© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 072/19 Beschränkung von Inlands- und Kurzstreckenflügen aus Klimaschutzgründen (luftverkehrsrechtliche Prüfung) Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 2 Beschränkung von Inlands- und Kurzstreckenflügen aus Klimaschutzgründen Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 072/19 Abschluss der Arbeit: 5. September 2019 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung und Einleitung 4 2. Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 5 2.1. Anwendungsbereich 5 2.2. Grundsatz des freien Streckenzugangs 5 2.3. Umweltschutzmaßnahmen nach Art. 20 6 2.3.1. Vorliegen schwerwiegender Umweltprobleme 6 2.3.2. Diskriminierungsfreiheit 8 2.3.3. Keine Wettbewerbsverzerrung 9 2.3.4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 10 Allgemeine Voraussetzungen 10 Abwägungsrelevante Belange und Beeinträchtigungen 11 Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit 12 Begrenzte Geltungsdauer 13 3. Präzedenzfälle 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 4 1. Fragestellung und Einleitung Die Wissenschaftlichen Dienste wurden um Auskunft gebeten, inwieweit die Durchführung von Inlandsflügen in Deutschland sowie grenzüberschreitenden Kurzstreckenflügen aus Klimaschutzerwägungen eingeschränkt bzw. vollumfänglich verboten werden könnte. Des Weiteren wurde nach Präzedenzfällen gefragt, in denen Flüge bis zu einer gewissen Flugstrecke aus Klimaschutzgründen nicht durchgeführt werden dürfen. Die Untersuchung bezieht sich auf den zivilen Personenluftverkehr . Fracht- und Postverkehr sowie militärische Flüge sind ausgenommen. Der Luftverkehr verursacht verschiedenste Emissionen. Im Wesentlichen handelt es sich um Kohlendioxid (CO2), Stickoxide (NOx), Kohlenmonoxid (CO), Kohlenwasserstoffe (CmHn), Wasserdampf , Schwefeloxide (SOX) und Aerosolpartikel. Die Freisetzung der Emissionen in großen Höhen führt zu einem stärkeren negativen Effekt auf die Atmosphäre und begünstigt den Klimawandel .1 Laut der im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) erstellten „Verkehrsverflechtungsprognose 2030“ ist im Personenluftverkehr in Deutschland mit einem Wachstum in Höhe von 58 % von 132 Mio. Personen (2010) auf 209 Mio. Personen (2030) zu rechnen.2 Dabei lagen die CO2-Emissionen im innerdeutschen Luftverkehr im Jahr 2010 bei 2,1 Mio. t; für 2030 wird von 1,8 Mio. t ausgegangen.3 Seit 2007 sind die Passagierzahlen nach Angaben des BMVI jährlich um 2,6 % angestiegen.4 Zwischen 2006 und 2016 war ein jährlicher Anstieg der CO2-Emissionen durch von deutschen Flughäfen abgehende Flüge um durchschnittlich 0,7 % zu verzeichnen. Die CO2-Emissionen von Inlandsflügen haben in demselben Zeitraum um 8,9 % abgenommen.5 Eine Beschränkung der Durchführung von Inlandsflügen bzw. grenzüberschreitenden Kurzstreckenflügen zur Verringerung klimaschädlicher Emissionen muss mit den EU-luftverkehrsrechtlichen Vorschriften im Einklang stehen. Einschlägig in dem Zusammenhang ist die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft6 1 Vgl. dazu Giemulla in: Schwenk/Giemulla (Hrsg.), Handbuch des Luftverkehrsrecht, 5. Aufl. 2019, Kapitel 19, S. 822, Rn. 78f. 2 Verkehrsverflechtungsprognose 2030 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), Zusammenfassung der Ergebnisse, 11. Juni 2014, S. 5, abrufbar unter: https://www.bmvi.de/Shared- Docs/DE/Anlage/G/verkehrsverflechtungsprognose-2030-zusammenfassung-los-3.pdf?__blob=publicationFile. 3 Ebenda, S. 11 und 12. Die Verringerung der CO2-Emissionen wird auf eine Steigerung der Auslastung sowie auf technologische Effizienzverbesserungen zurückgeführt. 4 Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur, ICAO State Action Plan for CO2 Emissions Reduction – Germany, 3. Aufl. September 2018, S. 17, abrufbar unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen /LF/icao-aktionsplan-reduzierung-co2-engl.pdf?__blob=publicationFile. 5 Ebenda, S. 18. 6 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. L 293 vom 31.10.2008, S. 3), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1567411603710&uri=CELEX:02008R1008-20190203. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 5 (Verordnung (EG) Nr. 1008/2008) (im Folgenden „Verordnung (EG) Nr. 1008/2008“ oder „Verordnung “ genannt). 2. Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 2.1. Anwendungsbereich Die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 regelt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 das Recht von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, innergemeinschaftliche Flugdienste durchzuführen. „Innergemeinschaftlicher Flugdienst“ meint einen Flugdienst, der innerhalb der Gemeinschaft durchgeführt wird.7 Die Verordnung findet damit sowohl Anwendung auf grenzüberschreitende Flüge innerhalb der Gemeinschaft als auch auf reine Inlandsflüge. Seit Freigabe der Kabotage8 zum 1. April 1997 wird im Hinblick auf den Zugang zur Bedienung von Flugstrecken nicht mehr zwischen internationalen und nationalen Flügen unterschieden. Marktordnungsrechtlich existiert ein nationaler