© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 116/19 Versorgungsauflage für den Aufbau von E-Ladestationen an Tankstellen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 2 Versorgungsauflage für den Aufbau von E-Ladestationen an Tankstellen Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 116/19 Abschluss der Arbeit: 13. Dezember 2019 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorhaben der Bundesregierung 5 3. Beurteilungsparameter 5 3.1. Allgemeines 5 3.2. Art. 12 GG 6 3.3. Art. 14 GG 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 4 1. Einleitung Zur Erreichung des Ziels, bis 2030 den Kohlenstoffdioxidausstoß um 40% im Vergleich zum Jahr 1990 zu verringern, hat die Bundesregierung im Oktober 2019 das „Klimaschutzprogramm 2030“1 beschlossen. Darin enthalten ist eine Vielzahl von Maßnahmen für den Verkehrssektor. Unter anderem soll die Elektromobilität und in diesem Zusammenhang die Ladeinfrastruktur ausgebaut werden. Dazu heißt es: „Der Ausbau der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur ist Grundvoraussetzung für die Akzeptanz und die Zunahme der Elektromobilität. Die Bundesregierung hat das Ziel, dass die öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut wird und in Deutschland bis 2030 insgesamt 1 Millionen Ladepunkte zur Verfügung stehen.“2 Den Ausbau der Ladeinfrastruktur hat sie weiter in dem im November 2019 vorgelegten „Masterplan Ladeinfrastruktur“3 konkretisiert. Um die öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur auszubauen, beabsichtigt die Bundesregierung u.a. eine Versorgungsauflage zu erlassen. Diese soll gewährleisten, dass an allen Tankstellen in Deutschland Ladepunkte verfügbar sein werden. Vor diesem Hintergrund ist nach der Rechtmäßigkeit einer solchen verbindlichen Versorgungsauflage gefragt. Versorgungsauflagen findet man typischerweise in regulierten Märkten, wie z.B. insbesondere im Telekommunikationssektor (geregelt in § 61 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 Telekommunikationsgesetz (TKG)4). Sie sollen eine Mindestversorgung für die Nutzer gewährleisten. Der Staat greift damit präventiv dort in den Wettbewerb ein, wo der Markt es selbst nicht garantieren kann. Aber auch in den regulierten Wirtschaftsbereichen müssen Versorgungsauflagen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Versorgungsauflagen dürfen Unternehmen nicht unzumutbar belasten und sie dür- 1 Bundesregierung, Klimaschutzprogramm 2030, BT-Drs. 19/13900, Link: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/19/139/1913900.pdf. Alle zitierten Links wurden zuletzt am 13. Dezember 2019 aufgerufen. 2 Ebd., S. 61. 3 Bundesregierung, Masterplan Ladeinfrastruktur, Link: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/masterplan -ladeinfrastruktur.pd?__blob=publicationFile. 4 Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 30. November 2019 (BGBl. I S. 1942) geändert worden ist, Link: https://www.gesetze-im-internet .de/tkg_2004/BJNR119000004.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 5 fen nicht derart diskriminieren, dass gewisse Unternehmen durch sie benachteiligt werden. Außerdem muss dabei das Rückwirkungsgebot beachtet werden.5 Regulierungsrechtliche Sonderregelungen existieren in Bezug auf die vorliegend zu prüfende Versorgungsauflage für Tankstellen nicht. Im Kern geht es vielmehr um die Vereinbarkeit der geplanten Maßnahme mit grundrechtlichen Positionen. Da bisher jedoch noch keine konkreten Angaben zur Umsetzung vorliegen, beschränkt sich dieser Sachstand auf eine kursorische Darstellung solcher verfassungsrechtlicher Aspekte, die bei der konkreten Ausgestaltung in den Blick zu nehmen wären. 2. Vorhaben der Bundesregierung Ausweichlich ihres „Klimaschutzprogramm 2030“ und des „Masterplan Ladeinfrastruktur“ beabsichtigt die Bundesregierung, durch eine Versorgungsauflage, Ladestationen für Elektrofahrzeuge an allen Tankstellen verpflichtend zu machen. Dabei sollen die Interessen der Betroffenen berücksichtigt werden, damit ihnen „keine unzumutbaren, weil unverhältnismäßige finanziellen Belastungen entstehen.“ Dafür sollen „einzelfallbezogene Übergangsregelungen sowie Ausnahme - und Befreiungsvorschriften geschaffen werden.