© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 104/19 Der Kulturgüterschutz im Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Meisterpflicht für Handwerke Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 2 Der Kulturgüterschutz im Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Meisterpflicht für Handwerke Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 104/19 Abschluss der Arbeit: 8. November 2019 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen 5 3. Kulturgüterschutz als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut 6 3.1. Gesetzentwurf 6 3.2. Meinungsstand 9 4. Fazit 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 4 1. Einleitung Im Zuge der großen Handwerksnovelle 20041 wurde für 53 der insgesamt 94 Handwerksberufe der Anlage A (zulassungspflichtige Handwerke) des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks (HwO)2 die Zulassungspflicht abgeschafft. Diese finden sich seither im neu geschaffenen ersten Abschnitt der Anlage B (Anlage B1) wieder (zulassungsfreie Handwerke). Für den selbstständigen Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks ist die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlich , welche i.d.R. die bestandene Meisterprüfung voraussetzt. Die Reform sollte Anreize zur Unternehmensgründung schaffen und das Handwerk generell stärken.3 Ein Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften“ (BT-Drs. 19/14335)4 sieht nun vor, für ausgewählte zwölf5 dieser Handwerksberufe die Zulassungspflicht wieder einzuführen. Zur Begründung führt der Gesetzentwurf insbesondere die Gefahrgeneigtheit 6 der Handwerke sowie den Schutz materieller und immaterieller Kulturgüter an. Vor diesem Hintergrund liegt dem Fachbereich WD 5 die Frage vor, ob der Verweis auf den Kulturgüterschutz im Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Zulassungspflicht mit dem Verfassungsrecht vereinbar ist. Zur europarechtlichen Bewertung wird auf die Ausarbeitung des Fachbereichs Europa (PE 6) 3000 – 098/19 verwiesen. Die weitere Frage, ob eine Wiedereinführung mit gewerberechtlichen Vorschriften vereinbar ist, erübrigt sich, da es sich dabei um gleichrangiges (einfaches) Recht handelt. Der Fachbereich WD 3 – Verfassung und Verwaltung - hat in einer Kurzstellungnahme grundsätzlich festgehalten, dass der Hinweis auf den Kulturgüterschutz geeignet sei, eine Einschränkung 1 BT-Drs. 15/2246, Link: http://dip21.bundestag.de/doc/btd/15/022/1502246.pdf. 2 Handwerksordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. September 1998 (BGBl. I S. 3074; 2006 I S.2095), die zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2143) geändert worden ist, Link: https://www.gesetze-im-internet.de/hwo/index.html#BJNR014110953BJNE002708360. 3 Vgl. Müller, Dr. Martin, „Die Novellierung der Handwerksordnung 2004“, NVwZ 2004, 403 (403,412). 4 BT-Drs. 19/14335 vom 22.10.2019, Link: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/143/1914335.pdf. 5 Folgende Handwerke sollen wieder zulassungspflichtig werden: Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Betonsteinund Terrazzohersteller, Estrichleger, Behälter- und Apparatebauer, Parkettleger, Rollladen- und Sonnenschutztechniker , Drechsler und Holzspielzeugmacher, Böttcher, Glasveredler, Schilder- und Lichtreklamehersteller, Raumausstatter sowie Orgel-und Harmoniebauer. 6 Der Gesetzentwurf definiert Gefahrgeneigtheit so: „Gefahrgeneigt ist ein Handwerk, wenn zum jeweiligen Leistungsbild des Handwerks solche Betätigungsfelder gehören, in denen eine handwerkliche Leistung qualitativ hochwertig und so fachgerecht ausgeführt werden muss, damit nicht nur der Schutz von Leben und Gesundheit der ausübenden Handwerker, sondern vor allem der von mit dem handwerklichen Produkt in Berührung kommenden Endverbraucher gewährleistet wird.