Flugverkehr nicht mehr.9 2.2. Grundsatz des freien Streckenzugangs Nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung sind alle Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft berechtigt, innergemeinschaftliche Flugdienste durchzuführen. „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ ist ein Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung nach Kapitel II der Verordnung .10 Nach Art. 15 Abs. 2 S. 1 der Verordnung machen die Mitgliedstaaten die Durchführung von innergemeinschaftlichen Flugdiensten durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft nicht von einer Zulassung oder Genehmigung abhängig (Grundsatz des freien Streckenzugangs). Möglichkeiten der Beschränkung oder Versagung von innergemeinschaftlichen Verkehrsrechten bestehen für einen Mitgliedstaat lediglich in den in der Verordnung genannten Ausnahmefällen .11 7 Vgl. Art. 2 Nr. 13 der Verordnung. 8 Mit Kabotage bezeichnet man den Transport innerhalb eines Mitgliedstaats durch einen nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmer (vgl. Boeing/Kotthaus/Maxian Rusche, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Band 3, EUV/AEUV, Art. 91 AEUV, Rn. 75 (67. Ergänzungslieferung Juni 2019). 9 Vgl. Martinez, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 100 AEUV, Rn. 25; vgl. auch Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs (ABl. L 240 vom 24.8.1992, S. 8) (Vorgängerverordnung ), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1567411362847&uri=CELEX:01992R2408-20070101. 10 Art. 2 Nr. 11 der Verordnung. 11 Dies ergibt sich aus dem Grundsatz des freien Streckenzugangs und den davon in der Verordnung (abschließend ) geregelten Ausnahmen. Vgl. auch Heyn/Roth, in: Hobe, Stephan/von Ruckteschell, Nicolai (Hrsg.), Kölner Kompendium des Luftrechts, Band 2 - Luftverkehr, 1. Aufl. 2009, I.C., Rn. 411, S. 695. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 6 2.3. Umweltschutzmaßnahmen nach Art. 20 Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 erlaubt den Mitgliedstaaten, die Ausübung von Verkehrsrechten bei schwerwiegenden Umweltproblemen zu beschränken. Die Vorschrift lautet wie folgt: „Artikel 20 Umweltschutzmaßnahmen (1) Im Fall von schwerwiegenden Umweltproblemen kann der zuständige Mitgliedstaat die Ausübung von Verkehrsrechten einschränken oder verweigern, insbesondere wenn andere Verkehrsträger Verkehrsdienste in angemessenem Umfang zur Verfügung stellen. Die Maßnahme darf keine Diskriminierung beinhalten, den Wettbewerb zwischen Luftfahrtunternehmen nicht verzerren, nicht einschränkender sein, als es zur Lösung der Probleme erforderlich ist, und muss eine begrenzte Geltungsdauer haben, die drei Jahre nicht überschreitet und nach deren Ablauf eine Überprüfung der Maßnahme erfolgt. (2) Hält ein Mitgliedstaat eine Maßnahme nach Absatz 1 für erforderlich, so unterrichtet er mindestens drei Monate vor dem Inkrafttreten der Maßnahme die übrigen Mitgliedstaaten und die Kommission mit einer entsprechenden Begründung. Die Maßnahme kann [nicht] durchgeführt werden, sofern innerhalb eines Monats nach Erhalt der Angaben ein betroffener Mitgliedstaat gegen die Maßnahme Einspruch einlegt oder die Kommission eine weitere Überprüfung der Maßnahme gemäß Absatz 3 vornimmt. (3) Die Kommission kann auf Antrag eines anderen Mitgliedstaats oder von sich aus nach dem in Artikel 25 Absatz 2 genannten Verfahren die Maßnahmen aussetzen, wenn diese die Anforderungen nach Absatz 1 nicht erfüllen oder mit anderen Gemeinschaftsvorschriften nicht vereinbar sind.“12 Art. 19 Abs. 1 der Verordnung, wonach die Ausübung von Verkehrsrechten den einzelstaatlichen Vorschriften im Bereich Umweltschutz unterliegt, kann für die Fragestellung außen vor bleiben. Im Falle von Art. 20 handelt es sich nämlich um die vorrangige speziellere Vorschrift, die im Falle eines – zumindest bedingten oder partiellen – Flugverbots Anwendung findet.13 2.3.1. Vorliegen schwerwiegender Umweltprobleme Es müssen zunächst schwerwiegende Umweltprobleme vorliegen. Inwieweit Klimaschutzmaßnahmen darunter subsumiert werden können, ist nicht abschließend geklärt. 12 Hervorhebungen und Übersetzungskorrektur in Abs. 2 durch Verfasser. 13 Vgl. Urteil des Gerichts vom 9. September 2010, T-319/05, Schweiz gegen Kommission, Rn. 74ff., bestätigt durch Urteil des Gerichtshofs vom 7. März 2013, C-547/10 P, Schweiz gegen Kommission, (zu den Vorgängervorschriften in Art. 8 und 9 der Verordnung (EWG) N. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992, a.a.O., siehe Fußnote 8). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 7 Angesichts der zeitlichen Begrenzung der Umweltschutzmaßnahme (Art. 20 Abs. 1 S. 2) könnte man die Frage aufwerfen, ob Maßnahmen zur Bewältigung eines bis auf weiteres dauerhaften und fortbestehenden Problems überhaupt vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasst sein können . Beim Klimawandel handelt es sich auch um ein globales Problem, so dass man argumentieren könnte, dass die Einräumung eines Einschätzungsspielraums für die Mitgliedstaaten nach dieser Vorschrift nur im Hinblick auf lokale Umweltprobleme sinnvoll erscheint.14 Diese Argumentation ist jedoch nicht zwingend. So spielen bei der Frage, ob Maßnahmen ergriffen werden dürfen, durchaus auch territorial eingrenzbare Faktoren wie insbesondere das Vorhandensein von alternativen Reisemöglichkeiten15 und sonstige Beiträge eines Mitgliedstaates zur Verwirklichung EU-rechtlicher und globaler Klimaschutzziele eine Rolle. Diese unterschiedlichen Faktoren können sich mit der Zeit auch ändern. Eine klimaschützende Einschränkung der Ausübung von Verkehrsrechten ist vom Wortlaut der Vorschrift her nicht ausgeschlossen. Die allgemeine Aussage, wonach es sich beim Klimawandel um ein „schwerwiegendes“ Problem handelt , erscheint zudem gut vertretbar. Für die Anwendbarkeit der Norm dürfte auch das Verständnis der Mitgliedstaaten und der EU- Kommission sprechen. Im Rahmen einer Eignungsprüfung der Verordnung einschließlich ihres Art. 20 im Jahre 2013 wurde ein EU-weites und auf EU-Ebene geregeltes allgemeines Verbot von Kurzstreckenflügen von den Mitgliedstaaten und den Interessenträgern einhellig abgelehnt. Angesichts unterschiedlicher (geographischer) Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten und der Tatsache , dass andere Verkehrsträger nicht ohne weiteres weniger umweltschädlich seien, müssten Beschränkungen aus Umweltgründen vielmehr auf nationaler Ebene entschieden werden.16 Bei einer Umweltmaßnahme, die Kurzstreckenflüge verbietet, werden nicht lokal begrenzte Umweltbeeinträchtigungen in den Blick genommen. Es geht vielmehr um die Eindämmung der durch die Luftfahrt verursachten (transnationalen) Umweltschäden allgemein. Die Forderung, dass solche Umweltmaßnahmen auf nationaler Ebene zu ergreifen wären, scheint einem einhelligen Verständnis von Mitgliedstaaten und Interessenträgern zu entsprechen, wonach die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 solche Maßnahmen zulässt. Dieser Interpretationsansatz spricht dafür, dass nationale Maßnahmen nach Art. 20 der Verordnung wohl auch auf den Klimawandel als globales Thema gestützt werden könnten. Des Weiteren wird in dem Arbeitsdokument der EU-Kommission zu der Eignungsprüfung auf einen Präzedenzfall in Belgien aus dem Jahre 2006 hingewiesen. Belgien (Region Wallonien) hatte von der Vorgängerregelung in Artikel 9 der Verordnung (EWG) 14 Zur Vorgängerregelung in Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 (vgl. Fußnote 8) wurde teilweise vertreten, dass es nur um vorübergehende Notmaßnahmen gehen könne, mit dem Ziel, langfristig einen funktionsfähigen Flugbetrieb bzw. einen Flugbetrieb ohne Umweltprobleme an dem betreffenden Flughafen sicherzustellen. Vgl. zu diesem Aspekt Rother, Frederik, in: Die Aufteilung von Luftverkehr in Flughafensystemen im Spannungsfeld zwischen deutschem und europäischem Recht, 1. Aufl. 2011, zugl. Diss. Univ. Tübingen 2010, S. 216 und 229 m. w. N. 15 Vgl. unten unter 2.3.4.2. 16 Vgl. dazu Fitness Check – Internal Aviation Market, Report on the suitability of economic regulation of the European air transport market and of selected ancillary services, SWD(2013) 208 final vom 6. Juni 2013, S. 69f., 77, abrufbar unter https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/modes/air/internal_market/doc/fitness _check_internal_aviation_market_en_commission_staff_working_document.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 8 Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 einen bestimmten Kurzstreckenflug (80 km) insbesondere aus Klimaschutzgründen untersagt. Den 40 betroffenen Passagieren stand ein Bustransfer zwischen den betroffenen Flughäfen zur Verfügung. Die EU-Kommission hatte diese Entscheidung nicht beanstandet, führte jedoch aus, dass jedes Flugverbot zwischen zwei Flughäfen einer Einzelfallprüfung bedürfe, bei der auch die verursachten Kosten zu berücksichtigen seien. Seit diesem Verbot wurde von der genannten Bestimmung bzw. deren Nachfolgeregelung in Art. 20 Verordnung (EG) Nr. 1008/2008, soweit ersichtlich, kein Gebrauch mehr gemacht.17 Die belgische Beschränkung war zwar in ihren Auswirkungen sowohl sachlich (ein bestimmter Flug) als auch zeitlich (eine Wintersaison) eng begrenzt.18 Aufgrund des Gesamtzusammenhangs der Eignungsprüfung lässt sich dennoch gut vertreten, dass die Anwendung von Art. 20 auf Beschränkungen von Flügen aus Klimaschutzgründen grundsätzlich in Betracht kommt.19 In demselben Verständnis der Vorschrift haben Abgeordnete der französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale ) am 5. Juni 2019 eine auf Artikel 20 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 gestützte Gesetzesinitiative zur Ersetzung inländischer Flugverbindungen durch Zugstrecken und zur Erreichung der Klimaschutzziele eingebracht.20 Zur Anwendbarkeit von Art. 20 der Verordnung existiert jedoch keine Rechtsprechung. Verträte man die Auffassung, dass die Regelung auf mit dem Klimaschutz begründete Maßnahmen keine Anwendung findet, wäre die nationale Einschränkung der Ausübung von Verkehrsrechten aus Klimaschutzgründen rechtlich nicht möglich. Insoweit