© 2016 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 077/16 Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen gegen nicht voraussehbare Wirkungen planfestgestellter Vorhaben nach Bundesfernstraßengesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen nach § 75 VwVfG 5 2.1. Anspruchsvoraussetzungen 7 2.1.1. Eintritt nicht voraussehbarer nachteiliger Wirkungen 7 2.1.2. Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses 8 2.1.3. Anspruch auf Schutzvorkehrungen im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses 8 2.1.4. Materiellrechtliche Ausschlussfrist 9 2.2. Anspruchsinhalt 9 2.2.1. Art und Dimensionierung der Schutzmaßnahmen 9 2.2.2. Geldentschädigung bei Untunlichkeit oder Unvereinbarkeit von Schutzmaßnahmen mit dem Vorhaben 10 2.2.3. Sonderregelung des § 75 Abs. 2 Satz 5 VwVfG 10 2.3. Zuständigkeit, Verfahren, Form, Antragsfrist 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 4 1. Einleitung Nach § 17 Bundesfernstraßengesetz (FStrG)1 dürfen Bundesfernstraßen im Sinne des § 1 FStrG nur gebaut oder geändert werden, wenn vorher ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt und ein entsprechender Plan festgestellt worden ist. Für das durchzuführende Planfeststellungsverfahren gelten nach § 17 Satz 3 FStrG die Regelungen der §§ 72 – 78 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)2 in der durch das FStrG modifizierten Fassung. Der Plan eines Vorhabenträgers, ein bestimmtes raumbezogenes Vorhaben mit örtlichen und/oder überörtlichen Auswirkungen realisieren zu wollen, bildet den Gegenstand eines Planfeststellungsverfahrens .3 Derartige Vorhaben berühren regelmäßig zahlreiche öffentliche und private Belange , die für oder gegen deren Verwirklichung angeführt werden können und von privat Betroffenen , anerkannten Natur- und Umweltschutzvereinigungen sowie verschiedenen Behörden vertreten werden. Das Planfeststellungsverfahren stellt vor diesem Hintergrund ein verfahrensrechtliches Instrument dar, das es ermöglicht, über ein komplexes Vorhaben und seine öffentlichrechtliche Zulässigkeit in einem Verfahren durch eine Behörde mittels einer einheitlichen Sachentscheidung mit umfassender Rechtswirkung und Problembewältigung zu entscheiden (Planfeststellungsbeschluss ).4 Nach § 17 Satz 2 FStrG sind im Verlauf eines bundesfernstraßenrechtlichen Planfeststellungsverfahrens die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Diese Belange werden mittels eines durchzuführenden Anhörungsverfahrens5 in das eigentliche Planfeststellungsverfahren eingebracht und gegebenenfalls mit den Beteiligten und Betroffenen erörtert.6 Nach § 74 Abs. 2 VwVfG entscheidet die Planfeststellungsbehörde im Planfeststellungsbeschluss über solche Einwendungen gegen das geplante Vorhaben, über die bei der Erörterung keine Einigung erzielt worden ist. Darüber hinaus hat sie dem Vorhabenträger Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind (Anordnung von Schutzmaßnahmen). Diese Vorschrift erfasst jedoch nur solche nachteiligen Wirkungen auf 1 Bundesfernstraßengesetz der Fassung der Bekanntmachung vom 28.06.2007, BGBl. I S. 1206; zuletzt geändert durch Verordnung vom 31.08.2015, BGBl. I S. 1474. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.01.2003, BGBl. I S. 102; zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.07.2016, BGBl. I S. 1679. 3 Überörtliche Vorhaben sind etwa die Realisierung von Straßen, Wasserstraßen, Stromleitungen, Eisenbahnlinien . Örtliche bzw. Punkt-Vorhaben sind etwa Flughäfen, Abfalldeponien oder Endlager für radioaktive Abfälle. 4 So die allgemeinen Ausführungen bei Neumann, Werner (2014). In: Stelkens, Paul/Bonk, Heinz Joachim/Sachs, Michael (Hrsg.). Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar. 8. Auflage 2014. München: C. H. Beck. § 72 Rn. 3 ff. 5 Vgl. § 17a FStrG sowie § 73 VwVfG. 6 Vgl. § 73 Abs. 6 VwVfG sowie die Möglichkeit für die Anhörungsbehörde nach § 17a FStrG, auf die Erörterung verzichten zu können. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 5 Rechte Dritter, die bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vorhersehbar sind.7 Vorhersehbar sind solche Wirkungen, deren Eintritt im Zeitpunkt der Behördenentscheidung gewiss ist oder sich mit hinreichender Zuverlässigkeit prognostisch abschätzen lässt.8 Die wesentlichen Rechtswirkungen eines Planfeststellungsbeschlusses normiert § 75 VwVfG. So stellt diese Verwaltungsentscheidung die Zulässigkeit des planfestgestellten Vorhabens fest (Genehmigungswirkung ). Weiterhin sind neben der Planfeststellung keine weiteren behördlichen Entscheidungen erforderlich, da sämtliche materiell-rechtliche Vorschriften, die für die Frage nach der Zulässigkeit des konkreten Vorhabens von Bedeutung sind, im Verlauf des Planfeststellungsverfahrens und unter Berücksichtigung der für und gegen das konkrete Vorhaben streitenden Argumente geprüft werden (Konzentrationswirkung). Und letztlich werden durch die Planfeststellung alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Vorhabenträger und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt (Gestaltungswirkung).9 Die Frage der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses ist im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren überprüfbar, welches nach Erlass des konkreten Planfeststellungsbeschlusses unter bestimmten Voraussetzungen angestrebt werden kann. Wird ein Planfeststellungsbeschluss jedoch unanfechtbar, sind nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens , auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ausgeschlossen (Duldungswirkung ). Sollten sich allerdings nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses so genannte nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens zeigen, so kann der Betroffene nachträglich die Einrichtung von Schutzmaßnahmen verlangen. Der vorliegende Sachstand dient der Beantwortung einer Anfrage zu Voraussetzungen und Inhalt dieses Anspruchs. In diesem Zusammenhang ist u.a. der Frage nachzugehen, ob und wenn ja, inwieweit es für die nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen auf eine verfestigte Straßenplanung und die Auslegung von Planunterlagen im Anhörungsverfahren ankommt. 2. Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen nach § 75 VwVfG Die Voraussetzungen und der Inhalt des Anspruchs auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen gegen nicht voraussehbare Wirkungen planfestgestellter Vorhaben werden durch § 75 Abs. 2 Satz 2 – 5, Abs. 3 VwVfG normiert. § 17c FStrG modifiziert lediglich die Regelungen des § 75 Abs. 4 VwVfG (Außerkrafttreten des Plans). 7 Bundesverwaltungsgericht (2011). Beschluss vom 19.10.2011 – 9 B 9/11. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ). 31. Jahrgang (2012). München: C. H. Beck. S. 46. 8 Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 74 Rn. 166 m. w. N. 9 Umfassend dazu Stüer, Bernhard/Probstfeld, Willi (2016). Die Planfeststellung. Grundlagen – Fachrecht – Rechtsschutz – Beispiele. 2. Auflage 2016. München: C. H. Beck. Rn. 388. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 6 Die maßgeblichen Regelungen des Anspruchs auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen lauten daher: „§ 75 – Rechtswirkungen der Planfeststellung (1) […] (1a) […] (2) […]. 2Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auf, so kann der Betroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Auswirkungen ausschließen. 3Sie sind dem Träger des Vorhabens durch Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. 4Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so richtet sich der Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. 5Werden Vorkehrungen oder Anlagen im Sinne des Satzes 2 notwendig, weil nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens auf einem benachbarten Grundstück Veränderungen eingetreten sind, so hat die hierdurch entstehenden Kosten der Eigentümer des benachbarten Grundstücks zu tragen, es sei denn, dass die Veränderungen durch natürliche Ereignisse oder höhere Gewalt verursacht worden sind; Satz 4 ist nicht anzuwenden. (3) 1Anträge, mit denen Ansprüche auf Herstellung von Einrichtungen oder auf angemessene Entschädigung nach Absatz 2 Satz 2 und 4 geltend gemacht werden, sind schriftlich an die Planfeststellungsbehörde zu richten. 