© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 085/20 Rechtliche Zulässigkeit einer Installationspflicht für Photovoltaikanlagen unter gewerberechtlichen Gesichtspunkten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 085/20 Seite 2 Rechtliche Zulässigkeit einer Installationspflicht für Photovoltaikanlagen unter gewerberechtlichen Gesichtspunkten Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 085/20 Abschluss der Arbeit: 10.09.2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 085/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Gewerberechtliche Anzeigepflicht für Photovoltaikanlagen 4 3. Vereinbarkeit der Pflicht zur Gewerbeanzeige bei Installation der Photovoltaikanlage mit Art. 12 GG 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 085/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste sind nach der rechtlichen Zulässigkeit einer Installationspflicht für Photovoltaikanlagen im Hinblick auf eine Verpflichtung zur Anmeldung und zum Betrieb eines Gewerbes gefragt worden. Der konkreten Fragestellung entsprechend beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen zur Zulässigkeit nur auf Nichtwohngebäude und auf gewerberechtliche Aspekte. Zur Beantwortung der Fragestellung wurde unter anderem das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) angeschrieben.1 2. Gewerberechtliche Anzeigepflicht für Photovoltaikanlagen Wer den Betrieb eines stehenden Gewerbes aufnimmt, muss dies der zuständigen Behörde2 gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Gewerbeordnung (GewO)3 anzeigen (Anzeigepflicht). Das gleiche gilt gemäß Satz 2, wenn der Betrieb verlegt, der Gegenstand des Gewerbes gewechselt oder auf Waren oder Leistungen ausgedehnt wird, die bei Gewerbebetrieben der angemeldeten Art nicht geschäftsüblich sind oder der Betrieb aufgegeben wird. Unter „Gewerbe“ wird allgemein „eine nicht verbotene, auf Gewinnerzielungsabsicht gerichtete und auf Dauer angelegte selbstständige Tätigkeit, die nicht zur Urproduktion, zu den freien Berufen oder zur bloßen Verwaltung eigenen Vermögens zu rechnen ist“ verstanden.4 Der Betrieb einer Photovoltaikanlage stellt grundsätzlich eine gewerbliche Tätigkeit dar.5 Durch eine Photovoltaikanlage produzierter Strom wird, wenn er nicht oder nicht vollständig vor Ort selbst verbraucht wird, in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Dafür erhält der Betreiber der Anlage eine Vergütung.6 Jedoch gilt nicht jeder Betrieb einer Photovoltaikanlage ausnahmslos als (anzeigepflichtiges) selbstständiges Gewerbe. Entscheidend ist das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht. Eine 1 Die Antwort des BMWi erfolgte mit E-Mail vom Parlaments- und Kabinettreferat vom 30. Juni 2020. 2 In der Regel übernehmen die örtlichen Ordnungsämter die Aufgaben des Gewerbeamtes. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/Mittelstand/gewerberecht.html. 3 Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S. 202), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1403) geändert worden ist, https://www.gesetze-im-internet.de/gewo/BJNR002450869.html. 4 Vgl. Leisner, in: Pielow (Hrsg.), BeckOK GewO, 50. Edition Stand 01.12.2018, § 14 Rn. 21. 5 Vgl. Halaczinsky, in: Rössler/Troll (Hrsg.), Bewertungsgesetz, Werkstand: 31. EL Mai 2020, § 68 Rn. 123a. 6 Vgl. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Mieterstrom/faq-mieterstrom.html, Antwort auf die Frage „Kann ich den überschüssigen Strom ins öffentliche Netz einspeisen?“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 085/20 Seite 5 solche liegt in der Regel dann nicht vor, wenn eine Photovoltaikanlage vornehmlich zur Eigenversorgung installiert und betrieben wird. Zwar handelt es sich bei der Gewerbeordnung um Bundesrecht.7 Der Vollzug der gewerberechtlichen Vorschriften und damit auch die Entscheidung darüber, wann der Betrieb einer Photovoltaikanlage ein selbstständiges Gewerbe darstellt, obliegt jedoch den Ländern, Art. 83 Grundgesetz (GG).8 Um hier eine bundesweite einheitliche Verwaltungspraxis zu etablieren, hat der Bund-Länder- Ausschuss „Gewerberecht“ in seiner 107. Sitzung (April 2010) eine Empfehlung abgegeben. Danach ist nicht (mehr) die Größe bzw. Leistungskapazität der Anlage entscheidend, sondern vielmehr die Frage, ob die Anlage auf selbst oder fremdgenutzten Gebäuden installiert ist.9 Letzteres sei nach Aussage des BMWi ein Indiz dafür, dass es sich bei dem Betrieb der Anlage um ein selbstständiges Gewerbe handelt.10 Dennoch muss im Einzelfall anhand der Gesamtumstände und der zu erwartenden Einnahmesituation bewertet werden, ob eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt .11 Das BMWi hat außerdem darauf hingewiesen, dass im Fall einer privaten Vermietung von Gewerbeflächen zwar eine Anzeigepflicht nach § 14 GewO besteht, diese jedoch nicht den Vermieter , sondern den Mieter der Gewerbefläche trifft. Der Vermieter handelt in diesen Fällen bereits hinsichtlich der Vermietung der Gewerbeflächen nicht gewerblich, sondern er verwaltet lediglich eigenes Vermögen. Der Betrieb der Photovoltaikanlage ist in diesen Fällen Sache des Mieters. Etwas anderes gilt, wenn der Vermieter seinerseits die Vermietung gewerblich tätigt.12 Von der gewerberechtlichen Beurteilung ist die steuerrechtliche Einstufung einer Photovoltaikanlage zu unterscheiden und abzugrenzen.13 7 Das Gewerberecht ist Teil der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11. 