wäre die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 nämlich abschließend.21 Hält man die Norm für anwendbar, kommt es auf die Einhaltung der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen an. 2.3.2. Diskriminierungsfreiheit Die Maßnahme darf nach Art. 20 Abs. 1 S. 2 keine Diskriminierung beinhalten. Nach ständiger Rechtsprechung verbieten die Vorschriften über die Gleichbehandlung von In- und Ausländern nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – 17 Vgl. dazu Fitness Check – Internal Aviation Market, Report on the suitability of economic regulation of the European air transport market and of selected ancillary services, SWD(2013) 208 final vom 6. Juni 2013, S. 57, abrufbar unter https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/modes/air/internal_market/doc/fitness _check_internal_aviation_market_en_commission_staff_working_document.pdf. Auch der Antwort des BMVI auf eine Anfrage von WD 5 lässt sich entnehmen, dass keine weiteren Präzedenzfälle (insbesondere auch in Deutschland) bekannt sind. 18 Vgl. ausführlicher zu Anwendungsbeispielen unten unter 3. 19 Vgl. zur Weite der (Vorgänger-)bestimmung, Balfour, John, European Community Air Law, 1995, S. 75. Der Autor weist zutreffend darauf hin, dass die Vorschrift Auslegungsspielräume eröffnet. Deshalb sei der Gebrauch der Regelung von der Erfüllung mehreren (weiterer) Bedingungen abhängig. 20 Vgl. Proposition de loi visant à remplacer les vols intérieurs par le train (quand c’est possible), abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/15/pdf/propositions/pion2005.pdf; vgl. zu den Präzedenzfällen ausführlich unter 3. 21 Dies ergibt sich aus dem Grundsatz des freien Streckenzugangs und den davon in der Verordnung (abschließend ) geregelten Ausnahmen. Vgl. auch Heyn/Roth, in: Hobe, Stephan/von Ruckteschell, Nicolai (Hrsg.), Kölner Kompendium des Luftrechts, Band 2 - Luftverkehr, 1. Aufl. 2009, I.C., Rn. 411, S. 695. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 9 des Sitzes, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Eine solche unterschiedliche Behandlung kann nur gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit bzw. des Sitzes der Gesellschaft unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der nationalen Regelung verfolgten Zweck steht. Rein wirtschaftliche Ziele reichen in dem Zusammenhang nicht aus.22 Eine faktische Diskriminierung ist anzunehmen, wenn durch die Regelung die Luftfahrtunternehmen eines Mitgliedsstaates überwiegend betroffen sind.23 Es kommt dabei auf die Auswirkungen der Regelung an, welche diese auf den Marktzugang insgesamt hat, und nicht auf eine isolierte Betrachtung jeder einzelnen Strecke .24 Das Verbot der (faktischen) Diskriminierung kann z. B. bei Flughäfen relevant werden, die als Drehkreuz für eine bestimmte Fluglinie bzw. bestimmte Verkehre dienen.25 Die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 verbietet ebenso Diskriminierungen aus Gründen der Identität des Luftfahrtunternehmens . Die genannten Grundsätze gelten diesbezüglich entsprechend.26 Regelungen zur Beschränkung von Inlandsflügen oder Kurzstreckenflügen müssen damit auf objektiven Kriterien beruhen. Inwieweit sie faktisch diskriminierungsfrei sind, kann hier nicht abstrakt beantwortet werden. Dafür käme es auf die konkreten Auswirkungen einer konkreten Beschränkungsmaßnahme auf die Betroffenen an. 2.3.3. Keine Wettbewerbsverzerrung Des Weiteren darf durch die Umweltschutzmaßnahmen der Wettbewerb zwischen den Luftfahrtunternehmen nicht verzerrt werden (vgl. Art. 20 Abs. 1 S. 2). Für den Begriff „Wettbewerbsverzerrung “ kann auf die Auslegung dieses Terminus in Art. 116 AEUV zurückgegriffen werden. Es muss sich um eine spezifische Verzerrung handeln und nicht um eine Verzerrung allgemeiner Art, die auf der unterschiedlichen globalen Kostenbelastung der Volkswirtschaften (etwa durch unterschiedliche Steuern oder Soziallasten) beruht. Dabei geht es um zwischenstaatliche Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen, die bestimmte Wirtschaftszweige begünstigen oder benachteiligen . Es kommt darauf an, dass ein Wirtschaftszweig mehr oder weniger belastet ist als der Durchschnitt der Gesamtwirtschaft des eigenen Landes und darüber hinaus eine entspre- 22 Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 18. März 2014, C-628/11, International Jet Management GmbH, Rn. 64, 68 und 70 m.w.N. 23 Vgl. Giesecke/Wysk in: Hobe/Ruckteschell, Kölner Kompendium des Luftrechts, Band 2 – Luftverkehr, 2009, Teil I. H., Rn. 66 unter Hinweis auf Entscheidung der Kommission 2004/12/EG vom 5. Dezember 2003– Flughafen Zürich, ABl. L 4 vom 8.1.2004, S. 13ff., Rn. 39, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1567427300451&uri=CELEX:32004D0012. 24 Niejahr in: Mückenhausen/Boeing (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, 2004, Kapitel 51, Rn. 218 und 246. 25 Vgl. Giesecke/Wysk in: Hobe/Ruckteschell, Kölner Kompendium des Luftrechts, Band 2 – Luftverkehr, 2009, Teil I. H., Rn. 66; Niejahr in: Mückenhausen/Boeing (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, 2004, Kapitel 51, Rn. 218 und 246. 