“6 3. Beurteilungsparameter 3.1. Allgemeines Eine Regelung, die eine Verpflichtung zur Errichtung von Ladestationen für Tankstellen zum Inhalt hat, muss mit dem Grundgesetz (GG)7 vereinbar sein. Entscheidend ist insbesondere, dass ein Eingriff in die Grundrechte der Tankstellenbetreiber verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre. Als betroffene Grundrechte kommen vorrangig die Berufsfreiheit einschließlich Gewerbefreiheit 8 gemäß Art. 12 GG sowie das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, welches seine Verankerung in der Eigentumsfreiheit gemäß Art. 14 GG findet9 in Betracht. Gemeinsam schützen diese Grundrechte damit die Freiheit der unternehmerischen Betätigung.10 5 Vgl. Bundesnetzagentur (BNetzA) (2018), S. 2, vorgeschalteter Link: https://www.bundesnetzagentur.de/Shared- Docs/Downloads/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/Frequenzen/Offentliche- Netze/Mobilfunk/DrahtloserNetzzugang/Mobilfunk2020/20180924_Entscheidungsentwurf _III_IV_pdf.pdf?blob=publicationFile&v=2. 6 Ebd. S. 5. 7 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist, Link: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html. 8 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand 87. EL März 2019, Art. 12 Rn. 143. 9 Vgl. Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 14, Rn. 200. 10 Vgl. Scholz, in. Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 12 Rn. 131. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 6 Die Versorgungsauflage müsste außerdem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Verhältnismäßig ist ein Eingriff, wenn er zur Verfolgung eines legitimierten Zwecks geeignet, erforderlich sowie zumutbar ist.11 Für die Geeignetheit einer Maßnahme kommt es lediglich darauf an, ob eine Zweckerreichung möglich ist.12 Dabei besitzt der Gesetzgeber eine Einschätzungsund Prognoseprärogative.13 Erforderlich ist die Maßnahme, wenn es kein anderes, milderes, aber gleich effektives Mittel zur Erreichung des Zwecks gibt.14 Ob die Regelung angemessen ist, also dem Betroffenen zumutbar15, hängt von einer Abwägung der kollidierenden Interessen und Schutzgüter ab. Sie darf nicht außer Verhältnis zum Zweck der Maßnahme stehen.16 Das Schutzgut muss dabei so gewichtig sein, dass es den konkreten Grundrechtseingriff zu rechtfertigen vermag .17 3.2. Art. 12 GG Die Berufsfreiheit schützt gemäß Art. 12 Abs. 1 GG sowohl die Berufsausübung als auch die Berufswahl . Sie kann „durch oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“ Bei Eingriffen in Art.12 GG unterscheidet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Rahmen seiner Drei-Stufen- Theorie je nach Intensität der Beschränkung zwischen Berufsausübungsregelungen und in Bezug auf die Berufswahl nach subjektiven und objektiven Zulassungsbeschränkungen.18 Die schwächste Form der Beschränkung bringen Berufsausübungsregelungen mit sich19, da hierbei der Zugang zum Beruf als solcher nicht beschränkt wird, sondern lediglich Vorschriften aufgestellt werden, in welcher Art und Weise der Beruf auszuüben ist. Berufsausübungsregelungen 11 Vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK, Grundgesetz, 41. Edition Stand 15.05.2019, Art. 12 Rn. 87. 12 BVerfGE 117, 163 (Beschluss vom 12.12.2006 - 1 BvR 2576/04). 13 Vgl. Lechner/Zuck (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 8. Auflage 2019, Einleitung Rn. 87. 14 Vgl. Grzeszick, in: Mainz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 20 VII Rn. 113. 15 Vgl. Lechner/Zuck (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 8. Auflage 2019, Einleitung Rn. 90. 16 Vgl. Grzeszick, in: Mainz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 20 VII Rn. 117. 17 Vgl. Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 41. Edition Stand: 15.02.2019 Art. 20 Rn. 197. 18 BVerfGE 7, 377 (Urteil vom 11.06.1958 - 1 BvR 596/56). 19 Vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK, Grundgesetz, 41. Edition Stand 15.05.2019, Art. 12 Rn.94. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 7 sind dann zulässig, „soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen.“20 Die Drei-Stufen-Theorie ist dabei eine grundrechtsspezifische Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.21 Eine Versorgungsauflage für Tankstellen würde die Betreiber nicht am Zugang zum Beruf als solchen hindern, sondern lediglich bestimmen, dass sie ihre Tankstelle mit Ladepunkten für Elektrofahrzeuge ausstattet betreiben müssen. Mithin wird es sich dabei um eine Berufsausübungsregelung handeln.22 Die Freiheit der Berufswahl würde nur betroffen sein, wenn es den Grundrechtsträgern durch die Maßnahme regelmäßig wirtschaftlich nicht mehr möglich ist, den gewählten Beruf als Grundlage ihrer Lebensführung zu machen.23 Bei der Bestimmung des Gemeinwohls besitzt der Gesetzgeber einen weiten Spielraum, so dass er in der Regel auch selbst festlegen kann, zu welchem Zweck die Berufsausübung beschränkt werden soll.24 Zwar muss es sich dabei nicht zwangsläufig um ein Schutzgut von Verfassungsrang handeln25, Grund für das „Klimaschutzprogramm 2030“ und den „Masterplan Ladeinfrastruktur“ ist aber vorrangig der Klimaschutz. Dieser ist zwar nicht ausdrücklich im Grundgesetz geregelt, nach herrschender Auffassung wird er jedoch vom Umweltschutz, der seit 1994 als Staatszielbestimmung in Art. 20a GG verankert ist26, umfasst.27 Die Bemühungen der Bundesregierung, den Individualverkehr weg vom Betrieb mit fossilen und hin zu alternativen Kraftstoffen zu lenken, um so CO2-Immissionen zu reduzieren, dürften unter das Staatsziel Umweltschutz fallen. Bei einer Staatszielbestimmung handelt es sich um einen absoluter Gemeinschaftswert, welcher vom Staat zwingend zu verfolgen ist.28 20 BVerfGE 7, 377(Urteil vom 11. 6. 1958 - 1 BvR 596/56) (Hervorhebung durch den Verfasser). 21 Vgl. z.B. Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 140 sowie Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 41. Edition, Stand: 15.05.2019, Art. 12 Rn. 93 ebenso Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 12 Rn. 59. 22 Vgl. dazu Burghart, in: Leibholz/Rinck (Hrsg.), Grundgesetz, 79. Lieferung 10.2019, Art. 12 Rn. 296. 23 Ebd. Rn. 298. 24 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 12 Rn. 336 f. sowie Burghart, in: Leibholz/Rinck (Hrsg.), Grundgesetz, 79. Lieferung 10.2019, Art. 12 Rn. 411. 25 Vgl. Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 12 Rn. 58. 26 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 87. EL, März 2019, Art. 20a Rn. 1. 27 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Klimaschutz im Grundgesetz, Link: https://www.bundestag.de/resource/blob/475574/6b592115cb9e0d911e176593d16c6132/WD-3-178-16-pdfdata .pdf sowie Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Werkstand 90. EL Juni 2019, GG Art. 20a Rn. 9. 28 BVerfGE 30, 250 (Beschluss vom 09.03.1971 - 2 BvR 326/69, 2 BvR 327/69, 2 BvR 341/69, 2 BvR 342/69, 2 BvR 343/69, 2 BvR 344/69, 2 BvR 345/69) sowie vgl. Klatt/Meister, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, JuS 2014, 193. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 8 Bei der Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit kommt dem Gesetzgeber - wie bereits unter Punkt 3.1 erläutert - ebenfalls ein großer Einschätzungs- und Prognosespielraum zu29, so dass das Bundesverfassungsgericht in der Regel nur dann die Geeignetheit verneint, wenn eine Maßnahme „ (…) offensichtlich oder schlechthin ungeeignet ist.“30 Gleichfalls beanstandet es „(…) relativ eindeutige Verstöße gegen das Gebot des mildesten Mittels (…)“.31 Ob die Versorgungsauflage auch angemessen, also den Betroffenen zumutbar ist, hängt von einer Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände ab. Auf der einen Seite ist die grundrechtlich abgesicherte Freiheit der Berufsausübung der Tankstellenbetreiber , die durch eine Versorgungsauflage insbesondere zu finanziellen Investitionen in Ladeinfrastruktur gezwungen würden, mit dem Umweltschutz aus Art. 20a GG als Gemeinwohlbelang mit Verfassungsrang auf der anderen Seite abzuwägen. Die in Rede stehende Versorgungsauflage wäre konkret so auszugestalten, dass die genannten verfassungsrechtlichen Positionen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden („praktische Konkordanz“).32 In Bezug auf Art. 12 GG wird dabei u.a. zu berücksichtigen sein, dass die Verpflichtung, eine Ladeinfrastruktur einzurichten zwar mit finanziellem und logistischem Aufwand verbunden ist, jedoch der Eingriff nicht die Berufswahl sondern lediglich die Berufsausübung betrifft (s.o. 3.2.). Im Übrigen sieht das Vorhaben der Bundesregierung ausweichlich des „Masterplan Ladeinfrastruktur“ im Sinne eines verhältnismäßigen Ausgleichs zudem vor, Übergangs- und Ausnahmeregelungen zu erlassen, um die Versorgungsauflage für Tankstellenbetreiber nicht unzumutbar zu machen. Letztlich wird es aber auf die konkrete rechtliche Umsetzung des Vorhabens ankommen. Eine abschließende Bewertung kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. 