2Sie sind nur innerhalb von drei Jahren nach dem Zeitpunkt zulässig, zu dem der Betroffene von den nachteiligen Wirkungen des dem unanfechtbar festgestellten Plan entsprechenden Vorhabens oder der Anlage Kenntnis erhalten hat; sie sind ausgeschlossen, wenn nach Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustands 30 Jahre verstrichen sind. (4) […]“ Nach der Rechtsprechung ist der tragende Grund für diese Regelungen, „dass die Betroffenen nicht schlechter dastehen sollen als sie stünden, wenn im Zeitpunkt der Planfeststellung die aufgetretenen nachteiligen Wirkungen bereits vorhergesehen worden wären […]. Wie oben […] dargestellt, ist der Vorhabenträger verpflichtet, die von dem Planvorhaben ausgelösten Probleme zu bewältigen, u. a. durch Schutzauflagen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, die der Erfüllung des materiellrechtlichen Schutzanspruchs der Betroffenen vor schädlichen […E]inwirkungen […] dienen. Dieser Schutzanspruch findet seine verfahrensrechtliche Begrenzung durch § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG. Danach sind Ansprüche auf Schutzauflagen ausgeschlossen, wenn der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden ist. Das gilt grundsätzlich auch hinsichtlich veränderter Umstände. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens besteht nicht (§ 72 Abs. 1 Halbs. 2 VwVfG). Jedoch gewährt § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG auch nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses für nicht voraussehbare Wirkungen innerhalb einer Frist von 30 Jahren (§ 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG) einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzauflagen. Dadurch soll die Härte der Bestandskraft und das Risiko zutreffender Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 7 prognostischer Einschätzung zu Lasten des Vorhabenträgers gemindert werden […]. Zugleich werden damit die Betroffenen so gestellt, als ob die aufgetretenen nachteiligen Wirkungen bereits bei der Planung vorausgesehen worden wären.“10 2.1. Anspruchsvoraussetzungen Nachfolgend werden die Voraussetzungen für einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen überblicksartig skizziert. 2.1.1. Eintritt nicht voraussehbarer nachteiliger Wirkungen Voraussetzung für einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen ist das Eintreten von im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses nicht voraussehbaren nachteiligen Wirkungen eines planfestgestellten Vorhabens. Auf eine verfestigte Straßenplanung oder den Zeitpunkt der Auslegung der Planunterlagen im Anhörungsverfahren kommt es für einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen nicht an.11 Nicht vorhersehbar sind nachteilige Auswirkungen, die abweichend von einer Prognose eintreten , welche die Planfeststellungsbehörde dem Planfeststellungsbeschluss zu Grunde gelegt hat.12 Nach der Rechtsprechung sind diese Voraussetzungen etwa erfüllt, „wenn es […] zu einer erheblichen Steigerung der Beeinträchtigung durch Immissionen gegenüber dem methodisch korrekt prognostizierten Zustand kommt. Der Anspruch auf nachträgliche Schutzvorkehrungen kann nicht auf solche Wirkungen gestützt werden, deren Bewältigung bereits im Planfeststellungsbeschluss hätte geregelt werden können und müssen, weil sie objektiv voraussehbar waren […] Dann hätte es den 10 Bundesverwaltungsgericht (2007). Urteil vom 07.03.2007 – 9 C 2.09. Rn. 24. Link: http://www.bverwg.de/entscheidungen /suche.php?last_page=%2Findex.php&suche=9+C+2.06&sort=&suchen_button=suchen (letzter Abruf : 11.10.2016). 11 Im Zusammenhang mit der Duldungswirkung, die von den Regelungen eines bundesfernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses im Hinblick auf Verkehrslärm ausgehen kann, ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.1985 – 4 C 63.80 von Interesse, in dem es um die Rechtmäßigkeit eines bundesfernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses ging. Darin bestätigt das Gericht u. a. seine Auffassung, dass die Duldungswirkung eines erlassenen Planfeststellungsbeschlusses auch solchen Verkehrslärm erfasst, mit dessen Entstehen zu rechnen war, weil zu dem Zeitpunkt, an dem das Eigentum an dem später lärmbelasteten Grundstück erworben wurde, eine hinreichend verfestigte Straßenausbauplanung vorlag, die die entsprechenden Immissionen (Verkehrslärm) erwarten ließ (sog. plangegebene Vorbelastung). Eine solche hinreichend verfestigte Straßenausbauplanung trete nach Auffassung des Gerichts bei einer straßenrechtlichen Planung in der Regel mit der Auslegung der Planunterlagen im Anhörungsverfahren ein. Die Entscheidung befasst sich nicht mit der Frage nach den Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen nach § 75 VwVfG. Vgl. Bundesverwaltungsgericht (1985). Urteil vom 22.03.1985 – 4 C 63.80. Neue Juristische Wochenschrift (NJW). 