© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 224/19; WD 5 - 3000 – 090/19 Änderung von Flugverfahren durch Erlass? Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 224/19; WD 5 - 3000 – 090/19 Seite 2 Änderung von Flugverfahren durch Erlass? Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 224/19; WD 5 - 3000 – 090/19 Abschluss der Arbeit: 25. September 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 224/19; WD 5 - 3000 – 090/19 Seite 3 1. Einleitung Gegenstand des vorliegenden Sachstandes ist die Frage, ob der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Befugnis hat, bestehende und durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) durch Rechtsverordnung festgelegte Flugverfahren per Erlass zu ändern. Unter Flugverfahren versteht man standardisierte Regelungen für die Abwicklung des Luftverkehrs , insbesondere bei An- und Abflügen zu und von Flugplätzen mit Flugverkehrskontrollstelle . Sie beinhalten Festlegungen zu Flugwegen, Flughöhen und Meldepunkten. Die Festlegungen richten sich an den Piloten und sind von diesem zu beachten, sofern er keine vorrangigen Einzelanweisungen der Fluglotsen erhält.1 Zur Beantwortung der grundsätzlichen Frage, ob die Abänderung einer Rechtsverordnung durch einen „Erlass“ möglich ist, hat der zuständige Fachbereich WD 3 - Verfassung und Verwaltung - unter 2. Stellung genommen. Ob eine Änderung durch Erlass bei Flugverfahren aufgrund der hier konkret einschlägigen luftverkehrsrechtlichen Vorschriften zulässig ist, wird unter 3. durch den u.a. für Verkehr zuständigen Fachbereich WD 5 geklärt. 2. Änderung von Rechtsverordnungen durch Verwaltungsvorschrift? (WD 3) Es stellt sich die Frage, ob die Verwaltung eine Rechtsverordnung im Wege eines „Erlasses“ abändern kann. „Erlass“ ist eine andere Bezeichnung für „Verwaltungsvorschrift“.2 „Verwaltungsvorschrift“ ist kein gesetzlich definierter Terminus, sondern der im öffentlichen Recht gebräuchliche Begriff. „Verwaltungsvorschriften“ sind abstrakt-generelle Regelungen des verwaltungsinternen Bereichs.3 Sie dienen der Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns. Rechtlich beruhen sie auf der Leitungsund Weisungskompetenz der übergeordneten Verwaltungsinstanz.4 In der Normenhierarchie stehen Verwaltungsvorschriften unterhalb von formellen Gesetzen und Rechtsverordnungen. Die Verwaltung kann daher nur Verwaltungsvorschriften erlassen, soweit diese mit Gesetzen und Rechtsverordnungen übereinstimmen (Bindung der Exekutive an Recht und 1 Vgl. dazu die Übersicht auf den Internetseiten des BAF, abrufbar unter https://www.baf.bund.de/DE/Themen /Luftraum_Flugverfahren_Recht/Flugverfahren/flugverfahren_node.html sowie den Flyer des BAF „Festlegung von Flugverfahren“ des Bundesamtes für Flugsicherung, Stand Juli 2019, abrufbar unter https://www.baf.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen_BAF/BAF_Flyer_Flugverfahren.pdf;jsessionid =0D3C2798BE2785783CDF610949921DA4.live21302?__blob=publicationFile&v=3 (Diese und alle weiteren Links wurden zuletzt am 25. September 2019 abgerufen.). 2 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, § 24 Rn. 1. 3 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, § 24 Rn. 1. 4 BVerwGE 67, 292 (296). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 224/19; WD 5 - 3000 – 090/19 Seite 4 Gesetz, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG). Verwaltungsvorschriften sind daher gerichtlich auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetzen und Rechtsverordnungen grundsätzlich überprüfbar.5 Soweit eine Rechtsverordnung unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, kann eine Verwaltungsvorschrift für eine einheitliche Auslegung der Rechtsverordnung sorgen (normeninterpretierende Verwaltungsvorschrift). Entsprechendes gilt für die Nutzung von Ermessensspielräumen auf der Rechtsfolgenseite (ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften). Die normeninterpretierende oder ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift darf eine Rechtsverordnung weder ändern, noch einer abschließenden Rechtsverordnung weitere Regelungen hinzufügen (Art. 20 Abs. 3 GG). Eine Verwaltungsvorschrift kann nur dann rechtssatzmäßige Wirkung haben, wenn eine gesetzliche Ermächtigung besteht (normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift).6 Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften „füllen aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung […] unbestimmte Rechtsbegriffe“ aus.7 Von einer Rechtsverordnung abweichen oder dieser eine neue Regelung hinzufügen können sie nicht (Art. 20 Abs. 3 GG). Ein Beispiel8 ist § 48 Abs. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)9, der ausdrücklich vorsieht : „Die Bundesregierung erlässt […] mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen des Bundes allgemeine Verwaltungsvorschriften, insbesondere über Immissionswerte […].“ Ein weiteres Beispiel ist wohl § 32 Abs. 6 Luftverkehrsgesetz (LuftVG)10: „Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erlässt die zur Durchführung dieses Gesetzes und der dazu ergangenen Rechtsverordnungen notwendigen allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der in § 31 Abs. 2 bezeichneten Aufgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Soweit die allgemeinen Verwaltungsvorschriften dem Schutz vor Fluglärm oder dem Schutz vor Luftverunreinigungen durch Luftfahrzeuge dienen, werden sie vom Bundesministerium für Verkehr 5 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, § 24 Rn. 11-12, 31. 6 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, § 24 Rn. 12. 7 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, § 24 Rn. 12. 8 Beispiel nach Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, § 24 Rn. 12. 9 Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl. I S. 432) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bimschg/BImSchG.pdf. 10 Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 11 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808; 2018 I 472) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/luftvg/LuftVG.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 224/19; WD 5 - 3000 – 090/19 Seite 5 und digitale Infrastruktur und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit mit Zustimmung des Bundesrates erlassen.“11 Normenkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sind zu veröffentlichen.12 3. Rechtsgrundlagen für die Festlegung von Flugverfahren (WD 5) Die rechtliche Grundlage für den Erlass von Flugverfahren ist in § 32 Abs. 4 Nr. 8, Abs. 4c LuftVG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 Luftverkehrs-Ordnung (LuftVO)13 enthalten. Diese Bestimmungen lauten wie folgt: § 32 Abs. 4 Nr. 8 LuftVG: „(4) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erlässt ohne Zustimmung des Bundesrates die zur Durchführung dieses Gesetzes und von Rechtsakten der Europäischen Union notwendigen Rechtsverordnungen über […] 8. die Festlegung von Flugverfahren für Flüge innerhalb von Kontrollzonen, für An- und Abflüge zu und von Flugplätzen mit Flugverkehrskontrollstelle und für Flüge nach Instrumentenflugregeln , einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte.“ § 32 Abs. 4c LuftVG: „(4c) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur kann die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 bis 5 und 7 bis 8 durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates auf das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung übertragen. Verordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nr. 8, die von besonderer Bedeutung für den Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm sind, werden im Benehmen mit dem Umweltbundesamt erlassen.“ 11 Hervorhebungen durch Verfasser. 12 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, § 24 Rn. 31. 13 Luftverkehrs-Ordnung vom 29. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1894), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 11. Juni 2017 (BGBl. I S. 1617) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/luftvo_2015/LuftVO.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 224/19; WD 5 - 3000 – 090/19 Seite 6 § 33 Abs. 2 LuftVO: „(2) Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird ermächtigt, die Flugverfahren nach Absatz 1 einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte durch Rechtsverordnung festzulegen.“14 Nach den zitierten Vorschriften legt das Bundesamt für Flugsicherung (BAF) die Flugverfahren durch Rechtsverordnung fest. Diese Verordnungskompetenz wurde ihm durch BMVI durch Rechtsverordnung (hier durch die LuftVO) übertragen.15 Eine Festlegung von Flugverfahren bzw. Neufestlegung/Änderung im Wege eines bundesministeriellen Erlasses (Verwaltungsvorschrift) ist nach den genannten Bestimmungen nicht vorgesehen. *** 14 Hervorhebungen durch Verfasser. 15 Vgl. zum Verfahren die Übersicht auf den Internetseiten des BAF, abrufbar unterhttps ://www.baf.bund.de/DE/Themen/Luftraum_Flugverfahren_Recht/Flugverfahren/flugverfahren _node.html sowie den Flyer des BAF „Festlegung von Flugverfahren, abrufbar unter https://www.baf.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen_BAF/BAF_Flyer_Flugverfahren.pdf;jsessionid =0D3C2798BE2785783CDF610949921DA4.live21302?__blob=publicationFile&v=3.