“ Zum Begriff der Gefahrgeneigtheit wird auf die Ausarbeitung des Fachbereichs vom 5. Juni 2019 (3000 – 048/19) verwiesen, Link: https://www.bundestag.de/resource /blob/650744/9e9f2ef9088824b57bb9e9f0d471f32f/WD-5-048-19-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 5 der Berufsfreiheit zu rechtfertigen7. Der u.a für Fragen der Handwerksordnung zuständige Fachbereich WD 5 ergänzt diese Kurzeinschätzung –insbesondere auf der Grundlage einer Auswertung einschlägiger Fachbeiträge und Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. Die zitierten Links wurden zuletzt am 8. November 2019 aufgerufen. 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen Entscheidend für die Frage, ob eine Wiedereinführung einer Zulassungspflicht für Handwerke mit dem Verfassungsrecht vereinbar ist, sind die Bestimmungen der Berufsfreiheit in Art. 12 des Grundgesetzes (GG). 8 Dort heißt es: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“ Art. 12 GG schützt nicht nur die Art und Weise der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, sondern auch die Berufswahl selbst. Der weitgefasste Begriff des „Berufes“ umfasst auch die Gewerbefreiheit , also die Freiheit, Unternehmen zu gründen.9 Wie viele andere Grundrechte wird die Berufsfreiheit jedoch nicht uneingeschränkt gewährt, sondern kann unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden. Anders als der ausdrückliche Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG vermuten lässt, gilt der Regelungsvorbehalt nicht nur für die Berufsausübung, sondern auch für die Wahl des Berufes.10 Jeder Eingriff in die Grundrechte muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, also einen legitimen Zweck verfolgen, dazu geeignet sowie erforderlich und auch zumutbar sein.11 Im Rahmen der Berufsfreiheit wird dies nach der Drei-Stufen-Lehre des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)12 beurteilt. Danach variieren die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffes in den Art. 12 GG je nach dessen Intensität. Regelungen, die die Berufsausübung betreffen, sind 7 Vgl. E-Mail des Fachbereiches WD 3 vom 29. Oktober 2019. 8 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404) geändert worden ist, Link: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html. 9 Vgl. Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, C.H. Beck München Art. 12 Rn. 20. 10 BVerfGE 7, 377 (5. Leitsatz des Urteils vom 11.06.1958 - 1 BvR 596/56). 11 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand 87. EL März 2019, C.H. Beck München, Art. 20 Rn. 107 ff. 12 Das sogenannte „Apotheken-Urteil“ gilt als Leiturteil für die Drei-Stufen-Lehre, Urteil des BVerfG vom 11.06.1958 - 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 6 bereits zulässig, wenn sie aufgrund vernünftiger Allgemeinwohlerwägungen zweckmäßig erscheinen .13 Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Berufswahlregelungen wird zwischen subjektiven und objektiven unterschieden. Subjektive, also solche Regelungen, die auf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten, erworbene Abschlüsse oder erbrachte Leistungen abstellen14, sind nur zulässig, wenn sie dem Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes dienen.15 Objektive Berufswahlregelungen bringen die stärkste Beeinträchtigung mit sich und sind nur mit der Verfassung vereinbar, wenn sie zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes bestimmt sind.16 Alle einschränkenden Regelungen müssen zudem verhältnismäßig sein. In der Zulassungspflicht für Handwerksberufe liegt eine subjektive Berufswahlregelung, da es sich hierbei um eine persönliche Qualifikationsanforderung handelt.17 Damit müssen sie und das Erfordernis der bestandenen Meisterprüfung dem Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes dienen. Nach einhelliger Auffassung müssen die Gemeinschaftsgüter nicht von Verfassungsrang sein.18 Der Gesetzgeber verfügt dabei sowohl über eine Bestimmungs- als auch über eine Einschätzungsprärogative mit Prognosespielraum. Die Rechtsprechung beschränkt daher ihre Überprüfung darauf, ob das vom Gesetzgeber als Gemeinwohlbelang definierte Ziel offensichtlich fehlerhaft bzw. mit der Werteordnung des Grundgesetzes unvereinbar ist.19 3. Kulturgüterschutz als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut 3.1. Gesetzentwurf In der Begründung zum Gesetzentwurf wird u.a. zur Rechtfertigung der Wiedereinführung der Zulassungspflicht der Schutz von Kulturerbe aufgeführt.20 Dies umfasst konkret 13 Vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz. 41. Ed., Stand 15.05.2019, Art. 12 Rn. 94, BVerfGE 7, 377 (Urteil vom 11.06.1958 - 1 BvR 596/56). 