© 2016 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 069/16 Vermeidung von LKW-Auffahrunfällen auf Bundesautobahnen durch Notbremssysteme Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 2 Vermeidung von LKW-Auffahrunfällen auf Bundesautobahnen durch Notbremssysteme Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 069/16 Abschluss der Arbeit: 26. September 2016 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anzahl der Verkehrstoten und -verletzten auf Bundesautobahnen durch ungebremstes Auffahren von LKW 5 3. Nutzenpotenzial von Notbremsassistenten für LKW 6 4. Gegenüberstellung der Ausstattungskosten von LKW mit einem Notbremsassistenten und der Einsparungen durch Unfallvermeidung 9 5. Nachträgliche Ausrüstung von LKW mit einem Notbremsassistenten 12 6. German In-Depth Accident Study (GIDAS) 13 7. Sonstiges 13 8. Anlagen 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 4 1. Einleitung Zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit wurde am 13. Juli 2009 die Verordnung (EG) Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates „über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen , Kraftfahrzeuganhängern und von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheit“ erlassen. Die Verordnung legt die technischen Vorschriften und Verfahren fest, um zu gewährleisten, dass neue Kraftfahrzeuge die Sicherheits- und Energieeffizienznormen der EU erfüllen. Neue Kraftfahrzeuge müssen in der gesamten Europäischen Union dieselben technischen Vorschriften erfüllen. Damit soll ein hohes Maß an Verkehrssicherheit und Umweltschutz gewährleistet und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie verbessert werden.1 Mit der Verordnung wurden EU-weit einheitliche technische Anforderungen an die Sicherheit und die Umwelteigenschaften von Kraftfahrzeugen und Reifen eingeführt. Für die Anforderungen an fortschrittliche Notbremssysteme (AEBS - Advanced Emergency Braking Systems) wurde zusätzlich am 16. April 2012 von der Europäischen Kommission die Durchführungsverordnung 347/2012/EC2 „über die Typgenehmigung von Notbremsassistenzsystemen für bestimmte Kraftfahrzeugklassen “ erlassen. Es wurde u.a. festgelegt, dass AEBS für alle Lastkraftwagen (LKW) mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t mit neuer Typzulassung ab 1. November 2013 und für alle neu zugelassenen Fahrzeuge ab 1. November 2015 Pflicht sind. Dies betraf zunächst nur Busse mit mehr als neun Sitzplätzen und LKW mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 8 t, Druckluftbremsanlage sowie luftgefederter/n Hinterachse/n.3 Ab 1. November 2016 müssen alle neuen LKW-Typen sowie ab 1. November 2018 alle neu zugelassenen LKW mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t mit AEBS ausgerüstet sein.4 In der Vergangenheit kam es auf Bundesautobahnen immer wieder zu zum Teil schweren Unfällen , bei denen ein LKW als Hauptunfallverursacher ungebremst auf ein Stauende aufgefahren ist. In dem vorliegenden Sachstand wurde insbesondere auf die Frage eingegangen, wie viele Verkehrstote und –verletzte dadurch in der Vergangenheit zu verzeichnen waren und ob es Aussagen dazu gibt, in wie weit die jeweiligen LKW mit einem Notbremssystem ausgerüstet waren. In Abschnitt 3 wird das Nutzenpotenzial von Notbremsassistenten für LKW näher betrachtet und in Abschnitt 4 eine Gegenüberstellung der Ausstattungskosten von LKW mit einem Notbremsassis- 1 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=URISERV%3Ami0053 (zuletzt aufgerufen am 7.9.2016). 2 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R0347&from=DE (zuletzt aufgerufen am 7.9.2016). 3 http://www.deutsche-verkehrswacht.de/home/positionen/beschluesse-2012/fahrerassistenzsysteme-nutzfahrzeuge .html (zuletzt aufgerufen am 5.9.2016). 