26 Niejahr in: Mückenhausen/Boeing (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, 2004, Kapitel 51, Rn. 218 und 246. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 10 chende Mehr- oder Wenigerbelastung des gleichen Industriezweiges in einem anderen Mitgliedstaat nicht besteht. Die Maßnahme muss so weitreichend oder einschneidend zum Nachteil oder Vorteil gereichen, dass ihre Aufhebung notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn der betreffende Wirtschaftszweig in besonderer Weise begünstigt oder benachteiligt wird, d. h. dass eine Verzerrung besonders gravierend sein muss. Die wettbewerbspolitischen Intentionen des regelnden Mitgliedstaats sind unbeachtlich.27 Bei einem Verbot von Inlandsflügen wäre u. a. zu berücksichtigen, ob es Luftfahrtunternehmen oder Flughafenbetreiber gibt, die allein oder schwerpunktmäßig auf dem Markt für Inlandsflüge bzw. Kurzstreckenverbindungen von und nach Deutschland tätig sind und insofern einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen, weniger auf diesen Markt angewiesenen Unternehmen erleiden würden. 2.3.4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Nach Art. 20 Abs. 1 S. 2 darf die Maßnahme nicht einschränkender sein, als es zur Lösung der Probleme erforderlich ist. Allgemeine Voraussetzungen Diese Verordnungsvorschrift ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der auch im EU- Primärrecht in Art. 52 Abs. 1 S. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verankert ist. Danach dürfen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Es darf kein anderes Mittel zur Verfügung stehen, mit dem das verfolgte Ziel ebenso gut erreicht werden kann und das weniger in Grundrechte eingreift. Die Frage der Erforderlichkeit hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Gravierende pauschale Belastungen sind meist nicht notwendig . Bei einem bedeutsamen Recht und einem schweren Eingriff muss die Einschränkung „auf das absolut Notwendige“ beschränkt bleiben.28 Schließlich setzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz voraus, dass die Beschränkungen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Zweck stehen. Hier spielen einerseits die Bedeutung der verfolgten Ziele sowie der Nutzen eine wichtige Rolle, den die fragliche Einschränkung zur Erreichung dieser Ziele leistet. Andererseits kommt es auf Intensität und Gewicht der Beeinträchtigungen an. So spielt es eine Rolle, ob Ausnahmeregelungen bestehen, die die negativen Wirkungen abschwächen. Zudem können Übergangsregelungen geboten sein, um die Be- 27 Vgl. dazu Schröder in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 116 AEUV, Rn. 8 und 9; Tietje, Christian in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, 2019, Art. 116 AEUV, Rn. 12 und 14. 28 Jarass in: Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 52, Rn. 39 und 40 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 11 lastungen zu mildern. Kollidierende Rechtsgüter sind miteinander in Einklang zu bringen. Zwischen ihnen muss ein angemessenes Gleichgewicht bestehen. Es ist allen im Einzelfall geschützten Interessen Rechnung zu tragen.29 Abwägungsrelevante Belange und Beeinträchtigungen Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Klimaschutz um ein wichtiges Handlungsziel der EU handelt. So ist seine besondere Bedeutung durch eine explizite Nennung im EU- Primärrecht unterstrichen worden.30 Aus dem Passus in Art. 20 Abs. 1 S. 1, wonach die Einschränkung oder Verweigerung der Ausübung von Verkehrsrechten insbesondere möglich ist, wenn andere Verkehrsträger Verkehrsdienste in angemessenem Umfang zur Verfügung stellen, umschreibt der Verordnungsgeber ausdrücklich die Mobilität der Reisenden als einen abwägungsrelevanten Belang.31 Aus der Formulierung „insbesondere“ lässt sich entnehmen, dass die Hürden für Beschränkungen des Luftverkehrs wesentlich niedriger sind, wenn alternative Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Die Frage, was unter „angemessenen Umfang“ zu verstehen ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten . Zu der im Wortlaut vergleichbaren, vorherigen Regelung in Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 2408/92 des Rates vom 23. Juli 199232wurde vertreten, dass es möglich sein muss, innerhalb eines Tages zum Ausgangsort zurückzukehren.33 In dem oben unter 2.3.1. bereits erwähnten französischen Gesetzentwurf wird diesbezüglich vorgeschlagen, den Flugverkehr nur noch auf Strecken zuzulassen, bei denen ein anderer Verkehrsträger mehr als zweieinhalb Stunden länger braucht.34 Neben den Belangen der Reisenden (Geschäftsreisende und Privatreisende) wären bei Beschränkungen auch die wirtschaftlichen Interessen der Luftfahrtunternehmen und der Flughäfen zu berücksichtigen . Luftfahrtunternehmen führen Kurzstreckenflüge teilweise auch dann durch, wenn ihre Maschinen abends zu einem nahegelegenen Flughafen umgesetzt werden sollen, damit die 29 Jarass in: Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 52, Rn. 41 und 42 m.w.N. 30 Vgl. Art. 191 Abs. 1, 4. Gedankenstrich AEUV. Vgl. dazu Kahl, in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 191 AEUV, Rn. 12. 