© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 126/20 Fragen zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen1 (nachfolgend: Verhältnismäßigkeitsrichtlinie) zu Grunde. Insbesondere ist nach der konkreten Umsetzung der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Berufsreglementierung sowie nach deren Überwachung gefragt. Die Richtlinie (EU) 2018/958 enthält Regeln für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die vor der Einführung von neuen oder der Änderung von bestehenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, durchzuführen ist. Auf Bundesebene ist die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/958) im Beriech öffentlichrechtlicher Körperschaften“ vom 19. Juni 20202 erfolgt. Das Gesetz ist am 30. Juli 2020 in Kraft getreten. Darüber hinaus ist die Richtlinie durch die Länder umzusetzen, zum einen für Gesetze und Verordnungen auf Landeseben und zum anderen im jeweiligen Fachrecht, soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts auf Grund von Landesrecht über die Befugnis zur Rechtssetzung im Hinblick auf Berufsreglementierungen verfügen.3 Die Umsetzung der Richtlinie für Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes ist durch eine Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO)4 erfolgt. Dort wurde ein neuer § 42a eingeführt. Bereits vor Umsetzung der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie mussten Berufsreglementierungen (wie im Übrigen sämtliche Rechtsakte) dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Grundgesetz (GG)5.6 1 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32018L0958&from=DE. 2 BGBl. I S. 1403, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl120s1403.pdf%27]#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl120s 1403.pdf%27%5D__1604312094026. 3 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/958) im Bereich öffentlich-rechtlicher Körperschaften, BT-Drs. 19/17288 vom 19.2.2020, S. 2, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/172/1917288.pdf. 4 http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_21072009_O11313012.htm. 5 https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html#BJNR000010949BJNG000200314. 6 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, Art. 20 Rn. 107. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 126/20 Seite 4 2. Umsetzung der Vorgaben zur Verhältnismäßigkeitsprüfung Da bestimmte berufsständische Körperschaften (Kammern) aufgrund von Bundesrecht über eine Befugnis zur Rechtsetzung auch im Hinblick auf Berufsreglementierungen verfügen, hat das „Gesetz zur Umsetzung der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/958) im Bereich öffentlicher -rechtlicher Körperschaften“ Änderungen mehrerer berufsrechtlicher Gesetze, konkret der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung, des Steuerberatungsgesetzes, des IHK-Gesetzes, der Wirtschaftsprüferordnung, der Gewerbeordnung sowie der Handwerksordnung , zum Inhalt. Die Umsetzung erfolgt dabei überwiegend nicht durch Übernahme der einzelnen Regelungen und Bestimmungen der Richtlinie in das nationale Recht, sondern durch Bezugnahme und Verweisung auf die Vorschriften der Richtlinie selbst. Als Beispiel soll die Umsetzung anhand der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)7 dargestellt werden. 2.1. Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung § 59b Abs. 3 BRAO bestimmt: „Die Berufsordnung muss im Einklang mit den Vorgaben des auf sie anzuwendenden europäischen Rechts stehen. Insbesondere sind bei neuen oder zu ändernden Vorschriften, die dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255 vom 30.9.2005, S. 22; L 271 vom 16.10.2007, S. 18; L 93 vom 4.4.2008, S. 28; L 33 vom 3.2.2009, S. 49; L 305 vom 24.10.2014, S. 115), die zuletzt durch die Richtlinie 2013/55/EU (ABl. L 354 vom 28.12.2013, S. 132; L 268 vom 15.10.2015, S. 35; L 95 vom 9.4.2016, S. 20) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung unterfallen, die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (ABl. L 173 vom 9.7.2018, S. 25) in der jeweils geltenden Fassung einzuhalten.“8 Für die Frage, wie die Verhältnismäßigkeitsprüfung konkret durchgeführt werden soll, verweist § 59b Abs. 4 BRAO auf die Richtlinie (EU) 2018/958: „Eine Vorschrift im Sinne des Absatzes 3 Satz 2 ist anhand der in den Artikeln 5 bis 7 der Richtlinie (EU) 2018/958 festgelegten Kriterien auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Der Umfang der Prüfung muss im Verhältnis zu der Art, dem Inhalt und den Auswirkungen der Vorschrift stehen. Die Vorschrift ist so ausführlich zu erläutern, dass ihre Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bewertet werden kann. Die Gründe, aus denen sich 7 https://www.gesetze-im-internet.de/brao/BJNR005650959.html. 8 Hervorgehoben durch den Autor des Sachstandes. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 126/20 Seite 5 ergibt, dass sie gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, sind durch qualitative und, soweit möglich und relevant, quantitative Elemente zu substantiieren. Mindestens zwei Wochen vor der Beschlussfassung der Satzungsversammlung über die Vorschrift ist auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer ein Entwurf mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zu veröffentlichen . (…).“9 Die nationale Umsetzung sieht keine konkreten Interessen vor, die eine berufsreglementierende Regelung rechtfertigen. 2.2. Überwachung Die Umsetzung der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie sieht auf zwei Ebenen eine Überwachung der Einhaltung der Vorschriften vor, um der Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie (EU) 2018/958 nachzukommen. Zum einen hat die rechtsetzende Körperschaft selbst zu überprüfen, ob die erlassene Berufsreglementierung mit den Anforderungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung übereinstimmt, § 59b Abs. 4 S. 6 BRAO: „Nach dem Erlass der Vorschrift ist ihre Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu überwachen und bei einer Änderung der Umstände zu prüfen, ob die Vorschrift anzupassen ist.“ Zum anderen obliegt die Überwachung darüber, ob die Kammern die Vorgaben zur Verhältnismäßigkeitsprüfung eingehalten haben, insbesondere ob die Verhältnismäßigkeitsprüfung objektiv und unabhängig (i. S. v. Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2018/958) durchgeführt worden ist10, der zuständigen Aufsichtsbehörde im Rahmen der Rechtsaufsicht.11 Daher bestimmt § 191e Abs. 2 BRAO: „Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat zu prüfen, ob die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2018/958 in der jeweils geltenden Fassung eingehalten wurden. Zu diesem Zweck hat ihm der Vorsitzende der Satzungsversammlung die Unterlagen zuzuleiten, aus denen sich die Einhaltung der Vorgaben ergibt. Insbesondere sind die Gründe zu übermitteln , auf Grund derer die Satzungsversammlung die Beschlüsse zur Berufsordnung als gerechtfertigt , notwendig und verhältnismäßig beurteilt hat.“12 9 Hervorgehoben durch den Autor des Sachstandes. 10 BT-Drs. 19/17288, S. 16, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/172/1917288.pdf. 11 BT-Drs. 19/17288, S. 12, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/172/1917288.pdf. 12 Hervorgehoben durch den Autor des Sachstandes. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 126/20 Seite 6 2.3. Evaluierung Eine Evaluierung (des Umsetzungsgesetzes) wurde zunächst nicht gesetzlich bestimmt. Nach Aussage der Bundesregierung soll eine solche frühestens nach Vorlage des Evaluierungsberichtes der Europäischen Kommission (gemäß Artikel 12 Abs. 1 der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie) erfolgen .13 *** 13 BT-Drs. 19/17288, S. 14.