschaft ergaben sich durch die Umsetzung der Legehennenverordnung keine nennenswerten Abwanderungen von Geflügelbetrieben ins Ausland, da die Eier nun erfolgreich als deutsches Produkt und ohne Käfighaltung beworben werden. In der Presse wird sogar von niederländischen Nutztierhaltern berichtet, die nach Deutschland ausweichen, weil in den Niederlanden die Bestandsgrößen in der Schweinezucht begrenzt werden sollen.15 4. Vorgehen der Nachbarländer am Beispiel Ferkelkastration In einigen EU-Mitgliedstaten werden männliche Ferkel nicht kastriert, weil dort der Ebergeruch nicht als störend empfunden wird, wie z. B. in Großbritannien und Irland. Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Länder „überwiegend mit Schweinefleisch aus Ländern mit 11 Vgl. http://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/08_Service/04_Pressemitteilungen/120813_Bescheideuebergabe Ebermast.pdf?__blob=publicationFile 12 http://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/08_Service/04_Pressemitteilungen/120813_Bescheideuebergabe Ebermast.pdf?__blob=publicationFile 13 Telefonat mit dem BMELV am 12.09.2012. 14 ABl. L 182 2007, S 19. Siehe hierzu auch auch http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2007:0865:FIN:DE:PDF 15 Etscheit, Georg (2012). Die Mäster… haben den Turbo eingeschaltet – mit Praktiken, die Tierschützer entsetzen. In: Die Zeit (23.02.2012). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 7 chirurgischer Kastration“, wie z. B. Dänemark (siehe Punkt 5.3) beliefert werden16. „In Portugal werden ca. 11%, in Spanien 33% sowie in Griechenland 75% der Ferkel kastriert.“17 In den meisten Ländern wird die Kastration fast ausschließlich von Landwirten durchgeführt. Ausnahmen hiervon bilden die Länder Tschechien, die Slowakei, Estland, Litauen und Norwegen , dort werden die meisten Kastrationen von Tierärzten vorgenommen. Auch in Slowenien, Ungarn, Polen und Zypern werden mehr als 20% der Kastrationen von Tierärzten vollzogen Einige Länder haben speziell tiermedizinisch ausgebildetes Personal, um Kastrationen durchzuführen , wie Slowenien, Ungarn, Lettland, Litauen, Italien und Zypern.18 Die folgende Darstellung zeigt die Häufigkeit der von Landwirten (gestrichelt), Tierärzten (hellgrau ) oder anderen (schwarz) durchgeführten Kastrationen in ausgewählten Ländern: Quelle: PIGCAS.19 4.1. Schweiz Gemäß der schweizerischen Tierschutzverordnung ist die Kastration männlicher Ferkel und die Enthornung seit dem 1. Januar 2010 nur noch unter Schmerzausschaltung erlaubt. Doch dürfen 16 https://www.landwirtschaft-bw.info/servlet/PB/show/1229307/LSZ_Ferkelkastration.pdf 17 https://www.landwirtschaft-bw.info/servlet/PB/show/1229307/LSZ_Ferkelkastration.pdf 18 Vgl. http://w3.rennes.inra.fr/pigcas/Public%20reports/D2%204%20Report%20practice.pdf 19 French National Institute for Agricultural Research (2008). Pigcas Deliverable D2.4. Report on the practise of castration. http://w3.rennes.inra.fr/pigcas/Public%20reports/D2%204%20Report%20practice.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 8 gem. Art. 32 Tierschutzverordnung die Tierhalter die Kastration selbständig durchführen, wenn sie „einen vom Bundesamt für Landwirtschaft und vom BVET (Bundesamt für Veterinärwesen, Anm. der Verfasserin) anerkannten Sachkundenachweis erbringen und die Eingriffe unter der Anleitung und Aufsicht der Bestandestierärztin oder des Bestandestierarztes ausüben. Können sie einen Eingriff unter Schmerzausschaltung selbstständig durchführen, so meldet sie die Bestandestierärztin oder der Bestandestierarzt bei der zuständigen kantonalen Behörde zur Überprüfung der praktischen Fähigkeiten an. Ab dem Zeitpunkt der Anmeldung dürfen die Tierhalterinnen und Tierhalter den Eingriff selbstständig durchführen.