© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 117/20 „Öffentliche Sicherheit“ als Begriff im „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 117/20 Seite 2 „Öffentliche Sicherheit“ als Begriff im „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 117/20 Abschluss der Arbeit: 16. Oktober 2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 117/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vorschriften“ sieht in § 1 folgenden neuen Abs. 5 vor: „Die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien liegt im öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit.“1 Es stellt sich die Frage nach der rechtlichen Bedeutung der Begriffe „öffentliches Interesse“ und „öffentliche Sicherheit“. 2. Gesetzesbegründung Die Gesetzesbegründung stellt insbesondere auf Klimaschutz und Versorgungssicherheit ab: „§ 1 Absatz 5 EEG 2021 schreibt das öffentliche Interesse an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien fest: Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien werden in der Regel von Unternehmen oder Privatpersonen mit einer Gewinnerzielungsabsicht errichtet und dienen insofern ihrem wirtschaftlichen Interesse. Da die Anlagen gleichzeitig zur Erreichung der energiepolitischen Ziele dieses Gesetzes sowie der Zielsetzung der Bundesregierung zum Klimaschutz und den Zielsetzungen der Europäischen Union im Energie- und Klimabereich beitragen, liegt ihre Errichtung aber gleichzeitig in einem übergeordneten öffentlichen Interesse. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dementsprechend festgestellt, dass ‚die Förderung erneuerbarer Energiequellen, die für die Union von hoher Priorität ist, u. a. im Hinblick darauf gerechtfertigt [ist], dass die Nutzung dieser Energiequellen zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt und zur Sicherheit und Diversifizierung der Energieversorgung beitragen und die Erreichung der Zielvorgaben des Kyoto-Protokolls zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen beschleunigen kann‘. Staatliche Behörden müssen dieses hohe öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern berücksichtigen. Dies betrifft jede einzelne Anlage, insbesondere bei Windenergieanlagen an Land, weil hier die Ausbauziele derzeit wegen knapper Flächen nicht erreicht werden. Darüber hinaus dient der Ausbau der erneuerbaren Energien auch der öffentlichen Sicherheit. Bereits heute macht Strom aus erneuerbaren Energien rund 42 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus. Bis 2030 soll dieser Anteil auf 65 Prozent ansteigen, wie § 1 Absatz 2 EEG 2021 vorschreibt. Damit machen die erneuerbaren Energien einen relevanten Teil der Stromerzeugung aus. Gleichzeitig werden konventionelle Anlagen durch den Kohle- und Kernenergieausstieg in einem erheblichen Umfang stillgelegt. Ohne den Zubau von Erneuerbare-Energien -Anlagen kann die Versorgung mit Strom nicht dauerhaft gesichert werden. Der EuGH hat im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit festgestellt, dass Energieerzeugnisse (in dem damaligen Fall Erdölerzeugnisse) wegen ihrer außerordentlichen Bedeu- 1 BR-Drs. 569/20, S. 5, https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/569- 20.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 117/20 Seite 4 tung als Energiequelle in der modernen Wirtschaft wesentlich sind für die Existenz eine Staates , da nicht nur das Funktionieren seiner Wirtschaft, sondern vor allem auch das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste und selbst das Überleben seiner Bevölkerung von ihnen abhängen. Eine Versorgungsunterbrechung und die sich daraus für die Existenz eines Staates ergebenden Gefahren können somit seine öffentliche Sicherheit schwer beeinträchtigen. Diese Erwägungen sind auf die Stromversorgung insgesamt übertragbar. Strom ist für das Funktionieren der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitssystems und Versorgung der Bevölkerung sowie für jegliche moderne Kommunikation zwingend erforderlich .“2 3. Rechtliche Wirkung 3.1. Grundsatz § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) hat wohl eher nur eine deklaratorische Bedeutung. Das öffentliche Interesse an Umwelt- und Klimaschutz oder an einer Versorgungssicherheit besteht als rechtlicher Abwägungsaspekt auch ohne eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetz (siehe auch das Staatsziel Umweltschutz in Art. 20a Grundgesetz). § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) schreibt nicht vor, dass diesen Aspekten bei einer Abwägung ein bestimmter Vorrang einzuräumen ist. Davon abgesehen dürften diese Aspekte nur zur Abwägung bei planerischen und ähnlichen Entscheidungen über die Errichtung von Anlagen dienen, z. B. nach Baugesetzbuch oder Bundes- Immissionsschutzgesetz. 3.2. Sicherheitsrecht Auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht und andere Sicherheitsgesetze hat § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) grundsätzlich keine Auswirkung. Daher verstoßen die in einem demokratischen Rechtsstaat üblichen Aktivitäten, die sich gegen planerischen Entscheidungen nach § 1 Abs. 5 EEG richten, wie z. B. Klagen, Initiativen oder Demonstrationen, als solche grundsätzlich nicht gegen das „öffentliche Interesse“ oder die „öffentliche Sicherheit“, weder nach § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) noch nach Polizei- und Ordnungsrecht. Strafbare und andere rechtswidrige Handlungen, wie z. B. Sachbeschädigung von Windrädern oder Cyberattacken auf Kraftwerke, verstoßen hingegen auch unabhängig von § 1 Abs. 5 EEG (Gesetzentwurf) gegen die „öffentliche Sicherheit“3 im polizeirechtlichen Sinne. *** 2 BR-Drs. 569/20, S. 101-102 (Fußnoten des Originals ausgelassen, Hervorhebung durch Autor dieses Sachstands), https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/569-20.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 3 Siehe hierzu nur Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 14 BPolG Rn. 10: „Unter öffentlicher Sicherheit ist die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie der Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen zu verstehen. Geschützt werden demnach sowohl Individual- wie auch Gemeinschaftsrechtsgüter.“