4 http://www.landesverkehrswacht.de/fileadmin/downloads/Wissensblaetter/Wissensblatt16FAS.pdf (zuletzt aufgerufen am 7.9.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 5 tenten und der Einsparungen durch die dadurch vermiedenen Unfallkosten vorgenommen. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, ob eine nachträgliche Ausrüstung von LKW mit einem Notbremsassistenten möglich ist. 2. Anzahl der Verkehrstoten und -verletzten auf Bundesautobahnen durch ungebremstes Auffahren von LKW Das Statistische Bundesamt veröffentlicht jährlich die aktuellen Zahlen zu Unfällen von Güterkraftfahrzeugen im Straßenverkehr. Der Bericht zu 2015 wird derzeit erstellt. Für das Jahr 2014 ergaben sich folgende Zahlen zu Unfällen von Güterkraftfahrzeugen im Straßenverkehr :5 Im Jahr 2014 gab es 29.301 Unfälle mit Personenschaden, an denen mindestens ein Güterkraftfahrzeug beteiligt war. Bei diesen Unfällen verunglückten insgesamt 40.357 Personen, davon wurden 759 getötet, 7.234 schwerverletzt und 32.364 leichtverletzt. Insgesamt waren 32.183 Fahrer von Güterkraftfahrzeugen an Unfällen mit Personenschaden im Jahr 2014 beteiligt (31,9 % weniger als 1995). Die Fahrleistung von Güterkraftfahrzeugen ist hingegen seit 1995 um 34,2 % und ihre Transportleistung um 65,9 % gestiegen (Stand: 2014). Im Jahr 1995 wurden 153 Unfallbeteiligte je 10.000 Güterkraftfahrzeuge gezählt, 2014 waren es noch 95. Von den 32.183 an Personenschadensunfällen beteiligten Fahrern von Güterkraftfahrzeugen waren 50,8 % in Unfällen innerorts, 27,1 % in Unfällen auf Landstraßen (außerorts ohne Autobahnen ) und 22,1 % in Unfällen auf Autobahnen involviert. Häufigster Unfallgegner der Güterkraftfahrzeugfahrer bei Unfällen mit zwei Beteiligten war ein Pkw, dabei wurden 239 Pkw-Insassen und 10 Insassen von Güterkraftfahrzeugen getötet. Das häufigste Fehlverhalten, das den Fahrern von Güterkraftfahrzeugen angelastet wurde, waren Abstandsfehler mit 20,1 %. Das Fehlverhalten der Fahrer von Güterkraftfahrzeugen bei Unfällen mit Personenschaden 2014 stellte sich insgesamt wie folgt dar: 5 https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/UnfaelleGueterkraftfahrzeuge .html, S. 8ff (zuletzt aufgerufen am 21.9.2016) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 6 Quelle: Statistisches Bundesamt. Unfälle von Güterkraftfahrzeugen im Straßenverkehr 2014. S. 12. Die Unfallart „Auffahren auf ein Stauende“ findet sich in der Statistik unter dem Punkt „Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug, das vorausfährt oder wartet“. Hierunter werden alle Unfälle durch Auffahren auf ein Fahrzeug, das selbst noch fuhr oder verkehrsbedingt hielt, subsummiert .6 Die Statistik für die entsprechenden Unfälle mit einem Güterkraftfahrzeug als Hauptverursacher ist in Form einer Zeitreihe für die Jahre 2005 bis 2015 als Anlage 1 beigefügt. Eine Aussage, in wie weit bei den Güterkraftfahrzeugen, die diese Unfälle verursacht haben, ein Notbremssystem verbaut bzw. aktiviert war, kann an dieser Stelle nicht getroffen werden, da hierzu keine Daten vorliegen. In Abschnitt 4 wird auf diesen Aspekt jedoch noch einmal gesondert eingegangen. 3. Nutzenpotenzial von Notbremsassistenten für LKW Die EU-Kommission hat in einem Arbeitspapier, das auf einer Studie der TRL Limited7 basiert, bereits im Jahr 2008 prognostiziert, dass durch den Einsatz von Notbremssystemen europaweit ca. 5000 Todesfälle und 50.000 schwere Verletzungen jährlich vermieden werden könnten. Die Anzahl der vermiedenen Todesfälle und schweren Verletzungen hänge dabei sowohl vom Fahrzeugtyp als auch vom Notbremssystem selbst ab. Eine Kollision könne nicht immer vollständig 6 Statistisches Bundesamt, Fachserie 8, Reihe 7, S. 17, 2015. 7 https://circabc.europa.eu/sd/a/3ab87fdc-5715-4733-af50-c3608034ca56/report_aebs_en.