“20 4.2. Schweden „Wie das Landwirtschaftsministerium in Stockholm Mitte Juli mitteilte, will das Parlament die obligatorische Betäubung von männlichen Ferkeln vor der Kastration einführen. Den Angaben zufolge soll diese Regelung Teil des nationalen Tierschutzgesetzes werden und spätestens ab dem 1. Januar 2016 gelten. Bereits ab September 2012 sollen Schweinehalter einen Ausgleich für die Kosten erhalten, die bei der Anästhesie oder für Impfungen gegen Ebergeruch anfallen. Ferner will man im Programm zur ländlichen Entwicklung kostenlose Ausbildungsmaßnahmen für Landwirte zur fachgerechten Betäubung von Schweinen anbieten. Der schwedische Landwirtschaftsminister Eskil Erlandsson begrüßte das Entgegenkommen der Agrarbranche bei der Verbesserung der Tierschutzstandards im Schweinesektor, warnte aber, die Wettbewerbsfähigkeit der Tierhalter dürfe dabei nicht aus den Augen verloren werden. Bevor die Änderungen auf breiter Ebene wirksam würden, müsse gewährleistet werden, dass die Landwirte trotz der höheren Kosten, die aus dem verbesserten Tierwohl resultierten, weiterhin auf den freien Märkten bestehen könnten.“21 4.3. Dänemark „Nach Informationen aus der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein wird in Dänemark über eine Ausstieg aus der chirurgischen Ferkelkastration schon für 2014 diskutiert. Als Quelle wird Erik Kam vom dänischen Dachverband für den Agrar- und Ernährungssektor (L&F) genannt. (…) Sollte Dänemark diesen frühen Termin realisieren, so würde gegenüber Konsumenten, Tierschützern und Medien gezeigt, dass ein frühzeitiger Ausstieg auch in einen Land mit einer großen und komplexen Schweineproduktion und bedeutender Exportabhängigkeit möglich ist.“22 20 http://www.admin.ch/ch/d/sr/455_1/a32.html 21 Auch Schweden plant, nur noch betäubte Ferkel zu kastrieren. http://www.schweizerbauer.ch/htmls/artikel _29731.html, http://www.agrarheute.com/stockholm-verbot-betaeubungslose-ferkelkastration 22 http://www.animal-health-online.de/gross/2012/05/01/danemark-ausstieg-aus-der-ferkelkastration-bereits-fur- 2014/20957/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 9 4.4. Niederlande Im November 2007 wurde in den Niederlanden die „Deklaration von Noordwijk‟23 über die Kastration von Ferkeln unterzeichnet. Die Deklaration wurde von allen Beteiligten der Lebensmittelkette unterzeichnet (vom Tierhalter bis zu den Supermärkten) und wurde durch das Ministerium für Landwirtschaft24 und den wichtigsten niederländischen Tierschutzorganisationen unterstützt. Die Erklärung enthält als erklärtes Ziel die Beendigung der Ferkelkastration und enthält zwei Meilensteine: Kastration unter Narkose bis zum Jahr 2009 und Ende der Kastration als Ganzes im Jahr 2015. Alle Beteiligten garantieren uneingeschränkte Unterstützung für die angestrebten Ziele und die Absicht, dass die Kosten für das Verfahren (z.B. die Anästhetika) von der gesamten Lebensmittelkette getragen werden, und nicht nur von den Bauern.25 Derzeit führen die Landwirte die Betäubung selbst durch, wodurch Kosten eingespart werden. Tierschützer fordern allerdings eine stärkere Einbindung von Tierärzten. 26 4.5. Norwegen „In Norwegen ist die chirurgische Ferkelkastration ohne Schmerzausschaltung schon seit 2002 verboten. Es wird überwiegend die Lokalanästhesie durch einen Tierarzt angewendet. Die chirurgische Kastration sollte ab 2009 generell verboten sein. Dieser Termin wurde zum Schutz der norwegischen Produzenten vorerst um 2 Jahre verschoben.“27 4.6. Österreich Der Verband Österreichischer Schweinebauern (VÖS) führte die Kastration mit Schmerzmitteleinsatz im Jahr 2011 ein.28 Die Landwirtschaftskammer Kärnten äußert hierzu wie folgt: „Die derzeit zugelassenen Schmerzmittel (…) können im Rahmen des Betreuungsverhältnisses im TGD (Tiergesundheitsdienst, Anm. der Verfasserin) nach Absolvierung eines Seminars an den Tierhalter abgegeben und von diesem angewendet werden.“29 Die Landwirtschaftskammer ver- 23 http://www.lto.nl/media/default.aspx/emma/org/10359608/F1339289645%2Fdeclaration_of_noordwijk.pdf 24 http://www.minlnv.nl/portal/page?_pageid=116,1640803&_dad=portal&_schema=PORTAL&p_news_item _id=23581 25 Übersetzt durch Verfasserin. http://www.eupaw.eu/docs/Final%20Report%20-%20EUPAW%20Evaluation.pdf; Fußnote 115. 