© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 079/20 Technische Anschlussbedingungen für den Anschluss am Niederspannungsnetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 079/20 Seite 2 Technische Anschlussbedingungen für den Anschluss am Niederspannungsnetz Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 079/20 Abschluss der Arbeit: 31.07.2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 079/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Technische Anschlussbedingungen 4 2.1. Rechtsnatur 4 2.2. Ermessen 5 2.3. Anerkannte Regeln der Technik 5 2.3.1. Grundsatz 5 2.3.2. DIN-Normen 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 079/20 Seite 4 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, inwieweit ein Betreiber eines Niederspannungsnetzes in seinen Technischen Anschlussbedingungen (TAB) auf eine DIN-Norm verweisen darf. 2. Technische Anschlussbedingungen 2.1. Rechtsnatur § 18 Abs. 2 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG)1 ermächtigt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung bei den an das Niederspannungs- oder Niederdrucknetz angeschlossenen Letztverbrauchern angemessen festzusetzen. Von der Ermächtigung hat die Bundesregierung Gebrauch gemacht und die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung (Niederspannungsanschlussverordnung – NAV)2 erlassen. § 20 NAV bestimmt: „Der Netzbetreiber ist berechtigt, in Form von Technischen Anschlussbedingungen weitere technische Anforderungen an den Netzanschluss und andere Anlagenteile sowie an den Betrieb der Anlage einschließlich der Eigenanlage festzulegen, soweit dies aus Gründen der sicheren und störungsfreien Versorgung, insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse des Verteilernetzes, notwendig ist. Diese Anforderungen müssen den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. […]“3 Die Betreiber von Niederspannungsnetzen können hiernach eigene Technische Anschlussbedingungen als Ergänzung zur NAV festlegen. Die Technischen Anschlussbedingungen des Netzbetreibers werden Bestandteil des Vertrages über den Netzanschluss.4 Sie sind allgemeine Geschäftsbedingungen des Netzbetreibers.5 Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft 1 Energiewirtschaftsgesetz vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970, 3621), das zuletzt durch Artikel 249 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist https://www.gesetze-im-internet.de/enwg_2005/BJNR197010005.html; alle zitierten Links wurden zuletzt am 31. Juli 2020 aufgerufen. 2 Niederspannungsanschlussverordnung vom 1. November 2006 (BGBl. I S. 2477), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 14. März 2019 (BGBl. I S. 333) geändert worden ist https://www.gesetze-im-internet.de/nav/BJNR247710006.html. 3 Hervorhebung durch Verfasser. 4 Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling (Hrsg.), Energierecht, Werkstand: 105. EL Februar 2020, NAV § 1 Rn. 5. 5 TAB des Netzbetreibers sind jedoch nicht an den Vorschriften des AGB-Rechts zu messen. Vgl. Hartmann/Blumenthal -Barby, in: Theobald/Kühling (Hrsg.), Energierecht, Werkstand: 105. EL Februar 2020, NAV § 4 Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 079/20 Seite 5 (BDEW) hat einen „Bundesmusterwortlaut“ veröffentlicht, den die Netzbetreiber als Grundlage heranziehen können.6 2.2. Ermessen Gemäß § 20 NAV liegt es im Ermessen des Netzbetreibers, ob er weitere Anforderungen an den Netzanschluss im Wege von Technischen Anschlussbedingungen (TAB) festlegt, „soweit dies aus Gründen der sicheren und störungsfreien Versorgung, insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse des Verteilernetzes, notwendig ist.“ Damit besitzt er grundsätzlich auch einen Spielraum bei der Ausgestaltung solcher TAB.7 Die TAB unterliegen gleichwohl der Missbrauchsaufsicht durch die Regulierungsbehörde gemäß § 30 EnWG.8 Ferner hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt , dass TAB mit höherrangigem Recht im Einklang stehen müssen.9 2.3. Anerkannte Regeln der Technik 2.3.1. Grundsatz Als Maßstab für die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht gelten nach § 49 Abs. 1 und 2 EnWG sowie § 20 S. 2, § 22 Abs. 1 NAV insbesondere die anerkannten Regeln der Technik. Verstöße dagegen können zur Unwirksamkeit führen.10 Der Begriff der „anerkannten Regeln der Technik“ ist nicht legal definiert. Man versteht allgemein darunter technische Lösungen, „die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und nach Auffassung der Mehrzahl der Praktiker als eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Lösung akzeptiert sind und die sich in der Praxis allgemein bewährt haben.