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.9.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 7 vermieden werden, jedoch könne zumindest die Aufprallgeschwindigkeit reduziert werden. Die größten Vorteile hätten Notbremsassistenten bei der Vermeidung von Kollisionen mit schweren Fahrzeugen.8 In einem mehrjährigen Forschungsprojekt hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) das theoretische Nutzenpotential von Notbremsassistenten für Lkw untersucht und im September 2011 die Studie „Fahrerassistenzsysteme, Ermittlung des Sicherheitspotenzials auf Basis des Schadensgeschehens der Deutschen Versicherer“, die als Anlage 2 beigefügt ist, veröffentlicht. Grundsätzlich zeigte sich, dass moderne Fahrerassistenzsysteme das untersuchte Schadens- bzw. Unfallgeschehen (Unfälle mit Personenschaden und einem Schadensaufwand von 15.000 € und mehr) positiv beeinflussen können (Anlage 2, S. 5). Die in der Studie betrachteten zwei Notbremssysteme stellen zum einen einen Assistenten (NBA 1) dar, der auf bewegte zweispurige Fahrzeuge reagiert, und zum anderen ein erweitertes System (NBA 2), das auch stehende, zweispurige Fahrzeuge erkennen kann. Die Ergebnisse im LKW-Bereich gestalten sich wie folgt (Anlage 2, S. 27 – 31): Ergebnisse für NBA 1: Vermeidbare LKW-Unfälle: 6,1 %, Vermeidbare Getötete bei LKW-Unfällen: 3,5 %, Vermeidbare Schwerverletzte bei LKW-Unfällen: 4,0 % sowie Vermeidbare Leichtverletzte bei LKW-Unfällen: 7,4 %. Ergebnisse für NBA 2: Vermeidbare LKW-Unfälle: 12,0 %, Vermeidbare Getötete bei LKW-Unfällen: 4,9 %, Vermeidbare Schwerverletzte bei LKW-Unfällen: 8,4 % sowie Vermeidbare Leichtverletzte bei LKW-Unfällen: 17,5 %. Würde man die vermeidbaren LKW-Unfälle lediglich auf Auffahrunfälle von LKW beziehen, so ergäbe sich ein Nutzenpotential von 26,5 % für NBA 1 und 52,3 % für NBA 2.9 8 EU-Kommission, Commission Staff Working Document, SEC(2008) 1908, S. 25 f. http://www.europarl.europa.eu/RegData/docs_autres_institutions/commission_europeenne /sec/2008/1908/COM_SEC(2008)1908_EN.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.9.2016). 9 https://udv.de/de/fahrzeug/lkw/fahrerassistenzsysteme-lkw/notbremsassistent (zuletzt aufgerufen am 19.9.2016) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 8 Das Allianz Zentrum für Technik (AZT) hat mit Unterstützung der Hochschule München (HM) im Jahr 2010 die Studie „Unfallstruktur- und Wirkpotenzialanalysen zu den AKTIV-Applikationen auf der Basis von LKW-Haftpflichtschäden“10 erstellt. Ziel der Untersuchung war die Bestimmung des Wirkpotentials neuer Fahrerassistenzsysteme durch den Vergleich mit tatsächlichen Unfalldaten. Das AZT hatte hierfür eine eigene Unfalldatenbank mit über zweitausend schweren Verkehrsunfällen zur detaillierten Analyse aufgebaut. Für die Forschungsinitiative AKTIV wurden vier in der Entwicklung befindliche, intelligente und optimierte Fahrerassistenzsysteme für PKW und LKW auf ihre Wirksamkeit untersucht. Das Ergebnis zeigte, dass alle vier untersuchten AKTIV-Systeme Unfälle vermeiden oder die Unfallfolgen mildern konnten.11 Zu der Komponente „Aktive Gefahrenbremsung – AGB“ wird zusammenfassend ausgeführt: „AGB-Systeme hätten 17,6 % der untersuchten Schadensfälle verhindern oder abmildern können. Die entsprechenden Unfälle ereigneten sich vorwiegend tagsüber auf gerader Fahrbahn . Die Unfallstelle lag in der Hälfte aller Fälle innerorts, in 36 % auf Bundesautobahnen. Am Häufigsten kam es zu Kollisionen mit dem Vorausfahrenden auf der rechten Spur (34 % aller AGB-Fälle) und zu Auffahrunfällen mit Wartepflichtigen an Lichtzeichenanlagen (19 %). PKW waren in 66 %, LKW in 29 % der Fälle als Geschädigte am Unfall beteiligt. 