38. Jahrgang (1985). München: C. H. Beck. S. 3034 ff. 12 So Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 70. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 8 Betroffenen oblegen, dies seinerzeit zum Schutz ihrer Rechte innerhalb der Rechtsmittelfrist durch Klage geltend zu machen. […] […] Nicht voraussehbare nachteilige Wirkungen i. S. v. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG liegen jedoch erst dann vor, wenn es zu einer erheblichen Steigerung der Lärmeinwirkungen kommt, diese also eine Erheblichkeitsschwelle überschreitet.13 2.1.2. Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses Weitere Anspruchsvoraussetzung ist, dass der Planfeststellungsbeschluss dem betroffenen Anspruchsteller gegenüber unanfechtbar geworden ist. Dabei ist zu beachten, dass ein Planfeststellungsbeschluss gegenüber den von ihm Betroffenen zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten unanfechtbar werden kann.14 Dass der Planfeststellungsbeschluss anderen Betroffenen oder dem Vorhabenträger gegenüber noch nicht bestandskräftig geworden ist und damit die Frage nach dessen Rechtmäßigkeit noch zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Klageverfahren zwischen diesen Beteiligten gemacht werden kann, ist unschädlich.15 2.1.3. Anspruch auf Schutzvorkehrungen im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses Da der Sinn und Zweck der Vorgaben des § 75 Abs. 2 VwVfG darin besteht, die Betroffenen eines planfestgestellten Vorhabens so zu stellen, als ob dessen nachträglich aufgetretene nachteilige Wirkungen bereits seinerzeit vorhergesehen und im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt worden wären, kommt ein Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin nur in Betracht, „wenn der Betroffene bereits nach der dem unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschluss zu Grunde liegenden Rechtslage einen Anspruch auf Schutzvorkehrungen gehabt hätte, sofern die später aufgetretenen schädlichen Umwelteinwirkungen schon damals vorauszusehen gewesen wären.“16 Aus dieser Voraussetzung folgert das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall, in dem es um nachträglichen Schutz gegen Lärm einer planfestgestellten Bundesautobahn ging, „dass ein Anspruch auf nachträglichen Lärmschutz nach § 75 II 2 VwVfG jedenfalls für solche baulichen Anlagen ausscheidet, die bei Erlass des unanfechtbar gewordenen Plan- 13 Bundesverwaltungsgericht (2007). A. a. O. (Fn. 10). Rn. 26 f. 14 Dazu Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 59 f. 15 Kämper, Norbert (2016). In: Bader, Johann/Ronellenfitsch, Michael (Hrsg.). Beck’scher Onlinekommentar VwVfG mit VwVG und VwZG. 32. Edition (Stand: 01.07.2016). München: C. H. Beck. VwVfG. § 75 Rn. 43. 16 Bundesverwaltungsgericht (2011). A. a. O. (Fn. 7). Bundesverwaltungsgericht (2007). A. a. O. (Fn. 10). Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 9 feststellungsbeschlusses weder vorhanden noch auch nur planerisch hinreichend verfestigt waren. Ein Anspruch auf Schutzvorkehrungen gegen Lärm gem. § 41 BImSchG[17] in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV[18]), über den im Planfeststellungsbeschluss zu entscheiden ist, setzt nämlich eine zumindest planerisch bereits konkretisierte Anlage voraus. Dafür spricht vor allem das Regelungsgefüge des § 41 BImSchG in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzverordnung. Der Anspruch auf aktiven Lärmschutz ist nach Grund und Ausmaß anhand einer immissionsortbezogenen Berechnung zu bestimmen […]. Eine solche Berechnung lässt sich verlässlich nur durchführen , wenn das Schutzobjekt nach Lage, Höhe, Raumaufteilung und Position der Fenster feststeht. Ohne eine zumindest verfestigte Objektplanung fehlt es hingegen an den erforderlichen Ausgangsdaten, anhand deren Notwendigkeit und Dimensionierung aktiven Lärmschutzes ermittelt werden können. […] Dass ein Grundstück lediglich baureif ist, löst demgemäß noch keine Ansprüche auf aktiven Lärmschutz aus […].