26 http://www.topagrar.com/news/Schwein-News-Niederlande-Gegensaetzliche-Erfahrungen-mit-CO2-Ferkelbetaeubung -91692.html; siehe auch unter http://www.vu-wien.ac.at/fileadmin/v/tierhaltung/1._O%CC%88TT- Tagungsband_100504.pdf 27 http://www.vu-wien.ac.at/fileadmin/v/tierhaltung/1._O%CC%88TT-Tagungsband_100504.pdf; siehe auch http://www.lkv.bayern.de/media/Aktuell/Alternativen_zur_konventionellen_Ferkelkastration.pdf 28 http://www.schweine.at/index.php?id=61&tx_ttnews[tt_news]=309&tx_ttnews[backPid]=45&cHash=2e4a1a7e0f 29 http://ktn.agrarnet.info/?id=2500%2C1557900%2C%2C%2CbnBmX3NldF9wb3NbaGl0c109Mg%3D%3D Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 10 weist zudem auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Schwein des Tiergesundheitsdienstes, die erklärte , dass es nach derzeitigem Wissensstand zur chirurgischen Kastration keine Alternative gebe, die die Produktionssicherheit und Qualität ausreichend gewährleiste.30 5. Zur Forderung von Entschädigungszahlungen Die Zusatzkosten für Tierschutzstandards im Viehzuchtsektor werden von der EU-Kommission in ihrer Strategie der Europäischen Union für den Schutz und das Wohlergehen von Tieren 2012 – 201531 mit „etwa 2% des Gesamtwerts“ beziffert. Es sei jedoch nicht erwiesen, dass dies die wirtschaftliche Tragfähigkeit bedroht habe. Dennoch solle jede Gelegenheit ergriffen werden, den durch Tierschutzmaßnahmen erzielten Mehrwert in wirtschaftlicher Hinsicht auszudrücken, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Landwirtschaft zu stärken.32 Tierschutz spielt auf nationaler und europäischer Ebene eine immer größere Rolle, und Landwirte stehen im Konflikt zwischen Wettbewerbsdruck und stärkeren Tierschutzmaßnahmen. Dieser Konflikt ist nicht einfach lösbar, da Verbraucher einerseits vermehrt das Tierwohl sehen, aber andererseits gerne preiswert einkaufen. Zudem sind den Verbrauchern einige Missstände bei der Tierhaltung einfach nicht bekannt. Wie Umfragen immer wieder ergeben sind Verbraucher bereit, für besseren Tierschutz tiefer in die Tasche zu greifen,33 wenn ihnen die Missstände bekannt sind. Kosten, die den Primärproduzenten durch höhere Tierschutzstandards entstehen, sollten von der gesamten Lebensmittelkette getragen werden. Doch sollten die wirtschaftlichen Belastungen für die gesamte Produktionskette und für den Verbraucher minimal gehalten werden.34 Obgleich das derzeit praktizierte Kastrieren von unter acht Tage alten männlichen Schweinen ohne Betäubung im Einklang mit geltendem EU-Recht steht, werden auch in einigen anderen Ländern derzeit höhere Tierschutzstandards praktiziert als von der EU vorgegeben (Punkt 4 „Vorgehen der Nachbarländer am Beispiel Ferkelkastration“). Die Ausführung der Kastration unter Narkose, ob durch Tierärzte, geschultes Personal oder geschulte Landwirte variiert ebenso wie die Finanzierung der Maßnahmen. Zudem ist die Akzeptanz des Ebergeruchs in den einzelnen Ländern unterschiedlich. 30 http://ktn.agrarnet.info/?id=2500%2C1557900%2C%2C%2CbnBmX3NldF9wb3NbaGl0c109Mg%3D%3D 31 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Strategie der Europäischen Union für den Schutz und das Wohlergehen von Tieren 2012 – 2015. BR-Drs. 40/12. http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2012/0040-12.pdf 32 BR-Drs. 40/12. http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2012/0040-12.pdf 33 http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/05/698&format=HTML&aged=1&language =DE&guiLanguage=fr; sowie aktuell Emnid-Erhebung für die evangelische Talkshow «Tacheles» http://www.ticker.btg:88/dynamik/hi.php?schri=&high=\%27Tierschutz%20Umfrage\%27&file=11-09- 12/31987269.xml 34 Deutscher Bauernverband (2012). Stellungnahme des Präsidiums des Deutschen Bauernverbandes vom 07. Februar 2012 zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes. http://media.repromayr .de/86/542986.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 11 Selbst wenn von den im Gesetzentwurf veranschlagten 100 Mio. Euro an Mehrkosten für die Ferkelkastration mit Betäubung ausgegangen wird35, bleibt zumindest zweifelhaft, worauf sich ein etwaiger Entschädigungsanspruch stützen sollte. Wie bereits erwähnt, benennt der Deutsche Bauernverband zusammen mit anderen Organisationen in der Europäischen Erklärung zur Beendigung der chirurgischen Kastration den 1. Januar 2018 als Zeitpunkt, um die chirurgische Kastration zu beenden. Der Gesetzentwurf sieht als Zeitpunkt den 1. Januar 2017 für die Beendigung der betäubungslosen Ferkelkastration vor. Somit wäre ein Jahr zu überbrücken. Derzeit werden nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU Gelder für die