31 Die Formulierung „insbesondere“ zeigt, dass es sich hierbei nicht um eine zwingende Voraussetzung handelt. Vgl. dazu Balfour, European Community Air Law, 1995, S. 75. 32 Vgl. Fußnote 9. 33 Vgl. Niejahr in: Mückenhausen/Boeing (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, 2004, Kapitel 51, Rn. 241. 34 Vgl. Proposition de loi visant à remplacer les vols intérieurs par le train (quand c’est possible), abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/15/pdf/propositions/pion2005.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 12 Maschine dort am nächsten Tag planmäßig abfliegen kann.35 Auch die Belange vor- oder nachgelagerter Dienstleister (z. B. Zubringerverkehrsdienste) bzw. der in der Luftfahrt insgesamt tätigen Arbeitnehmer können tangiert sein. Durch die Einschränkungen bei Geschäftsreisen können zudem zahlreiche Unternehmen und Dienstleister bei der Ausgestaltung und Durchführung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten beeinträchtigt werden. Die Einschränkungen erschienen besonders bei einem pauschalen und ausnahmslosen Verbot von Inlandsflügen massiv. Ein solches könnte sich auf jene Unternehmen, deren Geschäftsmodell maßgeblich auf die Durchführung und Abwicklung von solchen Flügen gerichtet ist, besonders drastisch auswirken. Im Hinblick auf einen Präzedenzfall in Belgien im Jahre 2006 hat die EU-Kommission betont, dass neben den Vorteilen für die Umwelt, die Kosten eines Flugverbots zu berücksichtigen seien und diesbezüglich eine Einzelfallprüfung für jedes eine bestimmte Flugstrecke betreffende Verbot erforderlich sei.36 Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit Eine Einschränkung der Ausübung von Verkehrsrechten müsste ein geeignetes Mittel gegen den Klimawandel darstellen. Es reicht aus, dass die Maßnahme die Zielerreichung mindestens fördert . Es genügt ein Beitrag zur Zielerreichung.37 Dass isolierte Anstrengungen der EU oder eines Mitgliedstaats den weltweiten Klimawandel nicht aufhalten können, schließt die Eignung nicht aus.38 Auch die transnationale Vorbildfunktion eines „nationalen Alleingangs“ beim Klimaschutz kann hier relevant sein.39 Dass Flugverbote ein geeignetes Mittel zur Erreichung von Klimaschutzzielen sind, kann daher bejaht werden. Erforderlich ist eine Maßnahme, sofern sie das relativ mildeste Mittel darstellt. Als weniger einschneidende Maßnahmen im Vergleich zum Verbot von Inlandsflügen bzw. Kurzstreckenflügen 35 Vgl. dazu die Antwort des für Flughäfen zuständigen Ministers der wallonischen Regierung auf die Anfrage der Parlamentsfraktion cdH vom 18. März 2019 (betrifft Flüge zwischen Charleroi und Brüssel-Zaventem), abrufbar unter http://www.cdh-wallonie.be/notre-action-au-pw/questions-ecrites/l2019interdiction-de-transports-aeriens -de-courtes-distances. 36 Vgl. dazu Fitness Check – Internal Aviation Market, Report on the suitability of economic regulation of the European air transport market and of selected ancillary services, SWD(2013) 208 final vom 6. Juni 2013, S. 57, abrufbar unter https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/modes/air/internal_market/doc/fitness _check_internal_aviation_market_en_commission_staff_working_document.pdf. 37 Vgl. Jarass, Art. 52, EU-Grundrechtecharta, 3. Aufl. 2016, Rn. 37; Urteil des Gerichtshofs vom 17. Oktober 2013, C-291/12, Schwarz gegen Stadt Bochum, Rn. 43, abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf;jsessionid =9ea7d2dc30dbda5827a0fddc40b9ad28e80145225a1c.e34KaxiLc3qMb40Rch0Saxu Ma310?text=&docid=143189&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=120810. 38 Vgl. dazu Hardach, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 1 Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG), Stand 89. Ergänzungslieferung Februar 2019 39 Vgl. dazu Gärditz, zum transnationalen Mehrwert eines nationalen Kohleausstiegs im Klimaschutzrecht, in Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR) 2018, 663 (667 und 668). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 13 könnte beispielsweise an steuerliche Maßnahmen wie z. B. eine Kerosinbesteuerung innerstaatlicher Flüge40 oder eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahnfahrkarten41 sowie an Steigerungen der Attraktivität des Schienenpersonenverkehrs (Ausbau des Angebots, Preisgestaltung) gedacht werden.42 Solche Maßnahmen wirken eher mittel- bis langfristig und erscheinen im Vergleich zu einem Flugverbot – zumindest kurzfristig - als weniger effizient. Ein Bündel weniger belastender Maßnahmen ließe sich mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit (Angemessenheit der Regelung) naturgemäß mit geringerem Aufwand begründen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit müsste letztlich auch den einzelnen Grundrechtspositionen der Betroffenen gebührend Rechnung getragen werden.43 Begrenzte Geltungsdauer Die Geltungsdauer der Maßnahme darf drei Jahre nicht überschreiten. Danach hat eine Überprüfung zu erfolgen. 