© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 119/20 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien- Gesetzes“: „Öffentliche Sicherheit“ und kommunale Planung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 119/20 Seite 2 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“: „Öffentliche Sicherheit“ und kommunale Planung Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 119/20 Abschluss der Arbeit: 21. Oktober 2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 119/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vorschriften“ sieht in § 1 folgenden neuen Abs. 5 vor: „Die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien liegt im öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit.“1 Es stellt sich die Frage nach der rechtlichen Bedeutung der Begriffe „öffentliches Interesse“ und „öffentliche Sicherheit“ und nach der kommunalen Planungshoheit. 2. Gesetzesbegründung Die Gesetzesbegründung stellt insbesondere auf Klimaschutz und Versorgungssicherheit ab: „§ 1 Absatz 5 EEG 2021 schreibt das öffentliche Interesse an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien fest: Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien werden in der Regel von Unternehmen oder Privatpersonen mit einer Gewinnerzielungsabsicht errichtet und dienen insofern ihrem wirtschaftlichen Interesse. Da die Anlagen gleichzeitig zur Erreichung der energiepolitischen Ziele dieses Gesetzes sowie der Zielsetzung der Bundesregierung zum Klimaschutz und den Zielsetzungen der Europäischen Union im Energie- und Klimabereich beitragen, liegt ihre Errichtung aber gleichzeitig in einem übergeordneten öffentlichen Interesse. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dementsprechend festgestellt, dass ‚die Förderung erneuerbarer Energiequellen, die für die Union von hoher Priorität ist, u. a. im Hinblick darauf gerechtfertigt [ist], dass die Nutzung dieser Energiequellen zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt und zur Sicherheit und Diversifizierung der Energieversorgung beitragen und die Erreichung der Zielvorgaben des Kyoto-Protokolls zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen beschleunigen kann‘. Staatliche Behörden müssen dieses hohe öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern berücksichtigen. Dies betrifft jede einzelne Anlage, insbesondere bei Windenergieanlagen an Land, weil hier die Ausbauziele derzeit wegen knapper Flächen nicht erreicht werden. Darüber hinaus dient der Ausbau der erneuerbaren Energien auch der öffentlichen Sicherheit. Bereits heute macht Strom aus erneuerbaren Energien rund 42 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus. Bis 2030 soll dieser Anteil auf 65 Prozent ansteigen, wie § 1 Absatz 2 EEG 2021 vorschreibt. Damit machen die erneuerbaren Energien einen relevanten Teil der Stromerzeugung aus. Gleichzeitig werden konventionelle Anlagen durch den Kohle- und Kernenergieausstieg in einem erheblichen Umfang stillgelegt. Ohne den Zubau von Erneuerbare-Energien -Anlagen kann die Versorgung mit Strom nicht dauerhaft gesichert werden. Der EuGH hat im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit festgestellt, dass Energieerzeugnisse (in dem damaligen Fall Erdölerzeugnisse) wegen ihrer außerordentlichen Bedeu- 1 BR-Drs. 569/20, S. 5, https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/569- 20.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 119/20 Seite 4 tung als Energiequelle in der modernen Wirtschaft wesentlich sind für die Existenz eine Staates , da nicht nur das Funktionieren seiner Wirtschaft, sondern vor allem auch das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste und selbst das Überleben seiner Bevölkerung von ihnen abhängen. Eine Versorgungsunterbrechung und die sich daraus für die Existenz eines Staates ergebenden Gefahren können somit seine öffentliche Sicherheit schwer beeinträchtigen. Diese Erwägungen sind auf die Stromversorgung insgesamt übertragbar. Strom ist für das Funktionieren der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitssystems und Versorgung der Bevölkerung sowie für jegliche moderne Kommunikation zwingend erforderlich .“2 3. Kommunale Planungshoheit 3.1. Grundsatz Die kommunale Planungshoheit ergibt sich aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Die Planungshoheit ist daher schon vom Grundgesetz her durch „Gesetze“ einschränkbar. Daher kann durch „Raumordnung und Landesplanung […] in die Planungshoheit eingegriffen werden, wobei zur Rechtfertigung überörtliche Interessen in verhältnismäßiger Weise verfolgt werden müssen . Jede überörtliche Planung muss zwangsläufig zu einem gewissen Grad die Planungshoheit einschränken.“3 Insoweit ist grundsätzlich die Abwägung der Interessen im Einzelfall entscheidend. 3.2. § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) hat wohl eher nur eine deklaratorische Bedeutung. Das öffentliche Interesse an Umwelt- und Klimaschutz oder an einer Versorgungssicherheit besteht als rechtlicher Abwägungsaspekt auch ohne eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetz (siehe auch das Staatsziel Umweltschutz in Art. 20a Grundgesetz). § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) schreibt nicht vor, dass diesen Aspekten bei einer Abwägung ein bestimmter Vorrang einzuräumen ist. Für die Gerichte könnte sich der Begründungsaufwand in formaler Hinsicht verringern, durch die künftige Möglichkeit einfach auf § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) zu verweisen. Diese Vereinfachung als solche würde die Entscheidung in der Sache jedoch nicht ändern. Aus diesem Grund 2 BR-Drs. 569/20, S. 101-102 (Fußnoten des Originals ausgelassen, Hervorhebung durch Autor dieses Sachstands), https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/569-20.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 3 Mehde, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 28 Abs. 2 GG Rn. 60 mit Verweis auf die Rechtsprechung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 119/20 Seite 5 dürfte eine künftige Abwägung mit anderen Rechtsgütern einschließlich der kommunalen Planungshoheit 4 allein durch die Formulierung des § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) im Ergebnis grundsätzlich nicht anders ausfallen, als ohne diese Formulierung. *** 4 Siehe hierzu nur: WD 3 - 3000 - 229/16, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit planfeststellender Gesetze, Zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, S. 8 und S. 10, https://www.bundestag.de/resource /blob/484630/0f6d6573dbe89082f92765718268caa6/wd-3-229-16-pdf-data.pdf.