© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 106/20 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Deutschen Institut für Normung e. V. (DIN) Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 106/20 Seite 2 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Deutschen Institut für Normung e. V. (DIN) Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 106/20 Abschluss der Arbeit: 7. Oktober 2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 106/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN) 4 2.1. Struktur und Aufgaben 4 2.2. Vertrag Bund-DIN 4 3. § 4 Bund-DIN-Vertrag 5 3.1. Wortlaut 5 3.2. „Öffentliches Interesse“ 6 3.2.1. Offizielle Erläuterungen 6 3.2.2. Praxisberichte 7 3.2.3. Fehlende Rechtsprechung 8 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 106/20 Seite 4 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen § 4 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Deutschen Institut für Normung e. V. (Bund-DIN-Vertrag) eingreift und wie sich die Gestaltungs- und Lenkungsoptionen der Bundesregierung bzgl. des Normierungsgeschehens in diesem Fall darstellen. 2. Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN) 2.1. Struktur und Aufgaben In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage hat die Bundesregierung die Struktur und Aufgaben des DIN wie folgt dargestellt: „[…] Das DIN Deutsches Institut für Normung e. V. ist ein privatrechtlicher technisch-wissenschaftlicher Verein. Er ist als e. V. in das Vereinsregister eingetragen und rechtsfähig. Mitglieder sind nach seiner Satzung Unternehmen und juristische Personen. Organe des DIN sind die Mitgliederversammlung, das Präsidium, der Präsident, der Direktor und die Normenausschüsse . Das Präsidium, dem u. a. mehrere Vertreter der Bundesregierung angehören, legt die Grundsätze der Normungspolitik fest und fasst die für die Geschäfts- und Finanzpolitik des DIN grundlegenden Entscheidungen. Aufgabe des DIN ist die Erarbeitung von deutschen Normen durch die Gemeinschaftsarbeit interessierter Kreise zum Nutzen der Allgemeinheit. […]“ „[…] Durch den Vertrag vom 5. Juni 1975 wurde das DIN von der Bundesrepublik Deutschland als zuständige Normungsorganisation für die Bundesrepublik Deutschland sowie als die nationale Normungsorganisation in nichtstaatlichen internationalen Normungsorganisationen anerkannt. Anlass für den Vertrag war die zunehmende Bedeutung der Normung auf europäischer und internationaler Ebene, die eine gebündelte Vertretung deutscher Interessen erforderlich machte. Durch diesen Vertrag wurden jedoch keine hoheitlichen Befugnisse auf das DIN übertragen.“1 2.2. Vertrag Bund-DIN Der Vertrag vom 5. Juni 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut für Normung e V. (Bund-DIN-Vertrag) wurde am 27. Juni 1975 im Bundesanzeiger Nr. 114 bekannt gegeben (Beilage Nr. 19/75). Der Vertrag hält fest, dass das DIN – sich verpflichtet, bei seinen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse zu berücksichtigen, – bei der Ausarbeitung der Normen darauf achtet, dass diese bei der Gesetzgebung und im Rechtsverkehr als Umschreibungen technischer Anforderungen herangezogen werden können und 1 Antwort auf eine Kleine Anfrage in Bundestags-Drs. 14/8454 vom 7. März 2002, Vorbemerkung der Bundesregierung , http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/084/1408454.pdf (Hervorhebung durch Autor dieser Dokumentation ). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 106/20 Seite 5 – faire Verfahrensrichtlinien gewährleistet, um die Partizipation schwächerer Wirtschaftspartner zu ermöglichen. Er sieht des Weiteren vor, dass die Bundesregierung – das DIN als zuständige Normungsorganisation für Deutschland sowie als die nationale Normungsorganisation in nichtstaatlichen internationalen Normungsorganisationen anerkennt und – sich in der Verwaltung, bei Ausschreibungen und Bestellungen der DIN-Normen bedient und darauf hinwirkt, dass andere öffentliche Auftraggeber das Gleiche tun.2 Der Wortlaut des Vertrages findet sich auch auf den Internetseiten des DIN.3 3. § 4 Bund-DIN-Vertrag 3.1. Wortlaut § 4 Bund-DIN-Vertrag lautet wie folgt: „(1) 1Das DIN verpflichtet sich, Anträge der Bundesregierung auf Durchführung von Normungsarbeiten , für die von der Bundesregierung ein öffentliches Interesse geltend gemacht wird, bevorzugt zu bearbeiten. 2Die Bundesregierung kann zur Durchführung einer Normungsarbeit nach Satz 1 nach Abstimmung mit dem DIN eine Frist setzen. 