66 % der Verursacher versuchten die Kollision mittels Bremsmanöver zu verhindern, Lenkreaktionen fanden in der Regel nicht statt. Dass AGB-Systeme ein großes Potenzial zur Vermeidung von Personenschäden besitzen, zeigt sich darin, dass 41 % aller Unfälle mit Personenschaden AGB-relevant sind. Insgesamt wurden neun Personen schwer und 56 leicht verletzt .“12 Die BG Verkehr, der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik u. Entsorgung (BGL) e.V. und die KRAVAG Versicherungen haben im Dezember 2011 den Bericht „Fahrer-Assistenz-Systeme, Sicher. Für Dich. Für Mich.“ (siehe Anlage 3) vorgelegt. Mit der Begleitforschung beauftragt wurden das Institut für angewandte Verkehrs- und Tourismusforschung e.V. (IVT) und das Institut für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik (INVL) in Heilbronn. Der Sicherheitsvorteil von mit FAS ausgestatteten Fahrzeugen beträgt laut Bericht je nach Risikobewertungszahl bis zu einem Drittel. Es wurden rund 2 Mio. EUR zur Verfügung gestellt, um die Ausstattung von etwa 1.000 neuen LKW über 16 t zulässiges Gesamtgewicht und Reisebussen (mehr als 16 Sitzplätze) mit den drei Fahrerassistenzsystemen: Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP), Abstandsregeltempomat (ACC) sowie Spurassistent (LDW) 10 http://schwarz.userweb.mwn.de/PUBLIC/HM/forschungsbericht_fas_lkw_v1.0.pdf (zuletzt aufgerufen am 19.9.2016) 11 https://azt.allianz.de/presse/presse_archiv/aktiv/aktiv_ergebnisse/alt_aktiv_ergebnisse.html (zuletzt aufgerufen am 19.9.2016) 12 http://schwarz.userweb.mwn.de/PUBLIC/HM/forschungsbericht_fas_lkw_v1.0.pdf, S. 115. (zuletzt aufgerufen am 19.9.2016) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 9 zu fördern. Mehr als 300 Unternehmen nahmen das Angebot zur finanziellen Förderung wahr und schafften entsprechend ausgestattete Neufahrzeuge an. Der Versuchsaufbau sah vor, dass jedes Unternehmen für die Dauer des Praxisversuchs jedem geförderten Fahrzeug ein Referenzfahrzeug ohne FAS-Ausstattung gegenüberstellte. Die Wissenschaftler verglichen über einen Zeitraum von zwei Jahren und insgesamt 350 Millionen gefahrenen Kilometern die Unfallbeteiligung von Fahrzeugen mit und ohne FAS. Man kam zu dem Ergebnis, dass das Bündel der drei betrachteten Fahrerassistenzsysteme ACC, ESP und LDW bei schweren Nutzfahrzeugen ein wirksames Instrument der Unfallprävention darstelle. Die drei Systeme würden in ihrer Gesamtheit die Beteiligung von Güterkraftfahrzeugen an Straßenverkehrsunfällen ganz allgemein reduzieren. Kausale Effekte und systemspezifische Wirkungen konnten mit den Befragungsdaten dieser Studie jedoch nicht untersucht werden, da die Kombination der drei Assistenzsysteme ESP, ACC und LDW ein so breites Spektrum möglicher Unfallszenarien abdecke, dass es für den Nachweis spezifischer Effekte bei einzelnen Unfallarten wesentlich detaillierterer Unfalldaten bedürfte (Anlage 3, S. 81f). 4. Gegenüberstellung der Ausstattungskosten von LKW mit einem Notbremsassistenten und der Einsparungen durch Unfallvermeidung In dem bereits in Abschnitt 3 erwähnten Arbeitspapier der EU-Kommission13 wurde eine Kosten- Nutzen-Analyse durchgeführt, die die Ausrüstungskosten eines LKW mit einem Notbremsassistenten in Bezug zu den durch die Ausstattung vermiedenen Unfallkosten setzt. Diese gestaltet sich wie folgt: Quelle: EU-Kommission, Commission Staff Working Document, SEC(2008) 1908, S. 26 13 EU-Kommission, Commission Staff Working Document, SEC(2008) 1908, S. 25 f. http://www.europarl.europa.eu/RegData/docs_autres_institutions/commission_europeenne /sec/2008/1908/COM_SEC(2008)1908_EN.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.9.