© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 118/20 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien- Gesetzes“: „Öffentliche Sicherheit“, Rechtsweggarantie Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 118/20 Seite 2 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“: „Öffentliche Sicherheit“, Rechtsweggarantie Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 118/20 Abschluss der Arbeit: 21. Oktober 2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 118/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vorschriften“ sieht in § 1 folgenden neuen Abs. 5 vor: „Die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien liegt im öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit.“1 Es stellt sich die Frage nach der rechtlichen Bedeutung der Begriffe „öffentliches Interesse“ und „öffentliche Sicherheit“, nach der Notwendigkeit dieser Regelung und nach der Rechtsschutzgarantie . 2. Gesetzesbegründung Die Gesetzesbegründung stellt insbesondere auf Klimaschutz und Versorgungssicherheit ab: „§ 1 Absatz 5 EEG 2021 schreibt das öffentliche Interesse an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien fest: Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien werden in der Regel von Unternehmen oder Privatpersonen mit einer Gewinnerzielungsabsicht errichtet und dienen insofern ihrem wirtschaftlichen Interesse. Da die Anlagen gleichzeitig zur Erreichung der energiepolitischen Ziele dieses Gesetzes sowie der Zielsetzung der Bundesregierung zum Klimaschutz und den Zielsetzungen der Europäischen Union im Energie- und Klimabereich beitragen, liegt ihre Errichtung aber gleichzeitig in einem übergeordneten öffentlichen Interesse. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dementsprechend festgestellt, dass ‚die Förderung erneuerbarer Energiequellen, die für die Union von hoher Priorität ist, u. a. im Hinblick darauf gerechtfertigt [ist], dass die Nutzung dieser Energiequellen zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt und zur Sicherheit und Diversifizierung der Energieversorgung beitragen und die Erreichung der Zielvorgaben des Kyoto-Protokolls zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen beschleunigen kann‘. Staatliche Behörden müssen dieses hohe öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern berücksichtigen. Dies betrifft jede einzelne Anlage, insbesondere bei Windenergieanlagen an Land, weil hier die Ausbauziele derzeit wegen knapper Flächen nicht erreicht werden. Darüber hinaus dient der Ausbau der erneuerbaren Energien auch der öffentlichen Sicherheit. Bereits heute macht Strom aus erneuerbaren Energien rund 42 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus. Bis 2030 soll dieser Anteil auf 65 Prozent ansteigen, wie § 1 Absatz 2 EEG 2021 vorschreibt. Damit machen die erneuerbaren Energien einen relevanten Teil der Stromerzeugung aus. Gleichzeitig werden konventionelle Anlagen durch den Kohle- und Kernenergieausstieg in einem erheblichen Umfang stillgelegt. Ohne den Zubau von Erneuerbare-Energien -Anlagen kann die Versorgung mit Strom nicht dauerhaft gesichert werden. 1 BR-Drs. 569/20, S. 5, https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/569- 20.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 118/20 Seite 4 Der EuGH hat im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit festgestellt, dass Energieerzeugnisse (in dem damaligen Fall Erdölerzeugnisse) wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung als Energiequelle in der modernen Wirtschaft wesentlich sind für die Existenz eine Staates , da nicht nur das Funktionieren seiner Wirtschaft, sondern vor allem auch das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste und selbst das Überleben seiner Bevölkerung von ihnen abhängen. Eine Versorgungsunterbrechung und die sich daraus für die Existenz eines Staates ergebenden Gefahren können somit seine öffentliche Sicherheit schwer beeinträchtigen. Diese Erwägungen sind auf die Stromversorgung insgesamt übertragbar. Strom ist für das Funktionieren der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitssystems und Versorgung der Bevölkerung sowie für jegliche moderne Kommunikation zwingend erforderlich .“2 3. Rechtliche Wirkung § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) hat wohl eher nur eine deklaratorische Bedeutung. Das öffentliche Interesse an Umwelt- und Klimaschutz oder an einer Versorgungssicherheit besteht als rechtlicher Abwägungsaspekt auch ohne eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetz (siehe auch das Staatsziel Umweltschutz in Art. 20a Grundgesetz). § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) schreibt nicht vor, dass diesen Aspekten bei einer Abwägung ein bestimmter Vorrang einzuräumen ist. Für die Gerichte könnte sich der Begründungsaufwand in formaler Hinsicht verringern, durch einen einfachen Verweis auf § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf), ohne dass diese Vereinfachung als solche die Entscheidung in der Sache ändern würde. Die Erwähnung im Gesetz dürfte wohl nicht unabdingbar sein, fällt gleichwohl aber grundsätzlich in das gesetzgeberische Ermessen. 