© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 055/19 Einfluss der Umsatzsteuer auf die Hotelpreisbildung Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 055/19 Seite 2 Einfluss der Umsatzsteuer auf die Hotelpreisbildung Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 055/19 Abschluss der Arbeit: 06.06.2019 Fachbereich: WD 5 Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 055/19 Seite 3 1. Einleitung 2009 beschloss der Deutsche Bundestag im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes1 ein Konjunkturpaket, das u.a. die Senkung der Mehrwertsteuersätze für Hotelübernachtungen von 19 Prozent auf 7 Prozent (sog. Mövenpick-Steuer2) beinhaltet. Hiermit wurden entsprechende Verabredungen der damaligen schwarz-gelben Regierungskoalition aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt . Mit der Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen sollte die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Hotelgewerbes gestärkt werden. Die vorliegende Arbeit setzt sich in diesem Zusammenhang mit der Wirkung dieser Umsatzsteuersenkung auf die Hotelpreisbildung anhand ausgewählter Quellen auseinander. 2. Quellenlage Die Bundesregierung hat im Rahmen der Beantwortung der Schriftlichen Fragen in der Woche vom 11. April 2012 einen kausalen Zusammenhang der Mehrwertsteuerermäßigung auf Beherbergungsleistungen als statistisch nicht nachweisbar dargelegt3. Gerold Krause-Junk bemerkt in einem im Wirtschaftsdienst 2010 erschienenen Zeitgespräch zum Für und Wider differenzierter Umsatzsteuersätze: „Drittens ist das jüngst im Zusammenhang mit der umstrittenen Satzreduzierung bei Hotelübernachtungen bemühte Argument zu beachten, dass die deutschen Anbieter im internationalen Wettbewerb nicht schlechter als Anbieter benachbarter Länder gestellt werden dürften. Anderenfalls würden insofern internationale Allokationsentscheidungen verzerrt. Am Beispiel der Hotelübernachtungen: Weil die Angebotspreise der steuerlich günstiger gestellten ausländischen Hotels niedriger sein könnten, würden Nachfrager ausländische Hotels vorziehen und in der Folge Investoren ihr Kapital eher in ausländische Hotels stecken . Die Argumentation ist allerdings fragwürdig. Was die internationalen Geschäftsreisen europäischer Unternehmer angeht – z.B. die Entscheidung, ob ein Fachkongress oder ein Unternehmensseminar in Deutschland oder Österreich stattfindet –, so bleiben sie von der Höhe der alternativen Steuersätze praktisch unberührt; denn die im Übernachtungspreis gezahlten Umsatzsteuern werden im Wege des Vorsteuerabzugs wieder neutralisiert. Diese Standortneutralität ist ja der entscheidende Vorteil des bei grenzüberschreitenden Umsätzen zwischen Umsatzsteuerpflichtigen geltenden Bestimmungslandprinzips, das analog auch gilt, wenn die Leistungen ausländischer Anbieter vor Ort, also wie bei Übernachtungsleistungen , entgegengenommen werden. (Dass die Vorsteuererstattung dabei hin und wieder nur auf einem etwas umständlichen Weg zu erreichen ist, ändert nichts an 1 Gesetz vom 22.12.2009 - Bundesgesetzblatt Teil I 2009 Nr. 81 30.12.2009 S. 3950 2 Spiegel Online, 16.01.2010, Großgeschenke - Unternehmer spendete der FDP 1,1 Millionen Euro. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/grossgeschenke-unternehmer-spendete-der-fdp-1-1-millionen-euroa -672303.html (letzter Abruf: 05.06.2019) 3 Deutscher Bundestag, Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 10. April 2012 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, Drucksache 17/9307 v. 13. 04. 2012, Frage 72 S. 53 (Antwort des Staatssekretärs Dr. Bernhard Heitzer (BMWi) auf die Frage des Abgeordneten Carsten Schneider (Erfurt). http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/093/1709307.pdf (letzter Abruf: 05.06.2019) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 055/19 Seite 4 dem prinzipiellen Ergebnis.) Anders stellt sich die Lage bei Privatreisen dar. Diese unterliegen – wie im Übrigen alle sogenannten Direktkäufe – dem Ursprungslandprinzip mit der Folge, dass die Übernachtungen ausländischer Gäste definitiv mit dem inländischen Steuersatz belastet werden. Die internationale Wettbewerbssituation deutscher Hotels hat sich durch die jüngste Reform insofern also tatsächlich verbessert und – isoliert betrachtet – könnte es sein, dass dadurch bei Hotelübernachtungen mögliche internationale Verzerrungen gemildert oder beseitigt werden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob hier eine derart isolierte Betrachtung angebracht ist. Soweit steuerlich bedingte Preisunterschiede bei den Reiseentscheidungen der Touristen überhaupt ins Gewicht fallen, dürften sie wohl nicht allein bei den Hotelpreisen sondern nur insgesamt zum Tragen kommen. Jedenfalls wird der typische Tourist bei der Wahl seines Urlaubsorts nicht nur die Übernachtungspreise , sondern die in dem einen oder anderen Land anfallenden Gesamtkosten seines Urlaubs im Auge haben. Bei einem Vergleich der umsatzsteuerlichen Gesamtbelastungen schneidet Deutschland im europäischen Vergleich eher günstig ab.