Entwicklung von Alternativen zur Ferkelkastration bereitgestellt, da auf lange Sicht das chirurgische Kastrieren von männlichen Schweinen nicht weiter befürwortet wird. Es wird erwartet, dass sich die Ebermast nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern zu einem Standardverfahren in der Schweineproduktion entwickeln wird.36 In der EU laufen derzeit drei Ausschreibungen für Studien zu diesem Thema: 1. Studie zur Reduzierung des Ebergeruchs durch Züchtung, Fütterung und Managementverfahren . (“Study on how to achieve reduction of boar taint compounds by breeding, feeding and management techniques“37) Ausschreibungsende: 30.10.2012. 2. Studie über die Akzeptanz der Verbraucher in der Europäischen Union und in Drittländern von Fleisch von männlichen Schweinen, die nicht chirurgisch kastriert sind. („Study on consumer acceptance in the European Union and in third countries of meat obtained from male pigs not surgically castrated“38) Ausschreibungsende: 07.09.2012. 3. Studie über schnelle Nachweismethoden von Ebergeruch, die in Schlachtanlagen in der EU eingesetzt oder dort entwickelt werden. („Study on rapid detection methods for boar taint used or being developed at slaughter plants in the European Union“39) Ausschreibungsende: 28.09.2012. Ob nach dem 1. Januar 2017 noch ein bezifferbarer Schaden entsteht, bleibt also zunächst abzuwarten . 35 Siehe hierzu Fn. 4. 36 http://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/08_Service/04_Pressemitteilungen/120813_Bescheideuebergabe Ebermast.pdf?__blob=publicationFile 37 http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/financing/index_en.htm 38 http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/financing/index_en.htm 39 http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/financing/index_en.htm Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 – 3000 - 128/12 Seite 12 6. Quellen Aragrande, Maurizio (2006). Study on the socio – economic implications of different aspects of farming weaners and pigs kept for fattening. DEIAgra – University of Bologna. Final Report http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/farm/farming_pigs_finalreport_en.pdf EFSA (2004). “Welfare aspects of the castration of piglets”. Scientific Report of the Scientific Panel for Animal Health and Welfare on a request from the Commission related to welfare aspects of the castration of Piglets. (Question N° EFSA-Q-2003-091). Accepted by unanimity on 12th - 13th July 2004. http://www.efsa.europa.eu/fr/scdocs/doc/report _ahaw03_ej91_pigcast_v2_en1,0.pdf Europäische Kommission (2012). Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Strategie der Europäischen Union für den Schutz und das Wohlergehen von Tieren 2012-2015. KOM(2012) 6 endg.; Ratsdok. 5398/12. BR-Drs. 40/12. http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2012/0040- 12.pdf Geßl, Reinhard; Rudolph, Gwendolyn(2009). Marktforschungs- und Durchführbarkeitsstudie für Fleisch und Fleischprodukte aus Bio-Ebermast (Schweinefleisch von unkastrierten Tieren ). Schlussbericht. Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL Österreich). http://orgprints.org/17991/1/gessl-rudolph-2009-fibl-oesterreich.pdf GHK Consortium; Food Chain Evaluation Consortium (2010). Evaluation of the EU Policy on Animal Welfare and Possible Policy Options for the Future. DG SANCO. Final Report. http://www.eupaw.eu/docs/Final%20Report%20-%20EUPAW%20Evaluation.pdf PIGCAS (2009). Report on attitudes, practices and state of the art regarding piglet castration in Europe. http://w3.rennes.inra.fr/pigcas/, danach “Publicly available reports” anklicken: French National Institute for Agricultural Research (2008). Pigcas Deliverable D2.4. Report on the practise of castration. http://w3.rennes.inra.fr/pigcas/Public%20reports /D2%204%20Report%20practice.pdf Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik, nachhaltige Landbewirtschaftung und Entwicklung ländlicher Räume (2005). Zukunft der Nutztierhaltung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates Agrarpolitik, nachhaltige Landbewirtschaftung und Entwicklung ländlicher Räume beim Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Service/AnWis/Heft508.pdf?__blob=publication File