3Das DIN trägt dafür Sorge, dass diese Frist von seinen zuständigen Arbeitsgremien eingehalten wird. (2) Während dieser Frist wird die Bundesregierung entsprechende Regelungen, sofern diese nicht der Gesetzgebung oder dem Vollzug von Gesetzen dienen sollen oder sonstige öffentliche Interessen es erforderlich machen, weder selbst aufstellen, noch durch Dritte aufstellen lassen. (3) 1Wird eine DIN-Norm innerhalb der gesetzten Frist nicht fertig gestellt, so legt das DIN einen Bericht vor. 2Die Bundesregierung entscheidet, ob sie einer Fristverlängerung zustimmt oder eine eigene Regelung trifft. (4) Erlässt die Bundesregierung eine Regelung, dann verpflichtet sich das DIN, eine dieser Regelung widersprechende Norm anzupassen, zurückzuziehen oder nicht herauszugeben.“4 Soweit ersichtlich, wurde von dieser Vorschrift bisher noch keinen Gebrauch gemacht. Unabhängig von § 4 kann die Bundesregierung Einfluss auf die Tätigkeit des DIN nehmen. So ist das Bun- 2 https://www.din.de/de/din-und-seine-partner/din-e-v. 3 https://www.din.de/resource/blob/79648/de461d1194f708a6421e0413fd1a050d/vertrag-din-und-brd-data.pdf. 4 https://www.din.de/resource/blob/79648/de461d1194f708a6421e0413fd1a050d/vertrag-din-und-brd-data.pdf (Hervorhebung durch Autor dieser Dokumentation). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 106/20 Seite 6 desministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) neben anderen Bundesministerien im Präsidium von DIN vertreten, welches die Grundsätze der Geschäfts- und Finanzpolitik von DIN festlegt und ihre Durchführung und Einhaltung kontrolliert. Zudem ist das BMWi im Finanzausschuss von DIN und in verschiedenen Lenkungsgremien aktiv. Vertreter der Bundesregierung sind in Beiräten der Normenausschüsse und einzelnen Arbeitsausschüssen aktiv. Ein Austausch zwischen den für Normung zuständigen Stellen des BMWi und dem DIN findet auf verschiedenen Ebenen regelmäßig statt. Im Lenkungsausschuss der Deutschen Kommission Elektrotechnik (DKE), dem externen Normenausschuss bei DIN und dem Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE) sind drei Mitglieder aus den Bundesministerien vertreten, die für die Belange Wirtschaft, Arbeit sowie Telekommunikation zuständig sind. Des Weiteren sind die Bundesministerien auch im Technischen Beirat Internationale und Nationale Koordinierung, im Technischen Beirat Konformitätsbewertung und im Technischen Beirat ETSI (Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen) vertreten.5 3.2. „Öffentliches Interesse“ 3.2.1. Offizielle Erläuterungen Die Erläuterungen zu dem Vertrag von 1975 führen zu § 4 Folgendes aus: „Die Regelung sieht ein bestimmtes Verfahren vor, wenn die Bundesregierung die Erarbeitung einer Norm wünscht. Sie bindet jedoch die Bundesregierung nicht, in jedem Fall die Erarbeitung einer Norm zu beantragen. Falls die Bundesregierung die Absicht hat, sich einer DIN- Norm zu bedienen, muss das DIN bei vorliegendem öffentlichem Interesse im Einvernehmen der Vertragspartner gesetzte Fristen einhalten. Darüber hinaus soll das DIN keine Norm veröffentlichen , deren Inhalt im Widerspruch zu einer gemäß § 4 von der Bundesregierung erlassenen technischen Regel steht. Eine Beschränkung der Gesetzesinitiative der Bundesregierung ist aus dieser Vorschrift nicht herzuleiten. Entsprechendes gilt für die Fälle, in denen die Bundesregierung der Verordnungsgeber ist. Ergibt sich während der Frist ein entsprechendes öffentliches Interesse, ist die Bundesregierung frei, eine eigene Regelung zu erlassen, insbesondere , wenn sie aus diesem Grund den Ablauf der Frist nicht abwarten kann.“6 Zu § 1 Abs. 2 des Bund-DIN-Vertrages und den Begriff des „öffentlichen Interesse“ steht Folgendes : „[…] Absatz 2 soll den Grundsatz zum Ausdruck bringen, dass bei der Normung die öffentlichen Interessen zu berücksichtigen sind, und zwar sind es insbesondere die Bereiche Sicherheitstechnik , Gesundheitsschutz, Umweltschutz und Verbraucherschutz sowie jene Bereiche, für die ein besonderes gesamtwirtschaftliches (z. B. Energieeinsparung) oder arbeitswirtschaftliches Interesse besteht, oder die für die Verwaltung oder für das öffentliche Auftrags- 5 Vgl. Antwort auf eine Kleine Anfrage in Bundestags-Drs. 19/7292 vom 22. Januar 2019, Antwort auf Frage 1, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/072/1907292.pdf. 6 Anlage 3 zur Bekanntmachung über den Abschluss des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (Bund-DIN-Vertrag), Bundesanzeiger Nr. 114 vom 27. Juni 1975 (Beilage Nr. 19/75), https://delegibus.com/2004,7.