3.3. Art. 14 GG Durch eine Versorgungsauflage könnte ferner in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Tankstellenbetreiber aus Art. 14 Abs. 1 GG eingegriffen werden. Der Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb umfasst nicht nur den Bestand des Betriebs , wie etwa die Einrichtung, den Warenvorrat oder Anlagen zur Produktion, sondern die Gesamtheit aller zum Betrieb gehörenden Mittel, also alles das, was den wirtschaftlichen Wert des Gewerbebetriebs insgesamt ausmacht.33 Entscheidend für die Frage, wie sich Art. 12 GG zu Art. 29 BVerfGE 102, 197 (Beschluss vom 19.07.2000 - 1 BvR 539/96). 30 Grzeszick, Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 20 VII Rn. 122 sowie BVerfGE 30, 250 (Beschluss vom 09.03.1971 - 2 BvR 326, 327, 341, 342, 343, 344, 345/69). 31 Grzeszick, Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 20 VII Rn. 122. 32 Vgl. Sommermann, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 20a Rn. 36 sowie Reimer/Danne, Ökologisierte Stellplatzpflicht, Fundstelle: JA 2015, 37. 33 Vgl. Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 14 Rn. 200 sowie BVerwG Beschluss vom 13.04.1995 - 4 B 70/95, NJW 1995, 2648. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 9 14 GG verhält, ist, ob sich die in Rede stehende Maßnahme im Schwerpunkt gegen die Erwerbstätigkeit (Art. 12 GG) oder gegen das durch die Tätigkeit Erworbene (Art. 14 GG) richtet.34 Ist beides gleichermaßen betroffen, können die Grundrechte auch in Idealkonkurrenz stehen, d.h. nebeneinander Anwendung finden.35 Letzteres erscheint vorliegend vertretbar: Neben der Regelung, dass die Tankstellenbetreiber auf Grund der Versorgungsauflage nun auch Ladepunkte zur Verfügung stellen und unterhalten müssen (Erwerbstätigkeit), verpflichtet sie die Betreiber ebenfalls dazu, entsprechende bauliche Veränderungen am Tankstellenbetrieb vorzunehmen (Erworbenes). Die geplante Regelung würde mangels Eingriff in die Existenz des Betriebs wohl eine Inhalts-und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG darstellen36 (abzugrenzen von der Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG). Dabei handelt es sich „(…) um die in die Zukunft gerichtete, generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber (…).“37. Hier wäre dies die Pflicht, dass die Tankstellenbetriebe mit E-Ladepunkten auszustatten sind. Aus welchen Gründen der Gesetzgeber eine solche Inhalts-oder Schrankenbestimmung erlässt, liegt in seiner politischen Gestaltungsfreiheit.38 Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit besitzt der Gesetzgeber auch hier eine Einschätzungsprärogative . Das öffentliche Interesse am Umweltschutz müsste im Ergebnis das Recht der Tankstellenbetreiber aus Art. 14 GG überwiegen. Grundsätzlich gelten in Bezug auf die Abwägung die gleichen Ausführungen wie im Rahmen von Art. 12 GG. Zusätzlich ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG bei der Abwägung zu berücksichtigen.39 Sie trifft den Grundrechtsträger zwar nicht unmittelbar, der Gesetzgeber hat sie durch seine Inhalts-und Schrankenbestimmungen im Bereich des Art. 14 GG zu konkretisieren.40 Damit einher geht auch eine Umwelt- bzw. Ökologiepflichtigkeit.41 Durch die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz kommt ihm ein stärkeres Gewicht im Rahmen der Abwägung zu gute. Gleichzeitig wird dadurch das Niveau der Sozialpflichtigkeit erhöht.42 Die geplanten Ausnahme- und Übergangsregelungen deuten auch im Rahmen des Art. 14 GG auf eine Zumutbarkeit eines Eingriffs durch die Versorgungsauflage hin. Wie auch schon in Bezug auf Art. 12 GG festgehalten, kann 34 Vgl. Axer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 41. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 14 Rn. 27. 35 Vgl. Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar Werkstand: 88. EL August 2019 Art. 12 Rn. 130. 36 Vgl. Burghart, in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 79. Lieferung 10.2019, Art. 14 GG Rn. 141. 37 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 14 Rn. 90. 38 Vgl. ebd. Rn. 145. 39 Vgl. Reiner/Danne, Ökologisierte Stellplatzpflicht, JA 2015, 37. 40 Vgl. Papier/Shirvani, Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Art. 14 Rn. 416 sowie Axer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 41. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 14 Rn. 16. 41 Vgl. Sommermann, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 20a Rn. 48. 42 Vgl. Sellmann, Die eigentumsrechtliche Inhalts- und Schrankenbestimmung – Entwicklungstendenzen, NVwZ 2003, 1417. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 116/19 Seite 10 eine abschließende Bewertung hier nicht vorgenommen werden, denn diese hängt von der konkreten Ausgestaltung einer solchen Regelung ab. ***