“19 2.1.4. Materiellrechtliche Ausschlussfrist Nach § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG besteht der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen wegen nicht voraussehbarer Wirkungen eines planfestgestellten Bundesfernstraßenvorhabens für einen Zeitraum von 30 Jahren ab dem Zeitpunkt der Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustands. Diese Frist läuft unabhängig von der Kenntnis bezüglich nachteiliger Auswirkungen und stellt eine materiellrechtliche Ausschlussfrist dar, bei der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unzulässig ist.20 2.2. Anspruchsinhalt Liegen die genannten materiellrechtlichen Voraussetzungen vor, haben Betroffene nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG Anspruch auf Vorkehrungen oder die Einrichtung und Unterhaltung von Anlagen , die die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Sollten derartige Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sein, haben Betroffene Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld (§ 75 Abs. 2 Satz 4 VwVfG). 2.2.1. Art und Dimensionierung der Schutzmaßnahmen Welche konkreten Schutzmaßnahmen durch den Vorhabenträger einzurichten und zu unterhalten sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer pauschalen Beant- 17 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.05.2013 (BGBl. I S. 1274); zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.07.2016, BGBl. I S. 1839. 18 Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV) vom 12.06.1990, BGBl. I S. 1036; zuletzt geändert durch Verordnung vom 18.12.2014, BGBl. I S. 2269. 19 Bundesverwaltungsgericht (2011). A. a. O. (Fn. 7). 20 Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 90. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 10 wortung. Gleichwohl müssen die Schutzmaßnahmen objektiv geeignet sein, die nachteiligen Wirkungen auszuschließen. Werden sie durch die Schutzmaßnahmen nur gemildert, kommt zusätzlich ein geminderter Geldausgleich in Betracht.21 Ist bei der materiellrechtlichen Frage, ob Betroffene einen Anspruch auf Schutzmaßnahmen dem Grunde nach haben, noch auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses abzustellen, wird die Frage nach der Dimensionierung von nachträglich anzuordnenden Schutzmaßnahmen bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen auf Basis der Rechtslage entschieden, die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Geltendmachung von Ansprüchen auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen besteht.22 2.2.2. Geldentschädigung bei Untunlichkeit oder Unvereinbarkeit von Schutzmaßnahmen mit dem Vorhaben Untunlich sind Schutzmaßnahmen, wenn sie keine wirksame Abhilfe gegen die nachteiligen Wirkungen erwarten lassen oder wenn sie für den Vorhabenträger unzumutbar wären, insbesondere weil der Aufwand außer Verhältnis zum angestrebten Schutzzweck stünde.23 Unvereinbar mit dem Zweck des Vorhabens sind solche Schutzmaßnahmen, die dem Zweck des Vorhabens zuwiderlaufen.24 Welche konkreten Umstände diese Voraussetzungen erfüllen können, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und entzieht sich einer generalisierenden Beantwortung. 2.2.3. Sonderregelung des § 75 Abs. 2 Satz 5 VwVfG Der Anspruch Betroffener auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen bzw. auf Geldentschädigung gegen den Vorhabenträger beruht im Wesentlichen auf dem Veranlasserprinzip , weil erst das Vorhaben des Vorhabenträgers Schutzmaßnahmen notwendig macht.25 Vor diesem Hintergrund ist § 75 Abs. 2 Satz 5 VwVfG zu sehen. Nach dieser Vorschrift haben Betroffene auch dann Anspruch auf die nachträgliche Anordnung gegenüber dem Vorhabenträger, Vorkehrungen oder Anlagen zu unterrichten und zu unterhalten, um nicht voraussehbare Wirkungen eines planfestgestellten Vorhabens auszuschließen, wenn die materiellrechtlichen Voraussetzungen nur deswegen erfüllt sind, weil nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses auf 21 So Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 76. 