14 Ebd. Art. 12 Rn. 97. 15 Ebd. 16 Vgl. Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage, 2012, C.H. Beck München, Band 1, Art. 12 Rn. 57. 17 Vgl. Ruffert in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK, Grundgesetz, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art.12 Rn. 120 f., Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 78. Lieferung 05.2019, Art. 12 Rn. 662. 18 BVerfGE 13, 107; vgl. Kämmerer in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, C.H. Beck München, 6. Auflage 2012, Art. 12 Rn. 58. 19 Vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 12 Rn. 98; BVerfGE 13, 97 (107) (Beschluss vom 17.07.1961 - 1 BvL 44/55). 20 Vgl. Gesetzentwurf, BT-Drs. 19/14335, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 7 „solche Handwerke und Handwerkstechniken, die besonders relevant im Umgang mit Kulturgütern sind oder deren Techniken ganz oder teilweise als immaterielles Kulturerbe anzusehen sind und daher ein Transfer von besonderem Wissen und Können notwendig ist.“21 Damit werden sowohl Handwerke als schutzwürdig erachtet, die helfen, andere Kulturgüter in deren Bestand und vor der Zerstörung oder Beschädigung zu bewahren, als auch solche Handwerke , deren Handwerkstechniken selbst ein immaterielles Kulturerbe darstellen. Ausdrücklich wird der Kulturgüterschutz bei den Handwerken des Drechslers (Elfenbeinschnitzer) und Holzspielzeugmachers , des Böttchers und des Orgel-und Harmoniumbauers genannt.22 Der Begriff des Kulturgutes wird im Gesetzentwurf wie folgt definiert: „(Materielles) Kulturgut” ist jede bewegliche Sache oder Sachgesamtheit von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder aus anderen Bereichen des kulturellen Erbes , insbesondere von paläontologischem, ethnographischem, numismatischem oder wissenschaftlichem Wert (§ 2 Absatz 1 des Kulturgutschutzgesetzes).“23 Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs ist der Eingriff in Art. 12 GG durch die Wiedereinführung der Zulassungspflicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Es wird angenommen, dass der Schutz des Kulturerbes ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut darstelle und gegenüber dem Verbraucherschutz, welcher ein anerkanntes wichtiges Gemeinschaftsgut sei, ein noch stärkeres Gewicht habe.24 Der hohe Wert des Kulturerbes komme zudem in dem Beitritt Deutschlands zum UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes von 2003, welches auch ausdrücklich traditionelle Handwerkstechniken beinhalte, und durch den Erlass des Kulturschutzgesetzes im Jahr 2016 zur Geltung.25 Hinsichtlich der Anforderungen an das wichtige Gemeinschaftsgut heißt es zudem: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind schutzwürdige Gemeinschaftswerte nicht nur absolute, allgemein anerkannte und von der jeweiligen Politik des Gemeinwesens unabhängige Werte. Der Gesetzgeber kann auch solche Gemeinschaftsinteressen zum Anlass nehmen, die ihm nicht in diesem Sinne vorgegeben sind, sondern sich erst aus seinen besonderen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Zielen ergeben, die er also erst selbst in den Rang wichtiger Gemeinschaftsgüter erhebt.“ 26 21 Ebd., S. 14. 22 Vgl. ebd., S. 25 und 27. 23 Ebd., S. 20. 24 Vgl. ebd., S. 20. 25 Vgl. ebd., S. 20. 26 Ebd. S. 