4. Andere Technologien Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, für jegliche Technologie ein öffentliches Interesse gesetzlich festzustellen. Bei einer verfassungsrechtlichen Abwägung mit anderen Rechtsgütern (z. B. Grundrechten Einzelner) dürfte am Ende aber wohl grundsätzlich nur die tatsächliche Bedeutung der Rechtsgüter den Ausschlag geben. Insoweit hätte eine gesetzgeberische Definition des „öffentlichen Interesses“ tendenziell eher nur Indizwirkung. Davon abgesehen würde eine solche Definition alleine noch nicht vorschreiben, dass diesem Aspekt bei einer Abwägung ein bestimmter Vorrang einzuräumen ist. 5. Rechtsweggarantie 5.1. Grundsatz Die Rechtsweggarantie „nennt man die Regelung des Art. 19 IV 1 GG, wonach jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen steht (wegen seiner überragenden 2 BR-Drs. 569/20, S. 101-102 (Fußnoten des Originals ausgelassen, Hervorhebung durch Autor dieses Sachstands), https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/569-20.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 118/20 Seite 5 Bedeutung für die Rechtsschutzgewährung auch als ‚formelles Hauptgrundrecht‘ bezeichnet). Mangels besonderer Regelung ist der ordentliche Rechtsweg gegeben (Art. 19 IV 2 GG). Die Rechtsweggarantie gewährleistet nur den Zugang zum Gericht, nicht die Eröffnung eines Instanzenzugs . Die Rechtsweggarantie äußert sich insbes. durch die Generalklausel der VwGO (Verwaltungsgerichtsbarkeit) und die Eröffnung der Verfassungsgerichtsbarkeit.“3 Hierzu gehört auch einstweiliger Rechtsschutz: „Neben dem regelmäßig nachträgl. Rechtsschutz gebietet Art. 19 IV auch vorbeugenden Rechtsschutz gegen drohende Rechtsverletzungen […], sofern nachgängiger Rechtsschutz die Beeinträchtigung nicht zu korrigieren vermag. Damit ist vereinbar, dass gegen das Betreiben eines Ermittlungsverfahrens vor dessen Abschluss grds. kein Gerichtsschutz eingreift. Dagegen kann der Ausschluss einer rechtzeitigen Drittanfechtungsmöglichkeit gegen Art. 19 IV verstoßen, wenn er nicht zum Schutz der Grundrechte anderer Beteiligter unverzichtbar ist. Einstweiliger Rechtsschutz ist neben dem Rechtsschutz in der Hauptsache […] durch Art. 19 IV geboten, wenn ohne ihn schwere, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können. Angesichts der Unsicherheit über die noch zu klärende Rechtslage können Entscheidungen bei nur summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache auf eine Folgenabwägung gestützt werden; dabei ist dem Gewicht der möglichst nicht zu verletzenden Grundrechte Rechnung zu tragen. Bei der Interessenabwägung müssen die Bedeutung der drohenden Nachteile und der Grad ihrer Unumkehrbarkeit beachtet werden.“4 5.2. EEG (Gesetzentwurf) In der Gesetzesbegründung heißt es: „Mit der Änderung in dem neuen § 39e Absatz 1 EEG 2021 wird die Realisierungsfrist für Biomasseanlagen von 24 auf 36 Monaten verlängert. Insbesondere für Anlagen, die feste Biomasseanlagen verstromen, hat sich die Realisierungsfrist von 24 Monaten als zu kurz herausgestellt . 3 Weber, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 24. Edition 2020 (Hervorhebung durch Autor dieses Sachstands); siehe auch WD 3 - 3000 - 260/19, Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz, Rechtsfragen insbesondere zum Rechtsschutz , https://www.bundestag.de/resource/blob/683270/2678b8fd9f33ad21b6538e49eacb9222/WD-3-260-19- pdf-data.pdf; WD 3 - 3000 - 229/16, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit planfeststellender Gesetze, https://www.bundestag.de/resource/blob/484630/0f6d6573dbe89082f92765718268caa6/wd-3-229-16-pdfdata .pdf. 4 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 19 Abs. 4 Rn. 148-149 (Fußnoten des Originals ausgelassen; Hervorhebung durch Autor dieses Sachstands). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 118/20 Seite 6 Durch die Änderung von § 39d Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 EEG 2021 wird die Regelung an die Formulierung in § 36e Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 EEG 2021 angepasst. Durch die Änderung soll zukünftig die Fristverlängerung möglich sein, auch wenn die sofortige Vollziehbarkeit der Genehmigung unabhängig von einem Rechtsbehelf Dritter angeordnet worden ist.“5 Soweit ersichtlich ergibt sich hieraus kein wesentlicher Eingriff in die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG. Auch im Übrigen ist ein solcher Eingriff aus der Gesetzesbegründung heraus nicht erkennbar. *** 5 BR-Drs. 569/20, S. 128 (Hervorhebung durch Autor dieses Sachstands), https://www.bundesrat.de/Shared- Docs/drucksachen/2020/0501-0600/569-20.pdf?__blob=publicationFile&v=1.