“11 6 Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft e.V., Neuer Bundesmusterwortlaut für Technische Anschlussbedingungen , https://md.bdew.de/service/technische-anschlussbedingungen-tab/neuer-bundesmusterwortlaut -fuer-technische-anschlussbedingungen-2/. 7 Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling (Hrsg.), Energierecht, Werkstand: 105. EL Februar 2020, NAV § 4 Rn. 29. 8 Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling (Hrsg.), Energierecht, Werkstand: 105. EL Februar 2020, NAV § 20 Rn. 2, sowie auch § 4 Rn. 43. 9 BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – EnVR 45/13, NJOZ 2015, 1301. 10 BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – EnVR 45/13, NJOZ 2015, 1301. 11 Vgl. van Rienen/Wasser, in: Theobald/Kühling (Hrsg.), Energierecht, Werkstand: 105. EL Februar 2020, EnWG § 49 Rn. 32, Hervorhebung durch Verfasser. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 079/20 Seite 6 2.3.2. DIN-Normen Die vom BDEW erarbeiteten und von vielen Netzbetreibern übernommenen TAB enthalten zahlreiche Verweise auf DIN-Normen (zum Teil mit VDE-Klassifikation),12 wenn es um konkrete (technische) Anforderungen an die Kundenanlage geht. Bei DIN-Normen handelt es sich nicht um Rechtsnormen, sondern um private technische Regelwerke mit Empfehlungscharakter.13 Sie werden vom „Deutschen Institut für Normung“ herausgegeben. Sie sind aber insofern rechtlich bedeutsam, als dass die Normen bei einer rechtlichen Überprüfung als Maßstab dafür herangezogen werden können, ob eine (bauliche) Anlage im Einklang mit den anerkannten Regeln der Technik errichtet worden ist.14 Daher wird angenommen, dass entsprechende Normen die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben: Es besteht eine widerlegbare Vermutung.15 Dies ergibt sich auch aus § 49 Abs. 2 S. 1 EnWG („wird vermutet“). Eine Widerlegung der Vermutung kommt in Betracht, wenn im Einzelfall eine DIN-Norm von der Technik überholt ist.16 Verstöße im Verfahren zur Festlegung von DIN-Normen gegen die Grundlagennorm DIN 820 genügen jedoch nicht, um die Vermutung zu widerlegen. Sie begründen allenfalls die Möglichkeit, eine Überprüfung der DIN-Norm zu beantragen.17 Darüber hinaus bestimmt § 6 Abs. 2 NAV: „Art, Zahl und Lage der Netzanschlüsse werden nach Beteiligung des Anschlussnehmers und unter Wahrung seiner berechtigten Interessen vom Netzbetreiber nach den anerkannten Regeln der Technik bestimmt. Das Interesse des Anschlussnehmers an einer kostengünstigen Errichtung der Netzanschlüsse ist dabei besonders zu berücksichtigen.“18 Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat in einem Einzelfall klargestellt, dass Netzbetreiber nur solche technischen Mindestanforderungen aufstellen dürfen, die wirklich zwingend erforderlich 12 Bei DIN-VDE Normen handelt es sich um „Elektronische Normen mit sicherheitsrelevanten bzw. EMV-spezifischen Festlegungen (elektromagnetischer Verträglichkeit).“, VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V., Normen, https://www.dke.de/de/normen-standards/produkte/normen. 13 BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 – VII ZR 184-97. 14 Brechtken/Schauer/Halstenberg, Rechtliche und technische Aspekte bei umstrittenen Normen, DS 2017, 273 (275), https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fds%2F2017%2Fcont%2Fds.2017.273.1.htm&pos=2&hlwords=on. 15 Ebd. 16 Vgl. Moufang/Koos, in: Messerschmidt/Voit (Hrsg.), Privates Baurecht, 3. Auflage 2018, Kapitel „Mängelrechte und Mängelansprüche“ Rn. 19. 17 Vgl. Junghenn, in: Ganten/Jansen/Voit (Hrsg.), Beck‘scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, VOB/B § 4 Abs. 2 Rn. 101. 18 Hervorhebung durch Verfasser. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 079/20 Seite 7 sind.19 In einem weiteren Einzelfall hat der BGH eine Technische Anschlussbedingung, die über Vorgaben einer DIN-Norm hinausgeht, als unzulässig angesehen.20 *** 19 BNetzA, Beschluss vom 22. April 2010 – BK6-09-141, https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Service-Funktionen /Beschlusskammern/1_GZ/BK6-GZ/2009/BK6-09-141/Beschluss%20BK6-09-141.pdf;jsessionid =E79E1F17574B3B99165385CA25442151?__blob=publicationFile&v=5. 20 BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – EnVR 45/13, NJOZ 2015, 1301.