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 8 Die Wiedereinführung der Zulassungspflicht wahre dem Gesetzentwurf nach den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Hinblick auf den Zweck des Kulturgüterschutzes sei sie zumutbar für die Handwerke, deren Umgang mit Kulturgütern prägend für das Berufsfeld ist. 27 Andere und weniger beschränkende Maßnahmen hätten nicht den gleichen Effekt.28 Dazu heißt es im Entwurf: „Um die speziellen für die Ausübung dieser Handwerke notwendigen Techniken dauerhaft in diesem Sinne als immaterielles Kulturerbe zu erhalten und traditionelle Techniken und Fachwissen zu sichern sowie weiterzuentwickeln, ist es erforderlich, dass in diesem Handwerk eine qualifizierte Fachkräftebasis gewährleistet wird. Das Meister-Schüler-Prinzip ist eine als hochwertig und äußerst effektiv anerkannte Form der Wissensvermittlung im Rahmen des immateriellen Kulturerbes. (…) Die Sicherstellung des Wissenstransfers und der Erhaltung ist nur möglich, wenn für diese Handwerke wieder die Meisterpflicht als Zugangsvoraussetzung zum Handwerk eingeführt wird“29 Zum Handwerk des Drechslers und Holzspielzeugmachers heißt es konkret: „Das Drechsler- und Holzspielzeugmacherhandwerk wurde 2018 in das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland aufgenommen. (…)Wesentlicher Tätigkeitsbereich im Drechsler- und Holzspielzeugmacherhandwerk ist auch die Restaurierung historischer Möbel oder Bauteile, von Kunstgegenständen in Kirchen, historischen Bauten und für Museen. Diese Tätigkeiten zum Schutz von Kulturgütern sind nur mit dem notwendigen qualifizierten Fachwissen über die Arbeitsweisen während der jeweiligen Entstehungsperiode (Werkspuren der ursprünglichen Fertigung entsprechend) ohne Gefahr für das Werkstück möglich.“30 Das erforderliche Fachwissen könne nur durch qualifizierte Ausbildungen weitergegeben werden . Solche fänden in der Regel jedoch nur in Meisterbetrieben statt.31 Der Aspekt des Kulturgüterschutzes beim Böttcherhandwerk wird wie folgt begründet: „Die Herstellung von Holzgefäßen hat eine mindestens 2000-jährige Tradition und trug entscheidend zum Entstehen des Fernhandels mit unterschiedlichsten Waren. (…) liegt das uralte Wissen um das Holzfass ausschließlich in den derzeit noch existierenden Böttcherbetrieben. (…) So ist bereits die Zahl der Betriebe insgesamt von 168 im Jahr 2000 auf nur noch 62 im Jahr 2017 abgesunken. (…) Wird diesem Trend nicht gegengesteuert, wird künftig der Wissens- 27 Vgl. ebd., S. 20. 28 Vgl. ebd., S. 15. 29 Ebd., S. 21. 30 Ebd., S. 25. 31 Vgl. ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 9 transfer traditioneller Techniken und das Fachwissen dauerhaft im Böttcherhandwerk verloren gehen. Ohne eine dauerhafte Absicherung der für die Erhaltung des Handwerks notwendigen Fachkräftebasis durch Meister und die Ausbildung in Meisterbetrieben kann das Fachwissen des Böttcherhandwerks nicht gewährleistet werden.“32 Auch für das Handwerk des Orgel- und Harmoniumbauers wird auf den Kulturgüterschutz abgestellt : „Das Berufsbild des Orgel- und Harmoniumbauers betrifft in einem Schwerpunkt nun auch die Erhaltung von Kulturgütern. Die Restaurierung, der Schutz und die Pflege teils Jahrhunderte alter Instrumente sind wesentlicher Bestandteil des Leistungsbilds. Unfachmännisch und deshalb mangelhaft oder falsch restaurierte und gepflegte Instrumente sind unter Umständen für immer verloren. Vor allem wurden Orgelbau und Orgelmusik aus Deutschland 2014 in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes und 2017 in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen. Ohne eine Sicherung der Fachkräftebasis kann das als Kulturerbe anerkannte Fachwissen des Handwerks nicht weitergegeben und bewahrt werden. (…)Ausbildungsplätze werden im Orgelund Harmoniumbauerhandwerk aber nahezu ausschließlich von Meisterbetrieben zur Verfügung gestellt.“33 3.2. Meinungsstand Eingehend befasst sich Burgi34 in seinem Aufsatz „Verfassungs- und europarechtliche Statthaftigkeit der Rückführung von Anlage B1-Handwerken in die Anlage A zur HwO“35 mit der Frage, ob der Kulturgüterschutz ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut im Sinne der Berufsfreiheit sein kann. In diesem Zusammenhang erläutert er insbesondere, welchen Spielraum der Gesetzgeber bei der Bestimmung und Beurteilung hinsichtlich des Gemeinwohlerfordernis hat und auch inwieweit die Annahme eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes verfassungsgerichtlich überprüfbar ist. Allgemein führt er zur Zulassungspflicht im Handwerk an, dass es sich bei der Anforderung, eine bestimmte Ausbildung und Prüfung zu absolvieren nach der Rechtsprechung um die mildeste Art einer Beschränkung der Berufswahl für einen Berufsanwärter handele.36 Darüber hinaus bewirke die ebenfalls mit der Handwerksnovelle eingeführte Regelung, dass es genüge, wenn ein 32 Ebd. 25. 