22 So Bundesverwaltungsgericht (2007). A. a. O. (Fn. 10). Rn. 31. 23 So Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 74 Rn. 193 m. w. N. 24 Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 74 Rn. 194 m. w. N. 25 Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 80. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 11 einem benachbarten Grundstück Veränderungen tatsächlicher Art eingetreten sind, die dem Eigentümer dieses benachbarten Grundstücks zuzurechnen sind.26 Die Kosten der Errichtung und Unterhaltung derartiger Vorkehrungen oder Anlagen hat allerdings dieser Grundstückseigentümer zu tragen. Etwas anderes gilt nur, wenn die tatsächlichen Veränderungen auf natürliche Ereignisse (Frost, Regen etc.) oder höhere Gewalt zurückzuführen sind.27 2.3. Zuständigkeit, Verfahren, Form, Antragsfrist Nach § 75 Abs. 3 Satz 1 VwVfG sind Anträge, mit denen Ansprüche auf Herstellung und Unterhaltung von Schutzmaßnahmen oder Geldentschädigung geltend gemacht werden, schriftlich bei der Planfeststellungsbehörde einzureichen. Bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen entscheidet die Planfeststellungsbehörde gegenüber dem Vorhabenträger28 durch Beschluss (§ 75 Abs. 2 Satz 3 VwVfG).29 Sollten durch die nachträgliche Anordnung der Schutzmaßnahmen Rechte Dritter oder der Aufgabenbereich anderer Behörden berührt werden, ist vor Erlass des Beschlusses ein eigenständiges Anhörungsverfahren durchzuführen; insbesondere der Vorhabenträger ist anzuhören.30 Der Beschluss, der Schutzmaßnahmen nachträglich anordnet, ergänzt den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss und bildet mit diesem eine rechtliche Einheit.31 Nach § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 VwVfG sind die genannten Anträge von Betroffenen nur innerhalb von drei Jahren nach dem Zeitpunkt zulässig, zu dem der Betroffene von den nachteiligen Wirkungen des dem unanfechtbar festgestellten Plan entsprechenden Vorhabens oder der Anlage Kenntnis erhalten hat. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Fall, in dem es um nachträglichen Schutz gegen Lärm einer planfestgestellten Bundesautobahn ging, kann es Schwierigkeiten bereiten, festzustellen, ob diese Frist gewahrt ist, „wenn die Lärmzunahme auf einem über die Jahre ansteigenden Verkehrsaufkommen beruht . Die Frist wird jedenfalls dann zu laufen beginnen, wenn sich dem Betroffenen hinreichend sicherer Grund für die Annahme bietet, dass die nachträglich aufgetretenen 26 Als Beispiel ist hier etwa der Wegfall einer Grenzmauer mit schalldämmender Wirkung zu nennen. Vgl. Kämper , Norbert (2016). A. a. O. (Fn. 15). VwVfG. § 75 Rn. 52. 27 Ausführlich zu dieser Sonderregelung Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 79 ff. 28 Im Fall des § 75 Abs. 2 Satz 5 VwVfG erlegt die Planfeststellungsbehörde einerseits dem Vorhabenträger die notwendigen Schutzmaßnahmen durch Beschluss auf. Andererseits ergeht gegenüber dem entsprechenden Grundstückseigentümer ein Beschluss, mit dem ihm die Pflicht zur Erstattung der Kosten an den Vorhabenträger auferlegt wird. Dazu Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 82. 29 Andernfalls wird der Antrag abgelehnt. Der Betroffene könnte im Anschluss daran seine Ansprüche mittels verwaltungsgerichtlicher Verpflichtungsklage weiterverfolgen. 30 Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 91 m. w. N. 31 Neumann, Werner (2014). A. a. O. (Fn. 4). § 75 Rn. 91 m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 077/16 Seite 12 nachteiligen Wirkungen so erheblich sind, dass sie einen solchen Antrag zu tragen geeignet sind. Dies wird nicht schon bei einem bloßen Gefühl, dass der Lärm inzwischen „erheblich “ geworden sei, zu bejahen sein. Vielmehr muss der Betroffene in der Lage sein, dies anhand geeigneter Beweismittel zu prüfen und zu belegen, was einschließt, dass ihm z. B. entsprechendes Zahlenmaterial über das Verkehrsaufkommen und/oder (darauf beruhende ) Lärmberechnungen zur Verfügung stehen.“32 ENDE DER BEARBEITUNG 32 Bundesverwaltungsgericht (2007). A. a. O. (Fn. 10). Rn. 32.