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 10 In der linken Spalte der Tabelle sind die Fahrzeugklassen aufgeführt. N2/3 steht dabei für die Güterbeförderung durch LKW. „Fatality reduction“ gibt Auskunft über die Reduktion der Todesfälle . „Break even costs“ beziffert die Obergrenze, die ein Notbremssystem maximal kosten darf, um noch kosteneffizient bezüglich seines Potentials zur Reduktion von Todesfällen zu sein. Dies bedeutet für LKW in der Kategorie N2/3, dass ein System maximal 314 Euro kosten darf, um kosteneffizient zu sein. In dem Arbeitspapier (Stand: 2008) wird von einem Kostenfaktor für ein Notbremssystem von 1.000 Euro ausgegangen, jedoch wurde damals bereits eine Kostenreduktion auf 200 bis 250 Euro in Aussicht gestellt.14 Auf der X-Achse sind die Notbremssystemklassen differenziert, die über die Zeitachse gesehen eine Fortentwicklung der Notbremsassistenten abbilden, die beispielsweise auch die Vermeidung von Fußgängerunfällen oder Kollisionen in Kreuzungsbereichen mit umfassen.15 Die folgende Tabelle stellt einen Vergleich zwischen den Kosten und Nutzen verschiedener Fahrassistenten dar. Es wird jedoch in dem Arbeitspapier darauf hingewiesen, dass sich aufgrund der unterschiedlichen Datenquellen einige der verwendeten Annahmen unterscheiden können. Die farblich unterlegte Spalte beinhaltet die Daten für den Einsatz von Notbremsassistenten speziell für LKW („heavy vehicles“). 14 EU-Kommission, Commission Staff Working Document, SEC(2008) 1908, S. 26 f. http://www.europarl.europa.eu/RegData/docs_autres_institutions/commission_europeenne /sec/2008/1908/COM_SEC(2008)1908_EN.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.9.2016). 15 EU-Kommission, Commission Staff Working Document, SEC(2008) 1908, S. 26. http://www.europarl.europa.eu/RegData/docs_autres_institutions/commission_europeenne /sec/2008/1908/COM_SEC(2008)1908_EN.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.9.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 11 Electronic Stability Control Advanced Emergency Braking Lane Departure Warning (all vehicles)Light vehicles Heavy vehicles Light vehicles Heavy vehicles Increase in vehicle cost € 250 1.000 1.000 1.000 600 Fatalities saved (per annum) 2.250 500 7.000 1.020 5.500 Serious injuries saved (per annum) 23.000 2,500 17.000 4.280 30.800 Slight injuries saved (per annum) 260.000 0 -15.000 -1.800 208.500 Value of casualty savings per annum (Million €) 10,802 867 9,213 1.608.9 14, 824 Total per vehicle per year € 127 148 54.5 275 84.7 Total value of casualties saved though 13 year vehicle life € 1.651 1.926 708.5 3.575 1.101 Present value € 991 1.155 425 2.147 661 Benefit /Cost Ratio 3.97 1.16 0.43 2.15 1.1 Quelle: EU-Kommission, Commission Staff Working Document, SEC(2008) 1908, S. 53, Annex II. Hier wird ebenso von einem Kostenansatz von 1.000 Euro für einen Notbremsassistenten ausgegangen . „Fatalities saved“ beziffert die Reduktion von Todesfällen und „Serious injuries saved“ die Reduktion von schweren Verletzungen. Diesem „Einsparpotential“ wird ein monetärer Wert pro Jahr zugeordnet, der im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für „heavy vehicles“ bei 1.608,9 Mio. Euro und je Fahrzeug bei 275 Euro pro Jahr liegt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 12 5. Nachträgliche Ausrüstung von LKW mit einem Notbremsassistenten Zur Beantwortung der Frage, ob eine nachträgliche Ausrüstung von LKW mit einem Notbremsassistenten möglich ist und mit welchen Kosten diese verbunden wäre, haben die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages sich an folgende LKW-Herstellerfirmen gewandt: MAN Truck & Bus AG, Scania Deutschland GmbH, DAIMLER AG, Volvo Group Trucks Central Europe sowie Iveco Magirus AG. Die MAN Truck & Bus AG bietet keine Nachrüstsätze an. Eine Nachrüstung stellt aus Sicht von MAN einen Eingriff in sicherheitsrelevante Systeme dar. Nach Kenntnis von MAN gibt es auch bei Zulieferern keine Nachrüstsätze. Da die Nachrüstung