33 Ebd., S. 27. 34 Prof. Dr. Martin Burgi ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umweltund Sozialrecht an der Ludwig-Maximilian-Universität München und hat auch als Sachverständiger in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 26.06.2019 Stellung bezogen. 35 Burgi, Martin, Verfassungs-und europarechtliche Statthaftigkeit der Rückführung von Anlage B1-handwerken in die Anlage A zur HwO?, GewArch Beilage WiVerw Nr. 03/2018, 181-255. Der Aufsatz kann in der Datenbank „juris“ aufgerufen werden. 36 Vgl. ebd., S. 192; BVerfGE 13, 97 (116) (Beschluss vom 17.07.1961 - 1 BvL 44/55). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 10 angestellter Betriebsleiter die Meisterpflicht erfülle, dass die Zulassungspflicht mehr und mehr einer Berufsausübungsregelung gleichkomme.37 Hinsichtlich der Bestimmung des wichtigen Gemeinschaftsgutes macht Burgi – ebenso wie die oben zitierte Entwurfsbegründung – deutlich, dass der Gesetzgeber ein solches auch erst als eines festlegen kann.38 Diese Sichtweise deckt sich im Übrigen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Auffassung in der verfassungsrechtlichen Literatur.39 Zusammenfassend zum Erfordernis des Gemeinschaftsgutes führt er aus: „Die vorwiegend an der bisherigen Rechtsprechung orientierte Analyse ergibt zunächst, dass aufgrund der vergleichsweise geringeren Eingriffsintensität und der infolge des berufsqualifizierenden Charakters des Meisterbrieferfordernisses bestehende Leistungselemente künftig durchaus geringere Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung als bei anderen subjektiven Berufszugangsregelungen gestellt werden könnten. (…) Neben den Zwecken (…) kommen als weitere öffentliche Zwecke in Betracht (…) der Umwelt- und Kulturgüterschutz (teilweise) (…)“40 Konkret zu der Frage, ob der Kulturgüterschutz eine subjektive Berufswahlregelung rechtfertigen kann, schreibt er: „(…) könnte im Hinblick auf einige der in der Anlage B1 erfassten Handwerke (z.B. Instrumentenbauer oder Vergolder) der Kulturgüterschutz grundsätzlich als den Eingriff rechtfertigender öffentlicher Zweck gelten. Mittlerweile ist von Verfassungswegen anerkannt, dass Kulturgüter aufgrund ihrer identitätsstiftenden Bedeutung, auch im Hinblick auf künftige Generationen , erhaltensbedürftig und –würdig sind, was teilweise sogar in einer im Grundgesetz verankerten Staatszielbestimmung verortet wird.“41 Zu der Frage, ob die Wiedereinführung der Meisterpflicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, führt er weiter zur Geeignetheit der Maßnahme aus, dass die Rechtsprechung es bereits genügen lasse, wenn der gewünschte Erfolg durch die jeweilige Eingriffsmaßnahme gefördert werden könne, der tatsächliche Eintritt des Erfolges aber nicht erforderlich sei. Der Gesetzgeber besitze dabei einen großen Einschätzungs- und Prognosespielraum, so dass die Rechtspre- 37 Vgl. Burgi, Martin, Verfassungs-und europarechtliche Statthaftigkeit der Rückführung von Anlage B1-handwerken in die Anlage A zur HwO?, GewArch Beilage WiVerw Nr. 03/2018, 181-255, S. 192. Der Aufsatz kann in der Datenbank „juris“ aufgerufen werden. 38 Vgl. ebd. S. 193 f. 39 Vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK, Grundgesetz, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 12 Rn.98; Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, C.H. Beck München, Art. 12 Rn. 58.; BVerfGE 13, 97 (107) (Beschluss vom 17.07.1961 - 1 BvL 44/55). 40 Ebd., S. 205; Hervorhebung durch Verfasser der Ausarbeitung. 