“4 Franz W. Wagner/Stefan Weber/Lisa Gegenwarth kommen in einer im Jahr 2014 erschienenen empirischen Studie der Preispolitik im deutschen Hotelgewerbe zu folgender Einschätzung: „Die öffentliche Kritik, die 2010 der Senkung des Umsatzsteuer-Tarifs für Hotelübernachtungen von 19% auf 7% folgte, war insoweit überraschend, als der traditionellen Inzidenz -Hypothese zufolge Tarifsenkungen der Umsatzsteuer durch Preissenkungen Konsumenten zugutekommen. Sie wäre berechtigt gewesen, wenn die Tarifsenkung von den Hoteliers nicht an die Konsumenten weitergegeben worden wäre. Unsere 3.131 Hotelbetriebe umfassende empirische Untersuchung der Tarifsenkung von 2010 weist nach, dass die Inzidenz -Hypothese nicht bestätigt wurde und die öffentliche Meinung entgegen der ursprünglichen politischen Begründung der Tarifsenkung Recht behalten hat. (…) Im Ergebnis zeigt sich, dass die traditionelle Inzidenzhypothese nicht bestätigt werden kann. Stattdessen stellen wir eine Asymmetrie von Änderungen des USt-Tarifs für die Preispolitik der Hotelbetriebe in dem Sinne fest, dass im Fall der speziellen Tarifreduzierung im Jahr 2010 keine Preissenkungen, sondern sogar Preiserhöhungen vorgenommen wurden, während die allgemeine Tariferhöhung im Jahr 2007 zumindest teilweise durch eine Erhöhung der Preise weitergegeben wurde, wobei diese nicht enbloc, sondern stufenweise erfolgte . Die bislang in der Literatur ausgebliebene und im Rahmen des vorliegenden Beitrags zusätzlich durchgeführte Erfolgskontrolle des damaligen Vorhabens der Stärkung der Wettbewerbsposition grenznah gelegener Hotelbetriebe anhand einer entsprechenden Stichprobe der betreffenden Häuser zeigt außerdem, dass gerade die grenznahen Betriebe die Tarifreduzierung in besonders geringem Maß zur Erhöhung ihrer Wettbewerbsfähigkeit durch Preissenkungen genutzt haben. Insgesamt waren die im Fall der Tarifsenkung gegen die traditionelle Inzidenzhypothese gerichteten Vermutungen der Öffent- 4 Rolf Peffekoven, Gerold Krause-Junk, Ralph Brügelmann, Rudolf Hickel, 2010, Zeitgespräch - Brauchen wir eine Reform des Mehrwertsteuersystems?, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jahrgang, 2010, Heft 9, S. 575-590 insbesondere Gerold Krause-Junk: Für und Wider differenzierter Umsatzsteuersätze S. 580. https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2010/9/brauchen-wir-eine-reform-des-mehrwertsteuersystems/ (letzter Abruf: 05.06.2019) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 055/19 Seite 5 lichkeit also berechtigt. Die Tarifermäßigung der USt entlastete im Ergebnis nicht die Hotelgäste , sondern stellt sich eher als branchenspezifische Subvention des Hotelgewerbes dar."5 Der Präsident des Bundesrechnungshofs Kay Scheller bemerkt abschließend in einem Interview des Hamburger Abendblattes: „Die seit 2010 geltende Steuerermäßigung auf Hotelbetriebe hat keinerlei Effekt gezeigt. Sie sollte die Wettbewerbssituation Deutschlands im europäischen Vergleich stärken. Aber dafür war diese Steuervergünstigung völlig irrelevant. Die Bürger übernachten in Bayern doch nicht signifikant günstiger als in Österreich. Die Maßnahme hat ihren Zweck verfehlt . Wenn der Staat freiwillig auf Einnahmen verzichtet, muss es einen sichtbaren Effekt geben. Den gibt es in dem Übernachtungsgewerbe nicht. Haushaltspolitisch ist die Hotelsteuer nicht zu rechtfertigen. Diese Ermäßigung von geschätzten 1,4 Milliarden Euro im laufenden Jahr gehört definitiv auf den Prüfstand.“6 *** 5 Franz W. Wagner/Stefan Weber/Lisa Gegenwarth, Wird die Umsatzsteuer überwälzt? Eine empirische Studie der Preispolitik im deutschen Hotelgewerbe, arqus Discussion Paper No. 179, Dezember 2014, Arbeitskreis Quantitative Steuerlehre (arqus). http://www.arqus.info/mobile/paper/arqus_179.pdf (letzter Abruf: 05.06.2019) 6 Hamburger Abendblatt, 06.10.2018, Bundesregierung, Chef des Rechnungshofs will mehr Kontrolle über die Bahn. https://www.abendblatt.de/politik/article215495185/Rechnungshof-Chef-Die-Ausgabenpolitik-macht-mir-Sorgen .html (letzter Abruf: 05.06.2019)