2.3.5. Verfahrensrechtliche Vorgaben Gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 der Verordnung muss der Mitgliedsstaat mindestens drei Monate vor dem Inkrafttreten der Maßnahme die übrigen Mitgliedstaaten und die Kommission mit einer entsprechenden Begründung darüber unterrichten. Die Maßnahme kann nur durchgeführt werden, wenn nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt der Angaben ein betroffener Mitgliedstaat dagegen Einspruch einlegt oder die Kommission eine weitere Überprüfung gemäß Art. 20 Abs. 3 vornimmt . Nach Art. 20 Abs. 3 kann die Kommission auf Antrag eines anderen Mitgliedstaats oder von sich aus die Maßnahmen nach dem in Art. 25 Abs. 2 der Verordnung genannten Verfahren aussetzen, wenn diese die Anforderungen nach Abs. 1 nicht erfüllen oder mit anderen Gemeinschaftsvorschriften nicht vereinbar sind. 40 Vgl. zu den rechtlichen Implikationen den Sachstand des Fachbereichs WD 4 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 5. Juli 2019 „Rechtliche Möglichkeiten der Besteuerung von Flugbenzin in Deutschland“ (WD 4 - 3000-086/19). 41 Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) erlaubt einen ermäßigten Steuersatz auf Dienstleistungen zur Beförderung von Personen (vgl. Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 5), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1567418277760&uri=CELEX:02006L0112-20190116. 42 Vgl. zu Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen im Bereich der zivilen Luftfahrt auch Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur, ICAO State Action Plan for CO2 Emissions Reduction – Germany, 3. Aufl. September 2018, abrufbar unter https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/LF/icao-aktionsplan -reduzierung-co2-engl.pdf?__blob=publicationFile. Dazu gehören beispielsweise technische Verbesserungen des Fluggeräts, verbessertes Verkehrsmanagement, alternative Treibstoffe oder der Emissionshandel. Vgl. zu Emissionen und Emissionshandel auch Giemulla in: Schwenk/Giemulla (Hrsg.), Handbuch des Luftverkehrsrecht , 5. Aufl. 2019, Kapitel 19, S. 822ff., Rn. 78ff. 43 Zu den entsprechenden grundrechtlichen Erwägungen vgl. den gesonderten Sachstand des Fachbereichs WD 3 „Verfassungsrechtliche Pflicht zum Verbot von Kurzstreckenflügen?“ (WD 3 – 3000 - 207/19). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 14 Das Entscheidungsverfahren richtet sich nach Artikel 4 (Beratungsverfahren) der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 201144. Danach wird die Kommission beim Erlass des entsprechenden Durchführungsrechtsakts von einem beratenden Ausschuss unterstützt, der sich aus den Vertretern der Mitgliedsstaaten zusammensetzt und dem ein Vertreter der Kommission vorsitzt. Die vom Ausschuss abgegebene Stellungnahme und das Ergebnis der Beratungen im Ausschuss werden von der Kommission soweit wie möglich berücksichtigt.45 3. Präzedenzfälle Am 31. Oktober 2006 verhängte der damals für Wohnen, Verkehr und territoriale Entwicklung zuständige Minister der Region Wallonien ein Flugverbot für Flüge zwischen den Flughäfen Charleroi und Liège. Die Flugentfernung lag bei 80 Kilometern. Gleichzeitig sollte ab 1. November 2016 den Reisenden eine entgeltfreie Busverbindung zur Verfügung gestellt werden. Diese Verbindung sei nicht länger als die Gesamtreisezeit des Fluges (Einschluss der Zeit für Ein- und Auschecken). Das Verbot war zeitlich eng begrenzt (Wintersaison 2006/2007). Der Minister begründete seine Entscheidung insbesondere damit, dass laut eines Expertenberichts die Treibhausgasemissionen siebenmal höher lägen als bei Nutzung der Reiseverbindung auf dem Boden. Er verwies in dem Zusammenhang auf das Kyoto-Protokoll sowie die Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates46. Die Entscheidung zitiert unter anderem auch Artikel 9 der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992, die im Vergleich zum derzeit geltenden Artikel 20 Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 nahezu wortgleiche Vorgängerregelung.47 Die EU-Kommission beanstandete das Verbot nicht, führte jedoch aus, dass jedes Verbot zwischen zwei Flughäfen einer Einzelfallprüfung bedürfe, bei der auch die Kosten berücksichtigt werden müssten, die durch das Verbot einer Flugverbindung entstünden.48 44 Vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. a der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, abrufbar unter https://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R0182&qid=1567088175247&from=DE. 45 Vgl. insbesondere Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates. 46 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275 vom 25.10.2003, S. 32), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1567428041273&uri=CELEX:02003L0087-20180408. 47 Der (französische) Wortlaut der Entscheidung findet sich auf der Internetseite einer belgischen Nichtregierungsorganisation (Groupe de Réflexion et d'Action, Pour une Politique Ecologique, GRAPPE), vgl. http://grappebelgique .be/spip.php?article240. 