41 Ebd., S. 200 f.; Hervorhebung durch Verfasser der Ausarbeitung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 11 chung eine Ungeeignetheit erst dann annehme, wenn die Maßnahme „offensichtlich fehlsam oder schon als solche mit der Werteordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar“ sei.“42 Er verweist weiter auf die bisherige Rechtsprechung, nach der die bisher vom Gesetzgeber mit der Meisterpflicht verfolgten Zwecke als geeignet angesehen worden seien. Das basiere besonders darauf, „dass von demjenigen, der eine (bessere) Ausbildung genossen hat und dessen dabei erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten überdies in einem staatlich normierten Verfahren abgeprüft und bescheinigt worden sind, mehr Kenntnisse und Fertigkeiten erwartet werden können und daher sowohl eine Förderung des Umwelt- bzw. Kulturgüterschutzes (…) möglich erscheint.“43 Auch im Rahmen der Erforderlichkeit - die Erforderlichkeit setzt voraus, dass es zur Erreichung des verfolgten Zweckes kein milderes, gleich effektives Mittel gibt - stehe dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu. Verneint werden könne die Erforderlichkeit daher nur dann, wenn feststellbar sei, dass es ein alternatives, weniger eingreifendes Mittel gebe.44 Nach Burgi müsse bei der Beurteilung berücksichtigt werden, dass das Gesetz bereits eine Alternative vorsehe. So könne durch die Altgesellenregelung nach §§ 7 Abs. 7, 7b HwO eine Eintragung in die Handwerksrolle auch ohne Meisterbrief erfolgen.45 Auch die Erforderlichkeit lasse sich damit nach Burgi mit dem Verweis auf den Kulturgüterschutz bejahen.46 Letztlich müsse die Wiedereinführung der Meisterpflicht auch zumutbar bzw. angemessen sein. Dabei komme es auf eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit des verfolgten Zwecks an47, bei der danach gefragt werde, „ob ein ‚angemessener Ausgleich zwischen dem Eingriffsgewicht der Regelung und dem verfolgten gesetzgeberischen Ziel, zwischen Individual- und Allgemeininteresse‘ hergestellt werden kann.“48 In diesem Zusammenhang weist Burgi daraufhin, dass mit dem Erfordernis der Meisterpflicht nicht nur Einschränkungen für den Grundrechtsträger einhergingen, sondern dieses gleichzeitig auch Vorteile, insbesondere ökonomische, mit sich bringe.49 Des Weiteren haben sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens u.a. bereits die folgenden Interessenvertreter und Institutionen zu verfassungsrechtlichen Aspekten und hier insbesondere dem Kulturgüterschutz geäußert: 42 Vgl. Ebd., S. 205 f. 43 Ebd., S. 208. 44 Vgl. Ebd., S. 211. 45 Vgl. Ebd., S.212 f. 46 Vgl. Ebd., S. 214 f. 47 Vgl. Ebd., S. 216. 48 Ebd., S. 216. 49 Vgl. ebd., S. 190 f. und 217. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 12 Die Handwerkskammer Dresden sieht den Kulturgüterschutz zwar als das Gemeinwohl betreffend an, bezweifelt aber, ob es allein für die Wiedereinführung der Meisterpflicht herangezogen werden könne. Sie begrüßt es aber sehr, dass der Gesetzentwurf neben der Gefahrgeneigtheit und Ausbildungsleistung weitere Aspekte anführe.50 Die Monopolkommission ist gegen die Wiedereinführung der Zulassungspflicht. In verfassungsrechtlicher Hinsicht sieht sie allgemein eine nicht verhältnismäßige Berufswahlregelung. Sie hält sie insbesondere vor dem Hintergrund, dass nicht sicher feststellbar sei, ob die mit dem Gesetzesentwurf verfolgten Ziele auch tatsächlich erreicht würden, für nicht zumutbar.51 Für die Handwerke, die der Gesetzentwurf im Hinblick auf den Kulturgüterschutz benennt, fordert die Monopolkommission, dass andere, weniger einschneidende, aber dafür zielgenauere Maßnahmen erlassen würden.52 Das hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen hält die Wiedereinführung der Zulassungspflicht für mit dem Verfassungsrecht insgesamt vereinbar und den Eingriff in Art. 12 GG für gerechtfertigt, ohne konkret auf den Kulturgüterschutz einzugehen.53 Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) begrüßt sowohl die Wiedereinführung der Zulassungspflicht als auch die Anerkennung des Kulturgüterschutzes als wichtiges zu verfolgendes Ziel und sieht die verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den