eines AEBS sowohl in die Motorsteuerung wie auch in die Bremssteuerungen eingreife, stelle dies ein derart komplexes Feld dar, dass das ein Zulieferer ohne die Hilfe eines Originalausrüstungsherstellers (OEM) nicht darstellen könne. Aus Sicht der MAN stellt vor allem die Möglichkeit der Deaktivierung des Notbremsassistenten ein großes Risiko dar, da die Praxis zeige, dass das System durch die Fahrer zum Teil regelmäßig außer Betrieb gesetzt werde. MAN biete deshalb ab Oktober 2016 das Notbremssystem ohne Schalter im Armaturenbrett an, so dass das System vom Fahrer nicht mehr abgeschaltet werden könne. Dies ziele insbesondere auf das höhere Sicherheitsbedürfnis bei Gefahrguttransporten ab.16 Die DAIMLER AG sieht die Nachrüstung älterer LKW mit dem Active Brake Assist System für nicht machbar an. DAIMLER führt hierzu aus: „Dies hängt … mit der Radar-Sensorik zusammen, die eine Notbremssituation sicher erkennen soll. Sensorik- und Notbremsfunktionsabstimmungen auf vorausfahrende Fahrzeuge können in der Systementwicklung nicht ohne weiteres analog auf ältere Modelle angewendet werden. Weiterhin spielt die tiefe Vernetzung, die diese Notbremssysteme benötigen, eine wesentliche Rolle und erschwert die Möglichkeit der Nachrüstung so erheblich. Ohne eine adäquate Elektrik/Elektronik-Architekturentwicklung in Verbindung mit der passenden Bremsanlage, Triebsstrang-Elektronik und weiteren wichtigen Steuergeräten ist das Zusammenspiel der Assistenzsysteme mit dem Fahrzeug nicht möglich.“ 17 Nach Aussage der Volvo Group Trucks Central Europe ist eine Nachrüstung ihrer Fahrzeuge mit einem Notbremsassistenten technisch nicht möglich.18 16 Email der MAN Truck & Bus AG vom 8.9.2016. 17 Email der DAIMLER AG vom 21.9.2016. 18 Email der Volvo Group Trucks Central Europe vom 29.8.2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 13 Stellungnahmen der anderen angefragten LKW-Hersteller liegen derzeit nicht vor. Auch nach Aussage des ADAC ist eine Nachrüstung aufgrund des komplizierten Eingriffs in die Bremssteuerung nicht möglich.19 6. German In-Depth Accident Study (GIDAS) Die German In-Depth Accident Study (GIDAS) ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Forschungsvereinigung für Automobiltechnik (FAT). GIDAS wurde im Juli 1999 initiiert und dient der Detailanalyse von Unfällen in Deutschland. Jährlich werden etwa 2.000 Unfälle mit Personenschaden im Raum Dresden und Hannover aufgenommen . Das Erhebungsteam dokumentiert am Unfallort alle relevanten Informationen zur Fahrzeugausstattung und –beschädigung, Verletzungen der beteiligten Personen, Rettungskette sowie Gegebenheiten der Unfallstelle.20 Nach Aussage von Herrn Prof. Dr. Hannawald, Geschäftsführer der Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden GmbH, lässt sich die Tatsache, ob ein LKW gebremst, teil- oder ungebremst einen Auffahrunfall verursacht hat, anhand simulativer Einzelfallanalysen mit GIDAS beantworten . Dafür müssten alle LKW-Auffahrunfälle in GIDAS, für die eine Rekonstruktion des Unfallablaufes vorliegt, zunächst unter den realen Bedingungen ohne Notbremssystem simuliert werden und im Anschluss eine erneute Simulation erfolgen, in der ein derartiges Notbremssystem virtuell implementiert wäre. Damit könne man sowohl im Einzelfall als auch in der Gesamtheit den Nutzen des Notbremssystems beziffern und auf Deutschland hochrechnen. Die Erstellung einer solchen Studie wäre allerdings mit einem erheblichen Aufwand verbunden. In den in GIDAS dokumentierten Unfällen seien alle verunfallten LKW, d.h. die mit und ohne Notbremssystem, enthalten . Hierbei sei jedoch zu berücksichtigen, dass durch ein aktives Notbremssystem viele kritische Situationen bereits im Vorfeld verhindert und damit mögliche Unfälle vermieden werden könnten.21 7. Sonstiges Im Rahmen einer Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema „LKW auf deutschen Straßen – Rolle bei Klimaschutz, Straßenkosten und Unfallhäufigkeit“22 sollte u.a. geklärt werden, wie viele Unfälle es auf Bundesstraßen und Autobahnen in den vergangenen zehn Jahren verursacht durch LKW gab bzw. an denen LKW beteiligt waren (Frage 8). Die Ursa- 19 https://www.adac.de/infotestrat/adac-im-einsatz/motorwelt/lkw_unfall_stauende.aspx?Component Id=270638&SourcePageId=6729, vorletzter Absatz (zuletzt aufgerufen am 7.9.2016). 