48 Vgl. dazu Fitness Check – Internal Aviation Market, Report on the suitability of economic regulation of the European air transport market and of selected ancillary services, SWD(2013) 208 final vom 6. Juni 2013, S. 57, abrufbar unter https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/modes/air/internal_market/doc/fitness _check_internal_aviation_market_en_commission_staff_working_document.pdf. Auch der Antwort des BMVI auf eine Anfrage von WD 5 lässt sich entnehmen, dass keine weiteren Präzedenzfälle (insbesondere auch in Deutschland) bekannt sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 15 Am 5. Juni 2019 haben Abgeordnete der französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale ) eine auf Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 gestützte Gesetzesinitiative zur Ersetzung inländischer Flugverbindungen durch Zugstrecken eingebracht. Danach sollen Inlandsflüge verboten werden, sofern der betreffende Flug durch eine Zugverbindung ersetzt werden kann. Für die Ersetzbarkeit soll es darauf ankommen, dass durch den Flug keine große Zeitersparnis erreicht wird. Dies wird bei einer Zeitersparnis von bis zu zweieinhalb Stunden angenommen. Erst wenn die Reise länger als zweieinhalb Stunden dauert, soll das Fliegen erlaubt sein. Der Anhang zum Gesetzgebungsvorschlag enthält eine nicht erschöpfende Liste der erlaubten und zu verbietenden Flugverbindungen einschließlich Angaben zur Anzahl und Dauer der Flüge und Zugreisen zwischen zwei Orten. Die Liste führt auch Flüge ins Ausland auf (u. a. Paris-Brüssel).49 Der Anwendungsbereich der von den Abgeordneten vorgeschlagenen Norm umfasst nämlich auch grenzüberschreitende Flüge.50 Das Gesetz soll zwei Jahre nach der Verabschiedung in Kraft treten, um den Fluggesellschaften und Flughäfen genügend Zeit zu geben, sich darauf einzustellen.51 Der Vorschlag wurde an den Ausschuss für nachhaltige Entwicklung und Raumordnung überwiesen.52 Die zweite Kammer des niederländischen Parlaments hat die Regierung aufgefordert53, mit den betreffenden Beteiligten im Verhandlungswege zu erreichen, dass zwischen Brüssel und Amsterdam keine Flüge mehr verkehren. Dabei geht es jedoch nicht um eine Einschränkung der Verkehrsrechte der Luftverkehrsunternehmen, sondern um eine Verhandlungslösung. Auch beim 49 Proposition de loi visant à remplacer les vols intérieurs par le train (quand c’est possible), abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/15/pdf/propositions/pion2005.pdf; vgl. dazu auch Le Monde, 7. Juni 2019, Quels trajets intérieurs en avion pourraient être interdits en cas d’alternative en train?, abrufbar unter https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2019/06/07/la-majorite-des-vols-interieurs-pourrait-se-faire-entrain -et-ce-serait-bon-pour-l-environnement_5472992_4355770.html). 50 Die Abgeordneten schlagen vor, Artikel L. 6412-3 des französischen Verkehrsgesetzbuches (Code des transports) um einen Absatz zu ergänzen. Der vorgeschlagenen Passus verweist im Hinblick auf seinen Anwendungsbereich auf die im vorherigen Absatz genannten Verkehrsdienste. Dies sind Dienste, bei denen der Ausgang oder das Ende der Reise in Frankreich liegt oder rein inländische Reisen („services réguliers ou non réguliers de transport aérien public au départ, à destination ou à l'intérieur du territoire français“). Vgl. dazu Code des transports, abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichCode.do;jsessionid =966728BF98581E6263A62EE13A66E351.tplgfr25s_1?idSectionTA=LEGISCTA000023077838&cidTexte=LE- GITEXT000023086525&dateTexte=20190828 sowie Proposition de loi visant à remplacer les vols intérieurs par le train (quand c’est possible), abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/15/pdf/propositions /pion2005.pdf, S. 6. 51 Vgl. Proposition de loi visant à remplacer les vols intérieurs par le train (quand c’est possible), abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/15/pdf/propositions/pion2005.pdf; vgl. dazu auch Le Monde, 7. Juni 2019, Quels trajets intérieurs en avion pourraient être interdits en cas d’alternative en train?, abrufbar unter https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2019/06/07/la-majorite-des-vols-interieurs-pourrait-se-faire-entrain -et-ce-serait-bon-pour-l-environnement_5472992_4355770.html). 52 Das Gesetzgebungsdossier ist abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/dyn/15/dossiers/alt/limitation _aerien_substituable_train. 53 Vgl. Le Soir vom 5. März 2019, Les Pays-Bas souhaitent supprimer les vols Bruxelles-Amsterdam, abrufbar unter https://www.lesoir.be/210404/article/2019-03-05/les-pays-bas-souhaitent-supprimer-les-vols-bruxelles-amsterdam . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 072/19 Seite 16 Verbot des Kantons Basel Stadt, wonach seine Staatsangestellten für Strecken unter 1.000 Kilometer nicht fliegen dürfen54, handelt es sich nicht um eine Beschränkung gegenüber Verkehrsunternehmen . *** 54 Vgl. Basler Zeitung vom 16. Mai 2019, Rat verbietet Kurzstreckenflüge, abrufbar unter https://www.bazonline .ch/basel/stadt/rat-verbietet-kurzstreckenfluege/story/25944105.