Gesetzentwurf berücksichtigt .54 50 So Olaf Behrends in einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Wirtschaft und Energie am 26.06.2019 (44. Sitzung), S. 16, Link zum Wortprotokoll der Ausschusssitzung: https://www.bundestag .de/resource/blob/650780/c30dd372f474a1b022ba3451d2e29ebe/protokoll-data.pdf. 51 Vgl. Monopolkommission, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung zum Thema „Meisterpflicht“ des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 26. Juni 2019 vom 24. Juni 2019, Link: https://www.bundestag.de/resource /blob/647898/041cdb5728e70300cf67f02b7b96cec7/sv_holthoff-frank-data.pdf. 52 Vgl. Monopolkommission, Stellungnahme zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlichen Vorschriften an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom 26.09.2019, Link: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Stellungnahmen/Stellungnahmen- HwO-Novelle-2019/Verbaende/monopolkommission.pdf?__blob=publicationFile&v=6. 53 Vgl. Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Stellungnahme zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlichen Vorschriften an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom, Link: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads /Stellungnahmen/Stellungnahmen-HwO-Novelle-2019/Bundeslaender/hessen.pdf?__blob=publication- File&v=4. 54 Vgl. Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. (ZDH), Stellungnahme zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlichen Vorschriften an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom September 2019, Link: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads /Stellungnahmen/Stellungnahmen-HwO-Novelle-2019/Verbaende/zdh.pdf?__blob=publicationFile&v=4 und so auch Holger Schwannecke vom ZDH in der Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Wirtschaft und Energie am 26.6.2019, Link: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw26-pa-wirtschaft -644490. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 104/19 Seite 13 Die Stellungnahmen weiterer einschlägiger Fachverbände zum Gesetzentwurf enthalten – soweit ersichtlich - zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit, insbesondere im Hinblick auf den Kulturgüterschutz , keine Ausführungen. 4. Fazit Der Verweis auf den Kulturgüterschutz im Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Meisterpflicht für bestimmte Handwerke ist nach mehrheitlicher Auffassung mit dem Verfassungsrecht vereinbar. Die in der Zulassungspflicht liegende subjektive Berufswahlregelung dürfte danach mit dem Kulturgüterschutz als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut gerechtfertigt werden können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund eines dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zuzubilligenden erheblichen Beurteilungs- und Prognosespielraums bei der Bestimmung des Gemeinwohlerfordernisses und bei der Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs . Auch ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzentwurf für alle zwölf Handwerke, die aus der Anlage B1 in die Anlage A überführt werden sollen, zudem als Gemeinwohlbelang den Schutz von Leib und Leben anführt, da er bei diesen Handwerken das Merkmal der Gefahrgeneigtheit sieht. Der Kulturgüterschutz wird bei einigen dieser Handwerke flankierend herangezogen .55 Bei dem Schutz von Leib und Leben handelt es sich um ein durch ständige Rechtsprechung 56 anerkanntes, grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG abgesichertes Gemeinschaftsgut, welches subjektive Berufswahlregelungen für gefahrgeneigte Handwerke rechtfertigt.57 *** 55 Vgl. Gesetzentwurf BT-Drs. 19/14335, S. 23 ff. 56 BVerwGE 140, 267 (Urteil vom 31.08.2011 - 8 C 8/10). 57 Zum Begriff der Gefahrgeneigtheit und dem Gemeinwohlbelang „Schutz von Leib und Leben“ wird auf die Ausarbeitung des Fachbereichs vom 5. Juni 2019 (3000 – 048/19) verwiesen, Link: https://www.bundestag.de/resource /blob/650744/9e9f2ef9088824b57bb9e9f0d471f32f/WD-5-048-19-pdf-data.pdf.