20 http://www.vufo.de/forschung-und-entwicklung/gidas/ (zuletzt aufgerufen am 5.9.2016) sowie http://www.bast.de/DE/Fahrzeugtechnik/Fachthemen/f2-gidas/info-gidas.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt aufgerufen am 19.9.2016) 21 Email von Herrn Prof. Dr. Hannawald 22 BT-Drs. 18/9393 vom 11.08.2016. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/093/1809393.pdf (zuletzt aufgerufen am 7.9.2016) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 14 chen für die Unfälle sollten benannt und nach Art der Unfallursache aufgeschlüsselt bzw. zusammengefasst werden (Frage 9). Außerdem war die Frage, ob die Bundesregierung die jetzigen europäischen Vorschriften über die Ausrüstung von Bestands-LKW mit Notbremseinrichtungen für ausreichend erachte (Frage 13). Die Antwort der Bundesregierung liegt zwischenzeitlich vor und ist als Anlage 4 beigefügt. Auf europäischer Ebene stellte David McAllister, Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten ), am 30 August 2016 die folgende Parlamentarische Anfrage:23 „Elektronische Notbremssysteme in Nutzfahrzeugen sind ein wichtiger Bestandteil bei der Vermeidung von Verkehrsunfällen. Die entsprechenden Verordnungen (EG) Nr. 661/2009 und (EU) Nr. 347/2012 halten jedoch mit dem technischen Fortschritt nicht mit. Die Möglichkeit des kompletten Abschaltens und die zu leichte Übersteuerung durch den Fahrer beeinträchtigen die Wirksamkeit der Notbremssysteme. Mögliche Anpassungen der Verordnung könnten vorschreiben, die AEBS-Abschaltbarkeit situationsbedingt einzuschränken und zeitlich zu begrenzen. Zwar müssen Fahrer weiterhin die Möglichkeit haben, die AEBS-Funktion zu übersteuern, jedoch sollte es nicht zu einem Abbruch, sondern zu einer kurzzeitigen Unterbrechung der Funktion kommen. 1. Wann ist mit einer Anpassung der Verordnungen (EG) Nr. 661/2009 und (EU) Nr. 347/2012 an den technischen Fortschritt und die Felderfahrung zu rechnen? 2. Inwieweit ist es vorgesehen die oben genannten Bedenken in die Änderungen zu übernehmen ?“ Eine Antwort steht derzeit noch aus. ENDE DER BEARBEITUNG 23 http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+WQ+P-2016- 006385+0+DOC+XML+V0//DE (zuletzt aufgerufen am 7.9.2016) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 069/16 Seite 15 8. Anlagen Anlage 1 Zusammenstöße auf Autobahnen mit einem anderen Fahrzeug, das vorausfährt oder wartet, bei denen der Fahrer von Güterkraftfahrzeugen Hauptverursacher war. Zeitreihe 2005 bis 2015. Statistisches Bundesamt. Wiesbaden 2016. Anlage 2 Fahrerinformationssysteme. Ermittlung des Sicherheitspotenzials auf Basis des Schadensgeschehens der Deutschen Versicherer. Unfallforschung der Versicherer (GDV). September 2011. Download möglich unter: https://udv.de/de/fahrzeug/lkw/fahrerassistenzsysteme -lkw/notbremsassistent (zuletzt aufgerufen am 21.9.2016) Anlage 3 Fahrer-Assistenz-Systeme. Sicher. Für Dich. Für Mich. BG Verkehr, der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik u. Entsorgung (BGL) e.V. und die KRAVAG Versicherungen. Dezember 2011. Anlage 4 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema „LKW auf deutschen Straßen – Rolle bei Klimaschutz, Straßenkosten und Unfallhäufigkeit“. BT-Drs. 18/9625 vom 14.9.2016.