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 106/20 Seite 7 und Beschaffungswesen von besonderem Eigeninteresse sind (Elektronische Datenverarbeitung , Informations- und Dokumentationswesen, Bauwesen).[…]“ 7 3.2.2. Praxisberichte Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Bund-DIN-Vertrages hat am 10. Juni 2005 ein Kolloquium beim Deutschen Institut für Normung (DIN) e. V. in Berlin verschiedene Aspekte dieses Vertrages erörtert. Der Tagungsbericht enthält zu § 4 u. a. den folgenden Passus: „Eine ganz neuartige Regelung enthält § 4 des Vertrages. Danach ist das DIN verpflichtet, Normungsanträge des Bundes, für die dieser ein öffentliches Interesse geltend macht, bevorzugt, also vorrangig vor anderen Normungsprojekten, zu bearbeiten (§ 4 Abs. 1 Satz 1). Das Bedürfnis nach einer derartigen Klausel ergab sich als Konsequenz aus der Anerkennung des DIN als zuständige Normungsorganisation. Wenn der Staat die technische Normung als Selbstverwaltungsaufgabe der Wirtschaft akzeptiert und infolgedessen seine eigene Kompetenz zur technischen Regelsetzung grundsätzlich zurückstellt, bedarf es eines Instrumentes, das die zügige Bearbeitung von im öffentlichen Interesse liegenden Normungsaufgaben ermöglicht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 kann die Bundesregierung hierzu ‚nach Abstimmung mit dem DIN‘ eine Frist setzen. Während der Frist unterliegt der Staat einer grundsätzlichen Stillhaltepflicht (§ 4 Abs. 2). Wird die Norm innerhalb der Frist nicht verabschiedet, kann der Bund einer Fristverlängerung zustimmen oder eine eigene Regel treffen (§ 4 Abs. 3). Im letzteren Fall ist das DIN verpflichtet, eine der Regelung widersprechende Norm anzupassen, zurückzuziehen oder nicht herauszugeben (§ 4 Abs. 4).“8 Zum „öffentlichen Interesse“ macht der Tagungsbericht folgende Ausführungen: „Das öffentliche Interesse ist nicht gleichbedeutend mit Staatsinteresse, schon gar nicht mit den Interessen einzelner staatlicher Hoheitsträger, wie z. B. des Bundes oder der Bundesländer , noch weniger mit denen einzelner Behörden. Deren Interessen können Teil des öffentlichen Interesses sein, sind dies aber nicht in jedem Falle, füllen insbesondere den Begriffsinhalt nicht aus. Mit dem öffentlichen Interesse ist das Interesse der Allgemeinheit gemeint, das auf das Gemeinwohl gerichtet ist. Es ist zu unterscheiden von Individualinteressen, die sowohl privatrechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Natur sein können. Diese können als Teile des Allgemeininteresses vom öffentlichen Interesse umfasst sein, erschöpfen aber, ebenso wie staatliche Interessen, den Begriffsinhalt nicht. Was zum öffentlichen Interesse zählt, wird im parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaat primär durch den Gesetzgeber bestimmt. Allerdings steht der Begriffsinhalt nicht ein für alle Mal unabänderlich fest, son- 7 Anlage 3 zur Bekanntmachung über den Abschluss des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut für Normung e V. (Bund-DIN-Vertrag), Bundesanzeiger Nr. 114 vom 27. Juni 1975 (Beilage Nr. 19/75), https://delegibus.com/2004,7.pdf (Hervorhebung durch Autor dieser Dokumentation). 8 Kolloquium, 30 Jahre Partnerschaft DIN-Bundesregierung, Dokumentation der Vorträge am 10. Juni 2015, S. 13 (Hervorhebung durch Autor dieser Dokumentation). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 106/20 Seite 8 dern verändert sich mit dem Wandel der Wertvorstellungen je in der Zeit. Letztlich ist es daher die Aufgabe der Gerichte, den unbestimmten Begriff im Einzelfall durch rechtskräftige Entscheidung zu konkretisieren. Im Zusammenhang mit der technischen Normung lassen sich allerdings einige Sachbereiche beispielhaft nennen, die wohl unstreitig zum öffentlichen Interesse zählen, wie etwa technische Sicherheit, Schutz von Leben, Körper, Gesundheit und Sachgütern, Umweltschutz, Verbraucherschutz, sparsamer Umgang mit natürlichen Ressourcen , insbesondere Energie, Abbau technischer Handelshemmnisse im grenzüberschreitenden Verkehr von Waren- und Dienstleistungen usw.“9 3.2.3. Fehlende Rechtsprechung Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs „öffentliches Interesse“ im Bund-DIN-Vertrag ist, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. *** 9 Kolloquium, 30 Jahre Partnerschaft DIN-Bundesregierung, Dokumentation der Vorträge am 10. Juni 2015, S. 12 (Hervorhebung durch Autor dieser Dokumentation).