8 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html. 9 Schönleiter/Sprafke, Frühjahrssitzung 2010 des Bund Länder Ausschusses „Gewerberecht“, GewArch 2010, 294-298. Nach Auskunft des BMWi in seiner E-Mail vom 30. Juni 2020 ist seitdem auch kein weiterer Beschluss in Hinblick auf die Gewerbeanmeldung bei Photovoltaikanlagen gefasst worden. 10 E-Mail vom 30. Juni 2020. 11 Schönleiter/Sprafke, Frühjahrssitzung 2010 des Bund Länder Ausschusses „Gewerberecht“, GewArch 2010, 294-298. 12 E-Mail vom 30. Juni 2020. 13 Solarenergie Förderverein Deutschland E.V., Keine Gewerbeanmeldung für PV-Anlage auf privatem Hausdach (28. Februar 2011), http://sfv-mail.de/artikel/keine_gewerbeanmeldung_fuer_pv-anlage_auf_privatem_hausdach.htm. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 085/20 Seite 6 3. Vereinbarkeit der Pflicht zur Gewerbeanzeige bei Installation der Photovoltaikanlage mit Art. 12 GG Eine gesetzliche Verpflichtung, nach der auf jedem neu zu errichtenden Nichtwohngebäude eine Photovoltaikanlage installiert werden muss, müsste im Einklang mit höherrangigem Recht, insbesondere dem Grundgesetz, stehen. Eine solche Regelung dürfte nicht unzulässiger Weise in Grundrechte eingreifen. Da die Pflicht zur Installation ebenso die Pflicht zum Betrieb der Anlage mit sich brächte und der Betrieb der gewerberechtlichen Anzeigepflicht unterliegen kann (s. Punkt 2.), könnte die Berufs- bzw. Gewerbefreiheit aus Art. 12 GG betroffen sein. Das Grundgesetz nennt zwar nicht ausdrücklich ein Grundrecht auf Gewerbefreiheit. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jedoch mehrfach explizit geurteilt, dass die Gewerbefreiheit von der Berufsfreiheit umfasst wird.14 Ein Teil der Berufsfreiheit ist die Gewerbefreiheit.15 Jedes Gewerbe ist auch gleichzeitig Beruf i. S. v. Art. 12 GG.16 Art. 12 GG schützt zudem nicht nur die Freiheit, einen Beruf selbst zu wählen und diesen frei auszuüben, sondern auch die Freiheit, einen Beruf oder ein Gewerbe gerade nicht auszuüben („negative Berufsfreiheit“).17 Eine Installationspflicht hätte zwar keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter, könnte sich aber mittelbar auf den Schutzbereich des Art. 12 GG auswirken.18 Dabei könnte eine Installationspflicht im Hinblick auf die Gewerbeanzeige des Mieters der Gewerbefläche bzw. des bereits gewerblich tätigen Vermieters einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit oder die Berufsausübungsfreiheit darstellen.19 Von der Intensität des Eingriffs hängt ab, welche Anforderungen an die Rechtfertigung gestellt werden. Nach dem BVerfG kann die Berufsausübung beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen. Der Grundrechtsschutz beschränkt sich in diesen Fällen auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil beispielsweise übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen. Die Freiheit der Berufswahl darf dagegen nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert.20 Dabei lassen sich Eingriffe nicht immer klar als Berufsausübungs- oder Berufswahlregelung klassifizieren. Je nachdem, ob eine Regelung 14 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1976 – 1 BvL 4, 5/72; BVerfG, Urteil vom 01. März 1979 - 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78. 15 Vgl. Eisenmenger, in: Landmann/Rohmer (Hrsg), Gewerbeordnung, Werkstand: 84. EL Februar 2020, Einleitung Rn. 47. 16 Vgl. Pielow, in: BeckOK, 50. Edition Stand 01. März 2020, § 1 Rn. 78. 17 Vgl. Pielow, in: BeckOK, 50. Edition Stand: 01. März 2020, GewO § 1 Rn. 106. 18 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 12 Rn. 300. 19 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand 90. EL Februar 2020, Art. 12 Rn. 335. 20 Ebd Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 085/20 Seite 7 sich mehr der Berufsausübung oder der Berufswahl nähert, desto stärkere oder schwächere Anforderungen sind an die Rechtfertigung zu stellen.21 Unabhängig von der Art eines Eingriffs, ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Bei der Frage, was als Gemeinschaftsgut anzusehen ist, besitzt der Gesetzgeber einen außerordentlich breiten Entscheidungsspielraum.22 Es dürfte aber insoweit unproblematisch sein, dass der Umwelt- bzw. Klimaschutz ein solches Gemeinwohl darstellt. Denn Zweck einer gesetzlichen Installationspflicht wäre vorrangig, den Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland zu erhöhen , um so die Energiewende voranzubringen und das übergeordnete Ziel des Klimaschutzes zu verfolgen. Als Staatszielbestimmung ist der Umweltschutz in Art. 20a GG verfassungsrechtlich verankert. Dazu gehört auch der Klimaschutz.23 Der Umweltschutz ist als Staatszielbestimmung Teil der verfassungsmäßigen Ordnung und damit prinzipiell anderen Verfassungsrechtsgütern, beispielsweise den Grundrechten, gleichgeordnet.24 Er wird als ein auch die Berufswahl beschränkendes zulässiges Gemeinschaftsgut anerkannt.25 *** 21 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 12 Rn. 336. 22 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 12 Rn. 336. 23 Vgl. Gärditz, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Werkstand: 92. EL Februar 2020, GG Art. 20a Rn. 9. 24 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 20a Rn. 41. 25 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 12 Rn. 352.